Pneumologie 2002; 56(4): 247-254
DOI: 10.1055/s-2002-25072
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kinderspezifische Tabakwerbung in Deutschland

Children-orientated Tobacco Advertising in GermanyK.  Pumpe1
  • 1St. Vincentius-Kliniken gAG, Medizinische Klinik, Abteilung IV, Pneumologie (Chefarzt Dr. J. Schildge), Karlsruhe
Meiner Frau Karin. Auszüge dieses Artikels wurden während eines Vortrages auf der 4. Deutschen Nikotintagung in Erfurt im Mai 2001 vorgetragen.
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Dr. K. Pumpe

St.-Vincentius-Kliniken gAG · Medizinische Klinik · Abteilung IV · Pneumologie

Südendstraße 32

76135 Karlsruhe

Publication History

Publication Date:
12 April 2002 (online)

Table of Contents

Zusammenfassung

Seit 1990 stieg der Anteil der Raucher unter den 12- bis 17-Jährigen in Deutschland von 21 auf ca. 28 %. Die meisten beginnen zwischen dem 11. und 13. Lebensjahr, 85 % entwickeln ihre Markentreue bis zum 18. Lebensjahr.

Trotz Verbot der Tabakwerbung in Funk und Fernsehen wurde der Werbeetat der Zigarettenindustrie seit 1987 kontinuierlich erhöht, zunehmend auf Frauen und Kinder fokussiert.

Nach Kenntnis des Autors werden im Folgenden erstmals detailliert die häufigsten in Deutschland angewendeten Strategien dargestellt, mit welchen Kinder und Jugendliche zum Rauchen animiert werden sollen. Hierbei wird deutlich, dass sich Werbekampagnen nicht auf Printmedien und Plakatwände beschränken, sondern das Internet einbeziehen.

Indirekte Gewöhnung an eine Zigarettenmarke durch Musikvideos, Kinofilme und Merchandising von attraktiven Textilien und Reisen sowie das Sponsoring von speziellen Sport- und Musikveranstaltungen werden berücksichtigt.

Exemplarisch werden „kindgerechte” Präsentationen der Werbebotschaften in Printmedien analysiert und evaluiert. Psychologisch geschickt wird bei Jugendlichen Interesse geweckt und eine Konditionierung auf das Rauchen in bestimmten Situationen gefördert.

Abstract

Since 1990 the percentage of smokers among the 12 to 17-year-olds in Germany has risen from 21 % to about 28 %. Most of them start between the age of 11 and 13. 85 % favour a certain brand by the age of 18. Despite the prohibition of tobacco commercials on radio and TV the cigarette industry has continually increased their budget for advertising aimed more and more at women and children.

According to the author's knowledge, this report describes for the first time the strategies most frequently applied in Germany to incite children and teenagers to smoking. The publicity campaigns are not restricted to billboards and the printed press, but use the internet also.

Indirect conditioning to a certain brand by music videos, movies and merchandising of attractive clothes and trips as well as the sponsoring of special music and sports events are also shown.

The report analyses and evaluates examples of messages in printed advertisements aimed at children. With psychological skill interest in smoking is created with teenagers and a conditioning for smoking in certain situations is promoted.

Einleitung

Aufgrund des Einspruchs von Deutschland und Österreich vor dem europäischen Gerichtshof traten die von der EU geplanten Einschränkungen der Tabakwerbemaßnahmen zum 31. Juli 2001 nicht in Kraft. Erneut versucht jetzt EU-Gesundheitskommissar Byrne, Tabakwerbung und Sponsoring von grenzüberschreitenden Veranstaltungen durch Tabakkonzerne europaweit einzuschränken. Er begründet diesen Schritt mit der hohen Gefahr für Jugendliche, die durch diese Werbung zum Rauchen verführt werden [1].

In Deutschland ist die Tabakwerbung in Rundfunk und Fernsehen seit 1977 bzw. 1989 verboten. Dennoch wurde der Werbeetat der Zigarettenindustrie - nach intensiven „Marktanalysen” - seit 1987 kontinuierlich erhöht: „Es ist uns wichtig, soviel wie möglich über das Rauchen von Teenagern zu erfahren, (...) sie sind das Potenzial normaler Kunden von morgen” [2].

