Levodopa, die Vorstufe des Neurotransmitters Dopamin, ist eine physiologische Aminosäure,
die im Gegensatz zu Dopamin die Blut-Hirn-Schranke mittels eines aktiven Aminosäure-Transport-Mechanismus
gut überwinden kann [1]
[2]. Nach Einführung der Kombination von Levodopa mit einem peripheren Decarboxylasehemmer
(Benserazid/Carbidopa) gilt dieses Behandlungsprinzip nach wie vor als die effektivste
und verträglichste Antiparkinson-Therapie [2]
[3].
Bei ca. 80 bis 90 % aller Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom findet sich
im Frühstadium der Erkrankung sowie in der Diagnostik eine deutliche Besserung der
klinischen Symptomatik nach Behandlung mit Levodopa-Präparaten [3]
[4]. Da die Frage nach möglichen schädlichen Effekten von Levodopa auf die Progression
der Erkrankung seit Beginn dieser Behandlung kontrovers diskutiert wird, soll die
Therapie mit Levodopa heute oft soweit als möglich herausgezögert werden [3]
[5]
[6]
[7]
[8]. Früher oder später benötigen die meisten Patienten mit idiopathischem Morbus Parkinson
aber doch Levodopa, um eine optimale Einstellung des motorischen Defizits zu erreichen.
Die ersten Levodopa-Langzeitstudien zeigten, dass Levodopa zu einer Verlängerung der
Lebenserwartung um ca. fünf bis sieben Jahre bei Parkinson-Patienten führte. Darüber
hinaus verbesserte Levodopa insbesondere die motorische Leistungsfähigkeit und förderte
dadurch die soziale und insbesondere die berufliche Integration [1]
[3]
[9]
[10]
[11]. Die Progredienz des Krankheitsprozesses konnte jedoch nicht verzögert werden, sodass
nach drei bis fünf Jahren einer Levodopa-Monotherapie die Mehrzahl der so behandelten
Patienten wieder den ursprünglichen Grad der motorischen Behinderung erreichten. Die
ersten drei bis fünf Jahre der unproblematischen Levodopa-Behandlung des Morbus Parkinson
in der medikamentösen Einstellung der Patienten werden als „Honeymoon-Phase” bezeichnet
[1]
[9]
[10]
[11].
Mit der Zeit kristallisierte es sich heraus, dass in zunehmendem Maße Wirkungsschwankungen
im Tagesverlauf, Fluktuationen und Hyperkinesen (Überbewegungen) auftraten. Fluktuationen
werden abhängig von ihrem Auftreten in Bezug zur Medikamenteneinnahme in zwei Gruppen
eingeteilt. Wenn diese vorhersehbar sind, besteht ein enger Zusammenhang zwischen
der Levodopa-Einnahme und dem Auftreten der motorischen Schwankungen. Veränderungen
der zentralen Pharmakodynamik bzw. -kinetik sind neben peripheren Mechanismen hier
vermutlich bedeutsam. Plötzliche Wirkungsschwankungen ohne erkennbare Beziehung zur
Levodopa-Gabe werden als unvorhersehbare Fluktuationen bezeichnet. Häufig ist selbst
durch eine intensive Untersuchung von Medikationsformen, Mahlzeiten und Magen-Darm-Störungen
keine Erklärung für diese motorischen Komplikationen zu finden [12]
[13]
[14]
[15]
[16].
Nächtliche bzw. frühmorgendliche oder nachmittags auftretenden akinetische Phasen
sind oft die ersten Anzeichen der Manifestation von Fluktuationen. Daher sind gleichmäßigere
Levodopa-Plasmaspiegel mit einer dadurch vermutlich bedingten kontinuierlichen Synthese
von Dopamin im Gehirn sinnvoll. So reduzierte kontinuierliche Gabe mit intrajejunalen
Levodopa-Infusionen bei Patienten mit schwersten Fluktuationen der Motorik diese Bewegungsschwankungen
[17]
[18]
[19]
[20]. Deshalb wurden zur Vermeidung von Fluktuationen entsprechend dem Leitsatz weg von
der pulsatilen hin zur tonischen, physiologischen Stimulation der postsynaptischen,
dopaminergen Rezeptoren Substanzen entwickelt, die eine kontinuierlichere, länger
anhaltende Erregung postsynaptischer Rezeptoren fördern. Das dieses Therapieprinzip
einer kontinuierlichen, postsynaptischen dopaminergen Rezeptorstimulation insbesondere
das Auftreten von Fluktuationen verzögert, konnte durch mehrere Studien gut dokumentiert
werden [3]
[21]
[22].
