Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(1/2): 42-43
DOI: 10.1055/s-2002-19422
Fragen aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Unklare thorakale Beschwerdesymptomatik

Further Information

Publication History

Publication Date:
04 January 2002 (online)

Frage: Ein 37-jähriger Patient mit mehrdeutiger, unklarer, thorakaler Beschwerdesymptomatik wird erstmalig in der Praxis vorstellig (Risikofaktoren: Stress, 40 Zigaretten täglich).

- Kann der Patient bei der Erstuntersuchung bei unauffälligem Ruhe-EKG und negativen Werten für GOT, CPK, LDH und Troponin T mit einem Ergometrietermin aus der Praxis entlassen werden (»evidence-based medicine«)?

Antwort: Die geschilderten Symptome des Patienten müssen im Rahmen der weiteren differenzialdiagnostischen Abklärung an erster Stelle einer koronaren Herzkrankheit zugeordnet werden. Da es sich um eine Erstmanifestation handelt, ist der Symptomkomplex als instabile Angina pectoris zu werten und bedarf somit in jedem Fall einer weiteren diagnostischen Abklärung [6] . Anhand der anamnestischen und klinischen Daten des Patienten kann die Wahrscheinlichkeit einer koronaren Herzkrankheit (KHK) abgeschätzt werden [2]. Im geschilderten Fall liegt diese bei etwa 35 % und lässt sich somit der intermediären Risikogruppe zuordnen [5].

Unbedingt müssen auch differenzialdiagnostische Ursachen thorakaler Schmerzen berücksichtigt werden: Diese können z. B. auch bei einer hochgradigen Aortenklappenstenose, hypertrophen Kardiomyopathie, einem chronischen Cor pulmonale, Herzrhyhtmusstörungen oder dem »Syndrom X« auftreten. In 10-20 % werden Thoraxschmerzen von extrakardialen Erkrankungen verursacht. Dazu zählen ein Aneurysma dissecans der Aorta, pulmonale Erkrankungen wie Pneumothorax, Lungenembolie, Pleuritis oder Neoplasien der Pleura sowie muskuläre und knöcherne Schmerzen, Interkostalneuralgien, aber auch Erkrankungen des Ösophagus und des Magens [7].

Klagt der Patient zum Zeitpunkt des Praxisbesuches über anhaltende thorakale Beschwerden, so sollte umgehend die Einweisung ins Krankenhaus erfolgen. Bei kardial beschwerdefreiem Patienten kann die diagnostische Aufarbeitung in der Praxis beginnen. Entsprechend den Leitlinien des American College of Cardiology und der American Heart Association ist bei beschwerdefreiem Patienten der intermediären Risikogruppe mit initial unauffälligem Labor und Ruhe-EKG eine dringende Indikation (Klasse I) zur weiterführenden Diagnostik gegeben. In jedem Fall ist eine ambulante Überwachung des patienten für 4-8 Stunden nötig. Etwa 6-12 Stunden nach Symptombeginn (Median 9 Stunden) sind ein erneutes 12-Kanal-EKG und Laborkontrollen (Troponin T bzw. I oder CK/CK-MB) erforderlich. Sind auch dieses EKG und die Laborparameter unauffällig und ist der Patient weiterhin kardial beschwerdefrei, so kann die weitere Diagnostik ambulant erfolgen. Die notwendige Ischämiediagnostik muss jedoch entweder innerhalb der nächsten 72 Stunden, oder direkt im Anschluss an das Überwachungsintervall durchgeführt werden [1]. Bei pathologischem Labor, EKG-Veränderungen oder erneuten thorakalen Beschwerden sollte der Patient zur weiteren stationären Behandlung und ggf. auch invasiven Diagnostik ins Krankenhaus eingewiesen werden. Der Patient kann somit in keinem Fall sofort mit einem Termin zur ambulanten Ergometrie aus der Praxis entlassen werden.

