Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 1999; 34(8): 485-486
DOI: 10.1055/s-1999-10832
MINI-SYMPOSIUM
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Editorial

F. Mertzlufft, W. Wilhelm
  • Klinik für Anaesthesiologie und Intensivmedizin (Direktor: Prof. Dr. med. R. Larsen), Universitätskliniken des Saarlandes, Homburg/Saar
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Publication Date:
28 April 2004 (online)

Die „Sicherheit von Blut- und Plasmaprodukten” steht unverändert im Brennpunkt des öffentlichen Interesses und führt zu ständigen und manchmal einschneidenden Veränderungen der klinischen Praxis, wie etwa bezüglich der Eigenblutanwendung [1], der Richtlinien zur Blutgruppenbestimmung und Bluttransfusion [2] und durch das neue Transfusionsgesetz [3]. Gleichzeitig ist trotz steigender Operationszahlen eine verminderte Spendebereitschaft festzustellen. Zusammen mit dem politischen Ziel, unabhängig von Blutimporten zu sein, ergibt sich ein weiterer Zwang zum Umdenken und zur Suche nach Alternativen. Die derzeit übliche Strategie, dem Patienten Blut und Blutprodukte bei Eingriffen gezielt, rechtzeitig und unter Abwägung des individuellen Risikos sowie entsprechend den geltenden Qualitätsansprüchen der Transfusionsmedizin zu verabreichen, reicht aber nicht mehr aus. Die Weiterentwicklung und Ausdehnung der chirurgischen Eingriffsmöglichkeiten sowie der intensiv-medizinischen Behandlung verlangt auch vom Operateur, den perioperativen Blutverlust besonders bei Elektiveingriffen zu minimieren und die sich durch eine Hämodilution verändernden Gegebenheiten zu akzeptieren. Weitere blutsparende Effekte sollten durch gezielten Volumenersatz, adäquates Monitoring, geeignete Laborparameter und Herantasten an Grenzwerte erzielt werden. Hierfür sind eine enge interdisziplinäre Kooperation sowie der kontinuierliche Austausch klinischer und wissenschaftlicher Erfahrungen und Daten erforderlich.

Vor diesem Hintergrund wird die Verwendung von Fremdblut immer restriktiver gehandhabt, und Verfahren zum Erhalt aufbereiteter autologer Blutprodukte sind perioperativ genauso verfügbar geworden wie Eigenblutspende, Hämodilution und die Therapie mit Erythropoetin. So wird die Transfusionsindikation erst bei deutlich niedrigeren Hb-Konzentrationen gestellt als früher, die Hämodilution erlaubt eine weitere Einsparung von Fremdblut (und verbessert die lokale und organbezogene Sauerstoffversorgung), die Erythropoetintherapie ermöglicht beim Anämiker eine Erhöhung der Hb-Konzentration, und dank der Eigenblutanwendung kann versucht werden, den Bereich der optimalen Hb-Konzentration therapeutisch zu nutzen. Betrachtet man allerdings die übliche klinische Praxis, so ist festzustellen, daß die Entscheidung zur Transfusion derzeit vor allem von der Sorge vor möglichen Risiken geprägt ist und häufig grundlegende pathophysiologische Überlegungen (z. B. hämodynamische und utilisatorische Kompensation) zur Bedeutung der Anämie für den kritisch kranken Patienten in den Hintergrund treten.

Wie wäre der Idealfall?

Im Idealfall stünde ein sicheres Produkt (ohne Infektionsgefahr, Immunmodulation, Risiken bei Konservierung und Lagerung etc.) zur Verfügung und die Entscheidung „Transfusion oder nicht?” könnte sich ausschließlich an den klinisch-physiologischen Notwendigkeiten orientieren (Volumenstatus, Sauerstoffangebot, Sauerstoffverbrauch, Sauerstoffutilisation, regionale Perfusionsdefizite). Dabei gilt es, einen Kompromiß zu finden zwischen dem zumutbaren Verlust an Volumen und Sauerstoffträgern sowie der jeweils erforderlichen Sicherheitsreserve, wie in einem anderen Mini-Symposium dieser Zeitschrift [4] zusammengefaßt.

Vergleichbar den Arbeitskreisen der verantwortlichen Fachgesellschaften und verschiedenen Konsensuskonferenzen soll auch mit dem vorliegenden Mini-Symposium „Sicherheit von Blut- und Plasmaprodukten” (basierend auf einem gleichnamigen Workshop von Anästhesisten und Transfusionsmedizinern unterstützt von der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie) versucht werden, die Transfusionsentscheidung aus der Sicht verschiedener Fachdisziplinen (Anästhesiologie, Chirurgie, Hämostaseologie, Immunhämatologie, Transfusionsmedizin und Virologie) im Konfliktfeld medikolegaler Zwänge und pathophysiologischer Grundlagen zu beleuchten.

