Notfall Medizin 2003; 29(11): 470-474
DOI: 10.1055/s-2003-44960
Fokus

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Notarzteinsatz mit Verdacht auf akute Aortendissektion - Notsituation mit hoher Frühmortalität

M. Philipp1
  • 1Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin, Collm Klinik Oschatz
Further Information
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Anschrift des Verfassers

Mike Philipp

c/o Collm Klinik Oschatz

Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin

Parkstraße 1

04758 Oschatz

Publication History

Publication Date:
08 December 2003 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Der vorliegende Beitrag stellt einen Notarzteinsatz mit Verdacht auf eine akute Aortendissektion und die weitere klinische Therapie dar. Neben der typischen Symptomatik, welche durchaus auch mit peripheren neurologischen Störungen einhergehen kann, führten auch Alter und Vorerkrankungen des Patienten zur Diagnosestellung. Nach Anlage großvolumiger peripherer Venenzugänge bei stets gegebener Rupturgefahr, medikamentöser Therapie der Hypertension und Analgosedierung konnte der Patient in ein nahe gelegenes gefäßchirurgisches Zentrum verlegt werden. Bei der initial durchgeführten bildgebenden Diagnostik zeigte sich eine Aortendissektion Typ A. Es erfolgte die operative Versorgung mittels einer Hemashield-Prothese.

Der postoperative Verlauf wurde durch eine akute Niereninsuffizienz und ein Kompartmentsyndrom des linken Unterschenkels kompliziert. Bei steigendem Katecholaminbedarf kam der Patient jedoch ad exitum.

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Summary

This article presents an emergency situation with suspected aortic dissection, and describes the subsequent clinical treatment. Together with the typical symptoms - which can also be associated with peripheral neurological disorders - the age and pre-history of the patient led to the correct diagnosis. After placement of large-calibre peripheral venous lines (always associated with a danger of rupture), medication to treat hypertension and algosedation, the patient was taken to a vascular surgical center in the vicinity. The initial diagnostic imaging procedure revealed a type A dissection. Surgical treatment employing a Hemashield prosthesis was then applied. The postoperative course was complicated by an acute renal insufficiency and a compartmental syndrome of the left lower leg. The catecholamine requirement of the patient rose, and the patient finally died.

Die akute Aortendissektion stellt eine seltene, aber mit einer hohen Frühmortalität behaftete Notfallsituation dar. Bei einer Vielzahl von akuten Erkrankungszuständen ist jedoch diffentialdiagnostisch daran zu denken. Gerade bei einer vielerorts möglichen präklinischen Lysetherapie, welche beim akuten Myokardinfarkt als typische differentialdiagnostische Erkrankung möglich wäre, ist an eine Dissektion zu denken, da deren Anwendung gegebenenfalls durch Auflösung dissektionslimitierender Anteile schicksalsentscheidend für den Patienten sein kann.

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Wichtigstes Leitsymptom ist der Vernichtungsschmerz

Die Inzidenz einer akuten Aortendissektion wird auf 5 bis 30 Neuerkrankungen pro 1 Million Einwohner und Jahr geschätzt und leider primär häufig verkannt [1] [2] [3] [4]. Wichtigstes Leitsymptom ist der Vernichtungsschmerz, welcher sein Punktum maximum innerhalb weniger Sekunden erreicht und von reißender, manchmal auch pulsierender Qualität ist. Die Schmerzlokalisation verändert sich dann in typischer Weise entsprechend der Ausbreitung der Dissektion und kann mit weiteren Schmerzgipfeln assoziiert sein. Das mögliche vordergründige Bild der akuten Aortendissektion als Myokardinfarkt durch Einschränkung der Koronarperfusion, als Linksherzinsuffizienz durch Vorliegen einer Aortenklappeninsuffizienz, als akutes Abdomen durch Ischämie des Mesenterialgebiets oder als Synkope meist durch Perikardtamponade gibt Anlass zur Fehldiagnose [5]. Differentialdiagnostisch ist die akute Aortendissektion daher bei vielen Notfallsituationen in Betracht zu ziehen. Die Wahrscheinlichkeit, als Notarzt eine akute Aortendissektion therapieren zu müssen, ist zwar nicht primär vom Patientenalter abhängig - jedoch tritt dieses Ereignis in der Vielzahl der Fälle zwischen der vierten und siebten Lebensdekade und vornehmlich bei Männern auf [6]. Während früher angeborene Defekte der Aortenwand - wie Marfan-Syndrom oder idiopathische Media-Nekrose Erdheim-Gsell - unter anderem als Ursache angenommen wurden, steht heute die Aortenarteromatose auf der Grundlage eines lang bestehenden Hypertonus im Vordergrund [7]. Bei 70 % der Patienten mit einer akuten Aortendissektion findet sich diese Vorerkrankung. Zu den beschriebenen Ursachen der nichttraumatischen Aortendissektion sind die auf Grund starker Scherkräfte an der Aorta auftretenden, traumatischen Dissektionen abzugrenzen, wobei diese noch wesentlich seltener eine Rolle spielen.

