Einleitung
Einleitung
Der folgende Aufsatz beschäftigt sich mit Fragestellungen, auf
die in der therapeutischen Arbeit mit Folterüberleben bisher keine
vollständigen, wissenschaftlich begründeten Antworten gegeben werden
können. Er soll vielmehr zu Hypothesenbildung und empirischer Forschung
anregen. Zur Zeit laufende Untersuchungen des Verfassers zum Thema sind noch
nicht abgeschlossen.
Seit gut einem Jahrzehnt wird in der Psychotraumatologie vermehrt
danach gefragt, welche gesundheitlichen Auswirkungen die Arbeit von
professionellen Helfern mit Betroffenen haben kann. Den spezifischen Risiken
von Traumatherapeuten, die Überlebende von Folter behandeln, ist jedoch
bisher sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden.
Dagegen ist das Konstrukt der stellvertretenden Traumatisierung seit
Anfang der 90-er Jahre in anderen Feldern der Psychotraumatologie gut
begründet worden und hat zu einer Vielzahl von Untersuchungen und
Ergebnissen geführt.
Das Konstrukt „stellvertretende
Traumatisierung”
Das Konstrukt „stellvertretende
Traumatisierung”
Vicarious Traumatisation
Erst zu Beginn der 90-er Jahre wandten sich insbesondere McCann
& Pearlman [1] der Frage zu, ob auch
Traumatherapeuten infolge ihrer Arbeit traumatisiert werden können und
führten den Begriff „Vicarious Traumatisation”
(stellvertretende Traumatisierung) ein. Eine Fülle von Studien
[2] [3] [4] weisen in ihren Ergebnissen auf die Gefahr von
Traumatisierungen bei Therapeuten in der Behandlungsarbeit hin. Vicarious
traumatisation kann definiert werden als „the transformation of the
therapist’s or helper’s inner experience as a result of empathetic
engagement with survivor clients and their trauma material.” Vicarious
traumatisation „refers to the cumulative transformative effect on the
helper working with the survivors of traumatic life events”
[5]. Die Bedeutung der stellvertretenden
Traumatisierung geht damit weit über das Konzept der Gegenübertragung
und auch über das allgemeine Burnout-Syndrom hinaus.
Compassion Fatigue
Figley [6] ersetzte den zuvor von ihm und
anderen verwendeten Begriff „Secondary Traumatic Stress”
[7] durch „Compassion Fatigue ” Mit
Secondary Stress war und ist einige Verwirrung verbunden, da dieser Begriff in
der Psychotraumatologie bereits belegt ist. Er meint das unmittelbare
Miterleben der Traumatisierung anderer (direkte Zeugenschaft) und nicht
spezifisch die mit der professionellen bzw. therapeutischen Arbeit mit
Traumaüberlebenden verbundenen Traumatisierungen. Secondary Traumatic
Stress wird in der Literatur jedoch von anderen noch weiter im Sinne der
stellvertretenden Traumatisierung und Compassion Fatigue verwendet
[8] [9].
Es ging Figley vor allem darum, einen nicht pathologisierenden
Begriff anzubieten. Die Bedeutung von compassion als „feeling of deep
sympathy and sorrow for another who is stricken by suffering or misfortune,
accompanied by a strong desire to alleviate the pain or remove its
cause” [10] ist nicht angemessen ins Deutsche
zu übertragen. Das „compassion”- Phänomen ist besonders
bei Therapeuten von Folterüberlebenden deutlich beobachtbar: Menschen,
denen von Menschenhand Grausamkeiten mit Plan und Absicht zugefügt wurden
[11], lösen in therapeutischen Beziehungen durch
fortgesetzte Exposition dieser wirklich erlebten Ereignisse unvermeidbar
traumatische Reinszenierungen aus. Durch die therapeutische Offenheit für
daraus folgende emotionale und kognitive Reaktionen entsteht bei Therapeuten
leicht eine hohe Vulnerabilität für einen Prozess der stellvertretenden Traumatisierung. Diese wirkt
sich nicht nur im Berufsleben, sondern auch in der Privatsphäre aus. Die
Folgen sind kumulativ und anhaltend und führen am Ende vielfach zu einem
Zustand von Compassion Fatigue [6].
Zur Vereinfachung wird im folgenden nur der Begriff
stellvertretende Traumatisierung verwendet und vorausgesetzt, dass darin das
Konzept der Compassion Fatigue angemessen aufgehoben ist.
Therapeuten von asylsuchenden Folterüberlebenden
Bisherige Untersuchungen bei Helfern und Therapeuten beziehen sich
auf alle bekannten Formen von extremen Traumatisierungen, z. B. die
Arbeit mit Opfern sexualisierter Gewalt oder Überlebenden von
Terroranschlägen. Bis auf wenige Ausnahmen [12]
[13], die noch
vergleichsweise karg und in ihren Fragestellungen begrenzt sind, wurde die
Arbeit mit asylsuchenden Folterüberlebenden nicht berücksichtigt.
Dies mag verschiedene Gründe haben, zumindest aber ist
beobachtbar, dass Behandlungsteams bisher auch von sich aus sehr wenig
über diese Problematik nach außen tragen, als würden sie
fürchten, die Öffentlichkeit nicht nur mit Folter, sondern auch noch
mit den traumatisierten Therapeuten zu belästigen. Da sie aber vom
Wohlwollen der öffentlichen Meinung, und damit von Spendengeldern
abhängig sind, scheinen „Therapeutenerkrankungen” oder
„Team-Infektionen” tabuisiert zu sein. In Medien-Interviews oder
nach Vorträgen und anderen öffentlichen Auftritten werden die
Mitarbeiter der Zentren häufig gefragt: „Wie halten
Sie das eigentlich aus?” Die Antworten erscheinen
gut vorbereitet und geschliffen, indem auf notwendige Supervision und
Intervision, auf gute Teamarbeit und ausreichende Erholung hingewiesen
wird.
Behandlungsstrukturen für Folterüberlebende
Behandlungsstrukturen für Folterüberlebende
Behandlung bei niedergelassenen Therapeuten
Obwohl einige von Folter betroffene Menschen auch in Einzelpraxen
behandelt werden, so ist ihr Anteil am Patientengut von niedergelassenen
Psychotherapeuten sehr gering. Dies hat zweierlei Gründe: Einmal sind die
meisten der Behandlung suchenden gleichzeitig Asylsuchende, manchmal auch
sogenannte Illegale. Das bedeutet, dass sie nur über Sozialämter
rudimentär oder überhaupt nicht versichert sind. Sie werden daher von
Niedergelassenen nicht zur Behandlung aufgenommen. Die Sozialämter sind je
nach Bundesland oder sogar nach Regionen nur gelegentlich bereit, die Kosten
für Psychotherapien bei Asylbewerbern zu übernehmen. Vorausgegangen
sind dieser „Kulanz” zumeist heftige Kämpfe von engagierten
Mitarbeitern mit Sozialbehörden, die in Beratungsstellen oder
Therapiezentren [14] [15]
Erstkontakte hatten.
