In der deutschen Gesundheitspolitik - über den Aspekt der Kostenersparnis hinaus -
auch inhaltliche Schwerpunkte zu setzen, ist das Ziel der Initiative gesundheitsziele.de
(siehe auch psychoneuro 6/2003). Diese Initiative, die sich aus zahlreichen Akteuren
des Gesundheitswesens zusammensetzt und unter der Schirmherrschaft der Gesellschaft
für Versicherungswissenschaft und Gestaltung (GVG e.V.) in Kooperation mit dem Bundesministerium
für Gesundheit und Sozialordnung (BMGS) arbeitet, hat die erste Phase der konkreten
Ausarbeitung des deutschen Gesundheitszieleprogramms abgeschlossen. Am 14. Februar
2003 wurde der Bericht über detaillierte geplante Ziele und Maßnahmen der Bundesministerin
für Gesundheit und Soziale Sicherung überreicht (Bericht unter www.gesundheitsziele.de
einsehbar).
Folgende Arbeitsschritte kennzeichnen den Verlauf der Arbeit der Initiative gesundheitsziele.de:
-
Festlegen von Zielthemen
-
Einberufen von Arbeitsgruppen zu den einzelnen Zielthemen
-
Ausarbeitung von konkreten Gesundheitszielen zu den Zielthemen
-
Formulieren von Teilzielen zur Opernationalisierung der Gesundheitsziele
-
Benennen von Maßnahmen und Akteuren für die Umsetzung der Teilziele
-
Abschluss der Ausarbeitungsphase, Eintritt in die Implementierungs- und Evaluationsphase.
Die Zielthemen
Die Zielthemen
In einem Konsensusverfahren einigten sich alle am gesundheitsziele.de Prozess beteiligten
Akteure des Gesundheitswesens auf fünf prioritäre Themen. Es wurden Themen gewählt,
die das ganze mögliche Spektrum von Gesundheitszielansätze umfassen:
-
Zielthemen mit Krankheitsbezug: mit den Themen „Diabetes” und „Brustkrebs” wurden Krankheitsbilder gewählt, die nicht
nur wegen ihrer Verbreitung und hohen Mortalität und Morbidität relevant sind, sondern
auch von gesellschaftspolitischer Bedeutung sind
-
Zielthemen mit Präventionsbezug: Dieser Ansatz wird typischerweise vom Zielthema „Tabakkonsum reduzieren” vertreten,
das abgesehen von seiner Public Health Relevanz durch die Diskussionen, z.B. um die
EU-Tabakkonventionen [3], aktuelle gesellschaftspolitische Relevanz besitzt
-
Zielthemen für Bevölkerungs-gruppen: Mit dem Fokus auf Stress, Ernährung und Bewegung bei Kindern und Jugendlichen wird
auf eine klassische Zielgruppe für Prävention und Gesundheitsförderung Bezug genommen
[5]
-
Zielthemen mit Bürger- und Patientenbezug: Das Zielthema „Gesundheitliche Kompetenz von Bürger(inne)n/Patient(inn) en” bezieht
sich konkret auf diesen Anspruch. So explizit bekennt sich bisher kein Gesundheitszielprogramm
zu dem Anspruch auf „Bürger- und Patienten-Empowerment” [2].
Die Arbeitsgruppen
Die Arbeitsgruppen
Für die Ausarbeitung dieser Gesundheitszielthemen wurden fünf Arbeitsgruppen gegründet.
Alle Arbeitsgruppen vereinten in sich die ganze Bandbreite der möglichen Akteure einer
späteren Zielumsetzung. Es gab dabei Akteure, die in allen Arbeitsgruppen vertreten
waren, z.B. Vertreter der zuständigen Ministerien, Vertreter der Länder, Städte und
Krankenkassen. Darüber hinaus gab es aber auch Themen-spezifische Akteure wie z.B.
Vertreter von Organisationen und Fachgesellschaften, die maßgeblich zu dem spezifischen
Thema arbeiten. So beteiligten sich z.B. Vertreter der Schulen und Sportverbände in
den Arbeitsgruppen, die zu Kindern und Jugendlichen und zu „Tabakkonsum reduzieren”
arbeiteten, Vertreter der Selbsthilfe beteiligten sich an den Arbeitsgruppen zu den
Gesundheitszielthemen mit Krankheitsbezug und selbstverständlich in der Arbeitsgruppe
zur Bürger- und Patientenorientierung. Die Arbeitsgruppen waren offen und erweiterten
sich um weitere Akteure im Verlauf.