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Aorta wird durch Intima-einriss aufgespalten

Bei einer Aortendissektion wird die aus drei Schichten aufgebaute Aorta (von innen nach außen: Tunica intima - Tunica media - Tunica adventitia) durch einen Intimaeinriss aufgespalten. Dabei ergibt sich ein zwischen der Tunica intima und Tunica adventitia gelegenes, pulsierendes falsches Lumen. Abhängig von der Lage der Eintrittsstelle in den intramuralen Raum, wird nach der Stentford-Klassifikation (1970) zwischen der Aortendissektion Typ A und der Aortendissektion Typ B unterschieden [8].

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Aortendissektion Typ A

Bei Typ A kann die Aorta ascendens bis zum Aortenbogen, jedoch darüber hinaus auch der Aortenbogen als solcher und gegebenenfalls die gesamte Aorta descendens bis zur Bifurkation befallen sein. Der auskultatorische Nachweis eines Diastolikums der Aortenklappe kommt bei bis zu 60 % der Typ-A-Dissektionen durch Vorliegen einer Aortenklappeninsuffizienz vor [Abb. 1].

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Aortendissektion Typ B

Hingegen befindet sich bei der Aortendissektion Typ B, der Intimaeinriss (Entry) im Bereich der Aorta descendens. Typ B kann beschränkt sein auf die thorakale Aorta, jedoch auch weiter nach distal bis in die Aorta abdominalis beziehungsweise bis zur Bifurkation reichen. Keinesfalls ist jedoch bei der Dissektion nach Typ B die Aorta ascendens oder/und der Aortenbogen dissiziert [Abb. 2].

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Pulsative Aufweitung bildet falsches Lumen

Pathogenetisch kommt es bei der Ausbildung einer Aortendissektion nach dem primären Intimaeinriss zu einer pulsativen Aufweitung des intramuralen Raumes, zur Ausbildung des beschriebenen falschen Lumens. Das eigentliche Lumen der Aorta - nunmehr als wahres Lumen bezeichnet - kann dadurch eingeengt und im Vergleich zum falschen Lumen sogar einen geringeren Durchmesser aufweisen. Treibende Kraft für die Größe beziehungsweise Länge der Dissektion ist der arterielle Blutdruck und hierbei speziell die systolische Druckanstiegsgeschwindigkeit [9] [10]. Entsprechend ihres Ausgangspunktes kann sich die Dissektion sowohl nach proximal als auch nach distal weiter ausdehnen, gegebenenfalls sogar proximal in das Perikard einbrechen. Die fortschreitende Dissektion kann sowohl spontan zum Stillstand kommen als auch nach außen rupturieren. Eine dritte Möglichkeit stellt der zweite Intimaeinriss (Reentry) dar. Sowohl die Ausbildung eines Koagels im zum Stillstand gekommenen Dissektionsbereich als auch der Wiedereintritt des Blutstroms in das wahre Lumen (Reentry), stellen prognostisch zwei günstige Faktoren dar, weil die dissizierenden Kräfte abnehmen ([Abb. 3], [Abb. 4], [Abb. 5]).

