psychoneuro 2003; 29(10): 472-476
DOI: 10.1055/s-2003-43532
Übersicht

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Atomoxetin zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS)

Katja Becker1 , Peter M. Wehmeier2
  • 1Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim
  • 2Medizinische Abteilung, Lilly Deutschland GmbH, Bad Homburg
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Korrespondenzadresse:

Dr. med. Katja Becker

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit

Postfach 12 21 20

68072 Mannheim

Fax: 0621/23429

Email: kbecker@zi-mannheim.de

Publication History

Publication Date:
10 November 2003 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Die Hyperkinetischen Störungen (HKS) bzw. Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) gehören zu den häufigsten psychischen Störungen im Kindesalter, können aber auch bei Erwachsenen bestehen. Zur Symptomatik gehören Unaufmerksamkeit, motorische Unruhe und Impulsivität. Im Rahmen einer multimodalen Behandlung haben Psychostimulanzien wie z.B. Methylphenidat einen hohen Stellenwert. In den USA wurde im November 2002 der selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Atomoxetin von der Food and Drug Administration (FDA) zur Behandlung der ADHS bei Kindern sowie Erwachsenen zugelassen. Die Substanz unterliegt keiner besonderen Kontrolle, etwa einem Betäubungsmittelgesetz. Wirksamkeit und gute Verträglichkeit wurden bei Kindern sowie Erwachsenen in mehreren klinischen Studien belegt. Atomoxetin ist in Deutschland noch nicht zugelassen.

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Summary

Hyperkinetic disorder or attention-deficit/hyperactivity disorder (ADHD) are among the psychiatric diagnoses most often encountered in children. However, adults may also suffer from this disorder. Symptoms include inattention, hyperactivity and impulsivity. As an integral component of a multi-modal treatment approach, stimulants such as methylphenidate are the treatment of choice. In November 2002 the Food and Drug Administration (FDA) approved the selective norepinephrin reuptake inhibitor atomoxetine for the treatment of ADHD in children and adults in the United States. Atomoxetine is not a psychostimulant and not a controlled substance. Efficacy and safety have been demonstrated in several clinical trials. Atomoxetine has not yet been approved in Germany.

Die Hyperkinetischen Störungen (ICD-10) bzw. Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (DSM-IV) gehören zu den häufigsten psychischen Störungen im Kindesalter, sie können aber auch im Erwachsenenalter fortbestehen. Diese Störungen [Tab. 1] sind durch Unaufmerksamkeit, motorische Unruhe und Impulsivität gekennzeichnet. Der Verlauf ist oft chronisch, meist ist eine langfristige Behandlung der Betroffenen indiziert. Im Schulalter beträgt die Prävalenz der Störung 3-5 %, Jungen sind 3 bis 9mal häufiger betroffen als Mädchen. In 50 % der Fälle besteht die Störung im Jugendalter fort und fast ein Drittel der Betroffenen hat auch im Erwachsenenalter deutliche Symptome [5]. Bei Jugendlichen und Erwachsenen ist die Hyperaktivität oft weniger ausgeprägt, während Unaufmerksamkeit, Ablenkbarkeit und Desorganisation überwiegen [8].

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Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperakti-vitätsstörungen (ADHS)

Die Behandlung der Hyperkinetischen Störungen (HKS) bzw. ADHS und eventuell vorhandener komorbider Erkrankungen sollte stets multimodal erfolgen. Die Aufklärung und Beratung der Eltern und des Kindes bzw. des Jugendlichen ist Grundlage der Behandlung. Andere Interventionen (z.B. Psychotherapie, etwa Selbstinstruktionstraining, oder Pharmakotherapie) werden bei entsprechender Indikation durchgeführt. Eine primäre Pharmakotherapie ist meist dann indiziert, wenn eine stark ausgeprägte, situationsübergreifende hyperkinetische Symptomatik mit einer erheblichen Beeinträchtigung des Patienten und seines Umfelds (z.B. drohende Umschulung in eine Sonderschule, massive Belastung der Eltern-Kind-Beziehung) besteht [3].

