Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(49): 1517-1518
DOI: 10.1055/s-2000-9110-2
Leserbriefe
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Erwiderung

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Publication Date:
28 April 2004 (online)

Wir bedanken uns für die Möglichkeit, die Nachfrage von Kasek zu beantworten und einen wichtigen Punkt in der beabsichtigten Nutzung von Perfluorkarbonen (PFC) [3] zu erläutern.

Theoretisch besitzen nicht vollständig gesättigte Perfluorkarbone PFC (CxFxX) durch ihre Substituenten (Chlor, Brom etc.) tatsächlich ein Ozon (O3)-zerstörerisches Potenzial [ODP - errechnet im Vergleich zu Chlorfluorkarbonen (CFC-11]). Als Folge ihrer langen Lebensdauer und Stabilität in der Troposphäre - der unteren Schicht der Atmosphäre (8-18 km über dem Meeresspiegel) - ist es möglich, dass sie die Stratosphäre (bis 50 km über dem Meeresspiegel) erreichen, in der eine photolytische Spaltung dieser Perfluorkarbone stattfinden kann. Die halogenen Substituenten der ungesättigten PFC werden hier zur Radikalbildung angeregt, die durch die Reaktion mit O3 und der Bildung von zwei Molekülen Sauerstoff zur Reduktion der Ozonschicht beitragen [8]. Ein Molekül Chlor verbraucht hier bis zu 100 000 Ozonmoleküle, ein Brommolekül 35-80 mal mehr [1]. Die neueren Perfluorkarbone weisen jedoch im Vergleich zu hochflüchtigen und niedermolekularen CFC ein 5-6-fach höheres Molekulargewicht (PFOB [Oxygent ®] - 499 Dalton, PFDOC [Oxyfluor ®] - 471 Dalton) und eine 100-1000fach niedrigere Flüchtigkeit (PFOB - 17 mbar bei 20 ˚ C) auf. Vor allem durch die niedrigere Flüchtigkeit ist deshalb die Wahrscheinlichkeit, dass sie jemals in die Stratosphäre gelangen und damit einen wesentlichen Beitrag zur Zerstörung der Ozonschicht leisten, sehr gering [4].

Weiterhin wird der Anteil von Perfluorkarbonen an der weltweiten Produktion von ozonzerstörenden Gasen sehr niedrig sein, da der Gebrauch von Perfluorkarbonen als Emulsion oder als flüssige Reinsubstanz meist an eine invasive Ventilationstherapie gebunden ist. Die optimistische Einschätzung der zu erwartenden Produktion von Perflubron (PFOB) liegt im Größenbereich von 400 t pro Jahr [4]. Die von Kasek angesprochenen Halogenkohlenwasserstoffe sind gebräuchliche Anästhesiegase, die mit einer 15-fach größeren weltweiten Produktionsmenge zu 0,0005 % zur Ozonzerstörung beitragen [6]. Ihr Gewicht an der Verminderung des Ozons der Stratosphäre wurde 1991 als vernachlässigbar bezeichnet [6]. Mittlerweile sollte die Produktion von Treib-hausgasen seit der Entdeckung des Ozonlochs 1985 und den Beschlüssen der Weltklimakonferenz 1987 in Montreal abgenommen haben. Deshalb ist der anteilige Schaden durch medizinisch eingesetzte Gase derzeit möglicherweise größer geworden. Dies ist allerdings unwahrscheinlich, da durch den vermehrten Einsatz neu entwickelter Gase wie Sevofluran oder Desfluran, die kein Chlorid oder Bromid mehr freisetzen, keine Ozonzerstörung mehr hervorgerufen wird [5]. Das scheint die Bedeutung des Perfluorkarbonanteils nicht wesentlich zu verändern. Das Zulassungsverfahren des Perfluorkarbon-haltigen Kontrastmittels Imagent® (Alliance Pharmaceuticals, San Diego, CA, USA) der letzten Jahre durch die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA kam in Zusammenarbeit mit der Umweltschutzorganistaion EPA (Environmental Protection Agency) zu dem Ergebnis, dass PFOB keinen signifikanten Einfluss auf Ozonzerstörung und Treibhauseffekt hat (persönliche Kommunikation P. Keipert, Alliance Pharmaceuticals, 31.5.2000).

