psychoneuro 2003; 29(5): 245-246
DOI: 10.1055/s-2003-39634
Serie Ergotherapie

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

An der Schnittstelle des stationären zum ambulanten Setting - Ergotherapeutische Behandlungsverfahren für psychisch Kranke

Angela Döring1
  • 1Universitätsklinik Bochum
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Korrespondenzadresse:

Angela Döring

Heinrich-König-Str. 2 b

44797 Bochum

Email: angela.doering@ruhr-uni-bochum. de

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Publication Date:
30 May 2003 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

In diesem Beitrag der Serie Ergotherapie sollen kurz die verschiedenen Verfahren und Methoden beschrieben werden, die bei der ergotherapeutischen Behandlung psychisch kranker Menschen eingesetzt werden.

Ergotherapie leitet sich aus dem Griechischen ab, von Ergon und bedeutet Werk, Tat, Arbeit, Beschäftigung. Ergotherapie ist neben anderen Therapieformen ein sozialtherapeutisches Behandlungsverfahren und integraler Bestandteil der psychiatrischen und psycho-therapeutischen Behandlung. [2] [8]. Ihr Ziel ist die (Wieder-) Gewinnung, Förderung und Erhaltung von Handlungsfähigkeiten im Alltag d.h. in der Selbstversorgung, im Beruf und in der Freizeitgestaltung. Ergotherapie ist ein Baustein der psychiatrischer Behandlung. Im stationären Kontext ist sie ein Teil des multiprofessionellen Behandlungsteams. In fachübergreifenden Teambesprechungen werden, ausgehend von den Möglichkeiten und Schwierigkeiten des Patienten und seinen Zielen, gemeinsam Therapieziele formuliert. Die Kenntnis der aktuellen Lebenssituation, lebensgeschichtliche Aspekte und die medizinische Anamnese ist für die ergotherapeutische Therapieplanung unabdingbar. Auf der Basis der ärztlichen Verordnung strukturieren Ergotherapeuten eigenverantwortlich den Prozess der Behandlung. Sie geben gezielt Anleitung u. a. für den häuslichen und beruflichen Alltag und unterstützen die Schritte zur Selbstständigkeit.

Die diagnostische und therapeutische Vorgehensweise ist handlungsorientiert, d.h. der Ergotherapeut gibt die Methode, bzw. die therapeutischen und medizinischen Interventionen an. Ziel ist, dass der Patient seine Fähigkeiten verbessern kann, um sich in seiner Umwelt zufrieden und adäquat zurecht zu finden. Die ergotherapeutische Behandlung orientiert sich dabei sowohl an den Entwicklungsmöglichkeiten des Einzelnen, als auch an den Ressourcen des sozialen Umfeldes.

  • handwerklich/gestalterische Techniken

  • kognitive Trainingsverfahren

  • lebenspraktische Aufgaben

  • kommunikative und wahrnehmungsfördernde Maßnahmen

  • arbeits-rehabilitative Maßnahmen.

Um auf die individuellen Ziele der Patienten eingehen zu können, werden nach einer ersten diagnostisch/beobachtenden Phase die Ziele z.B. auf einer so genannten Zielekarteikarte gemeinsam mit dem Patienten erarbeitet [2]. Z.B. „Mehr Lebensfreude”, „bessere Konzentrationsfähigkeit” oder „bessere Stressbewältigung”. Gemeinsam mit dem Patient wird dabei erarbeitet, wo seine Fähigkeitsstörungen liegen, was er lernen, verbessern will, um seinen Alltag wieder meistern zu können [4] [Tab. 1]. Für die Umsetzung können u.a. folgende ergotherapeutischen Methoden eingesetzt werden [1] [7] [10]:

Mit der kompetenzzentrierten Methode können z.B. über ausgewählte handwerkliche Tätigkeiten Alltagsfähigkeiten und Fertigkeiten wieder geübt oder Probleme sichtbar gemacht werden. Beispiel: Oft sind Menschen in psychischen Krisen, besonders Menschen mit schweren Psychosen bei der Klinikaufnahme nicht in der Lage sich verbal zu äußern und gesprächstherapeutischen Gesprächen zu folgen, handeln können sie jedoch nahezu immer. So können Probleme und Schwierigkeiten in der Ergotherapie durch handwerkliche Tätigkeiten transparent und sichtbar gemacht und später auch wieder reflektiert werden. Auf diese Weise kann z. B. ein akut psychotischer Patient zu strukturiertem und planvollem Handeln angeleitet werden und wieder an innerer Struktur gewinnen. Er kann wieder lernen sich zu konzentrieren und ausdauernd bei einer Arbeit zu bleiben etc.

Mit der interaktionellen Methode werden die sozio-emotionalen Fähigkeiten und Fertigkeiten gestärkt. Zum Beispiel können in einer Gruppe die Patienten selbstständig eine Arbeit qentscheiden wie ein Tonrelief mit dem Thema „Stadt”. Nach gemeinsamer Planung (Entwurf) werden in Einzel- oder Kleingruppenarbeit die Tonkacheln hergestellt. Das Verhalten der Patienten untereinander wird dann in der Gruppe gespiegelt, reflektiert, auf den Alltag bezogen und übertragen.