Seit 1990 stieg der Anteil der Raucher unter den 12- bis 17-Jährigen in Deutschland von 21 auf ca. 28 % [3] [4]. Die erste Zigarette wird nach deutschen Erhebungen mit 13,6 Jahren genossen, laut WHO mit 12,5 Jahren [5]. 85 % der Jugendlichen entwickeln bis zum 18. Lebensjahr eine Markentreue.

Gegenüberstellung verschiedener Instrumente der Zigarettenwerbung

Internet

Dank der weiten Verbreitung und geringen Werbebeschränkungen stellt das Internet ein ideales Medium für die Tabakindustrie dar. Dabei wecken die zahlreichen deutschsprachigen Seiten den Verdacht, dass Deutschland als „Testmarkt” vorgesehen war.

Diesbezügliche englischsprachige Web-Sites entstanden erst in jüngerer Zeit. Dabei geht es offiziell um „reine Kommunikation, keine Zigarettenwerbung, keinen Verkauf” [6].

Die Internetadressen (s. Tab. [1]) bieten - sofern man bejaht, 18 Jahre alt zu sein - Hinweise auf die für Jugendliche attraktiven Techno-Parties und Insider-Lokale. Auch ohne die Zigarettenmarke bzw. Herstellerfirma anzuklicken, wird man mit diversen Links hingeleitet. Mit Informationen zum aktuellen (Rave-)Musikmarkt, spannenden Online-Geschicklichkeitsspielen (z. T. kindgerecht im Cartoon-Design mit Gewinnen) und aufwändigen Chat-Räume binden sie die Besucher für einen längeren Zeitraum. Während die Spiele direkte Elemente der Zigarettenwerbung oder eine Abbildung der Schachtel beinhalten, sind die betreffenden Marken sonst nur im Hintergrund oder oben rechts eingeblendet.

So verspricht eine Web-Seite für australische Teenager/-innen Modeshows und Hinweise auf Rave-Parties. Es gibt keinen Hinweis auf Philip Morris - doch auf den erwähnten Parties sind die Farben und Embleme des Konzerns gegenwärtig, auf den Tischen liegen Gratismuster von „Alpine” [7].

Tab. 1 Internetadressen von Zigarettenmarken
BAT: lucky-strike.de
West: west.de
Marlboro: philipmorris.com
mind-advertising.com/us/philipmorris
Camel: osirus.com/camel/index.htm
downloads.ch/files/desktop/Spass/739.asp
(www.marlboro.de wurde von einem Domain-service-provider „geschäftstüchtig” verwendet)

Musikveranstaltungen

Zur Konditionierung der Jugendlichen werden Pop-Konzerte veranstaltet - häufig mit freiem Eintritt. Der Volljährigkeitsnachweis als Zugangsberechtigung wird nicht konsequent gefordert. Mit Musik, Lichteffekten, Postern und kostenlosen Rauchproben wird das unbeschwerte Lebensgefühl mit einer Zigarettenmarke verknüpft (Abb. [1]).

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Abb. 1 Columbia Hall, Berlin 2000, sponsored by Philip Morris.

Kinofilme, Videos

Die überwiegende Anzahl der 25 erfolgreichsten US-Kinofilme der Jahre 1988 bis 1997 zeigt rauchende Personen. Hinzu kommt das „verdeckte” Werben von Tabakprodukten im Hintergrund, gerade bei Musikvideos und -clips. Jugendliche sprechen auf diese Vorbilder und Stars an und ahmen diese nach [8].

Die 10 populärsten US-Schauspielerinnen (18- bis 44-jährig) rauchten im Film sogar mehr als eine (unpopuläre) Vergleichsgruppe der 18- bis 44-Jährigen (42 vs. 24 %) - und zwar unabhängig davon, ob der Film ein jugendliches oder ein erwachsenes Publikum ansprechen sollte [9].

Mehr als die Hälfte der US-Video-Trickfilme für Kinder enthält mindestens eine Szene, in der Tabak konsumiert wird [10].

