Psychiatr Prax 2002; 29(3): 130-135
DOI: 10.1055/s-2002-25101
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Angehörigengruppen in der stationären Depressionsbehandlung

Ergebnisse und Erfahrungen mit einem personenzentrierten AnsatzPsychoeducational Groups for Families of In-Patients with Affective DisorderExperiences with a Person-Oriented ApproachFerdinand  Keller1 , Bernadette  Schuler1
  • 1Zentrum für Psychiatrie Weissenau, Ravensburg (Abteilung Psychiatrie I der Universität Ulm)
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Publication Date:
15 April 2002 (online)

Zusammenfassung

Anliegen: Durchführung und Evaluation von Angehörigengruppen von Patienten mit einer affektiven Störung sind bisher nur selten beschrieben worden (im Unterschied zu Angehörigengruppen bei schizophrenen Patienten). Inzwischen bieten etwa drei Viertel der momentan 53 spezialisierten Depressionsstationen Angehörigengruppen an, und wir beschreiben Ergebnisse und Erfahrungen mit einer fortlaufend zweiwöchig durchgeführten Gruppenform, in der direkt auf die Fragen der Angehörigen eingegangen wird. Methode: Die Gruppenprotokolle über 18 Monate werden ausgewertet hinsichtlich Gruppenzusammensetzung, Thematik und emotionaler Gestimmtheit der Teilnehmer. Ergebnisse: In den 40 Gruppen mit insgesamt 400 Teilnehmern stellten die Ehepartner mit 50 % die größte Gruppe. Bei den übrigen Teilnehmern fiel auf, dass bei weiblichen Patienten auch vermehrt weibliche Angehörige kamen. Die am meisten interessierende Thematik bezog sich auf den Umgang mit dem Patienten während und nach der stationären Behandlung. In der emotionalen Gestimmtheit waren 23 % der Angehörigen selbst sehr belastet, 7 % nahmen eine negative oder skeptische Haltung ein und 23 % konnten als eher entlastet eingestuft werden. Schlussfolgerungen: Mit der Angehörigengruppe wird eine große Zahl von Angehörigen erreicht, die sich auch überwiegend sehr positiv dazu äußern. Das Behandlungsteam profitiert ebenfalls von der erweiterten Sichtweise, so dass sich der Aufwand für die Vorbereitung und Durchführung von Angehörigengruppen lohnt. Als wichtig für eine gute Teilnehmerzahl hat sich erwiesen, dass die Angehörigen persönlich eingeladen werden und jedes Treffen nach ihren vorherrschenden Themen ausgerichtet wird.

Abstract

Objective: Experiences with psychoeducational groups have been extensively reported for schizophrenic patients and their families. For patients with affective disorders, however, only a few publications exist. We describe results and conclusions for clinical practice with a type of psychoeducational group that addresses family members of in-patients treated at a specialized depression ward. The group sessions are every other week and we try to take up the questions asked by the attenders in order to concentrate on their personal needs. Methods: Protocols of 40 group sessions over 18 months were analysed concerning attendance figures, degree of relatedness to the patient, main topics and questions, and emotional condition of the participants. Results: The 40 group sessions were attended by 400 participants (mean = 10; median = 9). About 50 % of them were spouses. For the other family members, there was a clear association between female patients and female attenders. Main question was how to deal with the patient, at present and after discharge. With regard to the emotional state, 23 % were under strain themselves, 7 % were skeptical and 23 % could be described as relieved. Conclusions: This kind of group reaches a considerable number of family members, who in general highly appreciate these sessions. The therapeutic team also benefits from enlarging their knowledge by including the relatives' perspective. Therefore, the effort for preparing and holding the group session seems to be justified and rewarding. To our opinion, good attendance figures can be reached by personal invitation of the relatives and by being flexible and oriented towards their needs.

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1 Der Begriff „Angehörigenarbeit” wird in diesen Evaluationsstudien freilich vielfältig verwendet und umfasst ein weites Spektrum sowohl in der Auswahl der Angehörigen (nur Ehepartner, ganze Familie, nur Kinder) als auch in der Form der Vermittlung von Inhalten (Familiensitzungen mit psychotherapeutischem Anspruch bis hin zur reinen Informationsveranstaltung im Vortragsstil). Psychoedukative Gruppen können weiterhin für Patienten oder für Angehörige separat oder aber für beide gemeinsam angeboten werden.

PD Dr. Ferdinand KellerDipl.-Psych. 

AG Verlaufsforschung · Zentrum für Psychiatrie Weissenau (Abt. Psychiatrie I der Univ. Ulm)

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