Handchir Mikrochir Plast Chir 2002; 34(3): 146-147
DOI: 10.1055/s-2002-33684
Historischer Beitrag

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Zur Geschichte der Oststadt-Klinik Mannheim

History of the Oststadt-Klinik MannheimE. Scharizer
Further Information

Publication History

Eingang des Manuskriptes: 17. November 2001

Angenommen: 20. Februar 2002

Publication Date:
28 August 2002 (online)

Dr. Friedrich Warner, geboren 1894, war ein Schüler von Prof. Georg Magnus am „Bergmannsheil“ in Bochum. Er eröffnete 1934 eine chirurgische Praxis in Mannheim in M 7 - die Häuserblöcke der schachbrettartig angelegten Innenstadt werden seit der Gründung durch Kurfürst Friedrich IV. von der Pfalz (1574 bis 1610) im Jahre 1606 als Quadrate mit Buchstaben und Nummern gekennzeichnet; dazu kommen noch die Hausnummern - und behandelte vorwiegend Unfallverletzte im Rahmen des Berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens. Er hatte Belegbetten in einer Privatklinik, der (früheren) Oststadt-Klinik, die auf einem Platz stand, der jetzt Philosophenplatz heißt und nach der Zerstörung der Klinik im Zweiten Weltkrieg unbebaut geblieben ist. Auch die Warnersche Praxis wurde 1945 zerstört. 1946 erwarb Warner eine alte Villa in der Oststadt (einem Stadtteil Mannheims), Erzberger Straße 10. Sie war 1904 von Albert Speer (Vater des aus der Zeit des Dritten Reiches bekannteren Sohnes gleichen Namens) erbaut worden. Diese zweistöckige Villa war damals nur im Erdgeschoss benutzbar und wurde erst in den nächsten Jahren wieder aufgebaut. In diesem Haus hatte Warner eine Station mit 12 Betten eingerichtet; das war die (zweite) neue Oststadt-Klinik. 1950 wurde Warner auf Initiative des Landesverbandes Südwestdeutschland der Gewerblichen Berufsgenossenschaft wegen seiner Verdienste um die Entwicklung des Berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens der Titel „Professor“ verliehen.

1955 delegierte Warner seinen Oberarzt Dr. Herzberg nach Wien an das Unfallkrankenhaus zu Prof. Dr. Lorenz Böhler, damit er sich dort weiterbilden könne. Er hatte auch den Auftrag, eventuell einen oder zwei Ärzte nach Mannheim „abzuwerben“. Da damals die wirtschaftliche Situation in Österreich für junge Ärzte sehr ungünstig war - während der Ausbildung in den für die Facharztanerkennung vorgeschriebenen Nebenfächern wurde fast nie ein Gehalt gezahlt -, hatte Herzberg Erfolg. Als Erster folgte Dr. Gottlieb Zrubecky (1922 bis 1978) der Einladung und trat seine Stelle am 1. Juli 1956 an. Er konnte Warner davon überzeugen, dass für diese Privatklinik die Handchirurgie aus medizinischen, organisatorischen und finanziellen Überlegungen eine stabile Basis darstellen würde. Die Berufsgenossenschaften unterstützten seine Vorstellungen.

1957 sollte Dr. Heinz Schönbauer als Zweiter folgen. Doch dieser hatte plötzlich Bedenken. So ergriff Dr. Ernst Scharizer (geboren 1922) die Gelegenheit und trat am 1. April 1957 in Mannheim in die Oststadt-Klinik ein mit der Vorgabe, nur ein Jahr - was ihm für das Nebenfach Chirurgie in Österreich angerechnet wurde - bleiben zu können. Vorzeitig beendete Scharizer seine Tätigkeit in Mannheim am 31. Dezember 1957, weil ihm eine bezahlte Stelle in Lilienfeld in Niederösterreich angeboten worden war.