Merchandising

Auch ohne die Abbildungen von Zigaretten werden bestimmte Stimmungen oder Situationen mit Tabakprodukten assoziiert, z. B. Kino(vor)filme mit grandiosen Landschaftsaufnahmen (von „Stuyvesant” und „Marlboro”: Abenteuerreisen-Vermarktung). Werbegeschenke mit Zigarettenlogos kennen mehr Raucher als Nichtraucher, 30 % der Raucher kennen mit Zigarettenwerbung verbundene Kleidungsstücke [11]. Schuhe („Camel”: Boots) und Textilien („Lucky-Strike” und „West”: Jacken, Kappen, Rucksäcke, Taschen) werden in Preisausschreiben als Gewinn ausgesetzt und sind direkt kommerziell erhältlich (s. Tab. [2]).

Die Vermarktung durch Sportveranstaltungen (Formel-1-Autorennen) trägt dazu bei, das stets gut erkennbare Zigarettenmarkenlogo zu vergegenwärtigen und zu verbreiten (Abb. [2]).

Unterschwellig beginnt die (indirekte) Vermarktung bereits im Kindesalter: „Schokoladen-Plagiate” etablierter Zigarettenmarken wurden jahrzehntelang von den Tabakkonzernen geduldet. Es resultierte eine niedrigere Hemmschwelle der Kinder, mit dem Rauchen zu beginnen [12].

Tab. 2 Merchandising von Zigarettenmarkenartikeln via Internet
West: www.mclaren.com
Marlboro-Sommerreisen: www.msj.mhomitch.de
Camel: www.camel-shop.de
Lucky-Strike: www.lucky-strike-originals.de
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Abb. 2 Weltweite Vermarktung im Motorsport.

Zeitungsanzeigen und Plakatwände

Um speziell Kinder und Jugendliche anzusprechen, werden nicht die weit verbreiteten, Ruhe und Entspannung vermittelnden Werbe-Stimmungen verwendet (z. B. Sonnenuntergang, Pause, Genuss) (Abb. [3]). Vielmehr wird Action geboten (Abb. [4]), Neugierde geweckt, „etwas” auszuprobieren oder mit pfiffigen Bemerkungen Aufmerksamkeit erzielt.

Hierzu werden Jugendliche mit interessanten und „coolen” Personen „aus einer anderen Welt” (der der Erwachsenen) konfrontiert. Bei kleineren Kindern vertraut man auf die Atmosphäre von Kuscheltieren.

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Abb. 3 Ruhige und temperamentvolle Stimmungen bei unterschiedlichen Zielgruppen der Marlboro-Werbung.

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Abb. 4 Ruhige und temperamentvolle Stimmungen bei unterschiedlichen Zielgruppen der Marlboro-Werbung.

Analyse einiger Werbekonzepte für Kinder und Jugendliche (Zeitschriften und Plakatwände)

„Lucky Strike” (British-American-Tobacco)

Wie keine andere konnte diese Zigarettenmarke in den letzten Jahren Umsatzsteigerungen verbuchen. Das Werbekonzept für Deutschland enthält pointierte Stellungnahmen zu aktuellen politischen und populären gesellschaftlichen Themen. Die Kommentare sind schnell, spitz und treffend. Insbesondere Jugendliche, die noch nicht zu etablierten politischen und gesellschaftlichen Schichten zählen wollen, werden augenzwinkernd auf die kuriosen Eigenarten der Erwachsenen aufmerksam gemacht - und für Lucky Strike gewonnen.... (Abb. [5] und [6]).

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Abb. 5 Lucky Strike: augenzwinkernder Bezug zum Alltag.

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Abb. 6 Lucky Strike: augenzwinkernder Bezug zum Alltag.

„West” (Reemtsma)

Es ist eines der am schnellsten wachsenden Zigarettenunternehmen der Welt. Wesentlichen Anteil hieran hat die Zigarettenmarke „West”, für die sie mit neuen Erfahrungen bei Kontaktaufnahme mit „Exoten” unserer Gesellschaft (z. B. Catcher, muskulöse Frauen etc.) und alltagsfremden Situationen (Beichtstuhl, Alm, Steinzeit, Stierkampf, Weltraum, Fantasy) lockt. (Abb. [7] [8] [9] [10]). Die Zigarette bietet unmittelbar eine Kommunikationsebene trotz unterschiedlicher kultureller und weltanschaulicher Positionen.

Diese Strategie spricht besonders Teenager in der (Prä-)Pubertät an, die sich von etablierten Gewohnheiten lösen und etwas Unbekanntes kennen lernen wollen.

