Handchir Mikrochir Plast Chir 2003; 35(3): 196-197
DOI: 10.1055/s-2003-41981
Kommentar

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kommentar zu den Arbeiten von C. U. Schulz, C. Pellengahr, H. Anetzberger: „Die dynamische, palmare Ellenkopfinstabilität - Ein Fallbericht“ und A. Meznik, J. Rois, S. Meznik: „Ellenkopfluxation nach fehlverheilter Speichenfraktur im Kindesalter“

Handchir Mikrochir Plast Chir 2003; 35: 186 - 190 und 191 - 195Commentary on the Articles of C. U. Schulz, C. Pellengahr, H. Anetzberger: “Dynamic Palmar Instability of the Ulnar Head - Diagnostic and Therapeutic Management Illustrated by a Case Report” and A. Meznik, J. Rois, S. Meznik: “Dislocation of the Ulnar Head following Malunion of Distal Radius Fracture in Childhood”Handchir Mikrochir Plast Chir 2003; 35: 186 - 190 and 191 - 195J. van Schoonhoven 1
  • 1Klinik für Handchirurgie (Chefarzt: Prof. Dr. U. Lanz), Bad Neustadt/Saale
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Publication History

Eingang des Manuskriptes: 3. Juni 2003

Angenommen: 3. Juni 2003

Publication Date:
09 September 2003 (online)

In den beiden zur Diskussion stehenden Arbeiten werden Patientenbeispiele für eine posttraumatische, dynamische, palmare Instabilität des distalen Radioulnargelenkes (DRUG) dargestellt. Klinisch imponiert die Situation durch eine dorsale Luxation des Radius zum palmar verbleibenden Ulnakopf in der Supination mit einem Schnapp-Phänomen zum Zeitpunkt der Luxation. Die Vorgeschichte der Patienten ist in beiden Arbeiten identisch mit einer in Fehlstellung verheilten distalen Radiusfraktur im Kindesalter, einem langen beschwerdefreien Intervall und mit Auftreten der Luxationsereignisse seit einem erneuten Trauma.

Die Pathogenese der dynamischen Luxation wird von den Autoren unterschiedlich bewertet. Schulz und Mitarb. gehen davon aus, dass zwingend eine Ruptur, Teilruptur oder ein Abriss des ulnokarpalen Bandkomplexes (TFCC) vorliegen muss, um die Luxation des DRUG zu ermöglichen. Der Fehlstellung des Radius wird nur untergeordnete Bedeutung zugemessen. Demgegenüber wird in den Fallbeispielen von Meznik und Mitarb. eben diese Fehlstellung als Hauptursache dargestellt, insbesondere, da zumindest kernspintomographisch, kein Anhalt für eine Verletzung des TFCC vorlag.

Unbestreitbar wurde in vielen Untersuchungen nachgewiesen, dass der TFCC die wesentliche stabilisierende Struktur für das DRUG darstellt. Nichtsdestoweniger ist jedoch eine dorsale Luxation des Radius gegenüber dem palmar verbleibenden Ulnakopf auch ohne Läsion des TFCC möglich. Der Ulnakopf als nicht mobiler, distaler Anteil der unverletzten Ulna mit korrekter Längsachse verbleibt in der Unterarmdrehbewegung in der ursprünglichen Position. Demgegenüber luxiert die nach dorsal versetzte und verkippte palmare Kante der Incisura ulnaris des Radius in der Supination unterhalb des unverletzten TFCC nach dorsal über das Niveau des Ulnakopfes aus der beim DRUG sehr lockeren Kapsel. Dieser von Meznik und Mitarb. angenommene Pathomechanismus scheint bei Betrachtung der Röntgenbilder auch im dargestellten Fall von Schulz und Mitarb. vorzuliegen. Geht man von einer physiologischen palmaren Neigung des distalen Radius von 10 Grad aus, liegt bei der beschriebenen Dorsalkippung der distalen Radiuskonsole von 6 Grad eine Fehlstellung von insgesamt 16 Grad vor. Die seitliche Röntgenaufnahme vor der Kapandji-Sauvé-Operation (Abb. 2 b in der Arbeit von Schulz und Mitarb.) zeigt deutlich die dorsale Knickbildung des distalen Radiusschaftes weit proximal der Metaphyse. Je weiter proximal die Fehlstellung und Knickbildung des Radius gelegen sind, desto größer ist die Auswirkung auf die parallele Ausrichtung von Radius und Ulna und damit auf die Position der Incisura ulnaris gegenüber dem Ulnakopf, der an seiner ursprünglichen Position verblieben ist. So demonstriert die Abbildung 2 b in der Arbeit von Schulz und Mitarb. bereits eine deutliche dorsale Subluxationsstellung des Radius im DRUG in der neutralen Rotationsstellung des Unterarmes.

