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DOI: 10.1055/s-2001-10686
Die klassischen Beschreibungen der Platzangst von Carl Westphal und Emil Cordes und ihre Bedeutung für die Konzeptgeschichte und aktuelle Diskussion der Angsterkrankungen
Classical Descriptions of the Anxiety Phenomenons by C. Westphal and E. Cordes, their Importance for the Conceptual History and the Current Discussions of Anxiety DisordersPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
31. Dezember 2001 (online)

Zusammenfassung
Es wird an die Erstbeschreibung der Agoraphobie durch Carl Westphal (1833 - 1890) erinnert und sein 1872 erschienener Aufsatz in den historischen Zusammenhang der Vorläuferbeschreibungen und der fast zeitgleich erschienenen Aufsätze von M. Benedikt und E. Cordes gestellt. Während M. Benedikt den (psychischen) Charakter der agoraphoben Phänomene nicht erkannte und stattdessen neuroophthalmologische Ursachen dafür vermutete, sahen Westphal und auch Cordes klar den psychischen bzw. psychogenen Entstehungsmechanismus der Agoraphobie. Die Beschreibung von E. Cordes, obwohl zeitlich fast 4 Monate nach derjenigen von C. Westphal erschienen, weist dabei zweifelsohne gegenüber der Erstbeschreibung bedeutsame Erweiterungen und unverkennbare Züge der Originalität auf: So betont er die Bedeutung der vorangegangenen Überforderung (heute: „Stressfaktoren”) und der dadurch belastungsbedingten Erschöpfung des Organismus; er hält außerdem die Agoraphobie für eine sehr häufige Erscheinung unter den funktionellen Nervenkrankheiten und sieht sie - wie auch Westphal letztlich „nur” als ein Symptom, nicht als eigenständiges Krankheitsbild. Die in den Schilderungen dieser Autoren aufgeworfenen und thematisierten Probleme sind in vielem bis heute aktuell und können die gegenwärtige Diskussion der Angststörungen durchaus auch weiterhin noch bereichern. Sind doch trotz allgemein akzeptierter Definitionen der wichtigsten Störungsbilder weder die Entstehung noch der symptomatisch-phänomenologische Charakter der Agoraphobie und verwandter Angstphänomene völlig geklärt.
Schlüsselwörter:„Agoraphobie - Platzangst/Platzfurcht - Platzschwindel”
We discuss the history of „agoraphobia” and related descriptions as the „Platzangst” from M. Benedikt and the artide of E. Cordes, who used the same titel „agoraphobia” as Westpals original paper. lt is remarkable that Westphal and Cordes recognized the pychological character of the phemomen, whereas Benedikt in 1870 suspected a neuroophthalmogical origin for his „Platzschwindel”. Regarding the details of these first three descriptions one can show that the primary authorities set up a discussion, which is still going on: The relation between agoraphobia, dizziness, fear and panic is until now object of many controversies, as shown in the final chapter.
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