Z Geburtshilfe Neonatol 2003; 207(2): 74-76
DOI: 10.1055/s-2003-39151
Kongressbericht
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kongressbericht „Recent Advances in Neonatal Medicine” vom 18. bis 20. Oktober 2002 in Würzburg

”Recent Advances in Neonatal Medicine”, 18 - 20 October 2002, Würzburg, GermanyB. W. Kramer1
  • 1Universitäts-Kinderklinik Würzburg
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Eingang: 25.11.2002

Angenommen nach Revision: 8.2.2003

Publication Date:
12 May 2003 (online)

Vom 18. bis 20. Oktober 2002 fand in Würzburg das größte internationale Symposium zur Früh- und Neugeborenenmedizin in Europa mit dem Thema „Recent Advances in Neonatal Medicine” statt, das von Professor C. P. Speer, Würzburg, und Professor H. L. Halliday, Belfast, Großbritannien, organisiert wurde. Das Ereignis war Professor Bengt Robertson gewidmet [1], der zu den Pionieren der Surfactanttherapie gehört. Professor Robertson arbeitete zuletzt als Direktor für Pädiatrische Pathologie am Karolinska Institut in Stockholm, Schweden. Sein wissenschaftliches Werk umfasst mehr als 700 Publikationen. Durch seine grundlegenden experimentellen Arbeiten und zahlreichen klinischen Studien hat er maßgeblichen Anteil an der Entwicklung der Surfactanttherapie, die speziell zur Behandlung des Atemnotsyndroms Frühgeborener (englisch: respiratory distress syndrome, RDS) entwickelt wurde. Zusammen mit dem Biochemiker Tore Curstedt stellte Professor Robertson ein porcines Surfactantpräparat (Curosurf®) her, das seit 1985 in kontrollierten und randomisierten Multizenterstudien evaluiert wurde. Die Surfactanttherapie hat die Mortalität und Morbidität Frühgeborener mit RDS entscheidend verringert.

Über 450 Teilnehmer aus 42 Nationen diskutierten mit den führenden Forschern und Neonatalogen über den aktuellen Stand und die Perspektiven der Neonatalogie [2]. Eine zentrale Rolle nahm die Bedeutung der fetalen intrauterinen Entzündungsreaktion ein, die im Rahmen einer Chorioamnionitis durch proinflammatorische Zytokine ausgelöst werden kann. A. H. Jobe, Cincinnati, OH/USA, stellte das Konzept einer inflammationsbedingten intrauterinen Verletzung der fetalen Lunge durch eine Chorioamnionitis als Ausgangspunkt für die Entstehung der bronchopulmonalen Dysplasie (BPD) vor. Nach der initialen zytokininduzierten Verletzung setzt eine akute entzündliche Reparaturreaktion der fetalen Lunge ein, die zu einer Simplifikation der Lungenstruktur durch einen Wachstumsstopp der Alveolen führen kann. Postnatal wird durch traumatische Reanimation, mechanische Beatmung, Sauerstofftoxizität, Pneumonie oder Sepsis der bereits vorgeschädigten Lunge eine weitere Verletzung zugefügt („Second Hit”), die zu der chronischen pulmonalen Entzündungsreaktion führt. M. Hallman, Oulu, Finnland, vertiefte die Rolle von Zytokinen in der Pathogenese der fetalen pulmonalen Inflammationsreaktion bei Chorioamnioitis, wobei Interleukin (IL)-1 die zentrale Rolle für die Veränderungen der fetalen Lunge zukommt. Genetische Faktoren, wie z. B. verschiedene Genotypen für das hochmolekulare Surfactantprotein (SP)-A, beeinflussen ebenfalls das Risiko für die Entstehung einer BPD, da bestimmte Genotypen mit der Entwicklung eines Atemnotsyndroms und nosokomialen Pneumonien assoziiert sind. Die Bedeutung der pulmonalen Collectine, SP-A und SP-D, für die pulmonale Immunreaktion und -abwehr stellte H. P. Haagsman, Utrecht, Niederlande, dar. SP-A und SP-D wirken als Opsonine für verschiedene Viren und Bakterien, darüber hinaus hemmt SP-D auch das Wachstum von Candida albicans in vitro. Beide Collectine binden Endotoxin und modulieren die Inflammationsreaktion. Die Expression von SP-D kann auch im kindlichen Darm nachgewiesen werden, wo es gegen Infektionen schützt. A. Hamvas, St. Louis, MO/USA, berichtete über die Patienten mit Mutationen in den Genen für die hydrophoben Surfactantproteine B und C, die für die Funktion des aus verschiedenen Phospholipiden bestehenden Surfactantsystems verantwortlich sind; Mutationen des SP-B Gens werden autosomal-rezessiv vererbt und führen zu einem prolongierten Atemnotsyndrom. Die Prozessierung von SP-C bei dieser Erkrankung ist unvollständig. Ohne Lungentransplantation verläuft die Erkrankung im ersten Lebensjahr letal. Mutationen im SP-C Gen, die erst im letzten Jahr beschrieben wurden, werden hingegen autosomal-dominant vererbt und können im Erwachsenenalter zu interstitiellen Lungenerkrankungen mit unterschiedlichen histologischen Veränderungen führen.