Ziele und Teilziele
Ziele und Teilziele
Gesundheitszielthemen lassen sich nur mit einem multidimensionalen Ansatz erfolgreich
bearbeiten. Dies bedeutete für die krankheitsbezogenen Themen, dass die Ziele und
Teilziele das gesamte Gesundheitsversorgungsspektrum von der Prävention bis zur Rehabilitation
über die Versorgungssektoren hinaus umspannen müssen. Für das Präventionsziel war
schnell klar, dass Prävention sich nicht nur auf Verhaltensprävention beschränken
kann, sondern ohne Verhältnisprävention, inklusive der Veränderungen politischer Rahmenbedingungen,
nur wenig erfolgreich sein werde. Die Arbeitsgruppen einigten sich im Konsensusverfahren
auf die in [Tabelle 1] dargestellten, zu den Zielthemen formulierten Oberzielen und die ihnen zugeordneten
Ziele und Teilziele [4].
Bei der Erarbeitung der Ziele und Teilziele kristallisierten sich in allen Arbeitsgruppen
Bereiche heraus, die für alle Gesundheitszielthemen bedeutend sind:
-
Informationspolitik (vom Gesundheitswissen der Bürger bis hin zur mündigen Teilhabe
der Patient(inn)en an Therapieentscheidungen)
-
Der Zugang zu sozial benachteiligten Personen als für den Erfolg von Gesundheitszielen
besonders relevante, aber schwer zu erreichende Zielgruppe
-
Die Bedeutung psychosozialer Aspekte.
Die zahlreichen Überschneidungen und Synergien sowohl auf Ziel- als auch auf Teilzielebene
zwischen den Arbeitsgruppen sind in [Abbildung 1] dargestellt.
Die Maßnahmen
Die Maßnahmen
Das bei der Arbeit bisher gültige Konsensprinzip galt beim Erstellen der Maßnahmen
nur noch in Bezug auf die Akteure, die von einer Umsetzung einer Maßnahme betroffen
sein würden. Die Formulierung der Maßnahmen war zwar von dem Ideal „was müsste im
optimalsten Falle unternommen werden um die Gesundheitsziele zu erreichen”, geprägt,
alle Beteiligten waren sich jedoch darüber im Klaren, dass die Umsetzung von den vorhandenen
Ressourcen der Akteure abhängig sein werde, sowie davon, ob betroffene Akteure, die
nicht in der Arbeitsgruppe vertreten sind, sich einbeziehen lassen würden.
Ausblick, Implementierungs- und Evaluationsphase
Ausblick, Implementierungs- und Evaluationsphase
Im Laufe des Jahres 2003 ist der Beginn der Umsetzungsphase der nationalen Gesundheitsziele
geplant. Hierfür müssen Akteure, die die geplanten Maßnahmen umsetzen wollen und können,
gefunden werden. Eine Schwerpunktsetzung bei der Implementierung der Ziele wird sowohl
pragmatisch erfolgen, geleitet von den vorhandenen Ressourcen, als auch ideell. Hierbei
wird es auf ein Betonen der Ziele ankommen, die nicht durch andere zeitgleich laufende
Programme, wie z.B. das Brustkrebsscreeningprogramm oder die Disease Management Programme,
abgedeckt werden. Maßnahmen wie z.B. ein umfassendes Tabakwerbeverbot, als Bestandteil
einer effektiven Strategie zur Reduktion des Tabakkonsums, werden weiterhin als Forderung
bestehen bleiben.
Die Implementierung der Ziele wird von einer Evaluation begleitet werden. Da eindeutige
Ergebnisparameter, wie z.B. die Reduktion der Mortalität von Brustkrebspatientinnen
erst in einigen Jahren, eher Jahrzehnten, relevante Veränderungen aufzeigen werden,
wird sich diese Evaluation insbesondere auf das Beschreiben von Prozessen, Strukturen
und Teilergebnissen stützen müssen.
