Z Gastroenterol 2002; 40(S2): 68-70
DOI: 10.1055/s-2002-35893
Supplement
© Karl Demeter Verlag im Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ätiologie und molekulare Pathogenese des Morbus Crohn

J. Schölmerich
  • 1Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I, Klinikum der Universität Regensburg
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Publication Date:
04 December 2002 (online)

Auch wenn die offizielle Erstbeschreibung des Morbus Crohn inzwischen 70 Jahre her ist, sind seine Ätiologie und seine Pathogenese nach wie vor nicht vollständig verstanden. In den letzten zwei Jahrzehnten haben verschiedene Befunde zur Genetik, zu Patientenphänotypen, zu Umwelteinflüssen, zu Veränderungen des mukosalen Immunsystems und zu Störungen der Interaktion der Darmschleimhaut und ihrer einzelnen Zellpopulationen mit den luminalen autochtonen Bakterien dennoch viele Fortschritte erbracht.

Das Beispiel des Wollkopfäffchens (Saguinus oedipus oedipus), das in seinem natürlichen Lebensraum, den Wäldern Zentralamerikas, selten Darmentzündungen aufweist, gibt ein Paradigma für die menschliche Erkrankung. Werden diese Primaten in Gefangenschaft gehalten, entwickeln sehr viele von ihnen eine familiär betonte, chronisch entzündliche Darmerkrankung. Dies zeigt, dass genetische Grundlagen und Umweltfaktoren zumindest hier eine Rolle spielen - offenbar ist es beim Menschen ähnlich. Ein wesentlicher Hinweis für die Existenz einer genetischen Suszeptibilität ergibt sich aus Zwillingsstudien, wo die monozygoten Zwillinge eine deutlich höhere Konkordanzrate als dizygote Zwillinge aufweisen [1]. Vor zwei Jahren wurde nun auch das erste Gen, dessen Mutation zu einem Morbus-Crohn-artigen Krankheitsbild führt, entdeckt, das NOD2-Gen, dessen Produkt offenbar in die Vermittlung von Signalen bakterieller Produkte an die Wirtszelle involviert ist. Diese Mutation scheint für 10 bis 20 % der Patienten mit Morbus Crohn verantwortlich zu sein (Abb. [1]) [2 5]. Sie ist vorwiegend mit Dünndarmbefall assoziiert und scheint häufiger mit einem strikturierenden Phänotyp denn mit perforierenden oder inflammatorischen Krankheitsverläufen assoziiert zu sein [6 9].

Abb. 1 Denkbare Rolle des Genprodukts von NOD2 und der Interak­tion zwischen intestinalen Bakterien und der Entzündungskaskade in intestinalen Immunzellen

Die Tatsache, dass diese Mutation nur für eine Subgruppe der Patienten verantwortlich und offenbar auch mit einer besonderen Lokalisation und eventuell einem speziellen Phänotyp assoziiert ist, weist darauf hin, dass es zweifelsohne unterschiedliche Subgruppen von Patienten mit Morbus Crohn gibt, dass also der Morbus Crohn eigentlich ein Crohn-Syndrom darstellt [8]. Dies entspricht auch der täglichen klinischen Erfahrung - der Vergleich von Patienten mit perianalem Morbus Crohn mit solchen, die eine umschriebene Stenosierung im Bereich der Ileozökalklappe aufweisen mit wiederum Patienten mit Befall des oberen Gastrointestinaltrakts oder auch ausgedehntem Kolonbefall macht deutlich, dass es sich hier um verschiedene Phänotypen handelt. Man muss wohl davon ausgehen, dass diesen verschiedenen Phänotypen auch verschiedene Genotypen zugrunde liegen. Erste Daten bezüglich chirurgischer, aber auch konservativer Therapieverfahren zeigen, dass diese unterschiedlichen Phänotypen offenbar auch unterschiedliche therapeutische Bedürfnisse haben. Die kürzlich ausgearbeitete Vienna-Klassifikation [8] gibt einen Ansatz einer Patientensubgruppierung, sie muss aber zweifelsohne gerade im Lichte neuer Befunde weiter verfeinert und entwickelt werden.