Es besteht kein Zweifel mehr, dass die prophylaktische und therapeutische Surfactantgabe die Prognose von Frühgeborenen mit Atemnotsyndrom deutlich verbessert. Die Optimierung der bisherigen Surfactanttherapie und neue Indikationen standen im Mittelpunkt der folgenden Vorträge. Die Effizienz der Surfactanttherapie fasste R. F. Soll, Burlington, VT/USA, zusammen und skizzierte zukünftige Fragestellungen. Nach prophylaktischer oder therapeutischer Surfactantgabe konnten die Pneumothoraxinzidienz um 30-65 % und die Sterblichkeit um etwa 40 % reduziert werden. Neue Surfactantpräparationen mit rekombinanten Surfactantproteinen und Proteinanaloga werden zurzeit auf ihre Effizienz getestet. T. A. Merritt, Portland, OR/USA, zeigte neue Indikationen für Surfactanttherapie auf, die sich mit dem Problem der Surfactantinaktivierung auseinandersetzen. Bei einem Mekoniumaspirationssyndrom einer bakteriellen Pneumonie oder einer Bronchiolitits durch Respiratory Syncytial Virus führt die Behandlung mit Surfactant zu einer Verbesserung der Oxygenierung und der Beatmungssituation. W. Taeusch, San Francisco, CA/USA, berichtete über den Zusatz von Polyäthylenglykol und anderen Polymeren zu Surfactantpräparationen, um die Inaktivierung zu verringern. In vitro zeigte sich eine entscheidend verbesserte Löslichkeit von Mekonium durch Zugabe von Hyaluronsäure. In Tierversuchen konnten ebenfalls positive Effekte auf den Gasaustausch belegt werden.

E. Bancalari, Miami, FL/USA, stellte die Risikofaktoren für eine BPD dar. Die Inzidenz der BPD ist weiterhin hoch. Ca. 23 % aller Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht zwischen 501 und 750 g weisen im Alter von 36 Wochen nach Konzeption einen Sauerstoffbedarf auf. Im Alter von 28 Tagen haben sogar 47 % der Hochrisikofrühgeborenen Zeichen einer BPD. Das klinische Erscheinungsbild und die Risikofaktoren für die Entstehung einer BPD haben sich jedoch seit der Einführung der Surfactanttherapie gewandelt. Die pränatale pulmonale Entzündung bei einer Chorioamnionitis erhöht das Risiko für eine BPD um den Faktor 3, eine Sepsis um den Faktor 4 ebenso wie die Dauer der mechanischen Beatmung. C. J. Morley, Melbourne, Australien, setzte sich kritisch mit dem Einsatz von CPAP (continous positive airway pressure) zur Vermeidung der mechanischen Beatmung auseinander. Kontrollierte Studien konnten bisher keine Reduktion der Inzidenz der BPD durch den Einsatz von CPAP zeigen, obwohl die Traumatisierung der Lunge bei CPAP geringer ist. Trotz des weit verbreiteten Einsatzes dieser Technik fehlen größere Studien zur Indikation von CPAP und für die Kombination von Surfactanttherapie mit CPAP. O. Werner, Lund, Schweden, berichtete über die negative Effekte einer Reanimation mit großen Tidalvolumen und fehlendem PEEP. Diese Strategie führte zu einer Lungenverletzung mit einer Fehlverteilung des Surfactants in der Lunge sowie Inaktivierung des Surfactants, wie er in tierexperimentellen Untersuchungen belegen konnte. Er plädierte für eine physiologische Reanimation mit positivem PEEP und kleinen Beatmungsvolumina.