Am 1. Januar 1957 ging Zrubecky zu Prof. Dr. Lothar Kreuz nach Tübingen an die Orthopädische Universitätsklinik mit der Zusage, habilitieren zu können. Er verfasste als Habilitationsschrift „Die Hand, das Tastorgan des Menschen“ (veröffentlicht als Beilageheft zur Zeitschrift für Orthopädie, Band 93, Stuttgart: Enke, 1960) und wurde 1959 Privatdozent.

Nachdem Scharizer im Februar 1959 Facharzt für Unfallchirurgie geworden war - dieses Fach gab es damals nur in Österreich -, war wieder seine Zukunft unsicher. So folgte er am 1. April 1959 der erneuten Einladung von Prof. Dr. Friedrich Warner, als Oberarzt an seine Klinik zu kommen. Warner schied am 1. Januar 1961 aus und übergab die Klinik, wie schon länger geplant, an Dozent Dr. Gottlieb Zrubecky. Nun waren also zwei Schüler von Lorenz Böhler dort tätig.

Die Verletzungen der Hand hatten bereits bei Böhler in Wien besondere Beachtung gefunden. 1938 war erstmals das Buch von Karl Krömer „Die verletzte Hand. Erkennung, Behandlung und Behandlungsergebnisse der Finger- und Handverletzungen und -infektionen“ (3. Auflage, Wien: Maudrich, 1945), in dem die Ergebnisse der Behandlung dieser Verletzungen am Wiener Unfallkrankenhaus geschildert wurden, erschienen. Böhler besuchte nach dem Zweiten Weltkrieg Sterling Bunnell in San Francisco und übernahm dessen Erkenntnisse in sein Buch „Die Technik der Knochenbruchbehandlung“ (12./13. Auflage, Wien: Maudrich, 1951). Das Buch Bunnells wurde von Prof. Dr. Jörg Böhler ins Deutsche übersetzt. 1956 erschien das Buch „Die Chirurgie der Handverletzungen“ von J. Ender, H. Krotschek und R. Simon-Weidner (Wien: Springer). Dieses Buch und der „Handchirurgischer Ratgeber“ von Wilhelm Schink (Berlin: Springer, 1960) waren wohl die ersten deutschen Bücher, die sich mit Handchirurgie befassten. So waren Zrubecky und Scharizer aus ihrer Wiener Zeit mit den Problemen der Handchirurgie, die damals fast ausschließlich Verletzungschirurgie war, vertraut.

Nachdem Privatdozent Gottlieb Zrubecky die Oststadt-Klinik am 1. Januar 1961 übernommen hatte, wurde sie ausgebaut, mit einem dritten Stockwerk versehen und erhielt mit einem Anbau nun insgesamt 100 Betten (Abb. [1]). Rasch wurde sie ein handchirurgisches Zentrum in Süddeutschland. Bereits 1962 wurde ein Operationsmikroskop bei Nervennähten und Nerventransplantationen verwendet. Der Chirurgie der Beugesehnen und den damals üblichen Methoden zur Wiederherstellung der Sensibilität in den wichtigen Zonen der Hand durch Lappenverschiebung wurde besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Aus diesen Jahren bis 1965 erschienen zahlreiche Arbeiten von Zrubecky und seinen Mitarbeitern. Zrubeckys letztes Büchlein aus der Mannheimer Zeit erschien erst 1965 unter dem Titel „Derzeitige Grenzen bei der planmäßigen Versorgung schwerer Handverletzungen“ als Heft zur Unfallheilkunde 83. Am 24. Juni 1964 verunglückte Zrubecky schwer mit seinem Porsche; er erlitt eine Querschnittlähmung und sollte nie mehr nach Mannheim zurückkehren. Er wurde 1966 Leiter der Landesstelle Salzburg der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt Österreichs und übernahm 1970 das Primariat am Rehabilitationszentrum Tobelbad bei Graz. 1972 wurde er außerordentlicher Professor. Vierzehn Jahre lang ertrug er sein Schicksal, an den Rollstuhl gefesselt zu sein; am 16. Oktober 1978 wurde er auf tragische Weise von seinem Leiden erlöst.