Neben der Entwicklung von Dopaminagonisten versuchte man nach Einführung der Kombination
von Levodopa mit Decarboxylasehemmern, auch die Retardierung, d.h. die verzögerte
gastrointestinale Freisetzung von Levodopa als Therapieansatz zu etablieren, da früher
oder später die Hinzugabe von Levodopa zu einer Dopaminagonistengabe klinisch meist
notwendig ist (23-25). Der Einsatz von retardierten Levodopa-Formulierungen in äquivalenten
Dosen zu den üblichen Levodopa-Standardpräparaten führte zu einer Verschlechterung
der klinischen Symptomatik. Dies ist auf die geringere Bioverfügbarkeit der Präparate
mit verzögerter Levodopa-Freisetzung im Vergleich zu den normalen Levodopa-Formulierungen
zurückzuführen, was sich auch klinisch durch eine entsprechende Verschlechterung der
Motorik widerspiegelt. Ursache hierfür ist, dass durch die retardierten Präparate
die Absorption und konsekutiv die Zeit bis zum Erreichen der maximalen Levodopa-Konzentration
verlangsamt ist und auch niedrigere maximale Levodopa-Plasmaspiegel im Vergleich zu
den Standardpräparaten erreicht werden [23]
[24]
[25].
Deshalb setzte man dann in kontrollierten und in offenen Studien retardierte Levodopa-Präparate
oft in höheren oralen Dosen ein, um eine äquivalente Einstellung der Motorik zu erreichen.
Heutzutage wird die Kombination von retardierten Levodopa- und Standardpräparaten
bei nächtlicher und frühmorgendlicher Akinese sowie bei Patienten mit wearing-off-Phänomenen,
insbesondere mit geringgradig ausgeprägten und gut abgrenzbaren Fluktuationen, als
vorteilhaft angesehen. Deshalb haben sich retardierte Levodopa-Präparate in der abendlichen
Gabe durchgesetzt, obwohl für diese Indikationen nur begrenzt gut dokumentierte, kontrollierte
Studienergebnisse vorliegen [15]
[24]
[26]
[27]
[28]
[29].
Ziel dieser offenen, beobachtenden Studie war, die Sicherheit und Verträglichkeit
einer Behandlung mit Levodopa/Carbidopa (Nacom® retard) in retardierter Form zu dokumentieren,
Art und Häufigkeit beobachteter unerwünschter Arzneimittelwirkungen zu erfassen und
die therapeutische Wirksamkeit anhand der Ausprägung der motorischen Leitsymptome,
Akinese, Rigor und Tremor sowie der Intensität von Fluktuationen der Beweglichkeit
und Dyskinesien während eines zwölfwöchigen Untersuchungszeitraumes darzustellen.
Patienten, Design, Methoden
Patienten, Design, Methoden
Patienten
In diese multizentrische Anwendungsbeobachtung wurden 338 zuvor behandelte Patienten
im Hoehn und Yahr Stadium I-IV eingeschlossen (männlich: 181, weiblich: 144, keine
Angaben: 13, Durchschnittsalter: 69,65 ± 10,04 (SD), Minimum 66,7, Maximum 91,58 Jahre,
Dauer der Erkrankung: 5,97 ± 4,65 Jahre, Minimum 0, Maximum 32 Jahre). 281 Patienten
nahmen vorher ein Levodopa-Präparat ein, wobei 47 bereits auf eine retardierte Levodopa-Formulierung
eingestellt waren.