Ihre entwicklungsgebundene Unsicherheit, die gepaart ist mit der festen Entschlossenheit, sich auf ungewohnte Situationen einzustellen und somit eigene Erfahrungen zu machen, wird gleichgeschaltet mit der anfänglichen Zurückhaltung gegenüber Zigaretten. „Test it” - dieser Imperativ macht Mut und verheißt Erfolg. Neben diesem Slogan ist das Piktogramm eines Menschen abgebildet, der in einen Spiegel schaut bzw. durch eine Tür tritt .... in die Welt der (rauchenden) Erwachsenen!

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Abb. 7 „West” weckt Interesse an ungewöhnlichen Menschen.

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Abb. 8 „West” weckt Interesse an ungewöhnlichen Menschen.

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Abb. 9 Lederdessous, Feuer, Raubkatzen, Körperschmuck: mit „West” Befangenheit überwinden.

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Abb. 10 Lederdessous, Feuer, Raubkatzen, Körperschmuck: mit „West” Befangenheit überwinden

„Camel” (Reynolds)

Die Kampagne basiert auf einem flauschig-weichen Plüschkamel, welches in schwierige Situationen gerät und diese meist mit gutmütig-trotteligem Blick über sich ergehen lässt (Abb. [11] und [12]).

Zigarettenaccessoires für Kinderbetten - so weit hatte sich noch kein Tabakkonzern vorgewagt. Das „Joe Camel”-Magazin bot zudem herausnehmbare neonfarbene Camel-Zeichen, um (mit genügend Coupons) Sandalen und Jacken in Aussicht zu stellen...

Der Erfolg war überwältigend: In Amerika konnten nach kurzer Zeit ebenso viele 6-Jährige (!) „Old Joe Camel” den Zigaretten zuordnen wie Mickey Maus dem Disneyland-Logo. Der Marktanteil bei den unter 18-Jährigen stieg binnen zweier Jahre von 0,5 auf 32 %, der Verkaufserlös im selben Zeitraum von 6 auf 476 Millionen US-Dollar! [13]

Für die „reiferen” Kinder schlossen sich - der Interessenlage angepasst - Szenen an, die ein cooles Outfit zur Darstellung brachten und die Neugierde auf sexuelle Erfahrungen ausnutzten (Abb. [13] und [14]).

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Abb. 11 Camel-Werbung für Kinder mit Kuscheltieratmosphäre.

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Abb. 12 Camel-Werbung für Kinder mit Kuscheltieratmosphäre.

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Abb. 13 „Coole” Camel-Werbung für Jugendliche.

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Abb. 14 „Coole” Camel-Werbung für Jugendliche.

Zusammenfassung einiger „kindgerechter” Werbekonzepte (Zeitschriften/Plakatwände)

Trotz gegenteiliger Stellungnahmen der Tabakindustrie zielen jüngere Werbekampagnen in Richtung Kinder und Jugendliche, um sie früh und dauerhaft an „ihre” Marke zu binden. Hierbei werden subtil emotional positiv besetzte Elemente aus dem Kinderalltag einbezogen, wie z. B. Kuscheltiere (Camel). Dieses unterhält die jüngere Kinder mit comicartigen Abenteuern und schafft ein unbelastetes Verhältnis zum Zigarettenmarkenlogo.

Die älteren Kinder und Jugendlichen werden insbesondere auf neue Körpererfahrungen neugierig gemacht - auf Sex, Body-Painting und -Building, Piercing, veränderte Ausstrahlung mit ausgefallener Frisur oder Kleidung.

Während Reynolds in zweideutigen Situationen noch auf den schelmischen Gesichtsausdruck seines Kamels vertraut (Abb. [15] und [16]), spricht Reemtsma die innere Zerrissenheit und Auflehnung der Jugendlichen gegen normiertes Verhalten an.

Hierbei spielt stets die Kontaktaufnahme mit (normalerweise in der Welt der Kinder) ungewöhnlichen Personen eine Rolle, die aufgrund von Kleidung, Haltung und Umgebung Respekt einflößen oder durch ihr auffallendes äußeres Erscheinungsbild Unsicherheit vermitteln. Beides wird überwunden, sobald gemeinsam geraucht: „Test it” heißt die Botschaft - und aus dem scheuen Jugendlichen wird eine souveräne Person.

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Abb. 15 Camel-Thema für Jugendliche: Sexualität.

