Notfall Medizin 2003; 29(1/2): 42-43
DOI: 10.1055/s-2003-37796
Fokus

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Suizidversuch im Alter

KasuistikW. Kösters1
  • 1Maria-Hilf-Krankenhaus, Bergheim
Further Information
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Anschrift des Verfassers

Dr. W. Kösters

Maria-Hilf-Krankenhaus

50126 Bergheim

Publication History

Publication Date:
11 March 2003 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Suizide im Alter und Suizidversuche des geriatrischen Patienten sind in der Literatur als recht häufig angegeben. Es handelt sich hier um die sogenannten Bilanzselbstmorde. Gefährdetsind besonders Menschen zwischen 65 und 80 Jahren, die sich am Ende ihrer aktiven Zeit sehen. Ihre Zukunft sehen sie meist leiderfüllt und fürchten, vermehrt auf die Hilfe andererangewiesen zu sein.Entsprechende spezielle Veröffentlichungen sind jedoch selten und auch über ausgewieseneExperten auf diesem Gebiet kaum zu erhalten. Aus diesem Grund soll die Kasuistik auf dieProblematik des Suizidversuchs beim alten Patienten aufmerksam machen.

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Summary

Suicide in the elderly, together with attempted suicides in geriatric patients are claimed by reports in the literature to be quite common. Such suicides are referred to as ¿balance-sheet¿ suicide. At particular risk are persons aged between 65 and 80, who consider themselves to have reached the end of their active (useful) life, expect to experience a future full of misery, and fear becoming dependent on help from others. Relevant publications are, however, rare and difficult to come by even via recognized experts in this area. For this reason, the case report aims to draw the reader 's attention to this problem of suicide/attempted suicide in the elderly.

Am 10.12.2000, also in der Vorweihnachtszeit, in der es statistisch zu einer erhöhten Suizidrate kommt, wurde unser NEF (Notfall-Einsatz-Fahrzeug) gegen 14.10 Uhr notfallmäßig zu einer 79-jährigen Patientin gerufen. Das Einsatzstichwort lautete: ¿Verdacht auf Apoplex¿.

Fast zeitgleich trafen RTW (Rettungswagen) und NEF gegen 14.17 Uhr am Einsatzort ein. An der Haustür wurden wir von der recht aufgeregten Tochter empfangen, die aufgrund der mittäglichen Unterbrechung der Sprechstunde beim Hausarzt in ihrer Not den Notarzt verlangt hatte. Die Tochter berichtete, dass sie ihre Mutter schläfrig im Bett vorgefunden hatte; die Patientin hätte angegeben, nicht aufstehen zu wollen. Weil eine ärztliche Untersuchung und Behandlung nötig erschien, wurde eine Notarztalarmierung durchgeführt und der primär ambulante Charakter des Einsatzes zunächst vernachlässigt.

Laut Angabe der Tochter hatte zu keinem Zeitpunkt eine Bewusstlosigkeit, eine Zyanose, eine Atemstörung oder eine erkennbare Kreislaufstörung vorgelegen.

Die Patientin, die aufgrund der fünf Herren, die ihr Schlafzimmer ¿stürmten¿, recht eingeschüchtert wirkte, gab von Anfang an zu verstehen, dass sie nicht ins Krankenhaus möchte. Sie fühle sich nicht gut und wolle nicht aufstehen. Sie verstehe den Aufwand nicht und einen fremden Arzt wolle sie schon gar nicht.

Wir konnten die Patientin jedoch davon überzeugen, dass einige Grunduntersuchungen, auch bei einer Hausbehandlung erforderlich sind, um einen Überblick über die Situation erlangen zu können. Die Patientin sagte mehrfach ¿mir fehlt nichts und ins Krankenhaus gehe ich nicht¿.