Zur medikamentösen Behandlung der ADHS sind Psychostimulanzien (z. B. Methylphenidat, Amphetamine) in jeder Altersgruppe die Substanzen der ersten Wahl [3] [8]. Diese Substanzen erhöhen die Verfügbarkeit von Dopamin und Noradrenalin im synaptischen Spalt und vermindern die hyperkinetischen Auffälligkeiten. Als Arzneimittel der zweiten Wahl gelten trizyklische Antidepressiva (z. B. Imipramin, Desipramin).

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Atomoxetin, ein selektiver Noradrenalin-Wiederauf-nahmehemmer

In den USA wurde im November 2002 von der Food and Drug Administration (FDA) Atomoxetin [Abb. 1], ein selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, für die Behandlung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) zugelassen [1]. Atomoxetin wirkt über eine hochselektive Hemmung des präsynaptischen Noradrenalintransporters, was zur Erhöhung der Noradrenalinkonzentration im synaptischen Spalt führt [Abb. 2]. Die Affinität zu anderen Transportern bzw. Rezeptoren ist minimal. Obwohl Atomoxetin in Deutschland noch nicht zugelassen ist, muss auch hier mit der Anwendung dieser Substanz, etwa im Rahmen individueller Heilversuche, gerechnet werden. Daher dürfte bei Psychiatern bzw. Kinder- und Jugendpsychiatern ein Interesse an näheren Informationen zu Atomoxetin bestehen.

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Pharmakokinetik

Atomoxetin wird nach oraler Einnahme gut resorbiert. Die Resorption wird durch die Nahrung nur minimal beeinflusst, so dass es zu den Mahlzeiten eingenommen werden kann. Die absolute Bioverfügbarkeit beträgt nach oraler Aufnahme normalerweise 63 %. Die maximale Plasmakonzentration wird ein bis zwei Stunden nach Einnahme erreicht. Bei therapeutischen Plasmakonzentrationen ist Atomoxetin zu 98 % an Plasmaproteine, v.a. Albumin, gebunden. Die Plasmahalbwertszeit beträgt vier bis fünf Stunden. Atomoxetin wird über das Cytochrom P450 2D6 Isoenzym in der Leber abgebaut. Die Elimination erfolgt primär über eine Oxidation durch Cytochrom P450 2D6 (CYP2D6) mit anschließender Glucuronidierung. Die Ausscheidung erfolgt primär als 4-Hydroxyatomoxetin-O-Glucuronid über die Niere (>80 %) und zu einem geringen Teil auch über die Faeces (<17 % der Dosis). Ein Teil der Bevölkerung (zirka 7 % der Kaukasier und 2 % der Afroamerikaner) verstoffwechselt Arzneimittel, die über das CYP2D6 abgebaut werden, besonders langsam („poor metabolizer”). Bei Patienten mit langsamer Verstoffwechselung können bis zu fünffach erhöhte Plasmaspitzenkonzentrationen und eine verlängerte Halbwertszeit auftreten (bis zu 24 Stunden). Andere Arzneimittel, die über CYP2D6 verstoffwechselt werden (z.B. Fluoxetin, Paroxetin, Chinidin), können den Abbau hemmen und zu höheren Atomoxetinspiegeln führen [1].

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Unerwünschte Arzneimittelwirkungen

Die am häufigsten angegebene Nebenwirkung ist eine Verminderung des Appetits. Bei einigen Patienten wurde initial ein leichter Gewichtsverlust festgestellt, auf den aber eine normale Gewichtsentwicklung folgte [14]. Da Atomoxetin zu Blutdruck- und Herzfrequenzerhöhungen führen kann, sollen vor Beginn der Therapie, bei Dosiserhöhungen und regelmäßig während der Behandlung diese Parameter kontrolliert werden. Da noch keine Langzeitbehandlungsdaten vorliegen, die den Effekt von Atomoxetin auf das Längenwachstum bewerten lassen, wird empfohlen, das Wachstum unter der Behandlung mit Atomoxetin zu überwachen. In 12- und 18-monatigen offenen Studien zeigte sich, dass das Wachstum mit der normalen Wachstumskurve vergleichbar war [1]. Selten kam es unter der Anwendung von Atomoxetin zu allergischen Reaktionen. Unter Atomoxetin kam es weder zu Schlafstörungen noch zu Veränderungen der Laborparameter oder Auffälligkeiten im EKG [14]. Die Kontrolle bestimmter Laborparameter ist im Behandlungsverlauf nicht vorgeschrieben. Atomoxetin wirkt weder stimulierend noch euphorisierend, in den Studien gab es keinerlei Hinweise auf die Entwicklung einer psychischen oder körperlichen Abhängigkeit. In den USA unterliegt Atomoxetin keiner besonderen Kontrolle, etwa im Sinne eines Betäubungsmittelgesetzes [1].

