Eine Kohlenmonoxidintoxikation ist die häufigste Ursache für akzidentielle Vergiftungen.
In den Vereinigten Staaten kommt es jedes Jahr zu etwa 800 Todesfällen durch dieses
Gas. Kohlenmonoxid (CO) entsteht bei der unvollständigen Verbrennung von Kohlenstoff.
Toxische Konzentrationen kommen zum Beispiel in der Abluft von Kohle- oder Ölöfen
und im Rauch von Schwelbränden vor. Autoabgase enthalten bis zu 20 % Kohlenmonoxid.
Tödliche Folgen sind bereits bei einer Kohlenmonoxidkonzentration von mehr als 0,2
% in der Umgebungsluft zu erwarten.
Heimtückisches Gas
Heimtückisches Gas
Bei normaler Umgebungstemperatur ist Kohlenmonoxid ein stabiles Gas, welches schnell
durch die Kapillaren der Alveolen diffundiert [Tab. 1]. Claude Bernard hat 1865 erstmalig herausgefunden, dass die toxische Wirkung von
Kohlenmonoxid durch die Bildung von Carboxyhämoglobin (CO-Hb) bedingt ist. Kohlenmonoxid
hat eine 300-mal höhere Affinität zu Hämoglobin als Sauerstoff. Dadurch wird der Sauerstoff
aus seiner Bindung mit dem roten Blutfarbstoff verdrängt. Carboxyhämoglobin verringert
den Sauerstoffgehalt des Blutes und verhindert, dass der an Hämoglobin gebundene Sauerstoff
an das Gewebe abgegeben werden kann. Nachdem Kohlenmonoxid in die Körperzelle aufgenommen
wurde, entfaltet es seine toxische Wirkung auch über von der Hypoxämie unabhängige
Wirkungen, wie z.B. die Bindung an mitochondriale Cytochromoxidasen.
Unspezifische Symptomatik
Unspezifische Symptomatik
Die Symptomatik einer Kohlenmonoxidvergiftung ist meist unspezifisch: die häufigsten
Symptome sind Kopfschmerzen, Schwindel und Verwirrtheit [Tab. 2]. Wenn eine Expositionsquelle nicht eindeutig zu erkennen ist, kann die Diagnosestellung
- insbesondere bei leichteren Vergiftungen - schwierig sein. Man geht davon aus, dass
mehr als 5 % aller Patienten, welche sich in den Wintermonaten in einer Notfallambulanz
vorstellen, an einer - meist unerkannten - Kohlenmonoxidvergiftung leiden.
Durch endogene Produktion von Kohlenmonoxid und die Aufnahme geringer Mengen von CO
aus der normalen Umgebungsluft, liegt der Carboxyhämoglobinspiegel beim Gesunden normalerweise
zwischen 1 und 2 %. Raucher haben einen deutlich erhöhten CO-Hb Spiegel. Wer täglich
ein Päckchen Zigaretten raucht, hat einen um etwa 5 % höheren Carboxyhämoglobinspiegel.
Starke Raucher tolerieren - wenn sie keine Begleiterkrankungen haben - Carboxyhämoglobinspiegel
von bis zu 10 % ohne Symptome. Intoxikationszeichen treten normalerweise bei CO-Hb-Spiegeln
von mehr als 15 bis 20 % auf. Carboxyhämoglobinspiegel von über 25 % gehen mit schweren
Vergiftungserscheinungen einher und können zu plötzlicher Bewusstlosigkeit führen.
Schwierige präklinische Diagnosestellung
Schwierige präklinische Diagnosestellung
Das „klassische”, in den meisten notfallmedizinischen Lehrbüchern aufgeführte Symptom,
die kirschrote Hautfarbe, ist fast nie anzutreffen. In der Tat haben 42 % eine normale
Hautfarbe, 40 % sind blass-fahl und 18 % zyanotisch.
Aufgrund der Ähnlichkeit des Infrarotspektrums von CO-Hb zu
Aufgrund der Ähnlichkeit des Infrarotspektrums von CO-Hb zu
O2-Hb (Oxyhämoglobin) wird CO-Hb bei der Pulsoxymetrie fälschlicherweise als O2-Hb
interpretiert. Bei einer schweren Kohlenmonoxidintoxikation zeigt das Pulsoximeter
deshalb eine Sauerstoffsättigung von über 98 % an - obwohl der Patient tatsächlich
unter einer massiven Hypoxie leidet!
Der CO-Gehalt der Umgebungsluft kann mit einem Gasspürgerät (z.B. Dräger) nachgewiesen
werden. Dieses steht in den ABC-Zügen der meisten Feuerwehren zur Verfügung.