Zusätzlich eingesetzte Parkinsonmedikamente in dieser offenen Studie waren Dopaminagonisten
(N = 177), COMT-Hemmer (N = 36), NMDA-Antagonisten (N = 71), MAO-B-Hemmer (N = 20),
Anticholinergika (N = 12). Sechs Patienten beendeten diese offene Studie nicht.
Design
Die Patienten wurden nach individueller Entscheidung des Arztes, entsprechend der
Fachinformation auf retardiertes Levodopa/Carbidopa überwiegend im Verhältnis 1:1
umgestellt, neu zusätzlich damit behandelt (N = 57), oder es wurde additiv dieses
Präparat hinzugegeben. Tremor, Rigor, Akinese, Dyskinesien und motorische Fluktuationen
wurden anhand einer Skala (0 = nicht vorhanden, 1 = leicht, 2 = mäßig, 3 = stark,
4 = sehr stark) beurteilt. Nach vier und nach acht bis zwölf Wochen wurde die medikamentöse
Parkinsontherapie erneut überprüft. Nebenwirkungen wurden über das gesetzlich vorgegebene
Formular „Bericht über unerwünschte Arzneimittelwirkungen” erfasst, welches im Beobachtungsplan
enthalten war.
Statistik
Mittels ANOVA wurden die Dosierungen von retardierten Levodopa/Carbidopa, und die
Ausprägung der erfassten klinischen Symptome während der drei Beobachtungszeitpunkte
(I, II, III) verglichen. Zur post hoc Analyse wurde der Tukeys HSD Test eingesetzt.
Ergebnisse
Die tägliche Dosis von retardiertem Levodopa/Carbidopa wurde bis zum Ende der Studie
signifikant (F = 118,9, p < 0,0001, p (I vs II, I vs. III ) < 0,0001, p (II vs. III)
= n.s. [Abb. 1]) gesteigert. Darunter besserten sich signifikant Akinese (F = 231,1, p < 0,0001,
p (I vs. II, I vs. III, II vs. III) < 0,0001, [Abb. 2]), Rigor (F = 240,7, p < 0,0001, p (I vs. II, I vs. III, II vs. III) < 0,0001, [Abb. 3]), und Tremor (F = 147,9, p < 0,0001, p (I vs. II, I vs. III, II vs. III) < 0,0001,
[Abb. 4]), sowie Dyskinesien (F = 79,1, p < 0,0001, p (I vs. II, I vs. III, II vs. III) <
0,0001, [Abb. 5]) und Ausprägung der motorischen Fluktuationen (F = 224,7, p < 0,0001, p (I vs. II,
I vs. III, II vs. III) < 0,0001, [Abb. 6]).
Die Verträglichkeit war gut, arzneimittelinduzierte Nebenwirkungen traten nur bei
zwei Patienten auf (Übelkeit, Kollaps). Ein Patient verstarb, ohne dass dies als Kausalzusammenhang
zur Studienmedikation gewertet wurde.
Diskussion
Diskussion
Diese offene Studie zeigt, dass durch Erhöhung bzw. Titrierung der dopaminergen Substitutionstherapie
mit einem retardierten Levodopa-Präparat eine verbesserte Einstellung der Symptome
des Morbus Parkinson nahezu ohne ernsthafte, die Lebensqualität beeinträchtigende
Nebenwirkungen erreicht werden kann. Der auch hier zu verifizierende positive Effekt
auf die motorischen Kardinalsymptome der Parkinsonkrankheit und die Zusammensetzung
der durchgeführten medikamentösen Therapie lassen vermuten, dass eine optimale Einstellung
der Parkinsonpatienten unter dem Eindruck des Kostendrucks im Gesundheitswesen zurzeit
nur bedingt erreicht werden kann und dass langfristige Aspekte der Parkinsontherapie,
wie z.B. Gabe von teueren Dopaminagonisten zur Hinauszögern von motorischen Levodopa
assoziierten Langzeitkomplikationen teilweise weniger berücksichtigt werden, obwohl
bekannt ist, dass gesamtwirtschaftlich die Kosten für Patienten mit Fluktuationen
höher sind als ohne [30]
[31]
[32]
[33]
[34].
