Einleitung
Eingeatmeter und in den Alveolen und Atemwegen abgelagerter schwer löslicher Staub
mit kristallinem SiO2, wie er im Steinkohlenbergbau auftritt, akkumuliert in der Lunge, wenn die Clearancerate
des Atemwegsepithels überschritten wird [47] bei einer Konzentration des alveolengängigen Staubs von etwa 1 mg/m3. Die mittlere Halbwertzeit dieses deponierten Staubs beträgt in tierexperimentellen
Befunden 6 - 12 Monate. Die Staubpartikel werden von Makrophagen phagozytiert und
in das Lungeninterstitium transportiert. Dabei kommt es zur Makrophagen-Aktivierung
und -Proliferation mit Bildung von inflammatorischen und zytotoxischen Zytokinen,
Zellwachstumsfaktoren sowie reaktiven Sauerstoffspezies. Die phagozytierenden Zellen
gehen schließlich an den nicht abbaubaren Staubpartikeln unter Freisetzung auch lytischer
Enzyme zugrunde. Immer neue Makrophagen nehmen die Partikel auf und setzen den Kreislauf
fort. Die Folgen sind eine Chronifizierung des Entzündungsprozesses mit Involvierung
von Neutrophilen, Epithelzellen und Fibroblasten, die aktiviert werden. Dabei findet
eine gesteigerte Kollagenfaser-Synthese statt. In-vivo- und In-vitro-Untersuchungen
zeigen, dass Kohlengrubenstaub die Expression von Leukozyten-Aktivierungsfaktoren,
monozyten-chemotaktisches Protein, TNFα sowie Neutrophilen-Adhäsionsfaktoren (ICAM)
aufreguliert. Die genannten pathophysiologischen Vorgänge führen schließlich zu einer
Schädigung der Lungen-Zielzellen und wichtiger Makromoleküle wie α1-Antitrypsin und der DNS [60]. Im interstitiellen Bindegewebe können sich silikotische Herde bilden, die einen
typischen Aufbau mit zentraler Hyalinisierung und konzentrisch-lamellenartiger Schichtung
aufweisen. Als Besonderheit der Pneumokoniose des Steinkohlenbergmanns, der kohlenstoffreichem
Staub ausgesetzt ist, findet sich ein breiter Saum von staubenthaltenden Makrophagen
um die silikotischen Knötchen. Gelegentlich zu beobachtende Autoantikörper stellen
in der Regel Epiphänomene dar. In sehr seltenen Fällen ist eine besondere großknotige
Silikoseform mit einer rheumatoiden Arthritis assoziiert (Caplan-Syndrom). Die morphologischen
und funktionellen Veränderungen im Sinne einer Restriktion, Atemwegsobstruktion und
eines Lungenemphysems gehen mit Krankheitssymptomen, röntgenologisch fassbaren Pathologica
(vorwiegend rundlichen Lungenschatten, Schwielen und/oder Emphysem), erhöhter Morbidität
(v. a. chronische Bronchitis mit und ohne Lungenfunktionseinschränkung) und Mortalität
einher, wodurch es häufig zu einer relevanten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)
kommt. Im Folgenden soll eine Übersicht des gegenwärtigen Kenntnisstandes hierzu gegeben
werden.
Ergebnisse
Chronische Bronchitis
Marine u. Mitarb. [41] fanden im „Pneumoconiosis Field Research” des National Coal Bords in Großbritannien,
dem bisher umfangreichsten epidemiologischen Forschungsprogramm im Steinkohlenbergbau,
eine signifikante positive Assoziation zwischen der kumulierten Feinstaubdosis und
dem Auftreten einer chronischen Bronchitis im Sinne der WHO-Definition (Abb. [1]). Eine solche Beziehung existiert auch für die chronische obstruktive Bronchitis
wie u. a. die vorgenannte Untersuchung sowie die in den 60er-Jahren durchgeführte
DFG-Studie zeigen (Abb. [2a], [2b]). Bereits für durchschnittliche Konzentrationen alveolengängigen Staubs unter 1
mg/m3 waren nach langjähriger Exposition relevante Exzessrisiken objektivierbar [35]. Die DFG-Studie ergab für die komplexe anamnestisch-klinische und lungenfunktionsanalytische
Zielgröße „chronische bronchiale Reaktion” (Kov; Mindestpunktzahl = 2) unabhängig vom Alter und vom Rauchverhalten eine signifikante
Assoziation mit der durchschnittlichen Staubkonzentration im deutschen Steinkohlenbergbau
[18]
[20]
[36] Im US-amerikanischen Steinkohlenbergbau wurden gleichartige Zusammenhänge beschrieben
[27]. Seixas u. Mitarb. (Tab. [5]) schätzten mit einem logistischen Modell Risiken für bronchitische Symptome. Für
die chronische obstruktive Bronchitis erhielten sie eine Verdopplung des Risikos bei
einer alveolengängigen Staubdosis von 20 mgm-3a (entspricht ca. 32 ghm-3) (mgm-3 und ghm-3 sind Produkte aus mittlerer Konzentration in mg bzw. g pro m3 und Jahren bzw. Stunden).