Die laborchemische Bestimmung des Carboxyhämoglobinspiegels ist präklinisch nicht
möglich. Daher ist das Rettungsdienstpersonal in der täglichen Praxis bei der Diagnosestellung
auf eine genaue Beobachtung der Umgebungsbedingungen und - wenn möglich - die Anamnese
angewiesen.
Komplikationen und Spätschäden
Komplikationen und Spätschäden
Bei etwa 50 % aller Intoxikationen kommt es zu schwerwiegenden Komplikationen. Diese
können in zwei Kategorien eingeteilt werden: Akute kardiale und neurologische Komplikationen
sowie Spätschäden.
An akuten kardialen Komplikationen können tachykarde und bradykarde Herzrhythmusstörungen
sowie eine myokardiale Ischämie auftreten. Akute neurologische Komplikationen manifestieren
sich meist in Form zerebraler Krampfanfälle.
Das verzögert auftretende Neurologische Syndrom tritt bei etwa 15 % der Patienten
mit schwerer Intoxikation nach einem Intervall von zwei bis 28 Tagen auf und äußert
sich in Gedächtnisstörungen und anderen kognitiven Störungen. Bei 25 bis 50 % der
Patienten, die im Rahmen der Intoxikation bewusstlos waren oder einen Carboxyhämoglobinspiegel
von mehr als 25 % aufwiesen, treten kognitive Störungen auf, die länger als einen
Monat anhalten.
Eigenschutz beachten
Eigenschutz beachten
Da Kohlenmonoxid hochtoxisch, geruch- und farblos sowie hochexplosiv ist, sollte grundsätzlich
die Feuerwehr mitalarmiert oder nachgefordert werden. Die Rettung aus geschlossenen
Räumen sollte nur mit schwerem Atemschutz (über diesen verfügt in der Regel nur die
Feuerwehr) erfolgen. Die Scheiben geschlossener Räume (z.B. PKW, Häuser) sollten -
wenn möglich - eingeschlagen werden. Wegen der Explosionsgefahr sollte weder offenes
Licht verwendet noch elektrische Anlagen (z.B. Haustürklingel!) betätigt werden. Die
Feuerwehr verfügt über explosionsgeschützte Handleuchten.
Selbstverständlich darf in einem mit Kohlenmonoxid gefüllten geschlossenen Raum keine
Defibrillation durchgeführt werden.
Basismaßnahmen
Basismaßnahmen
Wie bei jedem Notfall sollten auch bei einem Patienten mit Kohlenmonoxidintoxikation
zunächst die Vitalfunktionen überprüft und gegebenenfalls gesichert werden.
Bei Suizidversuchen (z.B. Einleiten von Autoabgasen in einen PKW-Innenraum) muss immer
auch an Mischintoxikationen (Alkohol, Medikamente, Pestizide) gedacht werden.
Sobald möglich, sollte Sauerstoff in möglichst hoher Konzentration appliziert werden.
Sauerstoff bindet kompetitiv an Hämoglobin, wodurch die Halbwertszeit von CO-Hb verkürzt
wird. Bei einer FIO2 (inspiratorische O2-Konzentration) von 21 % (entspricht Raumluft)
beträgt die Halbwertszeit von Co-Hb vier bis sechs Stunden, bei einer FIO2 von 100
% 40 bis 60 Minuten und unter hyperbarer Sauerstofftherapie nur 15 bis 30 Minuten.
Ideal ist die Applikation mittels Demand-Ventil, hierbei wird eine Konzentration von
nahezu 100 % Sauerstoff erreicht.
Die Indikation zur Intubation und Beatmung sollte großzügig gestellt werden. Bei kontrolliert
beatmeten Patienten sollte eine leichte Hyperventilation (CO2 25-30 mmHg) angestrebt
werden.
Zerebrale Krampfanfälle können mit Diazepam therapiert werden. Die Hirnödemprophylaxe
mit Glucocorticoiden ist umstritten und sollte deshalb nicht durchgeführt werden.
Wegen der Gefahr von Herzrhythmusstörungen sollte ein kontinuierliches EKG-Monitoring
erfolgen. Die Messung der Sauerstoffsättigung ergibt bei der Kohlenmonoxidintoxikation
falsch hohe Werte und kann deshalb eine trügerische Sicherheit vermitteln. Neben der
sorgfältigen klinischen Beobachtung sollte deshalb zur Überwachung der Beatmung -
wenn verfügbar - die endexspiratorische CO2-Konzentration gemessen werden. Der Transport
sollte grundsätzlich in Begleitung eines Notarztes erfolgen.