H. Hagberg, Göteborg, Schweden, erklärte die Risiken der fetalen Inflammationsreaktion für das Gehirn. Bei Chorioamnionitis ist die IL-6 Konzentration im Nabelschnurblut ein prognostischer Marker für eine spätere zerebrale Parese. Bei perinataler Hypoxie ist die prädiktive Bedeutung dieses Interleukins noch stärker, so dass ein additiver Effekt von Entzündung und Hypoxie vemutet wird. Diese klinische Beobachtung konnte durch tierexperimentelle Untersuchungen belegt werden. Nach Hypoxie war der Zelluntergang in entzündlich verändertem Gehirngewebe besonders ausgeprägt. Für die Schädigung des Gehirns scheint auch IL-18 eine entscheidende Rolle zu spielen, da durch Deletion des Gens für IL-18 die Neurotoxizität der Hypoxie verhindert werden konnte. E. Saliba, Tours, Frankreich, demonstrierte, wie die Blut-Hirn-Schranke für Zellen des Immunsystems permeabel war und wie verschiedene proinflammatorische Zytokine zu einer Hirnschädigung beitrugen. Die Entzündungsreaktion führte zu einer Zellschädigung und Narbenbildung; IL-6 Konzentrationen im Liquor hatten wiederum eine hohe prädiktive Aussagekraft. H. R. Hill, Salt Lake City, UT/USA, beschrieb die Veränderung der Zytokinnetzwerke Früh- und Neugeborener bei Infektion mit Streptokokken der Gruppe B; die bisherigen tierexperimentellen Daten von immunmodulierenden Zytokinen zur Prävention und Therapie der neonatalen Sepsis wurden zusammengefasst. A. D. Edwards, London, Großbritannien, zeigte kernspintomographische Untersuchungen von Frühgeborenen, bei denen 61 % der Frühgeborenen zwischen der 23. und 29. Schwangerschaftswoche zerebrale Veränderungen aufwiesen, die nicht durch Ultraschalluntersuchungen nachweisbar waren. Diese Frühgeborenen hatten höhere Konzentrationen proinflammatorischer Zytokine und erhöhte Zahlen von Memory T-Lymphozyten im Nabelschnurblut, und in der Plazenta ließen sich Bakterien molekularbiologisch nachweisen; diese Beobachtung unterstützen die Hypothese einer vorgeburtlichen Ursache der Entzündungsreaktion. M. I. Levene, Leeds, Großbritannien, stellte Strategien zur Neuroprotektion vor. Die selektive Kühlung des Kopfes wird zurzeit prospektiv evaluiert. Dabei kommt es zu einem Temperaturunterschied von 4 °C zwischen Hirnstamm und Cortex. Welche Temperatur an welcher Stelle des Gehirns protektiv wirkt, ist bisher nicht untersucht. R. D. Christensen, St. Petersburg, FL/USA, erweiterte den Ansatz der Neuroprotektion. Hämatopoetische Wachstumsfaktoren, wie Erythropoetin, zeigten einen neuroprotektiven Effekt und werden zurzeit bei Hypoxie klinisch evaluiert. Die Rolle von Erythropoetin in der Neonatalmedizin bleibt jedoch unklar. P. S. Hüppi, Genf, Schweiz, demonstrierte die Möglichkeit einer Analyse der Gehirnstrukturen mittels Kernspintomographie. Durch neue Algorithmen war eine Rekonstruktion der betroffenen Leitungsbahnen möglich, so dass eine präzisere Abschätzung der möglichen Komplikationen möglich wurde. R. J. Martin, Cleveland, OH/USA, schlug mit seinem Vortrag über das Apnoe-Bradykardie-Syndrom Frühgeborener die Brücke von der kindlichen Lunge zur Regulation der Atmung Früh- und Neugeborener. Offensichtlich sind gesteigerte inhibitorische Reflexe des funktionell unreifen Atemregulationszentrums bei Frühgeborenen für zentrale Apnoen verantwortlich, die Hypoxien, Hyperkapnie und Bradykardien auslösen. Die Ausreifung des Hirnstamms kann bis zur 44. postkonzeptionellen Woche dauern. In neuesten Studien konnte gezeigt werden, dass der gastroösophageale Reflux, wie lange Zeit vermutet, nicht mit Apnoen koinzidiert zu sein scheint. Vielmehr legen Tierversuche nahe, dass die Apnoe-assoziierte Hypoxie den Tonus des distalen Ösophagus reduziert und somit einen Reflux begünstigt. Damit ist die Apnoe der Auslöser eines gastroösophagealen Refluxes. Die Wirkungsweise der vielfach eingesetzten Methylxanthine ist bis jetzt nicht vollständig verstanden, und der Nutzen der Therapie ist nicht belegt. Die Therapie mit Coffein wird daher zurzeit in einer kontrollierten Studie, welche die neurologische Entwicklung der Frühgeborenen als primärem Endpunkt hat, evaluiert. L. E. H. Smith, Boston, MA/USA, klärte die molekularen Mechanismen der Retinopathie von Frühgeborenen auf. Durch Insulin-like growth factor-1 (IGF-1) wird die Wirkung des wichtigsten Wachstumsfaktoren für das Gefäßwachstum (vascular endothelial growth factor; VEGF) vermittelt. In klinischen Studien zeigten sich niedrige IGF-1 Konzentrationen als Risikofaktor für eine Retinopathie. Exogene Substitution und optimierte Ernährung werden zurzeit als therapeutische Ansätze untersucht. Das Dilemma der Steroidtherapie wurde von E. S. Shinwell, Jerusalem, Israel, dargelegt. Eine pränatale Steroidgabe reduziert Hirnblutungen und Atemnotsyndrom; über den Nutzen einer gezielten pränatalen Steroidgabe gibt es keine Zweifel. Bei repetitiven pränatalen Gaben dagegen wurde ein reduziertes fetales Körperwachstum und verringertes Kopfwachstum beobachtet. Die postnatale Gabe von Steroiden führt eindeutig zu schlechteren neurologischen Ergebnissen, die vermutlich durch die Neurotoxizität der Steroide auf das unreife Gehirn bedingt sind. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die in manchen Präparaten enthaltenen Sulfite eine Rolle in der Neurotoxizität von Steroidpräparationen spielen, da den Frühgeborenen über die Nahrung viel größere Sulfitmengen zugeführt werden. Postnatale Steroidgaben sind daher weder für die Prävention noch die Behandlung der BPD indiziert. Nur bei lebensbedrohlichem Lungenversagen sollten diese Präparate zum Einsatz kommen.