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Abb. 16 Camel-Thema für Jugendliche: Sexualität.

Stellungnahme der Zigarettenhersteller

Die gezielte Ansprache von Kindern und Jugendlichen durch Werbung wird von Vertretern der Tabakindustrie bestritten. (BAT-Werbeslogan: „Es gibt Menschen, die haben nie Cigarettenwerbung gesehen. Trotzdem rauchen sie.”) Ihr ginge es ausschließlich um Marktanteile unter den erwachsenen Rauchern.

Unter dem wachsenden Druck einer besorgten und empörten Öffentlichkeit reagierten die Tabakunternehmen:

In Deutschland startete eine gemeinsame Kampagne, um Jugendliche vor dem Rauchen zu „warnen”. Der Erfolg ist fraglich - selbst für die Organisatoren [14]. Umso mehr besteht die Gefahr, dass sich die Grenzen zwischen „Anti-” und „Pro-” Werbung verwischen:

Philip Morris Deutschland plädiert öffentlich dafür, den Zigarettenverkauf an Minderjährige zu untersagen [15]. Auf seiner offiziellen Internetseite stellt der Konzern seine weltweiten Bemühungen dar, Kinder und Jugendliche vom Rauchen fernzuhalten („Our global commitment in support of youth smoking prevention”). Auch weist Philip Morris auf seine 1996 begonnene Kampagne „Cool Kids can wait” hin [16].

BAT ermahnt „Liebe Jugendliche, tut doch nicht so furchtbar erwachsen” und verspricht in großformatigen Zeitungsanzeigen unter einem Bild von Kindern und Jugendlichen: „Wir verzichten auf diese Zielgruppe und wünschen uns, dass unsere Produkte nicht von Jugendlichen gekauft werden. Cigaretten sind Genussmittel für erwachsene Verbraucher (...).” (Abb. [17]) sowie: „(Da es..) schwierig ist, eine klare Grenze zu ziehen zwischen Jugendlichen und Erwachsenen, verzichten wir ab 1. Januar 2001 auf die Abgabe von Gratiszigaretten z. B. bei öffentlichen Veranstaltungen (...) Discos und Restaurants” (Abb. [18]).

Immer wieder klingt unverhohlen durch, dass Erwachsenen die Möglichkeit des Rauchgenusses eingeräumt wird - und genau den Genuss dieses Privilegs möchten die Jugendlichen (zum Beweis ihrer körperlichen Reife) zum Ausdruck bringen ...

Selbst der Verband der Cigarettenindustrie (VDC) bedauert: „Es ist (...) unerträglich zu sehen, wie junge Menschen rauchen. Wir würden lieber auf diesen Umsatz verzichten...” [17].

Daher sieht die Drogenbeauftragte der Bundesrepublik Deutschland, Caspers-Merk, in der Tabakindustrie keinen gesundheitspolitischen Gegner, sondern einen Verhandlungspartner in Sachen Jugendschutz und fordert hierzu „einen substanziellen finanziellen Beitrag” [18].

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Abb. 17 BAT verzichtet auf Kinderkonsumenten.

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Abb. 18 BAT verteilt keine Gratiszigaretten mehr.

Zigarettenwerbung als Bestandteil der Wirtschaft

Zigarettenwerbung ist ebenso allgegenwärtig wie das Rauchen, der weltweite Konflikt zwischen wirtschaftlichem Wohlergehen der Tabakindustrie und Gesundheit bekannt [19]. Gesetzlich und freiwillig eingeschränkt, ist sie ein zwar wenig aufdringlicher, jedoch permanent vorhandener Akzent unserer Konsumgesellschaft.

Werbung hat den Effekt, das Rauchen unter den Jugendlichen zu steigern [20] und kann Kinder und Jugendliche dazu bringen, mit dem Rauchen zu beginnen [21]. Dabei ist der Einfluss der Zigarettenwerbung sogar größer als der von Vorbildern („Peers”) oder Familienmitgliedern [22]. Zigarettenmarkennamen und Logos prägen sich bereits bei Grundschülern gut ein [23].