Abb. 1 Prävalenz der chronischen Bronchitis unter britischen Steinkohlenbergleuten, abgeleitet
von logistischen Regressionsgleichungen unter Berücksichtigung der kumulativen Staubexposition
[41]. R = Raucher; NR = Nichtraucher; J = Jahre.
Abb. 2 Konzentration des alveolengängigen Kohlengrubenstaubs, die - in Abhängigkeit vom Alter
- zu einer Häufigkeitsverdopplung einer chronischen obstruktiven Bronchitis führt
[7]
[8]; a) Nieraucher, b) Raucher
Radiologische Lungenbefunde
Reisner [56], Reisner und Robock [54] und Reisner u. Mitarb. [55] haben bereits seit den 70er-Jahren Zusammenhänge zwischen der Staubdosis im Steinkohlenbergbau
und der Entwicklung der radiologisch fassbaren Silikose festgestellt (Abb. [3]). Zu entsprechenden Resultaten kamen Piontek u. Mitarb. [51] und Morfeld [45], die außerdem einen stärkeren silikogenen Einfluss von stratigrafisch älteren Horizonten
(höherer Inkohlungsgrad) beschrieben. Positive Dosis-Wirkungs-Beziehungen zwischen
Staubdosis und Silikosehäufigkeit wurden auch von Hurley u. Mitarb. 1982, Hurley u.
Mitar. [29] und Maclaren [28] und Collins u. Mitarb. [15] in ihren Auswertungen des Pneumoconiosis Field Research im britischen Steinkohlenbergbau
beobachtet (Tab. [1]).
Abb. 3 Zusammenhang zwischen der mittleren Konzentration des alveolengängigen Staubs im deutschen
Steinkohlenbergbau (35 Arbeitsjahre) und dem Risiko, eine Silikose der Kategorie ≤
1 (a) oder > 1 bzw. Schwielenbildung (b) zu entwickeln [56].
Tab. 1 Prävalenz verschiedener, radiologisch definierter Silikose-Kategorien (Pneumokoniose
der Steinkohlenbergleute) in Abhängigkeit von der durchschnittlichen Feinstaubkonzentration
von 1 - 3 mg/m3 [21]
[28]
Feinstaub-Konz. |
Röntgenklassifikation |
|
nicht schwielige Silikose; Kategorie: |
schwielige Silikose; A, B, C |
|
1 |
2 |
3 |
|
(mg/m3) |
Prävalenz (%) |
Prävalenz (%) |
1
|
2,60 |
0,68 |
0,05 |
0,25 |
2
|
5,94 |
1,63 |
0,15 |
0,64 |
3
|
9,40 |
2,68 |
0,27 |
1,10 |
Annahmen: Alter = 53 Jahre, 35 Jahre Expositionsdauer, 1631 Arbeitsstunden pro Jahr,
mittlerer Inkohlungsgrad von 86,2 % Kohlenstoff |
Nach Collins u. Mitarb. [15] war das Auftreten von kleinen rundlichen bzw. unregelmäßigen Lungenschatten - in
einem multivariaten logistischen Modell unter Berücksichtigung des Rauchverhaltens
und des Alters - mit der kumulierten Belastung gegenüber alveolengängigem Kohlengrubenstaub
assoziiert (Regressionskoeffizient (Standardabweichung) pro 100 ghm-3 0,975 [0,103] bzw. 0,5773 [0,133]). Gleiches gilt im Prinzip für Stäube mit hohem
Quarzgehalt, wie sie in Erzbergwerken und Goldminen, im Tunnelbau, in Gießereien,
Steinbrüchen, in steinverarbeitenden Betrieben, in der Glas- und Keramikindustrie,
beim Sandstrahlen etc. vorkommen [12]
[23]
[25]
[42]
[48].