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Kontraindikationen und Wechselwirkungen

Wegen unzureichender Erfahrung sollte Atomoxetin nicht während der Schwangerschaft, bei stillenden Müttern, bei Kindern unter 6 Jahren oder geriatrischen Patienten angewandt werden. Wegen eines möglichen Anstiegs von Blutdruck und Herzfrequenz sollte die Indikation einer Atomoxetintherapie bei Patienten mit Bluthochdruck, Tachykardie oder kardiovaskulären Erkrankungen sorgfältig geprüft werden [1].

Kontraindikationen bestehen bei Patienten mit einer bekannten Überempfindlichkeit gegenüber Atomoxetin sowie bei Engwinkel-Glaukompatienten. Außerdem darf Atomoxetin nicht in Kombination mit einem MAO-Hemmer und auch nicht innerhalb von zwei Wochen nach Absetzen eines MAO-Hemmstoffes eingenommen werden.

Wechselwirkungen bestehen zu CYP2D6-Inhibitoren (z.B. Paroxetin, Fluoxetin, Chinidin). Wegen der damit verbundenen möglichen Erhöhung der Plasmakonzentration von Atomoxetin kann bei gleichzeitiger Gabe solcher Substanzen eine Dosisreduktion erforderlich sein. Eine durch Salbutamol bedingte Erhöhung der Herzfrequenz bzw. ein Anstieg des Blutdrucks werden durch Atomoxetin verstärkt. Vorsicht ist bei der Kombinationen mit b2-Agonisten geboten, da vorhandene kardiale Nebenwirkungen durch die potenziell hypertensive Wirkung von Atomoxetin verstärkt werden können.

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Dosierung

Die Verabreichung von Atomoxetin erfolgt nach Angaben der amerikanischen Fachinformation [1] entweder als Einmaldosis vormittags oder in zwei Verabreichungen morgens und abends. In den USA ist Atomoxetin unter dem Handelsnamen StratteraTM in Form von Kapseln in den Stärken 10, 18, 25, 40 und 60 mg erhältlich. Die empfohlene tägliche Anfangsdosis bei Kindern und Jugendlichen bis 70 kg Körpergewicht ist 0,5 mg Atomoxetin pro kg Körpergewicht. Bei Kindern und Jugendlichen über 70 kg Körpergewicht und bei Erwachsenen ist die empfohlene Anfangsdosis 40 mg Atomoxetin pro Tag. Die empfohlene tägliche Zieldosis bei Kindern und Jugendlichen bis 70 kg Körpergewicht ist 1,2 mg Atomoxetin pro kg Körpergewicht. Bei Kindern und Jugendlichen über 70 kg Körpergewicht und bei Erwachsenen beträgt die empfohlene Zieldosis 80 mg Atomoxetin pro Tag [Tab. 2].

Eine Dosissteigerung sollte frühestens drei Tage nach Beginn der Medikation erfolgen. Sollte bei Jugendlichen über 70 kg Körpergewicht oder Erwachsenen die Zieldosis von 80 mg nicht zu einem hinreichenden Erfolg führen, dann kann nach zwei bis vier Wochen die Tagesgesamtdosis auf die Maximaldosis von 100 mg gesteigert werden. Bei Kindern und Jugendlichen sollte eine Dosierung von 1,4 mg/kg Körpergewicht nicht überschritten werden. Insgesamt sollte bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen eine Tagesdosis von 100 mg nicht überschritten werden. Atomoxetin kann abrupt abgesetzt werden, ein Ausschleichen der Dosis ist nicht erforderlich.

