Einleitung
Die Schildwächterlymphknotenbiopsie hat sich als Maßnahme des nodalen Stagings in
den letzten Jahren weitgehend etabliert und stellt möglicherweise einen der größten
Fortschritte in der diagnostischen Evaluierung von Melanompatienten dar [1]
[17]
[19]
[20]
[21]
[22]. Sie wird als Routinemaßnahme in der Ausbreitungsdiagnostik des AJCC (American Joint
Committee of Cancer Staging) eingeführt [3]. In zahlreichen monozentrischen Untersuchungen wurde der hohe prognostische Wert
einer lymphogenen Mikrometastasierung nachgewiesen [2]
[8]
[16]. Bisher wird bei Positivität die elektive Lymphadenektomie empfohlen [2]
[6]
[23]. Es liegen bisher jedoch keine Daten vor, die eine empirische Grundlage für diese
Empfehlung darstellen.
Historische Entwicklung
Die Initiation der elektiven Lymphadenektomie geht auf die Jahrhundertwende zurück
und beruht auf der Vorstellung, dass die Melanomausbreitung in vorhersehbaren Schritten
vom Primärtumor über die regionären Lymphknoten in die Organe abläuft. Demnach könnte
eine elektive Lymphadenektomie eine Krankheitsprogression aufhalten. Für die elektive
Lymphadenektomie sprachen die kurative Idee und die Kenntnis, dass eine rein klinische
Lymphknotenuntersuchung wenig sensitiv ist und dass mit einer regionären Lymphknotenmetastasierung
eine deutlich verschlechterte Überlebensrate verbunden ist. Als Nachteile standen
dieser Argumentation eine Übertherapie in ca. 80 % der Fälle mit einer relativ hohen
postoperativen Komplikationsrate bei 20 % wie auch die Hypothese eines erhöhten Metastasierungsrisikos
durch Entfernung immunkompetenten Gewebes gegenüber. Während in drei größeren, zum
Teil älteren nicht randomisierten, retrospektiven Studien deutliche Verbesserungen
der 5- und 10-Jahres-Überlebensrate beschrieben wurden, konnte dies in jüngeren prospektiv
randomisierten Studien nicht nachvollzogen werden [13]. Es wurde nach diesen durch kontrollierte Bedingungen erzielten Ergebnissen die
Schlussfolgerung gezogen, dass die adjuvante elektive Lymphknotendissektion nicht
zu einer Verlängerung des Überlebens führt und daher in der Routineversorgung des
malignen Melanoms nicht mehr zu empfehlen ist.
Anstelle der ELND gewinnt hingegen das von Morton et al. entwickelte diagnostische
Verfahren der Sentinel-node-Biopsy (Wächterlymphknotendissektion) eine zunehmende
Bedeutung, da neueste Studiendaten mit multivarianten Regressionsanalysen zeigen,
dass die Mikrometastasierung beim malignen Melanom den Hauptprognoseparameter für
das Gesamtüberleben darstellt [4]
[5]
[16]. Darüber hinaus zeigten Studien, in denen der Lymphabstrom bei Melanomen mittlerer
Tumordicke szintigraphisch unter Verwendung radioaktiv markierter Kolloide untersucht
wurde, dass in 6 - 58 % der Patienten der Lymphabfluss in Abhängigkeit von der Lokalisation
in mehr als ein Lymphknotengebiet reicht [7]
[9]. Basierend auf diesen Daten sind Studienergebnisse mit der ELND, die sich an klassischen
Lymphabstromverhältnissen orientieren, überhaupt infrage zu stellen [13].
Das Konzept der SLND wurde Mitte der 80er Jahre von Morton u. Mitarb. unter der Vorstellung
propagiert, dass der Primärtumor bei Dissemination ein Zwischenstadium einer Mikrometastasierung
im sog. Schildwächterlymphknoten aufweist, der der regionären Lymphknotenstation vorgeschaltet
ist [22]. Durch die Entnahme und Aufarbeitung dieses (dieser) Lymphknoten(s) soll eine Erkennung
von Patienten erfolgen, die klinisch fälschlich als Stadium I oder II eingeordnet
wurden, histomorphologisch aber bereits dem Stadium III angehören, um gegebenenfalls
gezielt eine radikale, therapeutische Lymphadenektomie anzuschließen [1]
[2]
[5]
[15]
[17]. Hiermit handelt es sich im Gegensatz zur ELND um ein gezieltes, befundorientiertes
Vorgehen ohne überflüssige Radikalität und unnötige Operationen.