Unter den heute wesentlich verbesserten arbeitshygienischen Bedingungen im deutschen
Steinkohlenbergbau treten höhergradige Silikosen nicht mehr auf, auch deshalb, weil
die Arbeitseinsatzlenkung empfindliche Personen aus der hohen Belastung herausnimmt
[17]. Seltenere radiologisch-klinische Diagnosen unter Steinkohlenbergleuten stellen
das Caplan-Syndrom (großknotige Silikose mit rheumatoider Arthritis) und die Silikotuberkulose
(BK 4102) dar. Das Risiko für letztere ist v. a. bei fortgeschrittener Silikose erhöht.
Lungenfunktion
Atemwegswiderstand Rt
In der Literatur finden sich etwas divergierende Ergebnisse in Abhängigkeit vom röntgenologischen
Lungenbefund. Zum Teil wird eine im Mittel erhöhte Atemwegsresistance unter deutschen
Steinkohlenbergleuten ohne Silikose beschrieben [68]. Andererseits teilen Ulmer u. Mitarb. [69] mit, dass erst höhergradige Silikosen (B- und C-Schwielen) mit einer eindeutigen
Überhäufigkeit obstruktiver Atemwegserkrankungen einhergehen (Abb. [4]). Letztere Darstellung war letztendlich die Basis der sog. „Moerser Konvention”,
nach der bisher Silikosen in der Regel erst ab einer Kategorie von 3/2 bzw. 2/3 [32]
[33] als Berufskrankheit entschädigt werden; bei schwächerer Silikoseausprägung wurde
nicht von einer Überhäufigkeit pathologischer Lungenfunktionsbefunde ausgegangen.
Abb. 4 Häufigkeit erhöhter Atemwegswiderstände (> 0,35 kPa × L-1 × s) unter Steinkohlenbergleuten ohne und mit schwieliger Silikose [34] in Abhängigkeit vom Lebensalter [69].
Spirometrische Lungenfunktionsparameter
Im Vergleich zu Kontrollkollektiven haben im deutschen Steinkohlenbergbau unter Tage
Beschäftigte signifikant niedrige Werte von VC, FEV1, FRC und RV, und zwar auch dann, wenn noch keine radiologisch fassbare Silikose vorliegt.
Mit zunehmender Silikosekategorie verstärkt sich die Funktionsstörung in der Regel.
So liegen beispielsweise die Mittelwerte der VC von 50- bis 60-jährigen Bergleuten
nach Smidt ([63]; Tab. [2a]) um ca. 600 mL bzw. 800 mL (ohne Silikose und Silikose-Kategorie 1 bzw. Silikose-Kategorie
2 - 3) unterhalb der nicht im Bergbau tätigen Kontrollgruppe (Tab. [2a]). Für die Mittelwerte der FEV1 betragen die entsprechenden Unterschiede 370 - 640 mL bzw. 770 mL. Die Reduktion
der Lungenfunktion ist damit bei Smidt [63] überschlägig knapp 30 - 45 % stärker als der Abfall vom Sollmittelwert zum Sollgrenzwert
( = 1,64 × RSD; [52]).
Tab. 2a Lungenfunktionsbefunde von 50- bis 60-jährigen Bergleuten aus dem Ruhr-Steinkohlenbergbau
mit und ohne Silikose sowie von einem Kontrollkollektiv, das nicht im Bergbau tätig
war [63]
Angegeben sind jeweils die Mittelwerte. Berücksichtigt man die Streuung der Lungenfunktionsparameter
in den einzelnen Kollektiven, so ergibt sich, dass die Werte von Bergleuten ohne Pneumokoniose
deutlich überhäufig außerhalb des Bereichs der Kontrollen liegen und damit als pathologisch
anzusehen sind. Si = Silikose; es sind die ILO-Klassifikationen von 1971 und 1980
[13] angegeben
Parameter |
Röntgenklassifikation |
|
Kontrollen |
Bergleute |
|
0 |
0 |
Si I (ILO 1971) (Kat. 1/0 - 1/2, ILO 1980) |
Si II (ILO 1971) (Kat. 2/1 - 2/3, ILO 1980) |
Si III (ILO 1971) (Kat. ≥ 3/2, ILO 1980) |
Pinhead (< 1,5 mm, submiliare Si) |
VC (mL)
|
4150 |
3560 |
3550 |
3370 |
3430 |
3100 |
FEV1 (mL)
|
2900 |
2530 |
2260 |
2130 |
2150 |
2010 |
FRC (mL)
|
2980 |
3330 |
3290 |
3220 |
3190 |
3310 |
RV (mL)
|
1920 |
2260 |
2450 |
2360 |
2220 |
2530 |
Rt (kPa · L-1 · s)
|
0,218 |
0,212 |
0,213 |
0,209 |
0,211 |
0,219 |
VD/VT
|
0,31 |
0,38 |
0,38 |
0,39 |
0,38 |
0,39 |
VD, O2
|
162 |
201 |
218 |
241 |
244 |
232 |
P(A-a), O2
(mm Hg)
|
15,3 |
27,8 |
26,5 |
28,7 |
26,6 |
31,9 |
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Ulmer u. Mitarb. [68] (Tab. [2b]) und Carstens u. Mitarb. [14] (Tab. [2c]).