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Präklinische Maßnahmen

Das Erkrankungsbild der akuten Aortendissektion wird auf Grund der wenigen diagnostischen Möglichkeiten im Notarztdienst stets eine Verdachtsdiagnose bleiben. Nur die Minderheit der akuten Aortendissektionen zeigt präklinisch das voll ausgeprägte Symptombild, sodass an eine große Gruppe von Differentialdiagnosen gedacht werden muss [11]. Der apoplektische Insult, zum Untersuchungszeitpunkt mit neurologischen Defiziten klinisch signifikant, oder der akute Myokardinfarkt mit dem Leitbild des thorakalen Vernichtungsschmerzes werden die typischen differentialdiagnostischen Überlegungen sein. Im Umkehrschluss muss selbstverständlich auch beim Vorliegen dieser primären Erkrankungsbilder an eine akute Aortendissektion gedacht werden.

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Basistherapie: peripher-venöse Zugänge schaffen

Bei Verdacht einer akuten Aortendissektion ist daher die Schaffung ausreichend großer peripher-venöser Zugänge die wichtigste Basistherapie - zwei großkalibrige Flexülen erscheinen dafür als ausreichend. Die medikamentöse Therapie wird primär darauf abgestimmt sein, alle das Fortschreiten der akuten Dissektion fördernden Faktoren zu unterdrücken und umfasst daher Blutdrucksenkung, Analgesie und Anxiolyse.

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Blutdrucksenkung

Zur suffizienten Blutdrucksenkung sollten primär Betablocker zur Anwendung kommen [12]. Im vorliegenden Fall war deren Einsatz jedoch wegen der ausgeprägten Sinusbradykardie kontraindiziert. Stattdessen wurde mit dem Calciumantagonisten Verapamil (Gruppe der Phenylalkylamine) versucht, den Blutdruck zu senken. Die Wirkung durch Blockade des Calciumeinstroms kommt bei Calciumantagonisten vom Verapamiltyp neben einer geringen Wirkung auf die glatte Muskulatur der Gefäße vornehmlich mit der Wirkung auf das Erregungsbildungs- und Leitungssystem zum Tragen. Es resultiert eine negative Chronotropie und eine negative Dromotropie. Im vorliegenden Fall wurde auf den Einsatz eines Calciumantagonisten vom Nifidipintyp (Dihydropyridine) mit nahezu ausschließlicher Wirkung auf die Gefäßmuskulatur verzichtet, da bei dessen Einsatz durch eine reflektorische Sympatikusaktivierung tachykarde Zustände ausgelöst werden können. Weiterhin bestand die deutliche Gefahr eines massiven Blutdruckabfalls bei Vorbehandlung mit einem Nitrat. Da die frequenzmodulatorischen Eigenschaften der Calciumantagonisten im Vergleich zur Betablockade geringer ausfallen, wurde Verapamil primär eingesetzt. Sofern die Gabe von ß-Blockern nicht kontraindiziert ist, sollte Esmolol (Brevibloc®) mit der bestehenden β1-Selektivität, fehlender partieller agonistischer Aktivität (PAA) und durch Esterase-Hydrolyse kurzen Halbwertszeit bevorzugt werden [13] [14].

Als weiteres Antihypertensivum wurde dem Patienten Urapidil i.v. verabreicht. Dies im Handel als Ebrantil® erhältliche Präparat führt durch eine postsynaptische Alpha-1-Blockade zur Abnahme des peripheren Gefäßwiderstandes und damit zur Blutdrucksenkung. Weiterhin kommt es durch Stimulation zentraler Serotoninrezeptoren (5-HT 1A) zur Hemmung der bereits erwähnten und gefürchteten sympatikotonen Gegenregulation.

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Analgesie und Anxiolyse

Zur Analgosedierung erhielt der Patient Midazolam (Dormicum®), ein Emidazo-Benzodiazepin und Fentanyl [15]. Dormicum zeichnet sich durch seine ausgeprägte amnestische Fähigkeit und gute Steuerbarkeit als hervorragendes Notfallmedikament aus. Auch Fentanyl mit einer im Vergleich zum Morphin etwa 125fach höheren analgetischen Potenz, raschem Anflutungsvermögen im ZNS und überschaubarer Wirkdauer von 20 bis 30 Minuten kam in Kombination zur Reduktion der auf den Patienten einwirkenden Stressfaktoren zum Einsatz. Die blutdrucksenkende Eigenschaft beider Präparate konnte hier summativ ausgenutzt werden [16].

