Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 1999; 34(12): 793-794
DOI: 10.1055/s-1999-10840
LESERBRIEFE
Georg Thieme Verlag Stuttgart ·New York

Forschungsqualität anästhesiologischer Universitäts-Abteilungen in Deutschland

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Publication Date:
31 December 1999 (online)

Für den engagierten Diskussionsbeitrag bezüglich unseres Artikels über das Publikationsverhalten deutscher anaesthesiologischer Universitäts-Abteilungen möchten wir uns bedanken („Die nützlichsten Bücher sind solche, die den Leser anregen, sie zu ergänzen” [Voltaire]).

Die Autoren des Leserbriefes berichten - sicherlich berechtigt - ironisch über die Publikationswut einzelner deutscher Wissenschaftler („. . . über 1.000 wissenschaftliche Veröffentlichungen. . .”). Sie bedauern, daß das „publish or perish”-Prinzip zu solchen Auswüchsen geführt hat. Das andere Ende der „Fahnenstange” scheint für die Autoren nur von untergeordneter Bedeutung zu sein: so ist die Tatsache, daß große anaesthesiologische Universitäts-Abteilungen innerhalb von 10 Jahren nahezu keinen Beitrag in einer englisch-sprachigen Zeitschrift publiziert haben offensichtlich nicht besonders erwähnenswert. Sollte hier das „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold”-Prinzip konsequent befürwortet werden?

Die Autoren des Leserbriefes stellen völlig zu recht fest, daß es schwierig ist, wissenschaftliche Leistung zu vergleichen. Sie bedauern, daß der „impact factor” (IF) nicht mit in die Analyse einbezogen worden ist. Es wurde bewußt auf eine Reihung der einzelnen Universitäten anhand des IF verzichtet. Der IF scheint zwar ein Maß für die Qualität einer Zeitschrift zu sein, als Maß für die Qualität einer wissenschaftlichen Leistung einer einzelnen Person bzw. einer Institution scheint er jedoch völlig unbrauchbar [1]. So hat eine universitäre Anaesthesie-Abteilung, die innerhalb von 10 Jahren 2 Arbeiten in der Zeitschrift N Engl J Med (IF 1997:27,766) publiziert, insgesamt 55,532 IF-Punkte erreicht. Ist eine Universitäts-Abteilung, die über den gleichen Zeitraum 19 Arbeiten in Anesth Analg (IF 1997:2,830) publiziert hat und damit insgesamt weniger IF-Punkte (53,77) erreicht, als wissenschaftlich minderwertiger einzuschätzen?

Die Autoren des Leserbriefes sind sicherlich im Recht, zu betonen, daß- trotz aller Sorgfalt - die vorgelegte Analyse nicht vollständig sein kann. So sind Publikationen, die in einem ausländischen Anaesthesie-Institut entstanden sind und bei denen ein deutscher Mitarbeiter z. B. an 5. Stelle steht, nicht berücksichtigt worden. Wir sind auch nicht der Meinung, daß man dem Vorgehen „IAG” (in Amerika gewesen) uneingeschränkt zustimmen sollte, es fördert die Forschung im eigenen Lande nur sekundär.

Zu der Auswahl der speziell analysierten Zeitschriften ist festzustellen, daß diese zu den weit verbreiteten Journalen für die Bereiche Anaesthesie, Schmerz, Notfall- und Intensivmedizin gehören. Journale, in denen im Berichtzeitraum (1988 - 1997) kaum Beiträge deutscher anaesthesiologischer Universitäts-Institute erschienen, wurden hier weggelassen. So erschienen z. B. im „American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine” (bzw. in der Vorläuferzeitschrift) von 1988 bis 1997 ganze 6 Arbeiten. Unabhängig davon gilt es zu betonen, daß in Tab. 1 unserer Publikation alle in MEDLINE gelisteten englischsprachigen Zeitschriften berücksichtigt sind, in denen von universitären Anaesthesie-Abteilungen aus Deutschland innerhalb der letzten 10 Jahre publiziert worden ist.