Bisherige Ergebnisse zur Schildwächterlymphknotendiagnostik
Die bisher durchgeführten monozentrischen Studien zeigen, dass immerhin ca. 20 % der
mit der Methode der SLND untersuchten Patienten positive Lymphknoten aufweisen. Inzwischen
liegen Daten von weit mehr als 5000 Patienten vor, die zeigen, dass das Lymphknotenstaging
in Form der Entnahme des ersten drainierenden Lymphknotens eine risikoarme, gering
invasive Methode darstellt. Weiterhin zeigen die bisher vorliegenden Ergebnisse, dass
in bis zu 98 % die lymphogene Metastasierung über den ersten drainierenden Lymphknoten
erfolgt. Beim Nachweis von Mikrometastasen im Wächterlymphknoten findet sich in einer
angeschlossenen therapeutischen Lymphknotendissektion in maximal 20 % eine weitere
lymphogene Metastasierung. Wesentlich im Rahmen der Markierung der Wächterlymphknoten
ist die Beobachtung ungewöhnlicher Drainierungsmuster, die sich nicht mit den klassischen
anatomischen Vorstellungen decken [4]
[8]
[9]
[10]
[12]
[23]
[24].
Studienkonzepte
Mehrere Multizenterstudien werden zur Zeit in den USA und jetzt auch in Deutschland
zur Schildwächterlymphknotendiagnostik durchgeführt.
Die multizentrische Wächterlymphknoten-Studie, geleitet von Donald Morton vom John
Wayne Cancer Center versucht die grundsätzliche Frage zu beantworten, ob Lymphabstromszintigraphie
und Wächterlymphknotenbiopsie einen Einfluss auf das Überleben von Melanompatienten
hat. In dieser vom National Cancer Institute unterstützten Studie werden Patienten
mit Melanomen ≥ 1 mm randomisiert zur Gruppe A: weite Lokalexzision und Beobachtung
der regionalen Lymphknotenstation versus Gruppe B: weite Lokalexzision und Wächterlymphknotenbiopsie.
Patienten mit einem positiven Wächterlymphknoten werden anschließend einer kompletten
Lymphadenektomie zugeführt. Wenn in dieser Studie die operative Versorgung einen Überlebensvorteil
zeigt, ergäben sich zwei Gründe, die Wächterlymphknotenbiopsie durchzuführen: zum
einen Patienten zu behandeln, die das höchste Risiko für eine metastatische Erkrankung
besitzen und Patienten zu identifizieren, die Kandidaten für eine adjuvante Therapie
darstellen (Abb. [1]).
Abb. 1 Donald-Morton-Studie John Wayne Cancer Center (1400 Patienten).
In einer Phase-III-Studie des National Cancer Institutes mit dem offiziellen Titel
„Adjuvante Interferon-α2b-Therapie bei Patienten mit invasivem, kutanen Melanom mit
früher Lymphknotenmetastasierung nachgewiesen bei intraoperativer Lymphabstromszintigraphie
und Wächterlymphknotenbiopsie” werden unterschiedliche Studienziele verfolgt.
Studienziel: Vergleich der Effektivität der regionalen Lymphadenektomie mit oder ohne
adjuvanter Hochdosis-Interferon-α2b-Therapie auf krankheitsfreies Überleben und Gesamtüberleben
bei Patienten mit invasivem kutanen Melanom mit früher oder submikroskopischer Wächterlymphknotenmetastasierung,
nachgewiesen durch histologische und immunhistologische Aufarbeitung oder molekularbiologischer
Diagnostik (RT-PCR). Vergleich der Effektivität von Lymphadenektomie versus Beobachtung
auf krankheitsfreies Überleben und Gesamtüberleben bei Patienten mit mikroskopischer
Wächterlymphknotenmetastasierung nur mit PCR-Nachweis. Bestimmung der Rezidivrate
und des Überlebens von Patienten mit submikroskopischer Wächterlymphknotenmetastasierung
bei positiver PCR. Determinierung des positiven und negativen prädiktiven Wertes der
RT-PCR-Analyse des Wächterlymphknotens und peripheren Blutes solche Patienten zu identifizieren,
die ein erhöhtes Risiko für Rezidiv und Tod zeigen.
Patienten mit Mikrometastasen in einem Wächterlymphknoten ohne extrakapsuläre Ausbreitung
und ohne Hinweis für disseminierte Metastasierung werden nach Protokoll A in zwei
Arme randomisiert.
Arm I: Patienten erhalten adjuvante Hochdosis Interferon-α2b-Therapie i. v. für 5
Tage über 4 Wochen und danach 3 × wöchentlich für 48 Wochen.