Zum zweiten verhindern sprachliche oder kulturbedingte Probleme
die Aufnahme einer Psychotherapie. Die Einbeziehung von Sprachmittlern in
Behandlungsprozesse ist in ambulanten Behandlungen in der Regel nicht
vorgesehen und wird daher nicht vergütet. Kulturell sind besonders die
vielfach zu beobachtenden starken Ressentiments der Betroffenen gegenüber
Psychotherapie verantwortlich dafür, dass sie dieses Angebot ablehnen.
Psychotherapie wird in anderen Kulturen oft mit Psychiatrie und Irre-Sein
verbunden [16].
Weitergehend stellt sich die Frage, ob denn Niedergelassene einen
Anteil von aufenthaltssicheren und hinreichend
deutschsprechenden ehemaligen Flüchtlingen, die traumatisiert sind,
spezifisch im Rahmen der vertraglichen kassenärztlichen Versorgung
behandeln. Dies scheint nicht der Fall, denn in einer telefonischen Umfrage mit
psychologisch-psychotherapeutischen Praxen in Berlin [17] erklärten von 25 Therapeuten mit einem
Gesamtpatientengut von annähernd 1 700 Patienten, in den vergangenen
3 Jahren lediglich 28 ehemalige Asylbewerber behandelt zu haben bzw. noch zu
behandeln. Von diesen sei kein einziger psychotherapeutisch primär wegen
seiner Folter- und oder Verfolgungserfahrungen behandelt worden. Eine
Therapeutin berichtete, sie würde in einem laufenden Fall
Foltererfahrungen vermuten, behandle jedoch primär eine generalisierte
Angststörung.
Die Gründe für diese Tendenz liegen einmal darin,
dass
-
Therapeuten bisher selten „posttraumatische
Belastungsstörungen” (PTBS, engl.: PTSD) diagnostizieren und damit
psychische Folterfolgen entweder nicht erkennen oder sich eine spezifische
Therapie der Folgen nicht zutrauen. Bei niedergelassenen Ärzten ist die
Situation noch markanter: Nur sehr wenige kennen überhaupt die Kriterien
der Diagnose PTBS [18] [19].
-
Ein wesentlicher Grund ist, dass Patienten mit chronischen
„Komplexen Posttraumatischen Belastungsstörungen”
[20] Vermeidungsverhalten so internalisiert haben,
dass sie niemandem mehr ihre erlittenen Foltererfahrungen anvertrauen. Sie sind
in allgemeinärztlichen Praxen als psychosomatische Patienten bekannt und
werden zumeist wegen anhaltender Depressionen, Angstzustände,
Somatisierungsstörungen und Schmerzempfindungen fast ausschließlich
medikamentös behandelt.
Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass eine angemessene
ambulante Regelversorgung für Folterüberlebende -
unabhängig davon, ob sie einen gesicherten Aufenthalt haben oder als
Asylbewerber in Deutschland leben - nicht einmal in Ansätzen
stattfindet.
Die folgenden Überlegungen richten sich daher
ausschließlich auf:
Psychosoziale, Beratungs- und Therapiezentren
Seit mehr als einem Jahrzehnt bilden Behandlungseinrichtungen bzw.
psychosoziale Zentren für Folterüberlebende in Deutschland, wie auch
in den meisten Staaten der EU, ein unverzichtbares Netz von sozialen und
therapeutischen Hilfen für traumatisierte Flüchtlinge.
Viele Einrichtungen sind aus Initiativen von Mitarbeitern in der
sozialen Flüchtlingsbetreuung entstanden, die bei freien Trägern
angesiedelt sind. Diese und andere haben sich zumeist durch
Vereinsgründungen die Grundlage für eine Ansiedlung unter dem Dach
eines freien Trägers oder für eine Kooperation mit diesen geschaffen,
ohne dass dafür ausreichende Geldmittel zur Verfügung gestellt
wurden, um eine fachlich angemessenen Versorgung zu erlauben. Andere konnten
kleine „Töpfe” von regelmäßigen Zuwendungen
erringen, um deren Realisierung jedoch jährlich aufgrund leerer
Öffentlicher Kassen und je nach politischem Wind gebangt werden muss.
Zumeist müssen aber jährliche Kürzungen hingenommen werden und
die entstandenen Defizite durch Spendeneinwerbung ausgeglichen werden. Wenige
Zentren in Europa sind unabhängig von Trägern, keines ist
unabhängig von Gebern allgemein, von jährlichen Zuwendungen durch die
EU und von einzuwerbenden Spenden.
Risiken für Therapeuten
Risiken für Therapeuten
Es kann davon ausgegangen werden, dass die therapeutische Arbeit mit
Folterüberlebenden, die überwiegend Angehörige anderer Kulturen
sind, die in den Konzepten zur stellvertretenden Traumatisierung beschriebenen
Vulnerabilitätspotenziale birgt. Gesunderhaltung oder Erkrankung von
Therapeuten sind sicherlich abhängig von vorbestehenden
Persönlichkeitsstrukturen, Lebensalter, Erfahrungshintergrund und vor
allem einer guten, breitgefächerten therapeutischen Ausbildung
[21]. Die Risiken für Therapeuten sollten
demnach denen der Arbeit mit anderen extremen man-made-Traumatisierungen,
d. h. von Menschenhand mit Plan und Absicht zugefügt
[11], entsprechen. Somit kann angenommen werden, dass
die große Mehrheit der gut ausgebildeten und lebenserfahrenen Therapeuten
nicht primär oder nicht allein durch den Inhalt
der Arbeit mit Folterüberlebenden stellvertretend traumatisiert wird.
Zumindest weisen im Rahmen einer Delphi-Studie [22]
subjektive Empfindungen von Therapeuten, die von Supervisoren wahrgenommen
wurden, darauf hin [23].
Aufgrund vielfältiger Erfahrungen mit Traumatherapeuten in
Europa, die als Supervisor, „Insider” oder auch nur als Besucher
der Einrichtungen gesammelt wurden, werden von Mitarbeitern Befindlichkeiten
geäußert, die auf erhebliche traumatische Belastungsreaktionen
und/oder andere psychische Beeinträchtigungen hinweisen. Belastungen oder
Bedrohungen durch Team- oder Leitungskonflikte werden zumeist nicht offen
geäußert, da sie mit starken Ängsten verknüpft sind.