Therapie in der Klinik
Therapie in der Klinik
In der Klinik wird zunächst die Therapie mit Applikation einer möglichst hohen Sauerstoffkonzentration
fortgesetzt werden. Die Bestimmung des Carboxyhämoglobinspiegels ist in der Regel
nur größeren Laborabteilungen möglich. Oft müssen deshalb auch im Krankenhaus die
ersten Therapieentscheidungen nach der klinischen Symptomatik getroffen werden.
Lindell K. Weaver und Kollegen haben erstmals in einer großen randomisierten Doppelblindstudie
an insgesamt 152 Patienten nachgewiesen, dass eine hyperbare Sauerstofftherapie neurologische
Spätschäden bei Kohlenmonoxidintoxikation vermeiden kann, wenn damit innerhalb von
24 Stunden begonnen wird. Die Patienten wurden im Rahmen der Studie in der Druckkammer
zunächst bei einem Luftdruck von 3 Atmosphären (304 kPa), dann bei einem Luftdruck
von 2 Atmosphären (203 kPa) mit 100 % Sauerstoff behandelt [Abb. 1]. Insgesamt wurden drei Druckkammersitzungen durchgeführt. Nach sechs Wochen hatten
von den in der Druckkammer behandelten Patienten nur 25 % kognitive Störungen. Dagegen
litten von den mit normobarem Sauerstoff (ohne Druckkammer) behandelten Patienten
46 % an kognitiven Störungen. Auch zwölf Monate nach der Intoxikation hatten die mit
hyperbarem Sauerstoff (in der Druckammer) behandelten Patienten deutlich seltener
kognitive Einschränkungen als die mit 100 % Sauerstoff unter normobaren Bedingungen
therapierten Patienten. Wegen der eindrücklichen Vorteile der Druckkammerbehandlung
wurde die Studie vorzeitig abgebrochen und alle folgenden Patienten der hyperbaren
Therapie zugeführt.
Es konnte somit eindeutig nachgewiesen werden, dass eine innerhalb von 24 Stunden
nach Kohlenmonoxidintoxikation eingeleitete Druckkammerbehandlung neurologische Spätschäden
verhindern kann. Bei schweren Kohlenmonoxidvergiftungen sollte die hyperbare Sauerstofftherapie
deshalb Standard sein. Vermutlich ist die Druckkammerbehandlung umso effektiver, je
früher damit begonnen wird (möglichst innerhalb von sechs Stunden).
Patienten mit schwerer Kohlenmonoxidintoxikation sollten deshalb - wenn möglich -
in ein Krankenhaus transportiert werden, welches über eine Druckkammer mit 24-Stunden-Bereitschaft
verfügt. Die Rettungsleitstellen verfügen über entsprechende Listen von Druckkammerzentren
und können vorab klären, ob die jeweilige Druckkammer einsatzbereit ist. Eine Voranmeldung
sollte grundsätzlich erfolgen, da bei manchen Druckkammerzentren Techniker und Ärzte
mit spezieller Erfahrung in Überdruckmedizin außerhalb der regulären Dienstzeiten
im Rahmen ihres Rufbereitschaftsdienstes frühzeitig alarmiert werden müssen.
Abb.1 Druckkammer des Schifffahrtmedizinischen Instituts der Marine Kronshagen
Tab. 1 Eigenschaften von Kohlenmonoxid
|
Tab. 2 Symptomatik der Kohlenmonoxidvergiftung
CO-Hb-Gehalt im Blut Klinische Symptomatik
|
1-3 %
|
Normalwert bei Gesunden - keine Symptomatik
|
> 5 %
|
Visusbeeinträchtigung - bei starken Rauchern keine Symptomatik
|
> 10 %
|
Kopfschmerzen, Schwindel
|
> 15 %
|
Ohrensausen, Sehstörungen, Kurzatmigkeit, Tachykardie
|
> 20 %
|
Schwere Vergiftungszeichen. Zunehmende ZNS-Symptome: Mattigkeit, teilweise auch Euphorie
|
> 30 %
|
Somnolenz
|
> 40 %
|
Bewusstlosigkeit und Krampfanfälle
|
> 50 %
|
Koma, Hypoventilation bis zur zentralen Atemlähmung, Metabolische Azidose
|
> 60 %
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Tod innerhalb von 10 Minuten bis 1 Stunde
|
> 70 %
|
Rascher Tod durch zerebrale Anoxie
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