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Antikoagulation und Lyse

Die Applikation von Heparin und ASS erfolgte vom Notarzt wegen des bekannten Ruptur- und Blutungsrisikos bei einer akuten Aortendissektion hier nicht, obwohl der Einsatz unter differentialdiagnostischen Überlegungen (z.B. akuter Myokardinfarkt) indiziert sein würde. Die Gabe von ASS, spätestens durch die ISIS-2-Studie [17] in der Therapie des akuten Myokardinfarkts etabliert, sollte für die günstigere Prognose des Myokardinfarkts zwar so früh wie möglich erfolgen, kann jedoch auch nach Analyse einer Untergruppe der genannten Studie später verabreicht werden, da eine Verzögerung der Applikation in den ersten Stunden keinen Einfluss auf die Mortalität hat [18]. Im beschriebenen Fall nahm der Patient bereits vor Eintreffen des Notarztes 500 mg Aspirin®. Nur unter dringendstem Verdacht einer akuten Aortendissektion sollte jedoch der Notarzt nach gründlicher Abwägung des Nutzen-Risiko-Profils die ASS-Gabe dem Patienten vorenthalten.

Eine zwar am Notarztstandort nicht verfügbare - gerade hinsichtlich der möglichen Differentialdiagnose eines akuten Myokardinfarktes mögliche - präklinische Lyse könnte durch die Auflösung von Blutkoageln im falschen Lumen und damit mit Beseitigung dissektionslimitierender Anteile schicksalentscheidend sein.

Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass trotz frühzeitiger notfallmedizinischer Intervention und weiterer suffizienter Therapie in einer Klinik mit Maximalversorgung der letale Ausgang zu beklagen war.

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Akute Aortendissektion Typ A

An einem Samstag um 10:49 Uhr wird der Notarzt unter dem Einsatzbild „Apoplex” zu einem 74-jährigen Patienten gerufen. Um 11:05 Uhr trifft dieser in der vom Notarzt-Standort 25 km entfernten ländlichen Gemeinde ein. Bei Ankunft findet sich ein auf dem Sofa sitzender und von Schmerzen gezeichneter Patient vor. Dieser berichtet, dass etwa zehn bis 15 Minuten vor Eintreffen des parallel alarmierten Rettungswagens ein akutes Ereignis im Sinne eines maximalen Schmerzes von schneidend-stechender Qualität im Oberbauchbereich beim Umkleiden aufgetreten sei. Das Punctum maximum des Schmerzes wäre sodann „in den Bauch hinab gestiegen”, danach hätte sich im rechten Gesäßbereich beginnend ein Taubheitsgefühl eingestellt, welches dann sowohl das rechte als auch das linke Bein erreichte. In diesem Zusammenhang nahmen die Schmerzen im Oberbauch ab und wurden nur noch als heftiger Rückenschmerz empfunden. Da sich das Ereignis im Keller des Einfamilienhauses ereignete, habe sich der Patient - nach Angaben der vor Ort anwesenden Ehefrau - auf allen Vieren die Treppe ins Erdgeschoss hinauf geschleppt.

Der Patient verabreichte sich selbst auf Grund der Schmerzsymptomatik eine Tablette Aspirin® (500 mg) per os. Der von der Ehefrau informierte Hausarzt sah sich außer Stande, einen unverzüglichen Hausbesuch durchzuführen. Nach Drängen informierte er jedoch die zuständige Rettungsleitstelle.

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Präklinische Befunde

Es findet sich ein ansprechbarer, im Kopf-Hals-Bereich hochroter und schweißiger Patient auf dem Sofa sitzend vor. Die eingetroffenen Rettungsassistenten messen einen Blutdruck von 230/130 mmHg. Im ebenfalls bereits angelegten EKG zeigt sich eine Sinusbradykardie mit einer Herzfrequenz von 56/min. Auskultatorisch ergeben sich an Pulmo und Cor keine Auffälligkeiten. Seitens der Atmung besteht eine diskrete Tachypnoe und die SaO2-Werte liegen zwischen 96 und 98 % ohne Sauerstoffgabe. Das Abdomen ist weich, nicht vorgewölbt. Es findet sich keine Resistenz, kein Druckschmerz und eine regelrechte Peristaltik. Im neurologischen Status fällt eine mittels Kältetest (durch Aufsprühen von Hautdesinfektionsmittel) verifizierte Sensibilitätsstörung ab dem Hautdermatom Th10 auf. Die Beine können aktiv nicht mehr bewegt werden. Der übrige neurologische Status, insbesondere die grob orientierende Untersuchung der Hirnnerven, fällt ohne pathologischen Befund aus. Bei der näheren Untersuchung der unteren Extremitäten wird ab der Leistenbeuge (Arteria fermoralis) beidseits nach peripher kein Puls mehr getastet - sie sind weiß und kalt.