Interessant ist dabei die häufige Mitteilung von Betroffenen, dass in
ihrer Wahrnehmung die therapeutische Arbeit mit den Inhalten der erlebten
Folterungen ihrer Klienten nicht oder nicht allein die stellvertretende
Traumatisierung ausgelöst hat oder aufrecht erhält. Vielmehr werden
das Ensemble von
-
Stressoren im Therapieprozess durch hermetische Vermeidung der
Klienten
-
externe, also außerhalb der Einrichtung einwirkende
und
-
teaminterne Stressoren als
als verantwortlich genannt.
Damit erscheint es möglich, dass die Arbeit mit
Folterüberlebenden nicht allein und ursächlich stellvertretende
Traumatisierungen hervorruft. Vielmehr kann vermutet werden, dass sich
darüber hinaus ein umfassendes Bedrohungssystem durch Asylbehörden,
die Einbettung in ein möglicherweise stellvertretend
„infiziertes” Team und die damit besonders erschwerte Arbeit mit
den stark vermeidenden Folterüberlebenden entwickelt. Somit könnte
erst die Akkumulation und Interaktion dieser Stressoren eine hohe Gefahr
für stellvertretende Traumatisierung bedeuten.
A. Stressoren im Therapieprozess
Psychische und körperliche Verletzungen, die ein Mensch
infolge anhaltender bzw. mehrfach wiederholter staatlich organisierter
Verfolgung und Folter erleidet, sind mehrschichtig überlagert durch
Flucht- und Exiltraumata mit anhaltendem traumatischem Stress. Damit handelt es
sich um „kumulative” bzw. nach Keilson [24] um „sequentielle” Traumatisierung. Die
umfassenden und vielschichtigen gesundheitlichen Folgen würde man heute
als „komplexe PTBS” (engl. Complex PTSD [7]) bezeichnen. Nach Ankunft im Exil versuchen die
traumatisierten Migranten Vermeidungsverhalten in Bezug auf die erlittenen
Verletzungen aufzubauen, um sich der Gegenwart und Zukunft zuzuwenden, um zu
„vergessen”. Rasch erleben sie aber die Stressbelastungen ihrer
psychosozialen Situation als Reaktualisierung ihrer Traumata. Die Ablehnungen
durch Behörden, Arbeitsverbote, Verbote, den sehr begrenzten
„Gestattungsbereich” zu verlassen, Abschiebedrohungen
u. v. m. triggern als traumatisch „geladene” und
generalisierte Reizmuster die traumatischen Erinnerungen auf unkontrollierte
Weise. Vermeidung und Dissoziation die zunächst unter den extrem
traumatischen Einwirkungen als sinnvoller und überlebensnotwendiger
Bewältigungsversuch während und kurze Zeit nach der Traumatisierung
zu sehen sind, wirken im Laufe der Zeit als Agens der Aufrechterhaltung und
Chronifizierung der Leiden über die Zeit, oft ein Leben lang.
Für die Therapie von traumatisierten Flüchtlingen sind
psychobiologische Konditionierungs- und Dissoziationsvorgänge zum
Verständnis der traumatischen Belastungsreaktionen und Erkrankungen von
großer Bedeutung. Diese wurden im Ansatz bereits von P. Janet
[25] beschrieben. Deren hermetische Persistenz ist
durch einfache lerntheoretische Gesetze sowie sozial-kognitive
Veränderungen des Selbst begründet und trifft auf sehr
herausfordernde Weise auf jeglichen Ansatz einer Traumatherapie, und damit auf
die Therapeuten persönlich. Gewöhnlich würde man im Prozess der
Therapie, und davon gehen alle seriösen Therapieschulen aus, die
allmähliche Verminderung der Vermeidung anstreben.
Nach oft jahrelanger Verfolgung, überdauerndem Stress durch
Flucht und Exil, sehen wir dann bei Flüchtlingen, die in ein Traumazentrum
zur Behandlung kommen, natürlich sehr komplexe chronische
Belastungsreaktionen mit einem quasi zementierten Vermeidungsgerüst und
der Erwartung, die Therapeuten möchten helfen zu vergessen, somit also die
Vermeidung unterstützen. Die Präsentation von Schmerzempfindungen
durch die Betroffenen, mit der Hoffnung auf medizinische Symptombehandlung,
stellt eine indirekte weitere Vermeidungsreaktion dar, denn die
Repräsentation der somatoformen Schmerzen im Organismus ist wiederum ein
Teil der traumatischen Körpererinnerung. Durch die kognitiv-psychische
Verarbeitungsblockierung, verfestigt durch Vermeidung, scheint sich der
Organismus als Folge von emotionalen Implosionen [26]
eine Darstellungsmöglichkeit zu suchen mit dem Ausdruck: „Es
schmerzt!”. Gleichzeitig unterstützen die Schmerzen
zirkulär wieder das Vermeiden, denn wer Schmerzen hat, fühlt sich
weitgehend des Denkens, Sprechens und damit der kognitiven und narrativen
Verarbeitung entbunden.
Wiederkehrende schmerzhafte innere Bilder, Erregungszustände,
Missempfindungen, Schmerzsymptome und andere Somatisierungen sind ein Hinweis
auf total blockierte emotionale und semantische Aspekte der extremtraumatischen
Erfahrungen.
Aus sozialkognitiver Perspektive werden fundamentale
Erschütterungen von Selbst- und Weltvertrauen [27] und daraus entstandene Vermeidungsmuster dann im
Exil durch die Konfrontation mit den Asylbehörden und das oft feindselige
Verhalten der Mitmenschen verstärkt. In die Zukunft gerichtete
Perspektiven fallen dem fortschreitenden Verfall der Identität und der
Verstärkung von Depressionen anheim, Ressourcen vor den Traumata werden
unbewusst zugedeckt oder geleugnet bzw. entwertet.
Betrachtet man die therapeutische Beziehung unabhängig vom
Team-Kontext, berichten Therapeuten eher über Gefühle von
Erschöpfung durch das Vermeiden der Klienten und durch soziale Probleme,
die in den Vordergrund gestellt werden. Bei genauerer Betrachtung wirken jedoch
die von außen in die Therapie einwirkenden Stressoren (Ayslverfahren)
auch hier in den Beziehungsraum ein, der geschützt sein sollte. Die
Wechselwirkung der Bedingungen
scheint bereits hinreichend für das Entstehen von Ohnmachts-
und Erschöpfungsgefühlen auf Seiten der Therapeuten zu sein. Ohne
angemessene Verarbeitungsmöglichkeiten kann sich unter diesen Bedingungen
bereits ein Prozess der stellvertretenden Traumatisierung entwickeln. Die
Psyche der Therapeuten kann in der Weise aktiviert werden, dass sie am
traumatischen Erleben der Klienten nicht nur teil hat, sondern deren Schmerzen
internalisiert und deren Konflikte zu lösen versucht.