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Studien mit Atomoxetin bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit ADHS

Wirksamkeit und Verträglichkeit von Atomoxetin wurden in mehreren randomisierten, doppelblinden, plazebokontrollierten Studien an Kindern und Jugendlichen bzw. Erwachsenen mit ADHS überprüft [Tab. 3].

In einer ersten doppelblinden plazebokontrollierten Cross-over-Studie an 22 Erwachsenen zwischen 19 und 60 Jahren mit der Diagnose ADHS zeigte sich Atomoxetin in der Therapie der Erwachsenen mit ADHS wirksam und gut verträglich [12]. In zwei weiteren randomisierten, doppelblinden, plazebokontrollierten Studien an 280 bzw. 256 Erwachsenen mit ADHS erwies sich Atomoxetin ebenfalls als wirksam und gut verträglich [9].

In einer randomisierten Dosisfindungsstudie bei Kindern und Jugendlichen zwischen 8 und 18 Jahren zeigte sich Atomoxetin in den Dosisgruppen 1,2 mg/kg/Tag sowie 1,8 mg/kg/Tag in der Reduktion von ADHS-Symptomen und in der Verbesserung sozialer Fähigkeiten gegenüber Plazebo deutlich überlegen. Allerdings war die Dosierung von 1,8 mg/kg/Tag der Dosis von 1,2 mg/kg/Tag nicht überlegen, so dass letztere Dosierung für die meisten Patienten als ausreichend erachtet wurde [11].

Eine achtwöchige doppelblinde Studie mit 249 Kindern und Jugendlichen mit ADHS, die in einem ambulanten Setting behandelt wurden, ergab, dass Atomoxetin im Vergleich zu Plazebo eine gute Wirkung auf die Kernsymptome der ADHS (Impulsivität, Unaufmerksamkeit und motorische Unruhe) hatte und sich darüber hinaus das soziale Verhalten in der Familie und unter Gleichaltrigen verbesserte [4].

In einer neunwöchigen multizentrischen plazebokontrollierten Studie mit 253 Kindern mit ADHS (Durchschnittsalter 9,8 ±1,6 Jahre), von denen 39 % eine komorbide oppositionelle Störung aufwiesen, zeigte sich unter Atomoxetin bei 65,4 % der Kinder mit einer oppositionellen Störung eine Verbesserung der Symptomatik (Plazebo: 36,4 %) und bei 58,9 % der Kinder ohne oppositionelle Störung eine Verbesserung der Symptomatik (Plazebo: 29,3 %) [6].

Nachdem der Wirksamkeitsnachweis einer zweimal täglichen Verabreichung erbracht war, wurde in einer doppelblinden, plazebokontrollierten Studie die Wirksamkeit einer morgendlichen Einmaldosis bei 171 Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 16 Jahren mit ADHS überprüft. Auch abends zeigte sich noch ein positiver Effekt. Wenngleich in dieser Studie kein direkter Vergleich zwischen einmal und zweimal täglicher Verabreichung vorgenommen wurde, waren die Effektstärken der morgendlichen Einmaldosis mit denjenigen der zweimal täglichen Dosis vergleichbar [10].

In einer multizentrischen Open-Label-Studie in den USA und Kanada wurde die Wirksamkeit von Atomoxetin mit der von Methylphenidat bei 228 Kindern verglichen. Bei den 7 bis 15-jährigen Jungen und 7 bis 9-jährigen Mädchen mit ADHS zeigten sich während der zehnwöchigen ambulanten Behandlungsphase beide Arzneimittel wirksam in der Reduktion der Kernsymptome der ADHS. Auch im Hinblick auf das Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkungen oder vorzeitiger Behandlungsabbrüche zeigten sich keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Gruppen. Wenngleich die Studie nicht doppelblind und die Methylphenidatgruppe relativ klein war (n = 44), zeigten Atomoxetin und Methylphenidat vergleichbare Wirksamkeit und Verträglichkeit [7].