Tab. 2b Lungenfunktionsbefunde von 50- bis 60-jährigen Bergleuten aus dem Ruhr-Steinkohlenbergbau
mit und ohne Silikose sowie von einem Kontrollkollektiv, das nicht im Bergbau tätig
war (zitiert nach Reichel [53])
Angegeben sind jeweils die Mittelwerte. Berücksichtigt man die Streuung der Lungenfunktionsparameter
in den einzelnen Kollektiven, so ergibt sich, dass die Werte von Bergleuten ohne Pneumokoniose
deutlich überhäufig außerhalb des Bereichs der Kontrollen liegen und damit als pathologisch
anzusehen sind
Parameter |
Röntgenklassifikation (ILO 1971) |
|
Kontrollen |
Bergleute |
|
0 |
0 |
A p q r |
B C |
VC (mL)
|
3800 |
3400 |
3200 |
3300 |
FEV1 (mL)
|
2800 |
2500 |
2450 |
2200 |
Rt (kPa · L-1 · s)
|
0,305 |
0,395 |
0,40 |
0,53 |
Tab. 2c Vitalkapazität (VC) von Steinkohlenbergleuten verschiedener Altersgruppen im Vergleich
zu gleichaltrigen nicht exponierten Kontrollen [14]
|
VC in % des Sollmittelwertes |
|
bis 29 J. |
30 - 39 J. |
40 - 49 J. |
≥ 50 J. |
Kontrollen
|
100 |
97 |
92 |
88 |
gesunde Bergleute
|
116 |
107 |
97 |
79 |
Bergleute m. Bronchitis
|
114 |
104 |
81 |
75 |
Bergleute m. Silikose
|
- |
97 |
78 |
73 |
Carstens u. Mitarb. [14] weisen außerdem darauf hin, dass junge Bergleute bis zum Alter von 30 Jahren den
Sollmittelwert der VC wesentlich übertreffen; hier macht sich ein Healthy-Worker-Effekt
bemerkbar. Jenseits des 50. Lebensjahres beträgt der VC-Verlust der Durchschnittbevölkerung
12 %, der gesunden Bergleute aber 37 %, der Bergleute mit Emphysembronchitis 39 %
und jener der an Silikose Erkrankten 42 %. Carstens u. Mitarb. beobachteten dabei
vor allem eine Abnahme des inspiratorischen Anteils der Vitalkapazität („Reserveluft”),
die von 35 auf 28 % unter den über 50-Jährigen abnimmt.
Der Hauptverlust der Lungenfunktion entsteht nach allen diesen Studien aus dem deutschen
Steinkohlenbergbau durch die kumulierte Belastung während der Tätigkeit unter Tage;
radiologisches feststellbares Emphysem und/oder Silikose verschlechtern den Lungenfunktionsbefund
zusätzlich. „Gesunde Bergleute verlieren ihre respiratorischen Reserven dreimal so
stark wie die Allgemeinbevölkerung” [14].
Nemery u. Mitarb. [49] beobachteten im Vergleich zu Stahlarbeitern unter nicht rauchenden belgischen Bergleuten
mit und ohne Silikose ebenfalls eine Verminderung von VC, FEV1 %VC, FEV1 und RV (die letzten beiden signifikant).