So können in den Alpträumen der Therapeuten die
miterfahrenen Traumasituationen der Klienten reinszeniert werden. Eine
Therapeutin berichtet in der Supervision zum Beispiel über ihren Traum,
wie sie von Soldaten vergewaltigt wird. Es treten Bilder aus Andeutungen einer
Klientin auf, die nun im Traum der Therapeutin vervollständigt werden. In
ihrem Traum bricht also die Vermeidung der Klientin weg und die Psyche der
Therapeutin versucht etwas zu komplettieren, wird dabei aber selbst
erschüttert. An sich ist dieser Prozess in wirksamen Psychotherapien
unvermeidbar und sollte dazu führen, dass Therapeuten lernen, den
Schrecken zu fassen, auszuhalten und gemeinsam mit dem Klienten zu verdauen.
Lansen [28] sieht Traumatherapeuten als
„Container” für Gefühle von Trauer, Schmerz und
Demütigung. Für diesen Prozess brauchen sie selbst professionelle
Hilfen. Die Entleerung des Containers, z. B. über Träume, und
dazu die Entlastungen in Inter- und Supervision, sind notwendig, damit
Therapeuten nach Annäherung an das Entsetzliche immer wieder den
erforderlichen Abstand gewinnen können. Es liegt auf der Hand, dass dieser
sensible und hochflexible therapeutische Mechanismus von Nähe und Distanz
leicht gestört werden und entweder in die eine oder die andere Richtung
neigen kann. Einmal kann dies durch Störung des therapeutischen Raumes
durch äußere Bedrohung geschehen (Stressoren zu B.), anderseits kann
diese Fähigkeit der Nähe-Distanz-Regulierung im Team
zusammengebrochen (Stressoren zu C.) und dadurch ein weiteres
Bedrohungspotenzial entstanden sein.
B. Externale Stressoren
Durch Auftrag und Ziel der Therapiezentren, für
überwiegend asylsuchende Folterüberlebende Beratung und Behandlung zu
leisten, ergeben sich zwangsläufig Herausforderungen, die mit
„Kampf” in vielfältigen Szenarien beschrieben werden
können. Diese Herausforderungen und darauf folgende Reaktionen führen
in ethische und fachliche Dilemmata. „Kampf” ist der
Psychotherapie fremd, wenn das damit verbundene „Agieren” auf
Erhaltung des therapeutischen Schutzraumes und der äußeren
Existenzsicherung der Klienten gerichtet ist. So handelt es sich hier eben
nicht um ein therapieinternes Problem und nicht um Therapie unter
„normalen” Bedingungen, sondern Traumatherapie mit gefolterten
Asylbewerbern impliziert bereits den Bruch der üblichen ethisch und
fachlich begründeten Bedingungen einer geschützten Therapie, indem
fortwährend grenzverletzend durch Drangsalierung und Bedrohung von
außen eingewirkt wird. Ein Klient umschrieb diesen Angriff auf die
Integrität des therapeutischen Raumes als „Fortsetzung der Folter
mit anderen Mitteln”.
Das Kampfszenario
Die Mitarbeiter der Traumazentren sehen sich aber gezwungen,
sich schützend vor ihre Klienten zu stellen. Therapeuten, die einmal
Kontakt und Beziehung zu einem Hilfesuchenden aufgenommen haben, können
sich des Druckes und der Provokationen durch Behörden oft nicht entziehen
und beginnen um ihre Klienten zu „kämpfen”. Es entsteht eine
überaus perverse Situation: Die Aufnahme oder regelmäßige
Fortführung notwendiger Therapien wird durch die gegen die Klienten
gerichteten Bedrohungen und Demütigungen derart erschwert, dass Heilung
kaum entwickelt werden kann. Behörden nötigen Therapeuten immer
wieder sogenannte Atteste ab, die vielleicht eine Atempause für wenige
Behandlungssitzungen ermöglichen. Sachbearbeiter oder sog. Entscheider
scheinen oft mit allen Mitteln die Aufenthalts- und Behandlungsmöglichkeit
des Flüchtlings im Exil liquidieren zu wollen. Es kommt sogar in einzelnen
Fällen zu symmetrischen Eskalationen zwischen einem Therapeuten und einem
Vertreter der Ausländerbehörde.
Mit der Reaktualisierung der Traumata des Klienten befinden sich
Therapeuten dann in einem moralischen Bündnis mit den Klienten und damit
auch vorübergehend quasi in eben seiner aktuell traumatisierenden
Situation. Wird nun eine Bedrohung von außen verstärkt, z. B.
durch Ankündigung der Abschiebung, wird es für Therapeuten immer
schwieriger, zu der im therapeutischen Prozess notwendigen professionellen
flexiblen, empathischen Distanz zurückzukehren. Die therapeutische
Arbeitsbeziehung beginnt, ein Teil des Systems des politischen und exekutiven
Umgangs mit Asylbewerbern zu werden. Die Therapeuten werden somit in ihrer
Integrität massiv angegriffen. Tragischerweise beginnen nun viele
Klienten, diesen Kampf des Therapeuten um ihn selbst als Therapie fehl zu
deuten. Die Chancen eines therapeutischen Arbeitsbündnisses lege artis, so
wie es sich die Therapeuten vorgestellt hatten, scheinen zu schwinden.
Rollenprobleme
Die angemessen Ausstattungen einer Therapieeinrichtung bzw.
eines psychosozialen Zentrums, vor allem die personelle Besetzung, scheitert
in
der Regel an dem chronischen Mangel an finanziellen Mitteln. In Zusammenfassung
der Anforderungsprofile einiger Einrichtungen werden für ein
Therapiezentrum für Folterüberlebende die Bildung mehrprofessioneller
Teams etwa in folgenden Zusammensetzungen als sinnvoll und angemessen
erachtet:
-
Mehrere Sozialarbeiter mit Ausrichtung klinische
Sozialarbeit
-
Allgemein- oder Facharzt mit konsiliarischen Kontakten zu
externen Fachärzten und Kliniken
-
Arzt für Psychiatrie
-
Mehrere gut ausgebildete und erfahrene Psychotherapeuten,
methodisch flexibel, z. B. neben den herkömmlichen Verfahren auch
Kollegen mit Ausbildungen in Kunst-, Tanz- und Musiktherapie
-
Physiotherapeuten mit körper-psychotherapeutischen
Erfahrungen (z. B. konzentrative Bewegungstherapie
[29]
-
Belastbare und interkulturell aufgeschlossene
Verwaltungskräfte
Gerade einmal 3 Behandlungseinrichtungen in Europa sind
annähernd nach der Idealbemessung ausgestattet. In ihnen wird nur ein
verschwindender Bruchteil aller in ein europäisches Exil geflüchteten
Folterüberlebenden behandelt. Viele der Therapiezentren, auch in
großen Städten, müssen mit 2 bis 4 Mitarbeitern auskommen. In
Deutschland gibt es nur in einigen Großstädten entsprechende
Einrichtungen. Eine ansatzweise regionale Versorgung findet nur einem Fall
statt [14].