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Anamnese

Der 74-jährige Patient wurde mit massiven Schmerzen im Bereich des Abdomens und des Rückens auffällig und zog aus diesem Grunde notärztliche Hilfe hinzu. Beim Patienten waren bereits über Jahre ein Hypertonus, eine Hypercholesterinämie und COPD bekannt. Die Ehefrau berichtete über einen starken Zigarettenkonsum ihres Ehemanns - über 50 Jahre rauchte dieser 10 bis 20 Zigaretten/Tag. Weiterhin wurde vom Patienten eine nicht unbeträchtliche Menge an Kaffee - 5 bis 6 Tassen pro Tag - konsumiert. Die hausärztliche Betreuung des Patienten bestand in der Kontrolle des bekannten Hypertonus, welcher bereits seit vielen Jahren isoliert mit Propranolol (Obsidan®) 2 x 50 mg therapiert wurde.

Seitens der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung erfolgte die konsiliarisch, ambulante Mitbehandlung durch einen Pulmologen. Die mit Flunisolid (Inhacort®), Ipratopiumbromid und Fenoterol-HBr (Berudual®) als Dosieraerosole geführte Therapie wurde letztmalig drei Jahre vor dem akuten Ereignis kontrolliert. Familienanamnestisch waren keine chronischen Erkrankungen bekannt.

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Erstmaßnahmen

Vom primär eintreffenden Rettungsassistententeam wurden dem Patienten zweimalig 2 Hub Nitrolingual® verabreicht. Danach kann ein diskret abgesenkter Blutdruck mit 200/130 mmHg gemessen werden. Nach Eintreffen des Notarztes und dem Erheben des Erstbefundes erfolgt die sofortige Anlage zweier großvolumiger, venöser Zugänge, wobei eine Flexüle mittels Mandrains verschlossen bleibt. Über den anderen Zugang erfolgt die langsame Infusion von Ringerlösung. Zur weiteren Therapie des Hypertonus werden unter laufender EKG-, Blutdruck- und Sauerstoffsättigungskontrolle titriert 5 mg Verapamil (Isoptin®) verabreicht. Zur Analgosedierung erhält der Patient insgesamt 0,15 mg Fentanyl und 5 mg Midazolam (Dormicum®). Während dieser Therapie sinkt die Herzfrequenz bis auf 40/min - bei weiter fortbestehenden, hochnormalen Blutdruckwerten und reiner Sinusbradykardie erfolgt diesbezüglich keine weitere Therapie. Die Herzfrequenz erholt sich sodann und erreicht wiederum Werte von durchschnittlich 60/min. Der Blutdruck lässt sich bis zu einem Wert von 150/80 mmHg suffizient senken. Der Patient ist nunmehr subjektiv beschwerdeärmer und kann unter schonenden Bedingungen in den Rettungswagen verbracht werden. Im unweit gelegenen Herzzentrum erfolgt die Anmeldung unter der Verdachtsdiagnose einer akuten Aortendissektion. Bei Kontrolle der Blutdruckwerte ist vor Abfahrt jedoch ein erneuter Anstieg bis zu 190 mmHg (systolisch) zu verzeichnen. Der Patient erhält daraufhin titriert 15 mg Urapidil (Ebrantil®) i.v.

Es stellt sich sodann rasch wiederum ein hochnormaler Blutdruckwert mit 150/80 mmHg ein, darunter wird der Patient mit Sauerstoff per Nasensonde versorgt und in Anti-Trendelenburg-Lagerung in die vorinformierte Klinik transportiert. Die Übergabe erfolgt um 12:05 Uhr in der Notaufnahme der kardiologischen Intensivstation.

