Pneumologie 2003; 57(1): 15-18
DOI: 10.1055/s-2003-36639
Kasuistik
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Siderofibrose, atypische Mykobakteriose und Lungentransplantation bei einem Behälterschweißer

Siderofibrosis, MOTT, and Lung Transplantation in a Worker Welding in Confined SpacesE.  Scharrer1 , I.  Bittmann2 , J.  Behr3 , D.  Nowak1
  • 1Institut und Poliklinik für Arbeits- und Umweltmedizin, Klinikum der Universität München · Innenstadt
  • 2Institut für Pathologie, Universität München (Direktor: Prof. Dr. med. U. Löhrs)
  • 3Medizinische Klinik und Poliklinik I · Schwerpunkt PneumologieKlinikum der Universität München · Großhadern (Direktor: Prof. Dr. med. G. Steinbeck)
Den beteiligten Kliniken Löwenstein, Wangen, München-Großhadern sei für die Überlassung der Röntgenbilder gedankt.
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Prof. Dr. med. D. Nowak

Institut und Poliklinik für Arbeits- und Umweltmedizin · Klinikum der Universität - Innenstadt

Ziemssenstr. 1

80336 München

Email: Dennis.Nowak@arbeits.med.uni-muenchen.de

Publication History

Eingereicht: 6. Dezember 2002

Angenommen: 9. Dezember 2002

Publication Date:
15 January 2003 (online)

Table of Contents #

Einführung

Eine langjährige intensive Exposition gegenüber hohen Konzentrationen von Schweißrauchen führt in Einzelfällen zu einer Siderose und zu einer Siderofibrose. Die in diesem Heft veröffentlichte Arbeit von Buerke et al. [1] und die zugrundeliegende Fallserie [2] sind Anlass, den besonders komplizierten Krankheitsverlauf eines Patienten mit Siderofibrose etwas ausführlicher darzustellen. Es handelt sich um den Patienten W. S. in [2] entsprechend Patient 2 in [1].

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Vorgeschichte

Im 10. Lebensjahr erlitt der 1950 geborene Patient eine Meningitis - ob spezifisch, war später nicht mehr eruierbar.

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Mykobakteriose links und Siderose

Im 25. Lebensjahr (1975) fiel anlässlich einer Röntgen-Reihenuntersuchung eine inhomogene Verschattung im linken Lungenoberfeld auf. Der Tine-Test war hoch positiv. Unter der Verdachtsdiagnose einer Tuberkulose wurde der Patient in die Lungenklinik eingewiesen. Dort war die Tuberkulinprobe mit 1 : 10 000 positiv. Die Röntgenaufnahme der Thoraxorgane zeigte apikodorsal links eine umschriebene 3 × 2 × 2 Bild-cm durchmessende inhomogene Verdichtungsfigur (Tomographie Abb. [1]). Außerdem imponierte ein feinfleckig disseminierter Parenchymprozess beidseits, betont in den mittleren Lungenpartien. Bronchoskopisch ergab sich eine hypersekretorische Bronchitis. Histologisch zeigte das transthorakale Punktat des linken Lungenoberlappens eine ausgeprägte Siderose des alveolären Parenchyms mit verstärkter Staubspeicherung in den Makrophagen. Bakteriologisch waren im Sammelsputum Mykobakterien nachweisbar. Die Kultur ergab das Vorliegen von Mycobacterium kansasii, empfindlich auf Myambutol, D-Cycloserin, Ethionamid, resistent auf Steptomycin, PAS, INH, Rifampicin und Viomycin. Unter einer Kombinationstherapie mit Myambutol und Neoteben bildete sich der Oberlappenprozess bis auf kleinknotig-streifige Residuen gut zurück. Wegen der Siderose, die noch nicht mit einem Funktionsschaden einherging, wurde eine Umschulung empfohlen. Bis 1987 stellte sich die Röntgenmorphologie praktisch unverändert dar.

Im Jahre 1987 erstattete der behandelnde Pneumologe eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit („Schweißerlunge bei histologisch gesicherter Siderose der Lunge”). Die Anerkennung einer Berufskrankheit wurde vom zuständigen Unfallversicherungsträger abgelehnt, da eine Lungenfibrose nach Elektroschweißertätigkeit nach Auffassung des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften nicht wie eine Berufskrankheit nach § 551 (2) RVO anzuerkennen sei.