Unter virologischen Aspekten zeigen Gärtner u. Müller-Lantzsch, daß die Bemühungen um Infektionssicherheit und neue Verfahren zur Virusinaktivierung zwar zu weitgehend sicheren Produkten geführt haben, eine Aussage über die absolute Virusfreiheit gegenwärtig aber nicht gemacht werden kann und immer wieder neue Infektionsprobleme unvermutet auftreten können.

Mit Blick auf hämostaseologische und transfusionsmedizinische Besonderheiten kommen Seyfert, Mörsdorf u. Mertzlufft zu dem Schluß, daß autologe Transfusionskonzepte intensiviert und neben der Nutzen-Risiko-Abwägung vermehrt auch forensische und ökonomische Sachzwänge berücksichtigt werden müssen.

Zum Standpunkt des Fachgebiets Anästhesiologie hält Mehrkens als Fazit fest, daß die Strategie einer perioperativen Hämotherapie nach einer abgestuften Rangfolge erfolgen sollte: Transfusionsvermeidung, autologe Transfusion, homologe Transfusion. Ausdrücklich gibt er zu bedenken, daß vor allem Augenmaß bewahrt werden muß, damit der Nutzen für unsere Patienten nicht in einem überzogenen Dickicht aus Vorschriften auf der Strecke bleibt.

Kussmann verdeutlicht in seinem Beitrag die besondere Rolle, die der Chirurg bei der Vermeidung von Blutverlusten einnehmen kann. Er hält ferner fest, daß sich blutsparende Operationstechniken per se weitgehend mit den Prinzipien einer effizienten onkologischen Chirurgie decken. Unter Hinweis auf die europäische Sanguis-Studie stellt Kussmann allerdings auch heraus, daß wir noch weit von dem Ziel entfernt sind, den Transfusionsverbrauch dem tatsächlichen Bedarf anzupassen.

Aus der Sicht des Bundesamtes für Sera und Impfstoffe schlußfolgert Willkommen, daß die Virussicherheit der Blut- und Plasmaprodukte inzwischen deutlich verbessert werden konnte, vor allem durch Labortests, zunehmende Kenntnisse bei der Virusinaktivierung und -eliminierung sowie durch Optimierung der Herstellungsverfahren. Problematisch geblieben sei aber nach wie vor die Inaktivierung nicht umhüllter Viren, so daß zusätzliche Prüfverfahren notwendig sind, um eine mögliche Kontamination des Ausgangsmaterials zu kontrollieren und zu vermindern.

Die rechtlichen Aspekte werden im Beitrag von Bock dargestellt. Vor allem beleuchtet er das forensische Risiko, mögliche Behandlungsfehler, das Prinzip der Methodenfreiheit und die notwendige Aufklärung des Patienten. Seinem Wunsch, daß juristische Gegebenheiten nicht zu weitergehender Verunsicherung führen dürfen, kann uneingeschränkt zugestimmt werden.

Als Resümee wünschen die Herausgeber des vorliegenden Mini-Symposiums der Leserschaft, daß die ausgewählten Themen Interesse finden und gleichzeitig Fakten vermitteln können, die dabei helfen sollen, die Sicherheit unserer Patienten und die des Anwenders weiter zu verbessern.

Literatur

  • 1 Bundesgerichtshof .Urteil VI ZR 40/91 vom 17. 12. 1991. 
  • 2 Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer und Paul-Ehrlich-Institut .Richtlinien zur Blutgruppenbestimmung und Bluttransfusion (Hämotherapie): Überarbeitete Fassung 1996. Köln; Deutscher Ärzte-Verlag 1996
  • 3 Gesetz zur Regelung des Transfusionswesens (Transfusionsgesetz). Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1998, Teil I, Nr. 42 vom 6. Juli 1998. 1752-1760
  • 4 Zander R, von Bormann B. Extreme Anämie bei Verweigerung der Transfusion.  Anesthesiol. Intensivmed. Notfallmed. Schmerzther.. 1996;  31 488-507

DEAA Dr. med. Prof. Dr. med. F. Mertzlufft
W. Wilhelm

Klinik für Anaesthesiologie und Intensivmedizin Universitätskliniken des Saarlandes D-66421 Homburg/Saar

mertzlufft@t-online.de

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