Strukturelle und inhaltliche Idealvorstellungen
Folgende Strukturen und Inhalte der Arbeit mit
Folterüberlebenden erscheinen aus bisheriger Praxis der Behandlungszentren
für Folterüberlebende sinnvoll [30]:
-
Einbettung in ein interdisziplinäres Team; es wird
davon abgeraten, diese Arbeit in Einzelpraxis zu tun [28].
-
Soziale Unterstützungen lindern die Exilbelastungen.
Fachmedizinische und psychotherapeutische Interventionen haben eine hohe
Transparenz für die Betroffenen. Die Interventionen der 3 Bereiche
können auch parallel gestaltet werden; die miteinander arbeitenden
Personen der Bereiche repräsentieren ein kohärentes positives
Beziehungssystem.
-
Die Fachbereiche sind einerseits hoch interaktiv,
andererseits in der dynamischen Planung und Durchführung von
Behandlungsschritten komplementär und deutlich voneinander abgegrenzt.
-
Den Betroffenen wird ein hohes Maß an Aufklärung
und Information über die Zusammenhänge ihrer Belastungsreaktionen und
Befindlichkeiten sowie über die fakultativen Behandlungsmöglichkeiten
gegeben.
-
Alle Behandlungsschritte sollten nur unter Mitwirkung und
mit dem vollen Einverständnis der Klienten entwickelt werden. Diese
partnerschaftliche Einbeziehung dient der ersten Rekonstruktion von
Selbstkontrolle und (Selbst-)vertrauen und wirkt den traumabedingten
generalisierten Hilflosigkeits- und Ohnmachtsgefühlen entgegen.
-
Inhaltlich kann sich die Behandlung an Prozessverläufen
orientieren, die sich grob einteilen lassen in Phasen der
-
Beziehungsaufnahme und Stabilisierung, der
-
Traumasynthese i. S. von vorsichtig geleiteten
Konfrontationen mit den Trauma-„Schichten” (therapeutisches
„Wiedererleben” auf mehreren emotionalen, perzeptiven und
kognitiven Ebenen) sowie einer
-
Nachbereitungszeit Reintegration, und Trauer
[31]. In Therapiezentren für
Folterüberlebende gelingt aufgrund der asylpolitischen Stressoren oft nur
eine Stabilisierung von Klienten. Allerdings fällt in diesen Fällen
eine Tendenz zu persistierenden belastenden Träumen, anhaltender
depressiver Position und Somatisierung auf [32]. Auch
scheint es, dass es im Rahmen von Reaktualisierungen erneut zu stärkeren
PTB-Symptomen kommt, die von den Patienten als schwer beeinflussbar erlebt
werden [30]
Folgen mangelnder Personal- und Finanzausstattung
Folgende Versuche, Auswege aus den Dilemmata zu finden, werden
oft beobachtet:
Wenn der Klient nicht an einen versierten Sozialarbeiter mit
profunden Kenntnissen der Ausländer- und Asylbewerbergesetze sowie guten
Kontakten zu Rechtsanwälten abgegeben werden kann, widmet sich der
Therapeut zum vorübergehenden Sozialbeiter um und eignet sich eine Rolle
an, die er nicht beherrscht und wohl auch nie gewollt hat. Befördert wird
dies durch den verständlichen Druck der Klienten, die ihre Vernichtung
fürchten. In der Hoffnung, später wieder die Rolle als
Traumatherapeut einnehmen zu können, werden Konstrukte wie
„Unterstützungstherapie” oder „intermittierende
Sozial- und Psychotherapie” u. v. m. erdacht, um doch
eines Tages ohne äußere Belastungen die erlittenen
primärtraumatischen Ereignisse (im Herkunftsland) durcharbeiten zu
können. Zu dem Aufwand an Energie, doch noch das Vermeiden zu vermeiden,
müssen Therapeuten die sehr belastenden Stagnationen oder
Verschlimmerungen der psychischen und somatoformen Leiden der Klienten erleben.
Bei gesteigerter Hilflosigkeit der Therapeuten kann bei diesen leicht eine
bewusste oder unbewusste Wut auf den Klienten entstehen, der fortwährend
dem Therapeuten seine Schmerzen anklagend „vor die Füße
wirft”. Misserfolge und Rückschläge im Kampf um Asyl
verstärken dann diese Situation, die auf Seiten der Klienten zu einem
Vertrauensverlust führen kann, da seine verzweifelten Erwartungen in die
Macht der Therapeuten enttäuscht wurden.
Die auf den Traumatherapeuten im Flüchtlingsbereich
lastenden Anforderungen sind damit sehr komplex und führen oft zu
unglücklichen Rollenkonfusionen. Sie provozieren geradezu die
Verführung für Therapeuten, ebenfalls der Vermeidung zu erliegen,
anstatt zu helfen, diese aufzulösen und damit die Spur einer Heilung
überhaupt zu ermöglichen.
Weitere fachliche und ethische Dilemmata
Viele Klienten kommen oft erst dann in ein Behandlungszentrum,
wenn sich Asylverfahren zuspitzen und Abschiebungen unmittelbar drohen. Es
kommt zu dem doppelten Auftrag: „Rette mich vor Abschiebung und heile
mich von meinen quälenden Belastungssymptomen”. Eine sogenannte
Folteranamnese muss anstelle der vorteilhafteren Prozessdiagnostik unter hoher
retraumatisierender Belastung der Klienten erhoben werden, vielleicht noch
angereichert mit querschnittsdiagnostischen Frageinventaren. Daraus entsteht
ein Attest oder das Paradoxon einer parteilich - sachverständigen
Stellungnahme als „Waffe” im Asylkampf. Die Glaubwürdigkeit
der Arbeit wird für den Therapeuten selbst infrage gestellt, da ein
konsistentes Trauma - Narrativ unter Zeitdruck nicht möglich ist und
Fragmentierungen der traumatischen Erinnerung auf Seiten der Klienten zu
Widersprüchen und Lücken führen [33].
Entscheidungen lassen dann auf sich warten, es folgen
langwierige Verwaltungsgerichtsverfahren, Duldungen werden bis auf Widerruf
für kurze Zeiträume ausgestellt, Rechtsanwälte wollen erneute
Stellungnahmen, es muss sozusagen „nachgelegt” werden; der Klient
bleibt im traumatischen Exilstress gefangen. Auf der Strecke bleiben die so
notwendigen psychoedukativen Aufklärungen über
Therapiemöglichkeiten und die sorgfältige Planung bzw. Gestaltung der
Therapie unter Einbeziehung der Klienten [34].