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Abb. 1 Die Tomographie (16.10.1975) zeigt den links apikalen Verdichtungsherd mit exzentrischer Einschmelzung vor Beginn der antimykobakteriellen Chemotherapie (Klinik Löwenstein).

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Pleuraempyem rechts, Oberlappenresektion und Dekortikation

Im Jahre 1993 traten Husten, Müdigkeit, Fieber, Schweißausbrüche und Gewichtsabnahme auf. Unter der Diagnose eines zerstörten rechten Oberlappens und eines chronischen Pleuraempyems rechts apikal mit erheblicher Verschwartung und entzündlicher Umgebungsreaktion (Abb. [2]) erfolgte in einer anderen Lungenklinik die operative Dekortikation und Resektion des rechten Oberlappens.

Die histologische Aufarbeitung ergab eine bereits erhebliche Lungensiderose mit auffallend starken Gefäßveränderungen (Prof. Müller, Bochum). Die zwischenzeitlich angezeigte Silikose (BK 4101) liege nicht vor. Hingegen sei die ungewöhnlich ausgeprägte Siderose mit hoher Wahrscheinlichkeit als Folge der Schweißrauchexposition zu werten.

Funktionsanalytisch bestand eine kombinierte Ventilationsstörung (VK = 2,3 l entsprechend 47 % Soll, FEV1 = 0,9 l entsprechend 24 % vom Soll) mit ausgeprägter Diffusionsstörung sowie blutgasanalytisch nachweisbarem pathologischen Abfall des Sauerstoffpartialdrucks bereits bei leichter körperlicher Belastung (paO2 Ruhe = 87 mm Hg, unter 75 Watt = 53 mm Hg).

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Abb. 2 Oberlappendestruktion und Plauraempyem rechts (7. 7. 1993), verstärkte Parenchymzeichnung, Zustand vor Oberlappenresektion und Dekortikation rechts (Klinik Wangen).

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Unilaterale Lungentransplantation links

In den Folgejahren bis 1998 ergab sich eine kontinuierliche Verschlechterung der körperlichen Belastbarkeit. Radiologisch imponierten progrediente fibrotische Ballungsherde in den Mittelfeldern bei zunehmender Überblähung in den unteren Lungenabschnitten (Abb. [3]). Funktionsanalytisch betrug bei konstanter Vitalkapazität die Einsekundenkapazität nurmehr 0,7 l (entsprechend 17 % vom Soll), das intrathorakale Gasvolumen entsprach mit 6,2 l (entsprechend 180 % vom Soll) einer massiven Überblähung. Der bereits in Ruhe erniedrigte Sauerstoffpartialdruck von 65 mm Hg fiel unter nur 20 Watt auf 56 mm Hg ab. Es wurde die Indikation zur unilateralen Lungentransplantation links gestellt, die Operation erfolgte im Juli 1998. Die postoperative Lungenfunktionsuntersuchung zeigte mit einer Einsekundenkapazität von 2,1 l und einem Sauerstoffpartialdruck in Ruhe von 74 mm Hg zunächst eine deutliche Besserung. Postoperativ entwickelte sich eine Transplantatpneumonie mit Stenotrophomonas maltophilia (Abb. [4]), die sich unter adäquater antibiotischer Behandlung zurückbildete.

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Abb. 3 Konfluierende Ballungsherde in beiden Mittelfeldern (22. 1. 1998, Klinik Wangen).

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Abb. 4 Zustand nach linksseitiger Lungentransplantation, Transplantatpneumonie durch Stenotrophomonas maltophilia (28. 7. 1998, Klinikum Großhadern).

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Reaktivierung der Mykobakteriose rechts, Rest-Pneumektomie

Unter der immunsuppressiven Behandlung kam es Ende 1998 zu einer Reaktivierung der atypischen Mykobakteriose im verbliebenen rechten Lungenflügel, die eine Pneumektomie mit Resektion der 2. bis 10. Rippe und Thorakoplastik mittels Musculus latissimus dorsi-Lappen erforderlich machte. Das postoperative Röntgenbild der Thoraxorgane ist in Abb. [5] dargestellt. Histologisch ergab sich das in Abb. [6] dargestellte Bild einer ausgeprägten Siderofibrose.