Mit der ausdruckszentrierten Methode werden emotionale Ausdrucksmöglichkeiten und die Introspektionsfähigkeit der Patienten, sowie die Symbolbildung über kreativ-gestalterische Mittel gefördert. Beispielsweise können sich Patienten in Lebenskrisen aktuelle Themen durch gestalterische Arbeiten verdeutlichen, z.B. über Collagen, Malen, plastisches Gestalten und so durch die Veranschaulichung der Probleme zu einer Introspektionsfähigkeit gelangen und Lösungsmöglichkeiten entdecken. Kognitive Trainingsverfahren werden z.B. am Computer oder in Konzentrations- oder Gedächtnistrainingsgruppen durchgeführt. In Koch- und Backgruppen, Aussenaktivitäten oder Hausbesuchen können Aktivitäten des täglichen Lebens geübt werden. Verfahren der Wahrnehmungstherapie, z.B. sensorische Integration, werden hauptsächlich in der Kinder- und Jugendpsychiatrie eingesetzt.

Rehabilitative Trainingsverfahren werden in der Arbeitstherapie durchgeführt.

Während des therapeutischen Prozesses müssen Ziele, Behandlungsplan und Behandlungsmethoden ständig überprüft und neu angepasst werden. Zum Ende der Therapie kann eine Zielkontrolle über die Ziele-Karteikarte gemeinsam mit dem Patienten erfolgen, um ihm so seine Fortschritte zu verdeutlichen. Außerdem wird vor der Entlassung eines Patienten überlegt, wie die weitere Behandlung aussehen kann. Braucht er weiterhin Hilfe und Unterstützung, benötigt er noch eine Tagesstruktur oder kann er sein Leben wieder alleine in die Hand nehmen? Wenn er weiterhin Hilfe braucht, ist es wichtig, einen Übergang zur ambulanten Therapie zu schaffen, wie folgendes Beispiel zeigt.

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Vernetzung vom stationären zum ambulanten Setting - Patientenbeispiel

Eine etwa 50-jährige Patientin kommt hoch psychotisch zur Aufnahme in die Klinik. Sie wird erst auf der geschlossenen Station behandelt. Hier entsteht auch die erste ergotherapeutische Kontaktaufnahme. Die Patientin ist sehr misstrauisch, traut sich nichts zu und würde am liebsten in Ruhe gelassen werden. Nach 2-3 Therapieeinheiten gelingt es mit viel Zuwendung ihr Vertrauen zu gewinnen. Früher habe sie viel gehandarbeitet, aber heute könne sie dies alles nicht mehr. Schließlich kann sie sich darauf einlassen, ein kleines Seidentuch mit Guttatechnik anzufertigen. Die Arbeit gibt ihr Struktur, bietet ihr Halt und schenkt ihr Selbstvertrauen. Durch das Angebot der kompetenzzentrierten Methode ist nun ein Kontakt entstanden, sie wird zunehmend aufgeschlossener und traut sich jetzt auch an ihr unvertraute Techniken heran, wie z.B. Holz- oder Specksteinarbeiten. Inzwischen ist sie auf eine offene Station verlegt worden. Da ihre psychotische Symptomastik nun langsam verschwunden ist, soll sie weiterhin durch den sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt Bochum ambulant betreut werden. Es wird ein erster Kontakt zu dem ergotherapeutischen Kollegen hergestellt. Doch als er in die Klinik kommt, um die Patientin kennen zu lernen, ist die Patientin trotz Terminabsprache auf der offenen Station nicht auffindbar. Erst im 3. Anlauf gelingt es ein gemeinsames Gespräch zu führen. Bei einem 2. Treffen holt der Ergotherapeut die Patientin in der Klinik ab, um ihr die Räume in seiner Einrichtung zu zeigen. Beim 3. Mal holt er sie an der Bushaltestelle ab. Der Aufwand hat sich gelohnt! Sie kommt kaum noch zur Aufnahme in die Klinik und kommt trotz mehrerer Schicksalsschläge gut im Alltag zurecht.

Tab. 1 Beispiel für ergotherapeutische Behandlungsplanung

Diagnose

Funktionsstörung

Fähigkeitsstörung

Endogene Depression

z.B. Wahrnehmung, Wahrnehnmungsverarbeitung, kognitive Funktionen

z.B. Einschränkung in der Alltagsbewältigung in Form von Störungen z.B. in der Selbstwahrnehmung, der Ausdauer und der Konzentration