Der Analyse und interpretatorischen Gewichtung der zugrundeliegenden Pathologie kommt hier entscheidende Bedeutung für die Therapie zu. Geht man davon aus, dass ein Abriss des TFCC die entscheidende strukturelle Verletzung ist, die zur dynamischen Luxation führt, bestünde die primäre Therapieoption aus der operativen Refixierung des TFCC. Diese therapeutische Maßnahme wäre jedoch mit größter Wahrscheinlichkeit zum Scheitern verurteilt, da man durch einen Weichteileingriff versuchen würde, den fehlgestellten Radius an den Ulnakopf zu fesseln. Es ist dann nicht nur mit einer Einschränkung der Umwendbewegung zu rechnen, sondern es bleibt auch fraglich, ob die unphysiologische Belastung auf Dauer nicht zum Versagen der Weichteile mit erneuter dynamischer Luxation führen muss. Geht man demgegenüber davon aus, dass die zugrundeliegende Pathologie aus der Fehlstellung des Radius besteht, kommt als rekonstruktive Maßnahme nur die Korrektur der knöchernen Fehlstellung in Betracht. Die von Meznik und Mitarb. dargestellten Ergebnisse unterstützen eindrucksvoll diese Annahme.

In dem von Schulz und Mitarb. vorgestellten Fallbeispiel wurde aufgrund einer bereits bestehenden Arthrose des DRUG keine rekonstruktive Operation, sondern eine Rettungsoperation durchgeführt. Von den möglichen Operationsverfahren wurde hierbei die Kapandji-Sauvé-Methode ausgewählt. Nur auf den ersten Blick scheint die ursprüngliche Pathologie keine Bedeutung für die Auswahl der Rettungsoperation zu haben. Mit der Kapandji-Sauvé-Operation erfolgte die Fusion des Ulnakopfes entsprechend der Position des distalen Radius, wodurch die Luxations- und Schmerzproblematik am DRUG offensichtlich behoben wurde. Nach Segmentresektion aus der distalen Ulna verbleibt jedoch die unterschiedliche Ausrichtung der Längsachse der proximalen Ulna und des distalen Radius, wodurch es bereits in der Neutralstellung des Unterarmes zur palmaren Subluxationsstellung des distalen Ulnaendes gegenüber der Längsachse des Radius kommt. Diese stellt sich in Abbildung 4 b in der Arbeit von Schulz und Mitarb. auch eindrucksvoll dar. Durch die Kapandji-Sauvé-Operation wurde die Subluxationsstellung der Ulna also lediglich proximalisiert. Im vorgestellten Fallbeispiel führte dies nicht zu einer klinischen Problematik. Biomechanisch muss die entstandene Situation jedoch eher als ungünstig im Hinblick auf die mögliche Entstehung einer Instabilitätsproblematik des distalen Ulnaendes beurteilt werden.

Zur Diagnostik einer klinisch vermuteten, destabilisierenden Läsion des TFCC wurde von beiden Autorengruppen eine kernspintomographische Untersuchung (MRT) des Handgelenkes durchgeführt. Dies impliziert für den Leser, dass es sich bei der MRT-Untersuchung um die primäre Standardmethode zur Diagnose von Verletzungen des TFCC handelt, aufgrund derer die weitere Therapie festgelegt werden kann. Schulz und Mitarb. beziehen sich hierbei auf eine Arbeit von Herold und Mitarb. [[1]]. In dieser Studie wird jedoch bereits eine spezielle kernspintomographische Untersuchungsmethode (indirekte MR-Arthrographie des Handgelenkes) zur Darstellung von TFCC-Läsionen beschrieben. Trotz der Verwendung dieser Methode wird in der zitierten Arbeit für die Entdeckung von Verletzungen des TFCC bei einer Sensitivität von 100 % nur eine Spezifität von 77 % erreicht. Ein positiver kernspintomographischer Untersuchungsbefund bedeutet also nicht, dass wirklich eine Läsion des TFCC vorliegt. Unter Verwendung einer konventionellen kernspintomographischen Untersuchungstechnik für die Diagnostik der TFCC-Verletzungen werden in der Literatur sogar lediglich eine Sensitivität von 89 bis 93 % und eine Spezifität von 78 bis 92 % angegeben [[1]].

Die letztendliche diagnostische Klärung, ob eine Verletzung des TFCC vorliegt oder nicht, kann nur die Handgelenkarthroskopie erbringen. Die Arthroskopie verbleibt damit auch weiterhin die diagnostische Methode der Wahl zur Erkennung und Klassifizierung von Verletzungen des TFCC. Dies gilt insbesondere, da im Rahmen der Arthroskopie die notwendigen Therapiemaßnahmen (Débridement, Naht oder Refixierung) gleichzeitig durchgeführt oder unterstützt werden können.

Literatur

  • 1 Herold T, Lenhard M, Held P, Babel M, Ruf S, Feuerbach S, Link J. Indirekte MR-Arthrographie des Handgelenkes bei TFCC-Läsionen.  Fortschr Röntgenstr. 2001;  173 1006-1011

Priv.-Doz. Dr. med. Jörg van Schoonhoven

Klinik für Handchirurgie

Salzburger Leite 1

97616 Bad Neustadt/Saale

Email: j.schoonhoven@handchirurgie.de

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