Die vorgenannten Studienergebnisse sind konsistent mit Untersuchungsdaten im britischen
Steinkohlenbergbau [40]
[41]
[65]. Marine u. Mitarb. [41] verwendeten als Zielgrößen FEV1 < 80 %, chronische Bronchitis (WHO) und zugleich FEV1 < 80 % bzw. chronische Bronchitis (WHO) und zugleich FEV1 < 65 % (der FEV1-Sollwert entsprach dabei dem Mittelwert eines internen Kontrollkollektivs). Dabei
fanden sie für alle diese Zielgrößen signifikante positive Assoziation mit der kumulierten
alveolengängigen Kohlengrubenstaub-Exposition und zwar unabhängig von Alter, Körpergröße
und vom Rauchen; die FEV1 nahm pro ghm-3 kumulierter alveolengängiger Staubbelastung um ca. 1 mL ab (Nieraucher mit radiologischer
Kategorie < 0/1: - 1,06 mL/ghm-3; Nichtraucher: - 0,94 mL/ghm-3; Raucher: - 1,02 mL/ghm-3). [Beispiel für eine 20-jährige Tätigkeit bei Grenzwertbedingungen: 0,004 gm-3 × 1700 h × 20 = 136 ghm-3]. Die Prävalenz einer FEV1-Einschränkung (< 80 % des Sollmittelwertes) in Verbindung mit einer chronischen Bronchitis
betrug unter Nichtrauchern 1,2 %. Es zeigte sich ein Anstieg der Prävalenz um 50 bzw.
100 % bei durchschnittlichen Konzentrationen des alveolengängigen Kohlengrubenstaubs
von 1,2 bzw. 2,0 mg/m3 im Alter von 55 Jahren nach 35-jähriger Staubexposition mit 1700 Arbeitsstunden pro
Jahr [41]
[44].
Collins u. Mitarb. [15] beschrieben den Zusammenhang zwischen Lungenfunktionsdaten (FEV1, FVC) einerseits und der kumulierten Belastung durch alveolengängigen Staub im Steinkohlenbergbau
unter a) Nierauchern ohne Silikose, mit rundlichen Lungenschatten oder unregelmäßigen
Lungenschatten bzw. b) Rauchern mit kleinen unregelmäßigen Lungenschatten andererseits
(Abb. [5]). In der multiplen Regression ergibt sich demnach im Mittel insgesamt pro ghm-3 kumulativer Exposition gegenüber alveolengängigem Staub (in Klammern: Daten für Bergleute
mit unregelmäßigen Lungenschatten) ein Verlust der FEV1 von - 1,56 mL (- 1,92 mL), der FVC von - 1,51 mL (- 1,91 mL) und der FEV1 %VC von - 0,012 % (- 0,019 %).
Abb. 5 Multiple Regression über den Zusammenhang zwischen Lungenfunktion (FEV1, FVC) und der kumulativen Staubbelastung im Steinkohlenbergbau unter Nichtrauchern
ohne Silikose (____), Nichtrauchern mit kleinen runden Lungenschatten (_ _ _), kleinen unregelmäßigen Lungenschatten (_ _ _), ferner von Zigarettenrauchern mit kleinen unregelmäßigen Lungenschatten (......) [15]. Es sind die Daten eines 49-jährigen Bergmanns (Körpergröße 170 cm, Gewicht 74 kg)
dargestellt. Für 100 ghm-3 kumulativer Feinstaubexposition ergibt sich im Mittel insgesamt (in Klammern: Daten
der Bergleute mit unregelmäßigen Lungenschatten) ein Verlust der FEV1 von - 156 mL (- 192 mL), der FVC von - 151 mL (- 191 mL) und der FEV1 %FVC von - 1,2 % (- 1,9 %).
Unter nordamerikanischen Steinkohlenbergleuten waren gesteigerte Lungenfunktionsabnahmen
ebenfalls überhäufig [1]. Der Rückgang in den Lungenfunktionsgrößen mit der kumulierten Exposition gegenüber
alveolengängigem Staub (standardisiert nach Körpergröße, Alter, Raucherstatus und
einem Indikator der jeweiligen Bergbauregion) betrug für die FEV1 - 0,69 mL/ghm-3, für die FVC - 0,49 mL/ghm-3 und für die FEV1 %FVC - 8 × 10 - 5/ghm-3 (p jeweils < 0,05). In der Untergruppe mit der Kategorie 0/0 [32] lag die FEV1-Veränderung bei - 0,75 mL/ghm-3. Größere Lungenfunktionsverluste fanden sich bei höherem Inkohlungsgrad (adjustiert
nach der kumulierten alveolengängigen Kohlengrubenstaubexposition).
Seixas u. Mitarb. ([61]
[62] Abb. [2 a] u. [b]) konnten eine signifikante Zunahme der Prävalenz einer eingeschränkten Lungenfunktion
(FEV1 < 80 %, FEV1 %FVC < 80 % des Sollmittelwertes nach Crapo u. Mitarb. [16], von chronischem Auswurf, chronischer Bronchitis und Atemnot in Abhängigkeit von
der jeweils kumulierten Staubexposition feststellen. Dabei zeigten sich hohe Verluste
in den Lungenfunktionswerten vornehmlich in den ersten Jahren nach Beginn der untertägigen
Tätigkeit, aber auch Langzeiteffekte der Kohlengrubenfeinstaub-Exposition.