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Abb. 5 Zustand nach rechtsseitiger Rest-Pneumektomie und Thorakoplastik wegen reaktivierter Mykobakteriose (4. 12. 1998, Klinikum Großhadern)

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Abb. 6 Explantierte Lunge, hochgradige interstitielle Speicherung von braun-schwarzen Eisenoxid-Partikeln und goldbraunen Hämosiderinpartikeln daneben eine knotige Fibrose (H & E, Originalvergrößerung × 100), positive Reaktion der Hämosiderinpartikel in einer Berliner-Blau-Reaktion (Inset: Originalvergrößerung × 200).

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Zigarettenanamnese

Von 1970 bis 1994 rauchte der Patient etwa 20 Zigaretten pro Tag.

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Arbeitsanamnese

Von 1965 bis 1969 hatte der Patient eine Ausbildung zum Maschinenschlosser absolviert und etwa 1 Stunde arbeitstäglich E-Schweißarbeiten verrichtet. Von 1969 bis 1975 war er arbeitstäglich 10 bis 12 Stunden beim E-Schweißen von Tanks und Fäkalienbehältern für die Bahn eingesetzt. Es existierte zwar eine transportable Absauganlage, jedoch war die Entwicklung von Schweißrauchen so ausgeprägt, dass die Arbeit wegen der schlechten Sichtverhältnisse immer wieder unterbrochen werden musste. Von 1976 bis 1979 wurden in anderen Firmen wiederum in der Behälterbau-Branche ähnliche Schweißarbeiten ausgeführt. Von 1979 bis 1993 schweißte der Patient dann 6 Arbeitsstunden täglich Heizöltanks in Kellern von Einfamilienhäusern. Es existierten teilweise Belüftungsmöglichkeiten mit Gebläse, jedoch keine Absauganlagen. Seit 1993 ist der Patient Erwerbsunfähigkeits-Rentner.

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Untersuchungsbefunde

Bei der Untersuchung des Patienten im April 1999 wurde Belastungsluftnot beim Ersteigen von 12 Stufen geklagt, außerdem Husten und thorakales Engegefühl bei Exposition gegenüber unspezifischen Stimuli. Bei der körperlichen Untersuchung imponierte eine rechtskonvexe Skoliose bei Zustand nach rechtsseitiger Pneumektomie, links war leises Vesikuläratmen auskultierbar. Das Lungenfunktionsmuster entsprach einer schweren Restriktion ohne Obstruktion (VK = 1,8 l entsprechend 36 % Soll, FEV1 = 1,7 l entsprechend 46 % Soll, ITGV = 1,9 l entsprechend 55 % Soll). Der in Ruhe mit 83 mm Hg normale Sauerstoffpartialdruck fiel unter 50 Watt Belastung (entsprechend 40 % der WHO-Mindestsolleistung) auf 71 mm Hg ab.

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Beurteilung und gutachterliche Bewertung

Die vorliegende Krankengeschichte ist ein tragisches Beispiel für das vollständige Versagen arbeitstechnischer Präventionsmaßnahmen in unglücklicher Kombination mit einem schicksalhaft komplikationsbelasteten Verlauf einer atypischen Mykobakteriose. Trotz der bereits 1975 histologisch im transthorakalen Punktat als Zufallsbefund gesicherten exogenen Siderose des alveolären Parenchyms verrichtete der Patient weitere 18 Jahre Schweißarbeiten unter teilweise extremen Arbeitsbedingungen. Die Siderose selbst ist als zunächst harmlose „Tätowierung” der Lunge ein Indikator eines erhöhten Fibroserisikos. Sie muss zur Reduktion der Exposition führen. Seit mit dem neuen SGB VII nicht nur die Verhütung von Berufskrankheiten, sondern auch die Verhütung arbeitsbedingter Erkrankungen Aufgabe der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung ist, ist die Prävention vergleichbarer Fälle für die Zukunft weitaus besser geregelt.