Schlussfolgerung
Schlussfolgerung
In den letzten Jahren lässt sich eine deutliche Tendenz in der deutschen Gesundheitspolitik
hin zur verstärkten Beschäftigung mit inhaltlichen Aspekten beobachten. Dies zeigt
sich an der Einführung von Versorgungsprogrammen zu chronischen Erkrankungen (DMP),
am Gutachten des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen
[6], an dem erst kürzlich ins Leben gerufene Forum Prävention [1], und nicht zuletzt an der Initiative gesundheitsziele.de. Diese Häufung bundesweiter
Initiativen lässt hoffen, dass es gelingen wird, mit Hilfe all dieser Initiativen
die Qualität in der deutschen Gesundheitsförderung, Prävention und Versorgung gezielt
zu heben.
Abb. 1
Tab. 1 Übersicht über die Gesundheitsziele der fünf Gesundheitszielthemen
Gesundheitsoberziel
|
Gesundheitsziele
|
Diabetes mellitus Typ 2: Erkrankungsrisiko senken, Erkrankte früh erkennen und behandeln |
Die Inzidenz des Diabetes Mellitus Typ 2 ist reduziert. Diabetes Mellitus Typ 2 wird
häufiger in einem Krankheitsstadium diagnostiziert, in dem noch keine Folgeschäden
aufgetreten sind.
Die Lebensqualität von Menschen, die an Diabetes Mellitus Typ 2 erkrankt sind, ist
erhöht. Folgeprobleme und Komplikationen sind nachweislich verringert. |
Brustkrebs: Mortalität vermindern, Lebensqualität erhöhen |
Das Auftreten der Brustkrebsneuerkrankung ist reduziert. Brustkrebs wird in einem
frühen und damit prognostisch günstigerem Stadium erkannt. Eine qualitativ hochwertige
und evidenz- basierte Versorgung ist flächendeckend und strukturiert gewährleistet.
Das Wissen über die Erkrankung ist bei den Nicht-Betroffenen und bei den Patientinnen
verbessert. Die Patientin ist über vorhandene Therapieoptionen informiert und Partnerin
im medizinischen Entscheidungsprozess. Die Lebensqualität der Patientinnen ist durch
eine bedarfsgerechte und qualitätsgesicherte psychosoziale Betreuung und ggf. psychoonkologische
Behandlung verbessert. Patientinnen haben die Möglichkeit, an flexibilisierten Angeboten
der Rehabilitation teilzunehmen. Klinische Krebsregister werden in ausreichender Zahl
und voll funktionsfähig geführt und genutzt. Es bestehen verbesserte Erkenntnisse
über verursachende Faktoren, ihre Zusammenhänge. Vorsorgungsforschung begleitet kontinuierlich
die Versorgung. |
Der Tabakkonsum in der Bevölkerung ist zurückgegangen |
Eine effektive Nichtraucher Politik ist implementiert. Mehr Kinder und Jugendliche
hören mit dem Rauchen auf. Die Zahl der entwöhnten Raucher ist gesteigert. Mehr Kinder
und Jugendliche bleiben Nichtraucher. |
Gesund aufwachsen: Ernährung, Bewegung, Stressbewältigung |
Ein gesundes Ernährungsverhalten bei Kindern und Jugendlichen wird gefördert. Motorische
Fähigkeiten bei Kindern und Jugendliche sind gestärkt. Fähigkeiten zur Stressbewältigung
sind bei Kindern und Jugendlichen gestärkt. |
Kompetenz erhöhen, Patientensouveränität stärken |
Bürger(innen) und Patient(innen) werden durch qualitätsgesicherte, unabhängige, flächen-deckend
angebotene und zielgruppengerichtete Gesundheitsinformationen und Beratungs- angebote
unterstützt. Gesundheitsbezogene Kompetenzen der Bürger(inn)en und Patient- (inn)en
sind gestärkt; ergänzende und unterstützende Angebote sind verfügbar. Die kollektiven
Partienrechte sind ausgebaut, die individuellen Patientenrechte gestärkt und umgesetzt.
Das Beschwerde- und Fehlermanagement erlaubt es Versicherten und Patient(inn)en ihre
Beschwerden und Ansprüche wirksamer, schneller und unbürokratischer geltend zu machen. |