Somit spiegelt diese offene Studie auch die reale Welt der medikamentösen Parkinsontherapie
wieder, in der überwiegend Levodopa gegeben wird, auf die Krankheitsprogression vermutlich
inhibierenden oder modulierenden Substanzen verzichtet wird, und, insbesondere bei
älteren Parkinsonpatienten im fortgeschrittenen Stadium, eine Kombinationstherapie
mit Dopaminagonisten nicht durchgeführt wird [31]. Diese beobachtende Studie mit ihren als nicht optimiert anzusehenden, validierten
und standardisierten Messinstrumenten beschreibt auch einen positiven Effekt auf die
Intensität von Dyskinesien und motorischen Fluktuationen, die hinsichtlich ihres Subtyps
nicht weiter klassifiziert wurden.
Dies kann neben der symptomatischen Levodopa-Substitution auch eine Folge der verzögerten,
kontinuierlicheren Wirkstofffreisetzung von Levodopa über einen längeren Zeitraum
mit daraus resultierenden, geringer ausgeprägten Schwankungen der Levodopa-Plasmaspiegel
sein [15]
[28]. Entsprechende 12 bzw. 24 Stunden durchgeführte Levodopa-Plasmaspiegelprofile zeigten
nach Gabe von retardierten Levodopa-Präparaten gleichmäßigere Levodopa-Plasmakonzentrationen
im Gegensatz zu denen nach Einnahme von Standardformulierungen [15]
[28]
[35]
[36]. Allerdings wiesen bisherige Langzeitstudien, die normale und retardierte Levodopa-Formulierungen
hinsichtlich der Manifestation von Fluktuationen und Dyskinesien bei zuvor unbehandelten
Parkinsonpatienten verglichen, keine signifikanten Unterschiede fünf Jahre nach Ersteinstellung
auf Levodopa auf [37]
[38].
In der einen Untersuchung entwickelten 22 % der Studienteilnehmer Fluktuationen oder
Dyskinesien, wobei sehr strenge Kriterien mit 20 % Off-Zeit oder 10 % On-Zeit mit
Hyperkinesen erfüllt werden mussten. In dieser Studie erhielten die Patienten durchschnittlich
728 mg retardiertes Levodopa/Carbidopa oder 510 mg der Standardformulierung [38]. Eine ähnliche Untersuchung mit retardierten Levodopa/Benserazid-Präparaten fand
ebenfalls keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Manifestation von motorischen
Komplikationen. Es ist fraglich, ob in diesen beiden, in dieser Form einzigartigen
Langzeitstudien das postulierte Konzept der kontinuierlichen Stimulation richtig überprüft
wurde, nachdem die retardierten Präparate teilweise nur zweimal am Tag appliziert
wurden, der Beobachtungzeitraum nur bei fünf Jahren lag und die Erfassung von motorischen
Fluktuationen und Dyskinesien im Vergleich zu den späteren Dopaminagonistenstudien
teilweise nicht sehr detailliert war [3]
[22]
[37]
[38]
[39]
[40]
[41].
Andere zum Teil kleinere Studien betonen eine gewisse Effizienz von retardierten Levodopa-Formulierungen
in der Therapie der motorischen Langzeitkomplikationen von Levodopa. Dies kommt auch
teilweise in dieser offenen beobachtenden Studie zum Ausdruck [42]
[43]
[44]
[45]
[46].
Zusammengefasst zeigt diese offene beobachtende Studie einerseits die Effizienz der
Levodopa-Gabe in retardierter Form auf die motorischen Kardinalsymptome der Parkinsonkrankheit
und weist andererseits darauf hin, dass durch additive Gabe dieser Präparate eine
Verbesserung von Fluktuationen und Dyskinesien kurzfristig nebenwirkungsarm zu erzielen
ist.
Abb. 1
Abb. 2
Abb. 3
Abb. 4
Abb. 5
Abb. 6