Von Leigh (1990) wurde unter australischen Kohlenbergarbeitern in einem wiederholten
Querschnitt ein FEV1-Abfall von 810 mL in 15 Tätigkeitsjahren beschrieben (erwartete altersbedingte Änderung:
300 mL).
Zigarettenrauchen hat gleichartige negative Auswirkungen auf die Lungenfunktion wie
die Kohlengrubenstaubexposition; es wirkt sich offensichtlich additiv aus ([3]
[7]
[8]
[26]
[39]
[50], Abb. [5], [6]).
Abb. 6 FEV1-Werte der Goldminenarbeiter in Abhängigkeit von der Höhe der stattgehabten Staubexposition
und dem Rauchverhalten. Die Daten sind über die Vorhersagewerte von nicht exponierten
Nichtrauchern (A), Rauchern mit 1 Packung Zigaretten pro Tag (B) bzw. mit 2 Packungen
Zigaretten pro Tag (C) projektiert [26]. Links oben (·___·): FEV1-Werte von 20 - 30-jährigen Bergleuten (Raucher und Nichtraucher; vgl. Healthy Worker
Effect).
Gasaustausch
Die Atemäquivalente für Sauerstoff (VE /VO2
) und Kohlendioxid (VE /VCO2
), die endexspiratorischen Sauerstoff- und Kohlendioxidpartialdrücke (PET,O2
, PET,CO2
) sowie die alveoloarterielle Sauerstoffpartialdruck-Differenz (P(A-a), O2
) sind signifikant unter langjährig im Steinkohlenbergbau Beschäftigten erhöht und
zwar auch bei unauffälligem Röntgenbild ([22]
[49]
[63], (Tab. [3]), eigene Untersuchungen). Entsprechendes gilt für den arteriellen Sauerstoffpartialdruck
unter Belastung [6].
Tab. 3 Spiroergometrische Befunde von Bergleuten aus dem Ruhr-Steinkohlenbergbau mit Silikose
der Kategorie 1 und 2 sowie eines Kontrollkollektivs, das nicht im Bergbau tätig war
[22].
Für sämtliche Parameter liegen signifikante Unterschiede zwischen beiden Gruppen vor
Parameter |
Kontrollen |
Bergleute |
(VE/VO2
)
|
25,71 |
32,90 |
(VE/VCO2
)
|
30,98 |
39,40 |
PET, O2
(mm Hg)
|
99,08 |
115,60 |
PET, O2
(mm Hg)
|
44,04 |
38,38 |
Mortalität
Wie die Auswertungen von Atuhaire u. Mitarb. [5] sowie von Miller und Jacobsen [43] belegen, besteht ein Zusammenhang zwischen der geschätzten individuellen kumulativen
Staubdosis des Steinkohlenbergmanns bzw. der radiologisch festgestellten Silikose-Kategorie
einerseits und der Todesursache „Pneumokoniose” andererseits. Eine signifikant erhöhte
Mortalität aufgrund von Pneumokoniose wurde auch für nordamerikanische Steinkohlenbergleute
beschrieben (SMR für Pneumokoniose 9,3 bzw. 3,72 [57]).
Vallyathan u. Mitarb. [71]
[72] und Attfield u. Mitarb. [4] werteten Obduktionsbefunde von US-amerikanischen Steinkohlenbergleuten aus. Sie
beobachteten eine Abhängigkeit des Schweregrades eines Lungenemphysems von den Rauchgewohnheiten,
der Dauer der Untertagetätigkeit, der Gesamt- und Kohlenstaubmenge in der Lunge und
dem pathologisch-anatomisch objektivierten Pneumokoniose-Grad. Vergleichbare Befunde
erhoben Leigh u. Mitarb. [38] unter australischen Steinkohlenbergleuten. Dagegen fand sich in diesen Studien keine
Assoziation des Lungenemphysems mit der inkorporierten Mineral- und Quarzstaubmenge,
vielmehr war ein Zusammenhang zwischen dem pathologisch verifizierten Fibrosegrad
und dem Quarzgehalt der Lunge festzustellen.
Höhergradige pathologisch-anatomische Lungenbefunde waren - wie Vallyathan u. Mitarb.