Epidemiologische Studien zeigen, dass ein Nord-Süd-Gradient bezüglich des Anstiegs der Inzidenz des Morbus Crohn in Europa besteht; inzwischen finden sich ähnliche Inzidenzanstiege auch in Ländern Asiens oder Südamerikas. Dies deutet darauf hin, dass Umweltfaktoren eine Rolle spielen, die offenbar in Nordeuropa früher als in Südeuropa und hier wiederum eher als in früheren Ländern der Dritten Welt auftreten. Es ist bislang kein einzelner Umweltfaktor gefunden worden, zahlreiche Arbeiten deuten aber darauf hin, dass ein hoher Hygienestandard in der frühen Kindheit (oder mit diesem assoziierte sozialökonomische Faktoren) mit einem erheblich erhöhten Risiko einer späteren Manifestation eines Morbus Crohn einhergehen (Tab. [1]) [10]. Untersuchungen, die zeigen, dass das Vorhandensein älterer Geschwister, die erfahrungsgemäß Infektionen vom Kindergarten oder der Schule mit nach Hause bringen, jüngere Geschwister gegen das spätere Auftreten eines Morbus Crohn schützt, weisen in eine ähnliche Richtung. Zweifelsohne sind aber auch die häufige Nutzung von nicht-steroidalen Antiphlogistika oder Antibiotika in entwickelten westlichen Ländern als Faktoren zusätzlich denkbar. Beide Konzepte weisen darauf hin, dass die im Tiermodell gezeigte Rolle der intestinalen Bakterien auch beim Menschen vermutlich Bedeutung hat.

Tab. 1 Hygiene in der Kindheit - CED 10 Frühkindliche RR Situation MC CUC Wasserhahn (heiß) 5.0 (1.4 - 17.3) 1.3 (0.7 - 2.2) Wasserhahn 1.8 (0.6 - 5.4) 0.9 (0.5 - 1.7) separate Toilette 3.3 (1.3 - 8.3) 1.3 (0.7 - 2.4) Abwassersystem 2.6 (0.9 - 7.3) 1.2 (0.7 - 2.1) Appendektomie 1.4 (0.6 - 3.4) 0.3 (0.1 - 0.6)

Bei Gesunden weisen die 1014 Bakterien im Intestinaltrakt eine gut balancierte Homeostase mit der enormen Oberfläche des Intestinaltraktes auf. Bakterien haben einen wesentlichen Einfluss auf die Expression von Genen in intestinalen Zellen (Tab. [2]) [11] ebenso wie auf die intestinale Permeabilität und andere Eigenschaften der Darmoberfläche. Praktisch alle Tiermodelle für chronisch entzündliche Darmerkrankungen sind abhängig von der Gegenwart von Bakterien [12] [13]. Auch am Menschen ließ sich zeigen, dass die normalerweise vorhandene Toleranz der intestinalen Immunzellen gegenüber der eigenen Darmflora bei Patienten mit aktivem Morbus Crohn durchbrochen ist (Tab. [3]) [14]. Somit muss man davon ausgehen, dass die primären genetischen Defekte im Wesentlichen dazu führen, dass die normalerweise vorhandene Toleranz gegenüber der eigenen Darmflora aufgehoben ist. Dies bedeutet, dass die Effekte auf ganz unterschiedlichen Ebenen liegen, da auch die Toleranz durch sehr unterschiedliche Mechanismen vermittelt werden kann (Abb. [2]) [15]. Andere denkbare Defekte betreffen die Apoptose intestinaler Immunzellen [16], die intestinale Permeabilität [17], aber auch alternative Überlegungen wie Störungen von Transportvorgängen in Epithelzellen.