In zwei multizentrischen plazebokontrollierten Studien in den USA mit insgesamt 291 ADHS-Patienten im Alter von 7 bis 13 Jahren wies Atomoxetin gute Wirksamkeit und Verträglichkeit auf [13]. Eine Subgruppe dieser 291 Patienten, bestehend aus 51 Mädchen in Alter von 7 bis 13 Jahren, wurde gesondert ausgewertet. Die Ergebnisse zeigten, dass Atomoxetin auch in dieser Subgruppe wirksam ist [2].

In einer Auswertung von drei doppelblinden Studien wurden kardiovaskuläre Parameter, die während der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Atomoxetin erhoben worden waren, näher betrachtet (Atomoxetin: n = 342; Plazebo: n = 208). Kein Patient musste wegen kardiovaskulärer Nebenwirkungen die Behandlung abbrechen. Atomoxetin führte zu keiner QT-Zeit-Verlängerung [14]. Der leichte Anstieg von Blutdruck und Pulsfrequenz wurde als klinisch nicht relevant erachtet. Die Erhöhung der Herzfrequenz war mit der unter Methylphenidat vergleichbar [15].

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Diskussion und Fazit

Atomoxetin ist die erste Substanz, die von der FDA zur Therapie der ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in den USA zugelassen wurde. Die Substanz wurde bisher an über 2067 Kindern und Jugendlichen und 558 Erwachsenen mit ADHS in klinischen Studien erprobt. In den Zulassungsstudien in den USA wurden 169 Patienten über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr und 526 Patienten über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten behandelt [1]. Atomoxetin erwies sich im Hinblick auf die Reduktion von Impulsivität, motorischer Unruhe und Verbesserung der Aufmerksamkeit als überlegen im Vergleich zu Plazebo. Es wurde in der Regel gut vertragen [14].

Die Wirksamkeit von Atomoxetin scheint über den Tag relativ gleichmäßig verteilt zu sein, so dass die einmal tägliche Verabreichung für die meisten Patienten ausreichen dürfte. Das Nebenwirkungsprofil unterscheidet sich durch den rein noradrenergen Wirkmechanismus deutlich von dem entsprechender Psychostimulanzien. Atomoxetin gehört selbst nicht zu den Psychostimulanzien und unterliegt auch keiner Beschränkung im Sinne eines Betäubungsmittelgesetzes. Die Zulassung für Atomoxetin wird in Deutschland für Anfang 2005 erwartet. Derzeit wird in Europa und anderen Ländern außerhalb der USA eine große Relapse-Prevention-Studie bei Patienten mit ADHS durchgeführt. Die vorliegenden Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Atomoxetin eine viel versprechende Substanz zur Behandlung von ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ist.

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Abb. 1

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Abb. 2

Tab. 1 Vergleich der Diagnosen innerhalb der beiden Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV

ICD-10

Hyperkinetische Störungen

DSM-IV

Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen

F90.0

Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung

314.01

Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), gemischter Subtypus

F90.1

Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens

314.01 + 312.8 oder 313.81

ADHS, gemischter Subtypus, und Störung des Sozial-verhaltens oder Störung mit oppositionellem Trotzverhalten

F98.8

Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität

314.00

ADHS, überwiegend unaufmerksamer Subtypus

- keine Entsprechung -

314.01

ADHS, überwiegend hyperaktiv-impulsiver Subtypus

Tab. 2 Dosierung von Atomoxetin bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom [1]

 

Anfangsdosis/Tag

Zieldosis/Tag

Kinder und Jugendliche bis 70 kg KG

0,5 mg ATMX/kg KG

1,2 mg ATMX/kg KG

Kinder und Jugendliche über 70 kg KG und Erwachsene

40 mg ATMX

80 mg ATMX

KG = Körpergewicht; ATMX = Atomoxetin

Tab. 3 Studien mit Atomoxetin bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit ADHS

Autor

Studiendesign

Fallzahl

Ergebnis

p-Wert

Spencer et al., 1998 [12]

Doppelblind, plazebo-kontrolliert, crossover

22 Erwachsene

Atomoxetin gut verträglich; wirksamer als Plazebo

<0,01

Michelson et al., 2003 [9]

Doppelblind, randomisiert, plazebokontrolliert

280 Erwachsene

Atomoxetin wirksamer als Plazebo

0,005

Michelson et al., 2003 [9]