[71]
[72]. mitteilen - mit röntgenologisch feststellbarer Pneumokoniose vergesellschaftet,
nicht jedoch die geringgradigen Obduktionsbefunde. 22 % der pathologisch gesicherten
Schwielen waren radiologisch nicht entdeckt worden. Andererseits waren 25 % der Fälle
mit röntgenologisch diagnostizierter Silikose nicht mit einem pathologischen Korrelat
vergesellschaftet, sondern Fehldiagnosen, z. B. Narbenbildungen infolge einer Tuberkulose
oder Tumoren. Ähnliche Diskrepanzen fanden Hnizdo [26] und Hnizdo u. Mitarb. [27] unter Goldminenarbeitern.
Ruckley u. Mitarb. [58]
[59] erhoben Sektionsbefunde von verstorbenen britischen Steinkohlenbergleuten. Dabei
zeigte sich hier noch deutlicher die geringe Sensitivität konventioneller Röntgenuntersuchungen:
Die Hälfte der Untersuchten mit unauffälligem Thoraxbild und ohne röntgenologische
Zeichen einer Silikose hatte ein Lungenemphysem. Am häufigsten waren Lungenemphyseme
unter Steinkohlenbergleuten mit kleinen rundlichen Lungenschatten bis 1,5 mm Durchmesser
anzutreffen. Es wurde eine Assoziation sowohl zwischen diesen p-Schatten als auch
kleinen unregelmäßigen Lungenverschattungen (s, t, u) einerseits und dem Vorliegen
eines Lungenemphysems beobachtet (Tab. [4] u. [5]).
Tab. 4 Sektionsbefunde von britischen Steinkohlenbergleuten: Anteil der Lungen mit Emphysem
in Prozent (Anzahl) in Abhängigkeit von der Art der radiologisch festgestellten Lungenschatten
[58]
|
röntgenologisch festgestellte Lungenschatten |
Sektionsbefund
|
keine Schatten |
nur p, q, r |
p, q, r & s, t, u |
nur s, t, u |
nicht schwielige Silikose
|
45 % (53) |
57 % (53) |
87 % (23) |
92 % (13) |
alle Bergleute (inkl. nicht schwielige Silikose)
|
49 % (57) |
64 % (96) |
89 % (79) |
92 % (24) |
Tab. 5 Sektionsbefunde von britischen Steinkohlenbergleuten: Anteil der Lungen mit Emphysem
in Prozent (Anzahl) in Abhängigkeit von der Größe der röntgenologisch festgestellten
kleinen runden Lungenschatten [58]
|
röntgenologisch festgestellte Lungenschatten |
Sektionsbefund
|
p (< 1,5 mm) |
q (1,5 - 3 mm) |
r (3 - 10 mm) |
nicht schwielige Silikose
|
89 % (18) |
61 % (41) |
(2)a
|
alle Bergleute (inkl. nicht schwielige Silikose)
|
92 % (37) |
66 % (80) |
57 % (14) |
aNur 2 Männer mit „r”-Lungenschatten hatten keine nicht-schwielige Silikose; einer
davon hatte ein Emphysem |
Lungenkrebs
Kohlenbergleute können sowohl gegenüber Quarzstaub aus dem Nebengestein als auch gegenüber
dem Quarzanteil (5 - 12 %) im Kohlengrubenstaub exponiert sein. Alveolengängiger Quarzstaub
wurde von der „International Agency for Research on Cancer” [31] und der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen
Forschungsgemeinschaft [21] als krebserzeugende Substanz beim Menschen (Kategorie 1 der krebserzeugenden Arbeitsstoffe)
eingestuft. Dabei ist das Lungenkrebsrisiko mindestens verdoppelt, wenn eine Silikose
vorliegt [24]
[64]
[67]. Dagegen sind die Evidenzen für eine Kanzerogenität von Kohlengrubenstaub unzureichend
[21]
[31]. Während ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko bei Vorliegen einer Silikose außerhalb des
Kohlenbergbaus wissenschaftlich gesichert ist, ist der Zusammenhang zwischen Lungenkrebs
und einer Pneumokoniose des Bergmanns entweder nicht gegeben oder wissenschaftlich
nur schwer nachweisbar [37]. Bemerkenswert sind konsistente Befunde bez. eines erhöhten Risikos eines Magenkrebses
der Steinkohlenbergleute; eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der Krebshäufigkeit
und der Expositionshöhe bzw. Expositionszeit konnte jedoch bisher nicht eindeutig
nachgewiesen werden.