Tab. 2 Einfluss der Besiedelung auf die Genexpression im Darm 11 Steigerung (x-fach)* Na+/Glukose Kotransporter 2.6 ± 0.9 Colipase 6.6 ± 1.9 Metalothionein -5.4 ± 0.7 Immunglobulinrezeptor 2.6 ± 0.7 Multidrug resistance protein (Mdr 1a) -3.8 ± 1.0 Small proline rich protein 2a 205 ± 64 * relativ zu keimfrei

Tab. 3 Die Toleranz gegenüber residenter intestinaler Flora ist bei ­aktivem M. Crohn gestört 14 autologes Sonicat heterologes Sonicat anaerob aerob anaerob aerob Kontrollen (n = 9/6) 751** 710 11756 12276 MC inaktiv (n = 6/3) 698 800 8719 12462 MC aktiv (n = 5/3) 17553 15467 8109 8410 * Proliferation als ct/min. Toleranz kann in Mäusen durch IL-10 oder anti IL-12 ­wiederhergestellt werden!

Abb. 2 Möglichkeiten der Aufrechter­haltung einer immunologischen Toleranz im Intestinaltrakt [15]

Auch wenn sich bislang kein Hinweis darauf hat finden lassen, dass eine gestörte Produktion oder Aktivierung von Zytokinen ätiologisch von Bedeutung sind, wurde zwischenzeitlich klar, dass einige dieser Botenstoffe wesentlich in die Pathophysiologie der intestinalen Entzündung bei Morbus Crohn involviert sind. Tierexperimentell hat sich zeigen lassen, dass die Blockade einzelner Zytokine Entzündungsmodelle moduliert. Die Effekte sind additiv, was erklärbar wird durch das redundante System dieser Botenstoffe [18]. Auch die Blockade der nukleären Translokation des zentralen Transkriptionsfaktors NFκB [19] moduliert die ­experimentelle Colitis [20] [21] und hat sich auch bei einigen Patienten als wirksam erwiesen. Prinzipiell sind aber die pathophysiologischen Ereignisse nicht spezifisch für CED, sondern entsprechen denen bei generellen Entzündungsvorgängen. Sie wurden dennoch an diesem Exempel erneut auf einem hohen Niveau untersucht. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse zeigen - wie bereits erwähnt - ein außerordentlich redundantes System pro- und antiinflammatorischer Mediatoren, was erklärt, warum bislang im Wesentlichen pluripotente Medikamente therapeutisch wirksam sind wie beispielsweise 5-Aminosalicylsäure, Glukokortikosteroide, Azathioprin oder der Apoptose-induzierende TNF-Antikörper Infliximab [22].

Zusammenfassend ist heute gesichert, dass genetische Suszeptibilität und Umweltfaktoren für die Manifestation der Erkrankung von Bedeutung sind. Nach dem Auffinden des ersten Gens, dessen Mutation eine Rolle spielt, ist mit weiteren Befunden dieser Art in Bälde zu rechnen. Erhöhte Permeabilität, eine gestörte Funktion bestimmter Botenstoffe, Störungen der bakteriellen Adhärenz an Epithelzellen und viele andere Prinzipien sind denkbar. Die Umweltfaktoren umfassen im Wesentlichen die bakterielle Flora, aber auch Nahrungsbestandteile, Medikamente, Toxine und mit einiger Sicherheit frühkindliche Hygiene oder Faktoren, die mit dieser assoziiert sind. Vermutlich sind verschiedene Gene und verschiedene Umweltbedingungen für die unterschiedlichen Subgruppen des Morbus Crohn bedeutsam. Die Pathophysiologie wird durch eine Vielzahl von Mediatoren bestimmt, die in redundanter und daher schwierig zu modulierender Form das Entzündungsgeschehen vermitteln.

Literatur

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  • 22 Schölmerich J. Therapeutische Innovationen bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen durch „biologische Therapie” - anti-TNF und andere.  Internist, im Druck.

Prof. Dr. Jürgen Schölmerich

Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I, Klinikum der Universität Regensburg

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