Stattdessen erscheint die Arbeit wie eine endlose Notfallpsychologie,
dazwischen gelingen vielleicht ein paar Therapiestunden, dann erfolgt der
Einbruch durch eine negative Nachricht oder Entscheidung der Behörden.
Schmerzsymptome, Depression und Verzweiflung stehen wieder im Vordergrund. Aus
nachvollziehbaren Gründen verharren Klienten in Vermeidung, zumal diese
oft davon ausgehen, dass es mit den qualvollen Berichten für das
„Papier” (Attest oder Stellungnahme) doch genug gewesen sein
müsse. Therapeut und Klient entfernen sich mehr und mehr von einer
möglichen und vollständigen Traumatherapie. Sie verlieren vor allem
die Möglichkeit der vorsichtig geleitete Exposition während eines
längeren Zeitraumes [31] [35] bzw. das sinn - bedeutungsfindende narrative
Durcharbeiten [36] aus dem Auge. Je länger die
Notfallsituation andauert, desto schwieriger kann es sein, noch einen
sinnvollen therapeutischen Auftrag auszumachen. Die so erzwungene Vermeidung
kann sich bei Therapeuten und Teams als überdauerndes Muster
einschleichen. Wenn schließlich Klienten eines Tages als Ergebnis dieser
manchmal Jahre dauernden Unterstützung einen sicheren Aufenthalt haben,
der äußere Kampf also entfällt, werden oft massive
Verschlechterungen des Gesundheitszustandes der Klienten als posttraumatische
Belastungsreaktionen erlebt. Mit Verspätung müsste nun hier ein
geplanter therapeutischer Prozess einsetzen. Die Erfahrung zeigt aber, dass
bei
Klienten wie bei Therapeuten dann oft „die Luft raus” ist. Da die
gegenseitige Vermeidung verstärkt und Gewohnheit worden ist, erscheint die
Umkehrung dieses Musters nun für beide Seiten schwierig.
Der geführte Kampf um die Existenz der Klienten und um die
Existenz der eigenen Einrichtung, kann mehr und mehr traumabewältigende
Therapie ersetzen. Es entsteht die Gefahr, dass Erfolge in Asylverfahren die
kaum noch zu erreichenden therapeutischen Erfolge ersetzen und zum
Maßstab in Traumazentren werden.
Folgen für Therapeuten
Folgen für Therapeuten
Die Folge ist, dass insbesondere Mitarbeiter, die mit profunder
Selbst- und Lebenserfahrung sowie mit professioneller Hingabe und dem erhofften
Einsatz aller therapeutischen Möglichkeiten begonnen hatten, zunehmend
durch den beschriebenen Kampf ausgehöhlt werden, weil sie überwiegend
nicht zu der therapeutischen Arbeit kommen, für die sie sich über
Jahre aus- und weitergebildet haben. Therapeuten sind nicht nur Container
für die traumatischen Erlebnisse ihrer Klienten, sie sind auch Adressaten
von Gefühlen der Ohnmacht und Hilflosigkeit, von verzweifelten
Vermeidungsversuchen. Das von der Gegenseite, dem Staat und seinen
Behörden, zynisch aufgebaute Druckszenario beraubt sie ihrer
hochkompetenten professionellen Möglichkeiten. Es ist, als wären
Priester gezwungen, die Bibel aus der Hand zu legen und das Schwert zu
ergreifen.
Die zuvor für Therapeuten selbstverständlichen
Grundgefühle von Sicherheit, Schutz und Vorhersagbarkeit schwächen
sich ab, und es stellt sich erhöhte Vulnerabilität ein, bis hin zu
paranoid gefärbten Wahrnehmungen und Interpretationen.
Unruhezustände, wie wir sie von traumatisierten Klienten kennen, bilden
sich psychisch auch bei Therapeuten ab. In einer Therapeutengruppe wurde
Verhalten offenbar, das als ausprägt workaholic bezeichnet werden kann.
Die Arbeit wurde ausgedehnt, manchmal auf Abend-, Nacht- und Wochenendstunden.
Überstunden und Urlaubstage wurden eher dem Verfall überlassen.
Vorübergehende Phasen von euphorischer Hyperaktivität wechselten sich
ab mit Zusammenbrüchen, die im Volksmund wohl als hysterisch angesehen
würden. Die Gefühle von Ohnmacht und Verzweiflung machten sich in
gegenseitigen Beschuldigungen und Anfeindungen im Team Luft. Junge Praktikanten
schilderten panische Ängste, psychisch krank zu werden angesichts des
Modellverhaltens der festen Mitarbeiter. Streichungen von Mitteln durch den
Träger des Projekts führten zum „Verschwinden” von
Kollegen quasi über Nacht. Bei den verbliebenen Mitarbeitern breiteten
sich Phantasien von Krieg und Verfolgung in der eigenen Einrichtung aus. Der
Gebrauch von Schmerzmitteln war hoch: Therapeuten entwickelten ebenso
chronischen Kopfschmerz wie ihre Klienten. Ähnliche Tendenzen können
auch in Einrichtungen auftreten, in denen die Therapeuten nicht mit
traumatisierten Asylbewerbern, sondern mit aufenthaltssicheren Klienten
arbeiten. Differenzierende Untersuchungen zeigen aber auf, dass hier diese
Gefahr bei gut ausgebildeten und erfahrenen Therapeuten offenbar erheblich
geringer ist [21].
Zu dem äußeren Druck der Aufenthaltsgefährdung des
Klienten gesellen sich die in Traumazentren häufig beobachteten
Teamkonflikte, die im Grunde der schwierigen Arbeit mit Verfolgten und
Gefolterten unter den beschriebenen äußeren Stressoren der
Asylpolitik geschuldet sind. So kann der Druck auf Therapeuten auch intern
wachsen, psychosoziale Probleme in der Vordergrund stellen zu sollen. Klagen
der Klienten über anhaltende, manchmal „wandernde” Symptome
verstärken Rat- und Hilflosigkeit bei Therapeuten. Mit fortschreitender
emotionaler Aushöhlung von Therapeuten, die wohl durch das Ensemble der
Bedingungen dieser Arbeit entsteht, entwickeln sich leicht Prozesse
stellvertretender Traumatisierungen, die durch akute Asylprobleme der Klienten
und das gesteigerte „Kampfszenario” erheblich beschleunigt
werden. Es liegt daher nahe anzunehmen, dass Therapeuten in Traumazentren
gefährdeter sind, als Therapeuten, die andere extreme Traumata bei
aufenthaltssicheren Menschen bearbeiten.