Ein Werbeverbot für Zigaretten in Printmedien ist politisch schwer durchsetzbar, da es trotz der zu erwartenden Verlagerung der Werbebemühungen (auf Kinospots etc.) Arbeitsplätze der Werbeindustrie sowie der Zeitschriftenverlage gefährdet. Letztere aber finanzieren sich zu bis zu 80 % aus Werbeeinnahmen - laut WHO ist daher eine objektive Berichterstattung über die Gesundheitsschäden des Rauchens gar nicht möglich [24]. Sie fordert ein totales Werbeverbot für Tabakwaren nach dem Vorbild Norwegens, Finnlands und Polens. Doch bereits 1997 gab sich der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft zuversichtlich, da ein solches Werbeverbot nur dem Wettbewerb schade und zu einer Zementierung der Marktanteile führe [25].

Die Selbstbeschränkungsvereinbarung der Tabakindustrie untersagt die an Jugendliche gerichtete Werbung: Keine Werbung mit Models unter 30 Jahren, Prominenten und Leistungssportlern; Verzicht auf Elemente, die typisch für die Welt der Jugendlichen sind. Auch sind Plakatwerbungen an Straßen und Haltestellen um Schulen und Jugendzentren sowie in dem von deren Haupteingang aus einsehbaren Bereich bis zu einhundert Metern Entfernung verboten [26]. Doch wurden in den letzten Jahren mehrfach Verstöße dagegen geahndet (u. a. in Berlin-Hohenschönhausen) und die beteiligten vier Tabakkonzerne zu je 300 000 DM Strafe verurteilt [17].

Gesundheitliche Risiken für Kinder und Jugendliche

Unverzichtbar jedoch ist die Aufklärung der zum Rauchen verführten Jugend, die zu 80 % [27] der Ansicht ist, „auf eigenen Wunsch” damit begonnen zu haben [28]. Tatsächlich aber ist sie nur beeindruckt von Bildern, die Tabakgebrauch in Verbindung mit bezaubernden Models und gesundem Lifestyle darstellen - „Betrug in Form von Werbung” [29]. Außerdem steigert Zigarettenwerbung das Selbstwertgefühl von Jugendlichen, die rauchen [11].

Das Risiko beim „Ausprobieren” von Zigaretten ist hoch: Nikotin-Entzugssymptome traten bei 13-jährigen Kindern bereits nach wenigen Zigaretten auf [30], 90 % sind mit 21 Jahren nikotinabhängig [31] [32]. Diese ausgeprägte frühe Nikotinabhängigkeit fordert vermehrtes Engagement in der Betreuung junger erwachsener Raucher [33] sowie spezielle Programme zur Prävention und Unterstützung eines Rauchstopps [34]. In den USA rauchen über 3 Millionen Kinder ca. 950 Millionen Packungen Zigaretten, [35] jeden Tag kommen ca. 3000 hinzu.

Kinder, die bereits früh mit dem Rauchen beginnen, haben (unabhängig von soziodemographischen Einflüssen) ein deutlich erhöhtes Gesundheitsrisiko [36], weisen eine verminderte Leistungsfähigkeit, vermehrt Atemwegserkrankungen, Gefäßerkrankungen sowie eine relevante Reduktion ihre Lungenentwicklung und Lungenfunktion auf [37]. Bei anhaltendem regelmäßigen Zigarettenkonsum wird ein Viertel von ihnen frühzeitig an einer Krankheit sterben, die direkt mit dem Rauchen in Zusammenhang steht [35].

Aus zahllosen Publikationen ist die erhöhte Inzidenz von Karzinom- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Rauchern bekannt [38] [39] [40]. Mit dem frühen Rauchbeginn sind vermehrt junge Erwachsene von DNA-Schäden der Lunge, Karzinomerkrankungen und frühem Tod betroffen [41] [42] [43].

Gesellschaftliche Akzeptanz des Rauchens

Über die Auseinandersetzung um die spezielle kindergefährdende Werbung der Zigarettenindustrie darf die allgegenwärtige Verfügbarkeit der Zigaretten nicht unberücksichtigt bleiben.

830 000 Zigarettenautomaten (einer für 100 Bewohner und einer für ca. 30 Raucher in Deutschland) erinnern still an die Werbebotschaften und bieten Zugriff wie sonst nirgendwo in Europa. Und dies, obwohl die im Berufsverband Deutscher Tabakanbauer (BDTA) organisierten Tabakwarengroßhändler bereits 1997 beschlossen, „in einem Sichtfeld von 50 m vom Haupteingang einer Schule oder eines Jugendzentrums und innerhalb dieser Einrichtungen sowie in den umlaufenden Straßenabschnitten auf die Aufstellung von Zigarettenautomaten zu verzichten” [26].