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Weiterer klinischer Verlauf

Der Patient wird im Herzzentrum mit einem Blutdruck von 130/90 mmHg und einer Herzfrequenz von 57/min aufgenommen. Es zeigt sich eine rhythmische Herzaktion und auskultatorisch ein 2/6-Diastolikum über der Aortenklappe - keine Halsveneneinflussstauung. Bei Vesikuläratmen, sonorem Klopfschall und fehlenden Rasselgeräuschen stellt sich der pulmonale Befund als regelrecht dar. Die Untersuchung des Abdomens ergibt eine weiche Bauchdecke, regelrechte Darmgeräusche und leicht klopfschmerzhafte Nierenlager beidseits. Am linken Bein sind keine sicheren Pulse bei sonst lividem, geschwollenem Gesamtaussehen palpabel - rechtes Bein ohne pathologischen Befund.

In der sofort durchgeführten transthorakalen Echokardiographie zeigt sich bei suboptimalen Schallbedingungen eine mittelgradig eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion mit einer Ejektionsfraktion von 45-50 % bei normal großen Herzhöhlen. Die Aortenklappe ist - soweit beurteilbar - degenerativ im Sinne einer Aorteninsuffizienz II. Grades verändert, die Mitralklappe ist unauffällig. Der Aortensinus wird mit einem Durchmesser von 42 mm erweitert zur Darstellung gebracht. Trikuspidal- und Pulmonalklappe sind jeweils nicht beurteilbar. Zur Bestätigung der Verdachtsdiagnose einer akuten Aortendissektion Typ A wird umgehend eine Computertomographie durchgeführt. Es zeigt sich eine Dissektion mit Beginn in Aortenklappenhöhe, wobei das wahre Lumen links den Abgang der linken Herzkranzarterie beinhaltet. Die Dissektionsmembran ist bis ins kleine Becken zu verfolgen. Die Abgangssituation der Oberbauch- und Nierenarterien kann nicht eindeutig geklärt werden - möglicherweise entspringen alle Gefäße aus dem falschen Lumen. Die Perfusion der Bauch- und Retroperitonealorgane hingegen stellt sich als gut dar. Der Kontrastfluss der linken A. iliaca wird zirka 3 cm distal der Bifurkation unterbrochen. Die Verdachtsdiagnose der akuten Aortendissektion Typ A wurde damit bestätigt - der Befund reicht von der Aortenklappe bis weit ins kleine Becken ([Abb. 6], [Abb. 7]).

Die vorliegenden Befunde ergeben damit die Indikation zur dringlichen gefäßchirurgischen Operation, zu welcher der Patient in die kardiochirurgische Abteilung des Herzzentrums verlegt wird. Die operative Versorgung erfolgte mit einer Hemashield-Prothese. Der postoperative Verlauf gestaltete sich durch das Aufteten einer therapiebedürftigen akuten Niereninsuffizienz und eines Kompartmentsyndroms der unteren Extremitäten kompliziert. Der anfangs mittels Katecholamintherapie stabilisierte Gesamtzustand des Patienten verschlechterte sich jedoch zunehmend, so dass es am achten postoperativen Tag zum letalen Ausgang kam.

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Abb. 1 Von der Dissektion betroffen sind: Pars ascendens, Arcus und Pars descendens der Aorta

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Abb. 2 Die Dissektion ist auf die Pars descendens der Aorta beschränkt

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Abb. 3

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Abb. 4

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Abb. 5

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Abb. 6

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Abb. 7

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Literatur

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Anschrift des Verfassers

Mike Philipp

c/o Collm Klinik Oschatz

Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin

Parkstraße 1

04758 Oschatz

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Literatur

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Anschrift des Verfassers

Mike Philipp

c/o Collm Klinik Oschatz

Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin

Parkstraße 1

04758 Oschatz

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Abb. 1 Von der Dissektion betroffen sind: Pars ascendens, Arcus und Pars descendens der Aorta

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Abb. 2 Die Dissektion ist auf die Pars descendens der Aorta beschränkt

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Abb. 3

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Abb. 4

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Abb. 5

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Abb. 6

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Abb. 7