Es war nicht die Intention der Autoren, deutschsprachige Publikationen als minderwertig zu bezeichnen. Wie von den Autoren des Leserbriefes korrekt betont, gibt es sicherlich viele Gründe, wissenschaftliche Arbeiten in deutscher Sprache zu publizieren. Zweifelsohne gilt es aber zu bedenken, daß Wissenschaft heute international ist. Eine Publikation in englischer Sprache findet einen ungleich höheren Leserkreis als eine Publikation in der jeweiligen Landessprache. Mit dieser Aussage ist keinerlei Wertung verbunden. Universitäten, die darum bemüht sind, einen hohen wissenschaftlichen Standard im deutschsprachigen Raum zu etablieren, sollten jedoch nicht den Schritt scheuen, zumindest einen Teil ihrer wissenschaftlichen Ergebnisse international zu verbreiten. Somit wäre eine gesunde Mischung von englischsprachiger und deutschsprachiger Publikationen wünschenswert - manche Universitäten legen z. B. bei Habilitationen bzw. bei Berufungen darauf großen Wert. Ein bewußtes Vermeiden von englischsprachigen Publikationen erscheint nicht mehr zeitgemäß.

Die Autoren des Leserbriefes bezweifeln, daß anhand des letztendlich enttäuschenden Publikationsverhaltens deutscher anaesthesiologischer Universitäts-Abteilungen auf eine „defizitäre” Forschung im Bereich der Anaesthesie zu schlußfolgern sei. Muß gute Forschung international sein? Aufgrund der Globalisierung auch im Bereich der Wissenschaft muß sie international sein. Bei ausschließlicher Beschränkung von Publikationen auf deutschsprachige Journale fehlt die Vergleichbarkeit mit dem internationalen Schrifttum.

Die vorgelegte Untersuchung hat sich darauf beschränkt, ausschließlich die Anzahl der englischsprachigen Publikationen aufzulisten. Dieses Vorgehen ist sicherlich angreifbar, aber überprüfbar und wurde von uns auch so definiert! Die von den Autoren des Leserbriefes zitierte „. . . externe, professionelle Evaluierung. . .” der eigenen Abteilung ist subjektiv und nicht nachvollziehbar (Kriterien?). Es war nicht das Anliegen unserer Arbeit, einzelne Abteilungen „professionell zu evaluieren”, sondern wir wollten in einem 10-Jahres-Zeitraum englischsprachige Publikationen einzelner Lehrstühle erfassen. Ob eine Qualitätskontrolle anhand der vorgelegten Analyse überhaupt möglich ist, ist sicherlich diskutierbar - sie ist aber neutral, überprüfbar und nicht spekulativ.

Abschließend können wir die Euphorie bezüglich der Güte der anästhesiologischen Forschung in Deutschland nicht ganz nachvollziehen („. . . ungerechtfertigt schlechtes Licht auf den Stand dieser Forschung . . .”). Die Qualität deutscher Forschung wird zur Zeit äußerst kritisch beurteilt (siehe auch Beitrag der Frankfurter Rundschau vom 17. Juni 1999: „Gesellschaft mit beschränkter Forschung”). Die erschreckende Bilanz kann nur den überraschen, der sich von einzelnen Spitzenleistungen blenden läßt. Auch eine unabhängige Expertenkommission, die die Güte des deutschen Wissenschaftssystems überprüft hat, kommt zu einem ähnlich negativen Ergebnis. Es scheint ziemlich anmaßend, daß die Autoren des Leserbriefes der festen Überzeugung sind, daß die häufig geäußerte Kritik an der deutschen Wissenschaft nicht für die deutsche Anästhesie zutreffen soll. Es war nicht die Intention der Autoren, die deutsche Anästhesie eines „Mauerblümchen-Daseins” zu bezichtigen. International fristen jedoch manche anästhesiologische Universitäts-Abteilungen tatsächlich ein derartiges Mauerblümchen-Dasein! Es ehrt uns, wenn unsere Publikation als Aufforderung zur Intensivierung der Forschung in unserem Lande aufgefaßt werden sollte - Die Wissenschaft führt zu Wissen, die Einbildung zum Nichtwissen (Hippokrates).

Literatur

Prof. Dr. med. J. Boldt

Klinik für Anästhesiologie und

Operative Intensivmedizin

Klinikum Ludwigshafen

Bremserstr. 79

D-67063 Ludwigshafen

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