Besonders belastende Situationen entstehen für Therapeuten
dann, wenn in Traumazentren nach außen das Etikett
„Therapie” verkauft werden muss, intern aber aus o. g.
Gründen Therapien kaum noch stattfinden können. Gleichzeitig verlangt
man den Therapeuten aber auch noch qualifizierte Stellungnahmen zur
Traumabiographie unter Einbeziehung angeblicher Therapiefortschritte ab. Ein
Therapeut berichtete: „Ich werde seit Jahren dazu gezwungen,
professionell zu lügen. Ich muss all das verleugnen, was ich gelernt habe.
Ich finde mich zum Kotzen. Ich muss das aber tun, sonst wäre ich ein noch
größeres ‚Schwein’, es gibt keinen Ausweg.”
Traumatisierte Behandlungsteams
Nur wenige Traumazentren verfügen personell über
wohldefinierte und voneinander abgegrenzte Rollenstrukturen, damit notwendige
und klare Aufgabenzuweisungen vorgenommen werden können. Die gleichzeitig
aufnehmenden und behandelnden Mitarbeiter sind damit oft in einer
problematischen universell - helfenden Rolle.
Das Wissen und die Erwartungen der Klienten in Bezug auf die
Möglichkeiten eines Traumazentrums sind zumeist sehr unklar. Oft glauben
sie anfangs an eine Omnipotenz der Mitarbeiter, sehen in allen Personen
Ärzte, die medizinisch heilen und gleichzeitig die herrschende Asylpolitik
besiegen, also einen gesicherten Aufenthalt herbeiführen können. Das
Akzeptieren von Aufgabenteilungen in einem Traumazentrum fällt den
Klienten nicht nur aus Mangel an Information schwer, sondern stellt auch ein
Vertrauensproblem dar: Die Betroffenen können allenfalls mühsam zu
einer Person Vertrauen herstellen, zumeist zu einem als Arzt angesehenen
Therapeuten bzw. einem Sozialarbeiter. Die Unsicherheit der hilfesuchenden
Klienten kann sich auf das Team übertragen, indem deren Mitglieder
ihrerseits unterlassen, ihre professionellen Möglichkeiten und Defizite
klar zu definieren. Durch Kompensation tatsächlicher Hilflosigkeit
können einzelne oder Gruppierungen in den Teams die Omnipotenzerwartungen
der Klienten annehmen und selber irrationale Ideen von Macht entwickeln.
Verschiedentlich wird auf die epidemische Kraft von
Traumatisierungen hingewiesen [28]. Metaphorisch
werden Parallelen zu Intoxikationen gezogen, die nicht nur einzelne Therapeuten
durch ihre Arbeit im System befallen, sondern sich durch
„Infektion” in Teams ausbreiten, so dass am Ende komplette Teams
stellvertretend traumatisiert erscheinen. Der sich beschleunigende Prozess ist
aus systemischer Perspektive fast unvermeidbar, wenn nicht wesentliche
Einwirkungen auf das Team eine Veränderung des gesamten Teams
ermöglichen. Dies wird z. B. durch Supervision oder externe
Evaluation oder Organisationsberatung versucht. Der Erfahrung nach sind diese
Möglichkeiten begrenzt, da der starke Wille dieser Systeme zur
Selbsterhaltung immer wieder versucht, ein inneres Gleichgewicht herzustellen,
auch um den Preis der Aufrechterhaltung von kollektiver stellvertretender
Traumatisierung.
Aus der Perspektive der Mitarbeiter in Traumazentren mutiert der
Staat, das eigene Heimatland, zum Gegner, in einer Weise, die der übrigen
Bevölkerung überwiegend verborgen bleibt. Ein demokratischer
Rechtsstaat wendet durch seine Organe und ausführenden Personen Mittel an,
die psychologischen Verfolgungs- und Folterstrategien in vielen Aspekten
ähnlich sind. Deren Ziel ist es, so viele Flüchtlinge wie
möglich wieder loszuwerden.
Dieses ist für das moralische Empfinden der meisten
aufgeklärten Menschen, die sich näher mit der Asylpolitik in Europa
beschäftigen, eine Ungeheuerlichkeit.
In wohl jedem Therapiezentrum für Folterüberlebende wird
die aktive Auflehnung der Mitarbeiter des Teams gegen diese Politik zur
verpflichtenden Grundüberzeugung und zur politisch-parteilichen
„Philosophie” der Einrichtungen. Eines der Hauptprobleme von
Therapiezentren scheint die extrem schwierige Vereinbarkeit dieser
Grundhaltungen mit erforderlichen professionellen und ethischen Codices
psychotherapeutischen, sozialarbeiterischen und ärztlichen Handelns zu
sein. In der Praxis sind die Gewichtungen von Hilfeverständnis dieser
Professionen untereinander schon traditionell sehr unterschiedlich. Damit
können sich aber diese Berufsgruppen in unterschiedlicher Weise der
Philosophie der Einrichtung bedienen und diese verschieden auslegen sowie damit
Konkurrenz- und Machtkonflikte verstärken. Wenn nicht, ähnlich wie in
oben beschriebenen therapeutischen Situationen, eine Regulierung von Nähe
und Distanz zu der „Dach-Philosophie” in pragmatischer Weise
gelingt, entsteht leicht ein Chaos in den Auftragsverständnissen einer
Einrichtung. Es liegt nahe, dass Gruppierungen im Team oder Leitungspersonen
gegenüber anderen Teammitgliedern Grenzen verletzen, um sie in das Korsett
ihres jeweiligen Hilfe- und Behandlungsverständnisses zu zwingen.
Ein Team ist für die einzelnen Behandelnden oft der einzige
emotionale und fachliche Rückhalt, der unbedingt gewährleistet sein
muss, um überhaupt die geschilderten Paradoxien der schwierigen
Behandlungsarbeit gegenüber den externen Stressoren der Asylpolitik
verarbeiten zu können, ohne Schaden zu nehmen. Wenn die Gratwanderung der
Nähe und Distanz bei einzelnen Therapeuten aus der Balance gerät,
wenn stellvertretende Traumatisierung droht, muss ein Team in der Lage sein,
dieses wieder herzustellen.
Wenn diese Balance im Team nicht mehr vorhanden ist, beschleunigt
sich der Prozess der stellvertretenden Traumatisierung zirkulär, sowohl
bei einzelnen wie auch im Team insgesamt. Darüber hinaus brechen
zwangsläufig die noch vorhanden protektiven Ressourcen einzelner zusammen
und es entsteht fundamentale Existenzangst, die subjektiv der Verfolgung und
Bedrohung der gefolterten Klienten ähnlich erscheint. Ähnlich wie
ihre eigenen Klienten erleben sie fassungslos den Bruch des Rückhalts im
Team als surrealen Verrat, double-bind-geleitet und sich selbst fast als
paranoid.