Im Zuge einer vorangegangenen Begutachtung war ärztlicherseits die Anerkennung einer Siderofibrose über § 9 (2) SGB VII (Öffnungsklausel) empfohlen worden, zusätzlich die Anerkennung der Obstruktion als BK 4302. Der zuständige Unfallversicherungsträger folgte nur letzterer Empfehlung. Bei der jetzigen gutachterlichen Untersuchung bestand keine Obstruktion. Die Beurteilungsschwierigkeit ergab sich aus folgenden Überlegungen:

  • Naturwissenschaftlich besteht kein Zweifel an der Verursachung der Siderofibrose durch die Tätigkeit. Die linksseitige Transplantation war Folge der fortschreitenden Fibrose, die Reaktivierung der rechtsseitigen Mykobakteriose war Folge der durch die Transplantation erforderlichen immunsuppressiven Therapie. Der gesamte Funktionsschaden wäre somit unschwer kausal der beruflichen Einwirkung zuzuordnen.

  • Solange der ärztliche Sachverständigenbeirat - Sektion Berufskrankheiten - beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (jetzt: Wirtschaft und Arbeit) über die Aufnahme der Siderofibrose in die Liste der Berufskrankheiten berät, sehen einige Verwaltungsjuristen eine Sperrwirkung: Nach Auffassung des Bundessozialgerichtes darf dem Verordnungsgeber nicht auf dem Wege über die Öffnungsklausel vorgegriffen werden. An anderer Stelle (vgl. Elster in BKR zu § 551 Abs. 2 RVO, S. 74.3, 74.4) wird dazu die Auffassung vertreten, „…dass, soweit seltene Einzelfälle zur Entscheidung anstehen, die Kompetenz des Verordnungsgebers durch eine positive Entscheidung des Unfallversicherungsträgers wohl kaum tangiert wird”.

In solchen Fällen - dies sei als persönliche Anmerkung verstanden - möchte man das Sonderentscheidverfahren der ehemaligen DDR revitalisiert wissen. Es würde die mühselige und im Einzelfall ins Bizarre gehende medizinjuristische Diskussion über die Gruppentypik seltener Krankheiten abkürzen, ohne die Schleusen zu öffnen für unbegründete Massenanerkennungen [3]. Für den hier betroffenen Patienten ist die Argumentationslinie schwer nachvollziehbar. Die Arbeit von [1] leistet somit einen Beitrag zur Klärung der Situation.

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Literatur

Prof. Dr. med. D. Nowak

Institut und Poliklinik für Arbeits- und Umweltmedizin · Klinikum der Universität - Innenstadt

Ziemssenstr. 1

80336 München

Email: Dennis.Nowak@arbeits.med.uni-muenchen.de

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Literatur

Prof. Dr. med. D. Nowak

Institut und Poliklinik für Arbeits- und Umweltmedizin · Klinikum der Universität - Innenstadt

Ziemssenstr. 1

80336 München

Email: Dennis.Nowak@arbeits.med.uni-muenchen.de

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Abb. 1 Die Tomographie (16.10.1975) zeigt den links apikalen Verdichtungsherd mit exzentrischer Einschmelzung vor Beginn der antimykobakteriellen Chemotherapie (Klinik Löwenstein).

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Abb. 2 Oberlappendestruktion und Plauraempyem rechts (7. 7. 1993), verstärkte Parenchymzeichnung, Zustand vor Oberlappenresektion und Dekortikation rechts (Klinik Wangen).

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Abb. 3 Konfluierende Ballungsherde in beiden Mittelfeldern (22. 1. 1998, Klinik Wangen).

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Abb. 4 Zustand nach linksseitiger Lungentransplantation, Transplantatpneumonie durch Stenotrophomonas maltophilia (28. 7. 1998, Klinikum Großhadern).

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Abb. 5 Zustand nach rechtsseitiger Rest-Pneumektomie und Thorakoplastik wegen reaktivierter Mykobakteriose (4. 12. 1998, Klinikum Großhadern)

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Abb. 6 Explantierte Lunge, hochgradige interstitielle Speicherung von braun-schwarzen Eisenoxid-Partikeln und goldbraunen Hämosiderinpartikeln daneben eine knotige Fibrose (H & E, Originalvergrößerung × 100), positive Reaktion der Hämosiderinpartikel in einer Berliner-Blau-Reaktion (Inset: Originalvergrößerung × 200).