Der Beitrag von Perfluorkarbonen zum globalen Erwärmungsprozess ist ebenso beachtenswert wie die Reduktion des lebenswichtigen Ozonschutzes vor ultravioletter Strahlung. Der Beitrag zum Treibhauseffekt entsteht als Folge der Fähigkeit des Fluoranteils der Perfluorkarbone, infrarote Strahlung zu absorbieren. Dadurch wird das vertikale Temperaturprofil der Atmosphäre, die sonst für infrarote Strahlen transparent ist, verändert.

Das Erwärmungspotenzial (GWP, Global Warming Potential) eines Stoffes wird in Relation zu einem Referenzgas beispielsweise zu Kohlendioxyd (CO2) oder zu CFC-12 (CF2Cl2) beurteilt. Die prozentuale Beteiligung der Perfluorkarbone am Gesamtausstoß von Treibhausgasen ist nicht bekannt, wegen der geringen Produktionsmengen aber vernachlässigbar. Kohlendioxid aus Verkehr, Energie- und Wärmegewinnung, das mit einem GWP von 0,00013 zu 50 % zum Treibhauseffekt beiträgt, wird in einer Emissionsmenge von 7 Gigatonnen pro Jahr ausgestoßen [2].

In Anbetracht des nach wie vor weltweit beobachteten Fortschritts der Umweltzerstörung mag die Einführung von theoretisch umweltschädlichen Medikamenten unsinnig erscheinen. Perfluorkarbon-Emulsionen beinhalten jedoch eine erhebliche Potenz zur Therapie von Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Luftembolien und Kohlenmonoxydvergiftung [3], die unsere Gesellschaft und unser Gesundheitssystem wesentlich belasten. Die fehlende Toxizität der Substanz beim Patienten ist nicht hoch genug zu bewerten [7]. Die eher theoretischen Aspekte eines umweltschädlichen Potenzials neuerer Perfluorkarbone sollten deshalb zurückgestellt werden, solange es darum geht, zu untersuchen, ob die erwähnten Krankheiten mit Perfluorkarbonen wirksamer als bisher therapiert werden können. In nennenswertem Maße eingeführt und in größeren Quantitäten benutzt werden diese Medikamente letztendlich nur, wenn sie sich als medizinisch nützlich erweisen. Die Entwicklung der Anästhesiegase hat bereits gezeigt, dass heutzutage die Produktion ökologisch relativ sicherer aber gleichzeitig medizinisch effektiver fluorierter Kohlenwasserstoffe möglich ist. Eine ähnliche Entwicklung ist - nach erwiesener medizinischer Notwendigkeit - sicher auch von den Herstellern der Perfluorkarbone zu fordern. Bis dahin ist unserer Ansicht nach die erfolgversprechende Erprobung des medizinischen Stellenwerts dieser Substanzen gerechtfertigt.

Literatur

  • 1 Brown A C, Canosa-Mas C E, Parr A D, Pierce J M, Wayne R P. Tropospheric lifetimes of halogenated anaesthetics.  Nature. 1989;  341 635-637
  • 2 Dekant W. Toxicology of chlorofluorocarbon replacements.  Environ Health Perspect. 1996;  104 75-83
  • 3 Frietsch T, Lenz C, Waschke K F. Perfluorkarbon-Emulsionen: künstliche Sauerstoffträger und ihre medizinischen Anwendungen.  Dtsch Med Wschr. 2000;  125 465-472
  • 4 Hall F M. Contrast agents and the ozone layer.  Am J Roentgenol.. 1989;  153 654-655
  • 5 Langbein T, Sonntag H, Trapp D, Hoffmann A, Malms W, Roth E P, Mors V, Zellner R. Volatile anaesthetics and the atmosphere: atmospheric lifetimes and atmospheric effects of halothane, enflurane, isoflurane, desflurane and sevoflurane.  Br J Anaesth. 1999;  82 66-73
  • 6 Radke J, Fabian P. Die Ozonschicht und ihre Beeinflussung durch N2O und Inhalationsanaesthetika.  Anaesthesist. 1991;  40 429-433
  • 7 Von Essen S. Reformulated leather protectors: Safer for the ozone than the public.  J Toxicol Clin Toxicol. 1996;  34 25-26
  • 8 World Meteorological Organization (WMO) .Scientific assessment of Stratospheric Ozone Depletion. Report No 20. Vol. II, (AFEAS Report) Genf, World Meteorological Organization 1989

Dr. med. Thomas Frietsch
Dr. med. Christian Lenz
PD Dr. med. Klaus F. Waschke

Institut für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin

Klinische Fakultät für Medizin Mannheim der Universität Heidelberg

Theodor Kutzer Ufer 1-3

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