Im Rahmen der Ischämiediagnostik stehen eine Reihe von nicht-invasiven und invasiven Untersuchungsmethoden zur Verfügung, wobei das Belastungs-EKG nach wie vor die wichtigste, nicht-invasive Untersuchungstechnik darstell [5]. In einer Metaanalyse von 147 Untesuchungen, welche die Ergebnisse des Belastungs-EKG mit angiographischen Daten verglichen, zeigte sich eine große Streubreite der Sensitivität und Spezifität des Belastungs-EKGs in der Vorhersage einer KHK (mittlere Sensitivität 68 ± 16 %; mittlere Spezifität 77 ± 17 %) [4]. Neben anderen Faktoren beeinflussen v. a. die Prävalenz der KHK, die verwendeten Kriterien zur Klassifizierung einer relevanten myokardialen Ischämie (z. B. Höhe der ST-Segmentelevation oder -depression) sowie die angewandten Abbruchkriterien die Zuverlässigkeit des Tests. Gerade bei Patienten der intermediären KHK-Risikogruppe besitzt ein positives Belastungs-EKG einen hohen prädiktiven Wert für das Vorliegen einer KHK [8]. Bezüglich der genauen Richtlinien zur Durchführung und Auswertung des Belastungs-EKGs existieren aktuelle und ausführliche Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung [9].

Bei klinischem Verdacht und negativem Belastungs-EKG besteht hiernach die Indikation zur weiterführenden Diagnostik mittels Stress-Echokardiographie oder Belastungs-Myokardszintigraphie [10] .

Anhand einer Metaanalyse von insgesamt 44 Studien zum Vergleich der Stress-Echokardiographie mit der Belastungs-Myokardszintigraphie ergab sich für beide Methoden eine vergleichbare Sensitivät (Stress-Echokardiographie 85 % versus Myokardszintigraphie 87 %). Die Spezifität war dagegen für die Stress-Echokardiographie mit 77 % höher, als die der Myokardszintigraphie mit 64 % [3].

Fazit

Zusammenfassend muss bei einem Patienten mit thorakaler Beschwerdesymptomatik und kardiovaskulärem Risikoprofil zunächst eine akute kardiale Ischämie mittels EKG und geeigneten Laboruntersuchungen (Troponin T bzw. I oder CK/CK-MB) ausgeschlossen werden. Entsprechend der Enzymkinetik reicht eine einmalige Bestimmung dieser Parameter nicht aus, sondern muss etwa 6-12 Stunden nach Symptombeginn wiederholt werden. Parallel hierzu sollten auch andere Krankheitsbilder in die differenzialdiagnostischen Überlegungen mit einbezogen werden. Bei beschwerdefreiem Patienten und unauffälligem Labor und EKG ist die weiterführende Ischämiediagnostik auch ambulant möglich, muss aber binnen der nächsten 72 Stunden durchgeführt werden. Dringlich sollte der Patient in diesem Intervall auf körperliche Schonung und das sofortige Aufsuchen des Arztes bzw. Krankenhauses bei erneuten thorakalen Beschwerden hingewiesen werden.

Literatur

  • 1 Braunwald. et al . ACC/AHA Guidelines for unstable angina.  JACC. 2000;  36 970
  • 2 Diamond. et al . Analysis of probability as an aid in the clinical diagnosis of coronary-artery disease.  N Engl J Med. 1979;  300 1350
  • 3 Fleischmann. et al . Exercise echocardiography or exercise SPECT imaging? A meta-analysis of diagnostic test performance.  JAMA. 1998;  280 913
  • 4 Gianrossi. et al . Exercise-induced ST depression in the diagnosis of coronary artery disease. A meta-analysis.  Circulation. 1989;  80 87
  • 5 Goldman L. In: Heart Disease. A textbook of cardiovascular medicine. W. B. Saunders Company 5th Edition, Hrsg. E. Braunwald 1997: 1741
  • 6 Hamm C W, Braunwald E. A classification of unstable angina revisited.  Circulation. 2000;  102 118
  • 7 Hess O. et al .In: Differentialdiagnose innerer Krankheiten. Georg Thieme Verlag 18. Aufl., Hrsg. Siegenthaler W 2000: 191
  • 8 Patterson. et al . Practical diagnosis of coronary artery disease: A Bayes’ theorem nomogram to correlate clinical data with noninvasive exercise tests.  Am J Cardiol. 1984;  53 252
  • 9 http://www.dgkardio.de/ . Leitlinien bzw. Leitlinien zur Ergometrie.  Z Kardiol. 2000;  89 821
  • 10 http://www.dgkardio.de/ . Leitlinien bzw. Leitlinien Koronare Herzkrankheit/Angina pectoris.  Z Kardiol. 1998;  87 907

Autor

Dr. med. Jürgen Graf
Priv.-Doz. Dr. med. Uwe Janssens

Medizinische Klinik I, Universitätsklinikum Aachen

Pauwelsstraße 30

52074 Aachen

Phone: 0241/8089669

Fax: 0241/8082414

Email: jgraf@post.klinikum.rwth-aachen.de

    >