Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(19): 1037
DOI: 10.1055/s-2003-39098
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Infektiologie als Spezialität - Eine Schweizer Perspektive

Specialists in infectious diseases - a Swiss perspectiveM. G. Täuber1
  • 1Institut für Infektionskrankheiten, Universität Bern
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Publication Date:
08 May 2003 (online)

Die Frage, ob zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung die Infektiologie als selbständige Spezialität notwendig ist, wird in Deutschland zur Zeit diskutiert. In der Schweiz ist der Facharzt für Infektiologie nach einer mehr als 25-jährigen Geschichte vor ein paar Jahren etabliert worden. Im Jahre 1972 entstand am Universitätsspital Genf die erste Abteilung für Infektiologie, und seit 1997 bestehen solche Abteilungen an allen fünf Schweizerischen Universitätsspitälern. Zudem sind in den letzten Jahren auch an größeren regionalen Zentren infektiologische Abteilungen eingerichtet worden. 1988 wurde die Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie gegründet, auf deren Initiative hin nach einem gescheiterten ersten Versuch 1998 der Facharzt-Titel von der Ärztekammer bewilligt wurde. Zur Erlangung des Titels sind 3 Jahre Weiterbildung in Innerer Medizin oder Pädiatrie sowie 3 Jahre spezialisierte Weiterbildung in Infektiologie notwendig; zudem muss eine Prüfung bestanden werden.

An den universitären infektiologischen Abteilungen der Schweiz gehen die Betreuung von Patienten, die klinische und laborbasierte Forschung, die Spitalhygiene und Epidemiologie, sowie die klinischer Mikrobiologie (oft strukturell selbständig) Hand in Hand. Dies erlaubt es, den verschiedenen, untrennbar miteinander verbundenen Aspekten von Infektionskrankheiten in Klinik, Lehre und Forschung Rechnung zu tragen. Begünstigt durch die Kleinheit unseres Landes bestehen zudem enge wissenschaftliche und persönliche Kontakte unter den Schweizer Infektiologen.

Einige der heutigen Herausforderungen an die Medizin sollen die Ansprüche an eine gut entwickelte Infektiologie veranschaulichen. Es ist wohl kaum zu vermeiden, auf die Bedrohung durch Bioterrorismus oder neue Infektionskrankheiten wie SARS hinzuweisen. Bei der Entwicklung von Abwehrstrategien, präventiven Maßnahmen, fachlicher Information der Bevölkerung sowie Erkennen und Abklären von möglichen Fällen, sind fundierte Kenntnisse der in Frage kommenden Infektionen unabdingbar. Die prominente Rolle, welche die „Infectious Diseases Society of America” (IDSA) bei der Reaktion auf die Bedrohung durch Anthrax und Pocken in den USA spielte, verdeutlicht die Notwendigkeit von Spezialisten, die mit allen Aspekten dieser Infektionserreger vertraut sind (s. http://www.idsociety.org/bt/toc.htm). Eine hohe Akzeptanz der Infektiologie als Spezialität leistet einen wichtigen Beitrag zur Sicherstellung des breit abgestützten, umfassenden Spezialwissens in der Ärzteschaft.

Auch in unserem klinischen Alltag kämpfen wir mit einer, allerdings auf den ersten Blick weniger bedrohlichen, Form von Bioterrorismus. Ich denke dabei an das zunehmende Problem der Resistenzentwicklung bei infektiösen Erregern. In Spital und Praxis sind neue Strategien notwendig, um der gefährdeten Wirksamkeit von Antibiotika entgegen zu wirken. Hinweise häufen sich, dass auf solidem infektiologischem Wissen basierende Strategien bei der Abklärung von Infektionen, bei der Verschreibung von Antibiotika und bei der Verhütung von Übertragungen resistenter Keime einen messbaren Beitrag zur Eindämmung dieser Bedrohung leisten. Gerade für die in diesem Bereich dringend notwendige klinische Forschung ist eine gut entwickelte infektiologische Kultur unabdingbar.

Schließlich sei darauf hingewiesen, dass sich die Spezialisierung selbst innerhalb der Infektiologie zunehmend weiter entwickelt. Augenfällig ist dies bei der Behandlung der wachsenden Zahl von schwerst Immunsupprimierten, aber auch von HIV-infizierten Patienten. Auch erfahrene Infektiologen können die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet von HIV nur dank regelmäßiger Betreuung entsprechender Patienten aufrecht erhalten. Die Weiterbildung zum Infektiologen vermittelt dazu allerdings eine solide Basis. In der Schweiz hat sich die überwiegend von Infektiologen getragene „Schweizerische HIV Cohorten Studie” seit Jahren durch im internationalen Vergleich hervorragende klinische Forschung hervorgetan und wesentlich zu einem hohen Behandlungsstandard dieser Krankheit beigetragen.

Die Erfahrungen in unserem und vielen andern Ländern mit vergleichbaren Verhältnissen unterstützen die Notwendigkeit einer gut entwickelten Infektiologie. Es liegt nun an den Infektiologen selbst, durch geeignete Studien vermehrt ihren günstigen Einfluss auf die Qualität der Patientenbetreuung und, heute leider unvermeidlich, auf die Behandlungskosten zu dokumentieren.

Literatur

  • 1 Petrak R M, Sexton D J, Butera M L, Tenenbaum M J, MacGregor M C, Schmidt M E, Bakken J S, Curfman M F, Martinelli L P, Gainer R B. The value of an infectious diseases specialist.  Clin Infect Dis. 2003;  36 1013-1017

Prof. Dr. med. Martin G. Täuber

Institut für Infektionskrankheiten, Universität Bern und Infektiologie, Inselspital Bern

Postfach 61

CH-3010 Bern

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