Es liegt auf der Hand, dass in solchen Teams starke Spannungen
entstehen können, mit Täter-Opfer-Zuschreibungen, gegenseitigen
Schuldzuweisungen und Vernichtungsphantasien untereinander. Innere Spaltungen,
Ausstoßungen oder Missbrauch von Leitungsmacht werden von Akteuren als
selbstverschuldet und/oder unvermeidbar gerechtfertigt.
In die Zirkularität der Vermeidung in der Dyade Klient
- Therapeut klinkt sich leicht das Team eines Traumazentrums ein, indem
Ohnmacht und Hilflosigkeit z. B. durch Umdeutungen oder Infragestellung
von Hilfe- und Therapiebegriffen abgewehrt werden. Grenzen beruflicher
Identität werden leicht überschritten. Der Zusammenbruch
therapeutischer Ethik kann durch Erfolge in Asylverfahren kompensiert werden,
die dann leicht zum Maßstab allen Handelns werden. Supervisionen
können als erhofftes Allheilmittel oft keine Veränderung mehr
bewirken.
Hinzu kommt, dass der Zwang der meisten Traumazentren, sich in der
Öffentlichkeit darzustellen zu müssen, um bitter notwendige
Geldmittel einzuwerben, die kollektive Vermeidung durch unvollständige
Selbstdarstellungen erheblich verstärken kann. Das
„Fundraising” kann sogar konkurrierende Situationen von
Traumazentren untereinander erzeugen.
Schlussfolgerungen
Schlussfolgerungen
Die entwickelten Überlegungen sind überwiegend
erfahrungsbegründet und bedürfen wissenschaftlich fundierter
Untersuchungen. Neben den existierenden Selbstevaluationen von Therapiezentren
für Folterüberlebende bedarf es besonders der Untersuchung von
Teamstrukturen und deren inhärenten Gefahren der stellvertretenden
Traumatisierung aus externer, objektiver Perspektive.
Solange nicht eine flächendeckende, staatlich anerkannte und
unterstützte Regelversorgung von traumatisierten Flüchtlingen im
Asylverfahren unter einer positiv veränderten Asylpolitik geschaffen ist,
können keine befriedigenden Lösungen, schon gar nicht
„Rezepte” hinsichtlich der beschriebenen Dilemmata entwickelt
werden.
Für die gegenwärtige Situation sollen daher nur Anregungen
für weiterführende Diskussionen gegeben werden [37]:
-
Zunächst scheint eine vereinfachte Schlussfolgerung nahe zu
liegen, aus fachlichen und ethischen Gründen nur gut ausgebildete und
persönlich stabile Sozialarbeiter, evtl. noch Rechtsanwälte und
Allgemeinmediziner in Traumazentren für Flüchtlinge zu
beschäftigen und jegliche Therapie auszuklammern. Angesichts der
drängenden Problematik traumatisierter Flüchtlinge würde aber
ein solch radikaler Ansatz bedeuten, vor dem Staat und seinen Behörden zu
kapitulieren. Vielmehr sollten professionelle Aufgaben streng voneinander
getrennt werden und im Team die Sozialarbeiter überwiegen, solange die
Mehrzahl der Klienten keinen sicheren Aufenthalt hat. Z.B. zeugen die
Jahresberichte von Traumazentren [14]
[15] in Deutschland davon, dass unter den
Aufgenommenen die Klienten ohne Aufenthaltssicherung mit bis zu
95 % [15] weit überwiegen.
-
Im Zusammenschluss aller bestehenden Traumazentren auf der Ebene
der Europäischen Union können Statuten entwickelt werden, die
u. a. sicherstellen oder anstreben, dass Mitarbeiter in Traumazentren
unter menschlich und fachlich würdigen Bedingungen arbeiten können.
Einrichtungsinterne Statuten können dies aufgrund der Verstrickungen mit
Arbeitgebern und Leitungen zumeist nicht gewährleisten.
-
Durch zu wählende unabhängige fachkompetente Gremien
sollten Standards notwendiger Qualifikationen für die Mitarbeiter in
Traumazentren geschaffen und überwacht werden. Die Verfügbarkeit
eines europäischen Netzwerks von geeigneten Supervisoren und
unabhängigen Gutachtern kann die Mitarbeiter entlasten. Supervision und
Statuten sollten sicherstellen, dass Therapeuten nicht missbraucht werden bzw.
sich nicht selbst missbrauchen.
-
In Ergänzung zu den herkömmlichen therapeutischen
Schulen muss eine besondere Weiterbildung für Traumatherapie stattfinden.
Z.B. können Sozialarbeiter mit dem weiterführenden Abschluss
„klinische Sozialarbeit” [38]
Case-Management, qualifizierte Anamnesen, psychoedukative, soziotherapeutische,
bis hin zu notfallpsychologische Behandlungen durchführen. Das heißt
nicht, dass nun die Probleme der Vermeidung und stellvertretenden
Traumatisierung einfach auf hoch qualifizierte Sozialabeiter verschoben werden.
Vielmehr sollte ein wohl definierter Raum der Arbeit mit traumatisierten
Asylbewerbern entstehen, in dem einerseits die „handwerklichen”
Fähigkeiten der Mitarbeiter gegeben sind, andererseits aber auch mit gut
abgegrenzter Vorfeldarbeit die Voraussetzungen für eine mögliche
spätere konsistente Traumatherapie nach Erreichen eines sicheren
Aufenthaltstatus geschaffen werden.
-
Durch Supervision und Weiterbildung sollte Rollenklarheit der
Professionen gewährleistet werden.
-
Hohe Belastungen der Traumaarbeit erfordern eine hohe
Strukturierung des gesamten therapeutischen Prozesses [30]. In vielen Einrichtungen wird einfach mit Beratung,
Unterstützung und Behandlung „losgelegt”. Versäumt wird
in der Regel ein psychoedukativer auftragsklärender Vorlauf, die
Sicherstellung des Einverständnisses der Klienten für
Behandlungsschritte, die vertragsmäßige partnerschaftliche
Zusammenarbeit mit ihnen und schließlich das strukturierte Vorgehen der
Stabilisierung durch Ressourcenarbeit vor der
Expositionsphase.
-
Für Therapeuten in Behandlungsteams gilt, dass es
gesünder erscheint, geplant und aufklärend an der Auflösung von
Vermeidung zu arbeiten. Wenn auch das gemeinsame narrative Aufarbeiten der
wirklichen traumatischen Ereignisse eine große momentane Belastung
für Klienten wie Therapeuten darstellt, so ist auf Dauer „das
Innere nach Außen kehren” der sinnvollste und
erfolgversprechendste Weg zum Überleben, eben auch für die
Therapeuten und deren Teams.