B. Thébaud, Edmonton, Kanada, identifizierte molekulare Mechanismen der Sauerstoffmessung im perinatalen Kreislauf. Er beschrieb einen Regelkreis glatter Muskelzellen, der aus einem mitochondrialen Sensor, einem H2O2-vermittelten Mediator und dem Effektor in Form von neu identifizierten Kaliumkanälen besteht. Dieser Regelkreis bietet Ansätze für neue therapeutische Strategien. N. Rutter, Nottingham, Großbritannien, stellte Untersuchungen zur Rolle der Haut Frühgeborener bei nosokomialen Infektionen dar. In klinischen Studien konnte jedoch kein Nutzen spezieller Hautschutzmittel belegt werden. E. E. Ziegler, Iowa City, IO/USA, analysierte die ernährungsphysiologischen Bedürfnisse von Frühgeborenen. Durch einen späten Beginn sowie eine zögerliche Steigerung der parenteralen Ernährung akkumuliert ein Defizit an Kalorien und Proteinen, das über Monate nicht ausgeglichen wird. Neue Präparationen von Aminosäuren, die besser verträglich sind, erlauben den sofortigen Beginn einer parenteralen Zufuhr von Aminosäuren mit 1,5 g/kg/d, womit ein Mangel an Aminosäuren in der ersten Lebenswoche verhindert werden kann. Die Zufuhr sollte im Verlauf auf 3,5 g/kg/d gesteigert werden, um dem Kalorienbedarf gerecht zu werden. R. J. Cooke, Memphis, TN/USA, hinterfragte die Supplementation von Muttermilch. Aufgrund der wechselnden Zusammensetzung der Muttermilch und der ebenfalls wechselnden Bedürfnisse des Frühgeborenen ist eine angemessene Supplementation schwierig.

Die ausgezeichneten Vorträge und das hohe Diskussionsniveau sorgten für große Begeisterung bei den Vortragenden und Teilnehmern. Die Fortführung des erfolgreichen Kongresses unter dem Thema „Recent Advances in Neonatal Medicine” wurde von Professor Speer angekündigt.

Literatur

  • 1 Halliday H L, Speer C P. Bengt Robertson: a surfactant pioneer.  Biol Neonate. 2002;  82 272-273
  • 2 Speer C P, Halliday H L (eds.). Recent advances in neonatal medicine - extended abstracts.  Biol Neonate. 2002;  82 274-302

Dr. Boris W. Kramer

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