Ziel der Ergotherapie

Maßnahme

Methode

z.B. Verbesserung der Alltagsbewältigung Stärkung des Selbstwertgefühls

Collage: „was macht mir Freude im Leben”

ausdruckszentrierte Methode

Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten

Seidenmalerei

kompentenzzentrierte Methode

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Literatur

  • 1 Döring A, Köhler K, Kokott- I Karrenberg. Ergotherapie in der Psychiatrie und Psychotherapie. Kompendium für Ärztinnen und Ärzte.  Reihe vita activa, Köln, Vogelsangstr.. 2003; 
  • 2 Dalhoff A, Döring A, Hirsekorn B, Timmer A. Das ergotherapeutische Handlungsfeld in der Psychiatrie. Ein Praxisleitfaden zur Entwicklung von Qualitätsstandards.  Idstein, Schulz-Kirchner Verlag. 1999; 
  • 3 Deutscher Verband der Ergotherapeuten . Psychosoziale Behandlungsverfahren.  Idstein, Schulz-Kirchner Verlag. 1995; 
  • 4 Deutscher Verband der Ergotherapeuten . Indikationskatalog Ambulante Ergotherapie.  Idstein, Schulz-Kirchner Verlag. 2001; 
  • 5 Jerosch-Herold C, Marotzki U, Hack BM, Weber P. Konzeptionelle Modelle für die ergotherapeutische Praxis.  Springer Verlag. 1999; 
  • 6 Kayser E. Objektbeziehungen und Körperselbst in der Ergotherapie.  Idstein, Schulz-Kirchner Verlag. 1999; 
  • 7 Kubny-Lüke B. Psychosoziale Behandlungsmethoden und Behandlungsmittel.  In: Scheepers C, Steding-Albrecht U, Jehn P (Hrsg.) Vom Behandeln zum Handeln.  Stuttgart, New York, Georg Thieme Verlag. 2000; 
  • 8 Mulzheim S. Die handlungsorientierte Methode.  Idstein, Schulz-Kirchner Verlag. 2000; 
  • 9 Reuster Th, Bach O. Ergotherapie und Psychiatrie.  Stuttgart, Georg Thieme Verlag. 2002; 
  • 10 Scheiber I. Ergotherapie in der Psychiatrie.  München, Bardtenschlager Verlag. 1995; 
  • 11 Seyfried E, Bühler A, Gmelin A. Strategien der beruflichen Eingliederung psychisch Behinderter. Forschungsbericht.  Im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. 1993; 
  • 12 Tätigkeitsbeschreibung und Einrichtungskatalog für Ergotherapieabteilungen in der Psychiatrie sind zu beziehen beim Deutschen Verband der Ergotherapeuten e.V.  Postfach 2208, 76303 Karlsbad.
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Heinrich-König-Str. 2 b

44797 Bochum

Email: angela.doering@ruhr-uni-bochum. de

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Literatur

  • 1 Döring A, Köhler K, Kokott- I Karrenberg. Ergotherapie in der Psychiatrie und Psychotherapie. Kompendium für Ärztinnen und Ärzte.  Reihe vita activa, Köln, Vogelsangstr.. 2003; 
  • 2 Dalhoff A, Döring A, Hirsekorn B, Timmer A. Das ergotherapeutische Handlungsfeld in der Psychiatrie. Ein Praxisleitfaden zur Entwicklung von Qualitätsstandards.  Idstein, Schulz-Kirchner Verlag. 1999; 
  • 3 Deutscher Verband der Ergotherapeuten . Psychosoziale Behandlungsverfahren.  Idstein, Schulz-Kirchner Verlag. 1995; 
  • 4 Deutscher Verband der Ergotherapeuten . Indikationskatalog Ambulante Ergotherapie.  Idstein, Schulz-Kirchner Verlag. 2001; 
  • 5 Jerosch-Herold C, Marotzki U, Hack BM, Weber P. Konzeptionelle Modelle für die ergotherapeutische Praxis.  Springer Verlag. 1999; 
  • 6 Kayser E. Objektbeziehungen und Körperselbst in der Ergotherapie.  Idstein, Schulz-Kirchner Verlag. 1999; 
  • 7 Kubny-Lüke B. Psychosoziale Behandlungsmethoden und Behandlungsmittel.  In: Scheepers C, Steding-Albrecht U, Jehn P (Hrsg.) Vom Behandeln zum Handeln.  Stuttgart, New York, Georg Thieme Verlag. 2000; 
  • 8 Mulzheim S. Die handlungsorientierte Methode.  Idstein, Schulz-Kirchner Verlag. 2000; 
  • 9 Reuster Th, Bach O. Ergotherapie und Psychiatrie.  Stuttgart, Georg Thieme Verlag. 2002; 
  • 10 Scheiber I. Ergotherapie in der Psychiatrie.  München, Bardtenschlager Verlag. 1995; 
  • 11 Seyfried E, Bühler A, Gmelin A. Strategien der beruflichen Eingliederung psychisch Behinderter. Forschungsbericht.  Im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. 1993; 
  • 12 Tätigkeitsbeschreibung und Einrichtungskatalog für Ergotherapieabteilungen in der Psychiatrie sind zu beziehen beim Deutschen Verband der Ergotherapeuten e.V.  Postfach 2208, 76303 Karlsbad.
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