Diskussion
Der Zusammenhang zwischen der Untertagetätigkeit im Steinkohlenbergbau und dem Auftreten
von chronischer Bronchitis, obstruktiver Atemwegserkrankung und Lungenemphysem mit
oder ohne radiologisch fassbare Pneumokoniose (Silikose) wurde konsistent in großen
Studien belegt (Übersichten bei [8]
[18]
[19]
[20]
[21]
[41]
[44]
[50]
[73]. Dabei wurden wegen des nicht berücksichtigten überdurchschnittlich guten Gesundheitszustandes
der Berufsanfänger sowie des überhäufigen Ausscheidens von Beschwerdeträgern (Healthy-Worker-Effekte)
die adversen Auswirkungen unterschätzt [27]
[30]
[73].
Die Trennung von Silikose und chronischer obstruktiver Bronchitis/Emphysem (CB-E)
im Berufskrankheitenrecht Deutschlands ist historisch bedingt und letztendlich artifiziell.
Pathogenetisch, pathophysiologisch und funktionell gesehen liegt bei beiden Berufskrankheitsdiagnosen
dasselbe Geschehen zugrunde. Lediglich der Grad der radiologisch darstellbaren Fibrose
des Lungengewebes ist verschieden. Charakteristisch ist die im Mittel leichtgradige
Restriktion, die nach 20-jähriger und längerer Tätigkeit bei ca. Œ der Steinkohlenbergleute
mit pathologischen Lungenfunktionswerten einhergeht. Neben dieser restriktiven Komponente
sind unter langjährig im Steinkohlenbergbau Tätigen überhäufig eine chronische obstruktive
Bronchitis und ein Lungenemphysem anzutreffen. Diese relativ häufigen klinisch manifesten
Spätkomplikationen der Kohlengrubenstaub-Inkorporation, das Lungenemphysem und die
chronische obstruktive Bronchitis, können individuell stark unterschiedlich ausgeprägt
sein. Stärker belastete Bergleute zeigen dabei deutlichere Effekte als gering oder
mäßig belastete. Ein Extrem stellt die „Schwarze Löcherlunge” dar, die sich durch
ein schweres, vorwiegend zentrilobuläres Lungenemphysem auszeichnet [46].
Versicherungsrechtlich und gutachterlich sind neben dem aktuellen wissenschaftlichen
Kenntnisstand, die im Einzelfall mittels moderner, sensitiver Verfahren qualitätsgesichert
erhobenen Untersuchungsparameter zu berücksichtigen. Es sollte nicht vorkommen, dass
allein anhand des Röntgenbefundes eine völlig unterschiedliche Fallbewertung, letztlich
Ablehnung oder Anerkennung einer Berufskrankheit, resultiert. Vielmehr müssen grundsätzlich
eine Gesamtschau der klinischen Befunde und des Krankheitsverlaufs sowie eine unvoreingenommene
Zusammenhangsbeurteilung erfolgen. Da die Funktionsausfälle großteils unabhängig vom
radiologischen Befund sind, ist es nicht begründbar, bei Silikosekranken mit einer
Kategorie von < ⅔ (ILO 1980) [32] einen kausalen Zusammenhang zwischen der beruflichen Belastung und dem Krankheitsbild
grundsätzlich auszuschließen [9]
[10]
[11]
[66]
[70]
[74]. Vielmehr ist der vorliegende Gesundheitsschaden wie in jedem anderen Berufskrankheits-Verdachtsfall
individuell ätiologisch zu ermitteln und mit Wahrscheinlichkeit zuzuordnen, d. h.
auch andere Krankheitsursachen sind zu eruieren, zu bewerten und abzugrenzen. Nur
wenn nicht-berufliche Ursachen zweifelsfrei ganz überwiegend das Krankheitsgeschehen
hervorrufen, wird bei gegebener haftungsbegründender Kausalität ( = langjährige Untertagetätigkeit
im Steinkohlenbergbau) ein Berufskrankheits-Entschädigungsfall zu verneinen sein.
Die Berufskrankheits-Anerkennungspraxis bezüglich des Bronchialkarzinoms des Steinkohlen-Bergmanns,
die sich bisher an der Nachbarschaft einer (zufällig) gefundenen Narbe orientiert,
ist unbefriedigend. Epidemiologische Studien belegen klar den Zusammenhang zwischen
der Exposition gegenüber alveolengängigem kristallinem Siliciumdioxid (v. a. Quarz)
und der Silikoseerkrankung, der chronischen obstruktiven Bronchitis, dem Lungenemphysem
sowie dem Bronchialkarzinom (letzteres bisher nur außerhalb des Steinkohlenbergbaus;
warum für den Steinkohlenbergbau ein solcher Zusammenhang bisher nicht nachgewiesen
werden konnte, ist unklar und bedarf einer Überprüfung; [37]).