Doppelblind, randomisiert, plazebokontrolliert

256 Erwachsene

Atomoxetin wirksamer als Plazebo

0,002

Michelson et al., 2001 [11]

Randomisiert, plazebokontrolliert

297 Kinder und Jugendliche

Atomoxetin wirksamer als Plazebo; Tagesdosis 1,2 mg/kg KG so wirksam wie 1,8 mg/kg KG

<0,001

Donnelly et al., 2002 [4]

Randomisiert, plazebokontrolliert

249 Kinder und Jugendliche

Unter Atomoxetin besseres Sozialverhalten als unter Plazebo

<0,01

Heiligenstein et al., 2002 [6]

Doppelblind, randomisiert, plazebokontrolliert

253 Kinder, 98 mit komorbider oppositioneller Störung

Atomoxetin wirksamer als Plazebo bei ADHS mit oder ohne komorbider oppositioneller Sörung

<0,007

Michelson et al., 2002 [10]

Doppelblind, plazebokontrolliert

171 Kinder und Jugendliche

Atomoxetin als Einmaldosis wirksamer als Plazebo

≤0,001

Kratochvil et al., 2002 [7]

Randomisiert, open-label

228 Kinder

Wirksamkeit von Atomoxetin vergleichbar mit der von Methylphenidat

<0,001

Spencer et al., 2002 [13]

Doppelblind, plazebokontrolliert

291 Kinder

Atomoxetin wirksamer als Plazebo

<0,001

Biederman et al., 2003 [2]

Doppelblind, plazebokontrolliert

51 Mädchen

Atomoxetin wirksamer als Plazebo bei Mädchen (7-13 Jahre)

0,002

KG = Körpergewicht

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Literatur

  • 1 Amerikanische Fachinformation . StratteraTM (atomoxetine HCl).  Internet: http: //pi.lilly.com/us/strattera-pi.pdf  Eli Lilly and Company, Indianapolis (USA). 2002; 
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  • 10 Michelson D, Allen AJ, Busner J, Casat C, Dunn D, Kratochvil C, Newcorn J, Sallee FR, Sangal RB, Saylor K, West S. Once-daily atomoxetine treatment for children and adolescents with attention deficit hyperactivity disorder: A randomized, placebo-controlled study.  Am J Psychiatry. 2002;  159 1896-1901
  • 11 Michelson D, Faries D, Wernicke J, Kelsey D, Kendrick K, Sallee R, Spencer T. Atomoxetine Study Group . Atomoxetine in the treatment of children and adolescents with attention-deficit/hyperactivity disorder: A randomized, placebo-controlled, dose-response study.  Pediatrics. 2001;  108
  • 12 Spencer T, Biederman J, Wilens TE, Prince J, Hatch M, Jones J, Harding M, Faraone SV, Seidman L. Effectiveness and tolerability of tomoxetine in adults with attention deficit hyperactivity disorder.  Am J Psychiatry. 1998;  155 693-695
  • 13 Spencer T, Heiligenstein JH, Biederman J, Faries DE, Kratochvil CJ, Conners CK, Potter WZ. Results from 2 proof-of-concept, placebo-controlled studies of atomoxetine in children with attention-deficit/hyperactivity disorder.  J Clin Psychiatry. 2002;  63 1140-1147
  • 14 Wernicke JF, Kratochvil CJ. Safety profile of atomoxetine in the treatment of children and adolescents with ADHD.  J Clin Psychiatry. 2002;  63 50-55
  • 15 Wernicke WF, Faries D, Gao H, Kovacs R, Breitung R, Allen AJ, Michelson D. Cardiovascular effects of atomoxetine in children and adolescents.  Posterpräsentation, American Academy of Child & Adolescent Psychiatry (AACAP), San Francisco (USA). 2002; 
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Korrespondenzadresse:

Dr. med. Katja Becker

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit

Postfach 12 21 20

68072 Mannheim

Fax: 0621/23429

Email: kbecker@zi-mannheim.de

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Literatur

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Korrespondenzadresse:

Dr. med. Katja Becker

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit

Postfach 12 21 20

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