Rauchen wird als soziale Norm flächendeckend akzeptiert. Es ist das Konsumgut mit der größten Zugriffsmöglichkeit - auch noch abends und am Wochenende [44]. Preiserhöhungen für Zigarettenschachteln haben in Schweden und Kalifornien zum Rückgang der gerauchten Zigaretten (auch bei Jugendlichen) geführt, in dem US-Bundesstaat sank die Zahl der pro Erwachsener verkauften Zigaretten um 45 %! [45]

Ein Abgabeverbot unter 16 Jahren und bargeldlose Zigarettenautomaten könnten den Start ins Raucherleben verzögern. Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Tabakwerbeverbots werden kontrovers diskutiert und werden eher überschätzt, da ein Nettoarbeitsplatzverlust durch Nachfrage nach anderen Konsumgütern nicht auftritt [46].

Eine restriktive Haltung von Elternhaus und Schule zum Rauchen ist eine gute Voraussetzung [47].

Erzieherische Maßnahmen außerhalb des Elternhauses sind anspruchsvoll: Eine von CDC gesteuerte und mit TV-Spots unterstützte US-Kampagne erreichte mit ihren Warnungen vor dem Rauchen bei den Jugendlichen das Gegenteil, weil sie (im Gegensatz zur Tabakindustrie) die Sprache und Gewohnheiten der Teenager nicht berücksichtigte [48]. Zahlreiche Untersuchungen trugen zum besseren Verständnis der Jugendlichen bei [51], die sich häufig den negativen langfristigen Auswirkungen nicht bewusst war [52]. So wurden effektivere Vorbeugungsmaßnahmen ermöglicht und „Rauchererziehung” Bestandteil des Unterrichts [49] [50]. Auch die Deutsche Lungenstiftung unterstützt erfolgreich Projekttage in Kindergärten und (Vor-)Schulen, mit Malwettbewerben sowie durch die Kinderfilmserie „Tobi und die Stadtparkkids”: Hier kommt der „Held” ohne Suchtmittel aus!

Literatur

Dr. K. Pumpe

St.-Vincentius-Kliniken gAG · Medizinische Klinik · Abteilung IV · Pneumologie

Südendstraße 32

76135 Karlsruhe

Literatur

Dr. K. Pumpe

St.-Vincentius-Kliniken gAG · Medizinische Klinik · Abteilung IV · Pneumologie

Südendstraße 32

76135 Karlsruhe

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Abb. 1 Columbia Hall, Berlin 2000, sponsored by Philip Morris.

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Abb. 2 Weltweite Vermarktung im Motorsport.

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Abb. 3 Ruhige und temperamentvolle Stimmungen bei unterschiedlichen Zielgruppen der Marlboro-Werbung.

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Abb. 4 Ruhige und temperamentvolle Stimmungen bei unterschiedlichen Zielgruppen der Marlboro-Werbung.

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Abb. 5 Lucky Strike: augenzwinkernder Bezug zum Alltag.

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Abb. 6 Lucky Strike: augenzwinkernder Bezug zum Alltag.

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Abb. 7 „West” weckt Interesse an ungewöhnlichen Menschen.

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Abb. 8 „West” weckt Interesse an ungewöhnlichen Menschen.

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Abb. 9 Lederdessous, Feuer, Raubkatzen, Körperschmuck: mit „West” Befangenheit überwinden.

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Abb. 10 Lederdessous, Feuer, Raubkatzen, Körperschmuck: mit „West” Befangenheit überwinden

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Abb. 11 Camel-Werbung für Kinder mit Kuscheltieratmosphäre.

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Abb. 12 Camel-Werbung für Kinder mit Kuscheltieratmosphäre.

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Abb. 13 „Coole” Camel-Werbung für Jugendliche.

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Abb. 14 „Coole” Camel-Werbung für Jugendliche.

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Abb. 15 Camel-Thema für Jugendliche: Sexualität.

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Abb. 16 Camel-Thema für Jugendliche: Sexualität.

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Abb. 17 BAT verzichtet auf Kinderkonsumenten.

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Abb. 18 BAT verteilt keine Gratiszigaretten mehr.