Abb. 1 Die Oststadt-Klinik in ihrer zuletzt bestehenden Größe.

Zwischen Warner und Zrubecky hatte kein sehr gutes Einvernehmen geherrscht. So war die Zeit nach dem Unfall Zrubeckys, als Scharizer die Oststadt-Klinik vertretungsweise leiten musste, nicht leicht. In diesem Jahr wurden außerdem die ausländischen, in Deutschland mit einer speziellen Arbeitserlaubnis tätigen Ärzte gezwungen, die Bundesrepublik zu verlassen. Von den mehr als 800 Ärzten in Baden-Württemberg, die von der nicht mehr genehmigten Verlängerung der Arbeitserlaubnis betroffen waren, gelang es damals nur vier, in Deutschland zu bleiben. Scharizer, der 1950 in Wien promoviert hatte, war gezwungen, obwohl bereits seit 1963 deutscher Facharzt für Orthopädie, das deutsche Staatsexamen mit Prüfungen in 16 Fächern erneut abzulegen, und erhielt 1965 mit der ärztlichen Approbation auch eine unbeschränkte Aufenthaltsbewilligung, wenn er auch österreichischer Staatsbürger blieb.

Am 1. September übernahm, nachdem Warner sich mit Zrubecky verständigt hatte, Dr. Walter Daur (1924 bis 1992), ein Schüler von Prof. Dr. Rüther in Karlsruhe, die Leitung der Oststadt-Klinik. Ihm ist es zu verdanken, dass schon bald eine eigenständige Handchirurgie eingerichtet wurde. Ihre Leitung übernahm Scharizer.

In den Jahren bis 1974 standen im Patientengut der Oststadt-Klinik die Verletzungen der Hand und ihre Folgen im Vordergrund, vor allem die der Beugesehnen, der Armnerven, Verätzungen mit Flusssäure sowie die so genannten Spritzpistolenverletzungen. Natürlich standen auch damals schon Erkrankungen und Fehlbildungen der Hand auf dem operativen Programm. Später, vor allem nach der Eröffnung der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in Ludwigshafen, verlagerte sich der Schwerpunkt immer mehr auf andere Bereiche der Handchirurgie. Daneben spielten die Begutachtung von Unfallfolgen für die Berufsgenossenschaften und für Sozialgerichte, aber auch Streitfälle in Haftpflichtfragen eine Rolle. Die gesammelten Erfahrungen fanden in 145 Arbeiten Scharizers, davon 19 Beiträge in Büchern, aber auch bei zahlreichen Vorträgen ihren Niederschlag.

Etwa 1982 sollte die Oststadt-Klinik im Rahmen der Reduktion von Krankenhausbetten in Baden-Württemberg geschlossen werden. Dies wurde aber nicht durchgeführt, weil damals noch keine größere orthopädische Klinik in Mannheim bestand. Ein Neubau war geplant. Deshalb sollte die alte Villa dem modernen hygienischen Standard angepasst werden. Ein Umbau erwies sich aber wegen der vorgegebenen baulichen Substanz und auch aus Kostengründen als nicht realisierbar. Da abzusehen war, dass sowohl Chefarzt Daur als auch Dr. Scharizer im zu Ende gehenden Jahrzehnt aus Altersgründen ihre beruflichen Tätigkeiten einstellen würden, kamen Ministerium und Klinikverwaltung überein, so lange die Klinik auch wegen ihres überregionalen Rufes als Handzentrum bestehen zu lassen. Die Tage der Oststadt-Klinik waren also gezählt.

Am 31. Dezember 1988 schied Dr. Ernst Scharizer, nun fast 67 Jahre alt, nach 30 Jahren Tätigkeit an der Oststadt-Klinik aus. Die Klinik selbst wurde noch bis zum 31. März 1990 weiter betrieben.

Dr. med. Ernst Scharizer

In der Einsetz 1

4240 Freistadt

Österrreich

    >