Arm II: Patienten werden nachbeobachtet.
Patienten mit Metastasen in mehr als einem Wächterlymphknoten mit Hinweis für extrakapsuläre
Ausbreitung erhalten adjuvant Hochdosis-Interferon-α2b wie in Arm I.
Patienten mit negativem Wächterlymphknotenstatus (Histologie, Immunhistologie und
RT-PCR) werden nachbeobachtet.
Patienten mit positivem Wächterlymphknotenstatus, basierend auf der RT-PCR-Analyse,
werden nach Protokoll B in 3 Arme randomisiert.
Arm I: Beobachtungsarm.
Arm II: Patienten erhalten eine radikale Lymphadenektomie.
Arm III: Patienten erhalten eine radikale Lymphadenektomie und anschließend Hochdosis
Interferon-α2b i. v. für 5 Tage pro Woche über 4 Wochen.
Die Patienten werden in vierteljährlichen Abständen über 2 Jahre nachbeobachtet, viermonatig
über 1 Jahr, halbjährlich für 2 Jahre und danach jährlich.
Eine Gesamtzahl von 3000 Patienten wird für diese Studie über einen Zeitraum von 5
Jahren rekrutiert.
Wächterlymphknotenstudie der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Onkologie und der
Vereinigung Operativer Dermatologie in der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft
In diesem Studiendesign werden Patienten mit malignem Melanom ≥1,0 mm einer Primärexzision
und Wächterlymphknotenbiospie zugeführt. Ist der Wächterlymphknoten negativ, erfolgt
eine Nachsorge in dreimonatigen Abständen mit Dokumentation. Bei histologisch und
immunhistologisch positivem Wächterlymphknotenbefall ohne Kapseldurchbruch erfolgt
eine Randomisation in Arm A Beobachtung mit dreimonatigen Nachsorgeabständen und Arm
B gefolgt von einer elektiven radikalen Lymphadenektomie. Die primäre Fragestellung
und Ziel der Studie ist das rezidivfreie Überleben der Patienten. In der Studie soll
geprüft werden, ob die neu vorgeschlagene operative Strategie im Vergleich zu der
bisherigen Praxis der elektiven Lymphadenektomie keine Unterlegenheit hinsichtlich
des rezidivfreien Überlebens zeigt. Sekundäre Endpunkte der Studie sind das gesamte
Überleben, Bestimmung des prädiktiven Wertes der Tumorausdehnung bei positivem Wächterlymphknoten
und Auftreten von regionären Rezidiven und Fernmetastasierung bei negativem Wächterlymphknoten
(Abb. [3]).
Abb. 2 Malignes Melanom
Randomisierung.
Es werden 2190 Patienten einer Wächterlymphknotendiagnostik unterzogen und nachfolgend
438 Patienten auf die beiden Studienarme randomisiert. Die Rekrutierungszeit beträgt
voraussichtlich 2 bis 3 Jahre, die Nachbeobachtungszeit 3 Jahre nach Abschluss der
Rekrutierung, so dass die Gesamtstudiendauer 5 bis 6 Jahre beträgt.
Die Wächterlymphknotenbiopsie wird weltweit als eine grundsätzliche Methode des Lymphknotenstagings
beim Melanom gesehen. Inzwischen wird allgemein akzeptiert, dass ein positiver Wächterlymphknotenbefund
den wichtigsten prognostischen Faktor für das Gesamtüberleben darstellt. Zur Zeit
ermöglicht die Wächterlymphknotenbiopsie nur eine Verbesserung des Stagings und somit
eine prognostische Information.
Darüber hinaus wird eine Patientengruppe identifiziert, die ein besonders hohes Risiko
für eine metastatische Erkrankung zeigt. Die lymphatische Wächterlymphknotendiagnostik
hat somit einen potenziellen diagnostischen Wert. Die entscheidende Frage ist jedoch,
ob das diagnostische Verfahren Wächterlymphknotenbiopsie als minimal invasives operatives
Vorgehen auch einen therapeutischen Nutzen hat [11]
[14]
[18]. Sei es dass ein gezieltes operatives Vorgehen, gefolgt von radikaler Lymphadenektomie
das Gesamtüberleben der so behandelten Patienten verbessert oder dass eine nachfolgend
adjuvante Melanomtherapie das Gesamtüberleben verlängert. Diese Fragen sind zur Zeit
Gegenstand der hier vorgestellten weltweiten Studienkonzepte (Abb. [2]).
Abb. 3 ADO/VOD
Patienten mit malignem Melanom ≥ 1,0 mm (2190 Patienten).