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Untersuchungen zur Abklärung des Befundes

Zur Vorgeschichte wurde bekannt, dass bei der Patientin ein Zustand nach Totalendoprothese des rechten Hüftgelenkes bestehe. In diesem Bereich würden rezidivierend Schmerzen auftreten. Weitere Vorerkrankungen oder eine Dauermedikation bestanden sowohl nach Angabe der Tochter, als auch nach Angabe der Patientin nicht. Bei der neurologischen Untersuchung öffnete die Patientin die Augen spontan, befolgte Anweisungen, gab sinnvolle Antworten und bewegte die Extremitäten - wenn auch verlangsamt mit leicht verminderter Kraft - seitengleich. Die Patientin war voll orientiert, die Pupillen erschienen mittelweit, die Lichtreaktion war seitengleich positiv. Die Auskultation von Herz und Lunge ergab keinen pathologischen Befund. Der Blutdruck lag bei 140/80 mmHg, der Puls war regelmäßig bei 88/Min. tastbar. Der Blutzucker wurde mit 138 mg/dl bestimmt und die perkutan gemessene Sauerstoffsättigung lag bei 97 %. So war eine vitale Gefährdung der Patientin nicht erkennbar.

Die Tochter gab zu bedenken, berufstätig zu sein und die alleine lebende Mutter so nicht belassen zu können. Andererseits erschien es uns gegen den Willen der Patientin nicht möglich, sie ins Krankenhaus zu transportieren, um eine weitere Abklärung des Befundes zu erzwingen.

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Suizidale Absicht wurde nicht bedacht

Die entscheidende Frage, die bei jüngeren Patienten sofort geäußert worden wäre, inwiefern Drogen- oder Tablettenkonsum oder ein Suizidversuch vorliegen würden, blieb bei der alten Dame aus.

Der Rettungsassistent informierte noch aus der Wohnung telefonisch einen ambulanten Krankenpflegedienst und vereinbarte für den gleichen Tag eine Versorgung der Patientin.

Der Notarzt informierte seinerseits den ihm aus der Studienzeit bekannten Hausarzt über die vorgefundene Situation und vereinbarte ebenfalls noch für den gleichen Tag einen Hausarztbesuch, so dass die Patientin sowohl pflegetechnisch als auch medizinisch weiter betreut erschien.

Auch der Hausarzt dachte zum Zeitpunkt des Telefonates nicht an einen Suizidversuch. Mit der Tochter und der Patientin wurde das geplante Procedere einvernehmlich besprochen. Die Einsatzkräfte verließen daraufhin die Wohnung und rückten ein.

In den Abendstunden des selben Tages wurde die Patientin dann über den Hausarzt notfallmäßig eingewiesen, da sich inzwischen herausgestellt hatte, dass die Patientin in suizidaler Absicht mehrere Tabletten eines Tranquilizers eingenommen hatte. Dies hatte sie am späten Nachmittag gegenüber ihrer Tochter erklärt.

Eine Entgiftungstherapie war bei Aufnahme nicht mehr indiziert. Der weitere stationäre Verlauf war hinsichtlich der Medikamenteneinnahme komplikationslos und die Patientin konnte nach neurologischem Konsil in die gewohnte Umgebung entlassen werden.

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Fazit

Obwohl alle Beteiligten weitgehend umsichtig gehandelt haben, ist die entscheidende Diagnose zum Zeitpunkt des Einsatzes nicht gestellt worden. Eine Darstellung der rechtlichen und ethischen Aspekte beim suizidalen geriatrischen Patienten wäre für niedergelassene Ärzte und den Rettungsdienst grundsätzlich nützlich.

Ausführliche Stellungnahmen der beteiligten Rettungsassistenten sowie des Hausarztes wurden im weiteren Verlauf mehrfach angefordert und zugesagt, jedoch nach Ablauf fast eines Jahres nicht eingereicht, sodass diese sicherlich interessanten Zusatzaspekte dieses Falles leider nicht zur Veröffentlichung kommen können.

Eindringlich ist für den Rettungsdienst darauf hinzuweisen, dass in entsprechenden Situationen bei unklaren Schläfrigkeits- und Somnolenzzuständen auch die Frage nach einer Suizidalität gestellt werden muss.

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Anschrift des Verfassers

Dr. W. Kösters

Maria-Hilf-Krankenhaus

50126 Bergheim

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Anschrift des Verfassers

Dr. W. Kösters

Maria-Hilf-Krankenhaus

50126 Bergheim