Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2005; 40(1): 4-5
DOI: 10.1055/s-2004-826224
Aktuelle Medizin und Forschung
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Münsteraner Erklärung - Gemeinsame Stellungnahme des BDA und der DGAI zur Parallelnarkose

The Münster Declaration - Joint Statement of the BDA and the DGAI in View of Parallel Narcosis
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Publication Date:
11 January 2005 (online)

Durch gegenwärtige Bestrebungen, die Befugnisse des Anästhesieassistenzpersonals auszuweiten und dafür besondere Ausbildungsgänge anzubieten, gewinnt die Frage, ob und unter welchen Bedingungen in der Anästhesie Parallelverfahren medizinisch vertretbar und rechtlich zulässig sind, wieder an Aktualität. Schon 1976 hat Opderbecke [1] aus medizinischer Sicht unabdingbare Voraussetzungen für die Durchführung einer Parallelnarkose aufgestellt. In gleicher Weise hatte Weissauer unter rechtlichen Aspekten ausgeführt, die Anästhesie stelle „ihrer Natur nach einen schwerwiegenden Eingriff dar, der sowohl das theoretische Wissen als auch die praktischen Erfahrungen des Arztes erfordert” [2], so dass die Narkose dem Pflegepersonal nicht zur selbstständigen und selbstverantwortlichen Vornahme überlassen werden darf. Präsidium und Ausschuss des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten haben auf dieser, inzwischen durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bestätigten Basis, am 20. September 1988 in Mannheim die Entschließung zu „Zulässigkeit und Grenzen von Parallelverfahren in der Anästhesie” - http://www.dgai.de/06_1_00tabelle.htm - verabschiedet [3].

Neue Konzepte in den nicht-ärztlichen Diensten, so der Anästhesietechnische Assistent (ATA) in Pilotprojekten in Frankfurt/Main und Halle/Saale, d. h. die Ausbildung von Anästhesieassistenzpersonal ohne pflegerische Grundausbildung, und der „Medizinische Assistent für Anästhesiologie (MAFA)” der HELIOS-Kliniken GmbH als speziell anästhesiologisch geschultes Krankenpflegepersonal, haben die Präsidien des BDA und der DGAI veranlasst, eine Ad-hoc-Kommission zu berufen. Diese sollte prüfen, ob fachliche, rechtliche, ökonomische und/oder berufsbildungspolitische Gründe bestehen, die eine Veränderung der Entschließung von 1988 erlauben bzw. notwendig machen. In einem Expertenseminar am 20. Oktober 2004 in Münster wurde dieser Sachverhalt unter Teilnahme namhafter Anästhesisten, Juristen, Haftpflichtversicherer, Vertretern der Pflegeberufe und des für die Aus- und Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen zuständigen Ministeriums sowie Repräsentanten der Bundesärztekammer, des Krankenhausmanagements und der Heliosgruppe diskutiert.

Das Ergebnis des Seminars lässt sich in acht Punkten zusammenfassen:

Es gibt klare Hinweise dafür 4 5 6 , dass die Qualifikation dessen, der das Anästhesieverfahren durchführt und überwacht, mit dem Behandlungserfolg korreliert. Zwischenfälle in der Anästhesie sind selten. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich dann in der Regel um lebensbedrohliche Krisen mit schweren und schwersten Folgen für den Patienten handelt, zwischen deren Erkennen und Beherrschen meist nur wenige Minuten liegen. Diese Umstände stellen besonders hohe Anforderungen an die fachlichen Fähigkeiten und Erfahrungen des das Anästhesieverfahren Durchführenden bzw. Überwachenden und an die Organisation einer schnellen und kompetenten Beherrschung eines Zwischenfalls.Angesichts des hohen Risikos für den Patienten ist die Durchführung und Überwachung einer Narkose als Ausübung der Heilkunde grundsätzlich dem Anästhesisten vorbehalten. In mehreren Parallelnarkoseurteilen hat der BGH die rechtlichen Mindestanforderungen festgelegt und die Schlussfolgerung gezogen, dass das Anästhesieverfahren „grundsätzlich nur von einem als Facharzt ausgebildeten Anästhesisten oder - bei einem entsprechend fortgeschrittenen Ausbildungsstand - zumindest unter dessen unmittelbarer Aufsicht von einem anderen Arzt vorgenommen werden darf, wobei Blick- oder Rufkontakt zwischen beiden bestehen muss” 7. Ausdrücklich betonte der BGH, dass im Spannungsverhältnis zwischen wirtschaftlichen Überlegungen und der Einhaltung des gebotenen Standards letzterem der Vorrang eingeräumt werden müsse. „Die Sicherheit des Patienten” geht „allen anderen Gesichtspunkten vor” und darf nicht „etwaigen personellen Engpässen geopfert werden” 8. Schon aus rechtlichen Gründen kann von der Entschließung von 1988 nicht abgerückt werden. Eine routinemäßige Anordnung paralleler Anästhesieverfahren ist deshalb unzulässig. Die Entscheidung, ob und welche Leistungen delegiert werden dürfen, darf nur ad hoc unter Berücksichtigung der aktuellen Situation im Einzelfall, in Abhängigkeit von der Art des Anästhesieverfahrens, der Art und Schwere des Eingriffs, den Örtlichkeiten (Sicht-/Rufkontakt), dem Zustand des Patienten, der Qualifikation der Pflegekraft und nur von demjenigen Anästhesisten getroffen werden, der alle diese Details kennt und vor Ort die Verantwortung für den Ablauf des Anästhesieverfahrens trägt. Ein deutschlandweiter Mangel an Anästhesisten lässt sich nicht feststellen, mag es auch regional aus strukturellen Gründen gelegentlich schwierig sein, Stellen zu besetzen. Doch weder die Berufung auf fehlende Anästhesisten noch auf knappe ökonomische Ressourcen erlauben es, den dem Patienten geschuldeten Facharztstandard zu unterschreiten. Der Zwang zu einer sparsamen Wirtschaftsführung und zur prozessorientierten Betrachtung der Behandlungsabläufe darf nicht so weit gehen, dass das OP-Programm routinemäßig geplante Parallelnarkosen vorsieht. Diese müssen auf Ausnahmen beschränkt bleiben. In aller Deutlichkeit sind die Organisationsverantwortlichen der Krankenhausträger sowie die zur Diensteinteilung berufenen Ärzte auf die drohende Haftung aus Organisationsverschulden und die das Anästhesieverfahren bzw. die Überwachung Durchführenden auf die Probleme des Übernahmeverschuldens im Sinn der Parallelnarkoseurteile des Bundesgerichtshofes hinzuweisen. Unstrittig braucht der Anästhesist zur Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung qualifizierte Assistenz. Vom Fachgebiet ist weder zu entscheiden, ob die Implementierung eines Anästhesietechnischen Assistenten (ATA) zu diesem Zweck ökonomisch vorteilhaft und berufsbildungspolitisch sinnvoll, noch ob die Weiterqualifizierung von Fachpflegepersonal zu Medizinischen Assistenten für Anästhesiologie (MAFA) notwendig ist. Die Praxis in anderen Ländern kann nicht ohne weiteres auf Deutschland übertragen werden. Nach den geltenden rechtlichen Grundsätzen der EU bleibt es den Mitgliedsstaaten überlassen zu bestimmen, wer die Heilkunde ausübt. Die Rechtslage in Deutschland hat der Delegation anästhesiologischer Leistungen strikte Grenzen gesetzt. Mit Nachdruck ist auf die nach wie vor gültige Entschließung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten hinzuweisen 3, die genügend Raum gibt für eine verantwortungsvolle, der Patientenversorgung im Einzelfall gerecht werdenden Gestaltung prozessorientierter Behandlungsabläufe, auch wenn sie routinemäßige Parallelnarkosen nicht zulässt.

Literatur

  • 1 Opderbecke H W. Die Delegation von Aufgaben an Krankenschwestern und Krankenpfleger.  Anästh Inform. 1976;  17 31
  • 2 Weissauer W. Die Problematik der Schwesternnarkose und die Ausbildung von Anästhesieschwestern.  Der Anaesthesist. 1963;  12 156-161
  • 3 Entschließung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten . Zulässigkeit und Grenzen der Parallelverfahren in der Anästhesiologie.  Anästh Intensivmed. 1989;  30 56-57
  • 4 Silber J H. et al . Anesthesiologist direction and patient outcomes.  Anesthesiology. 2000;  93 152-163
  • 5 Silber J H. et al . Anesthesiologist board certification and patient outcomes.  Anesthesiology. 2002;  96 1044-1052
  • 6 Maaløe R. Incidents in relation to anaesthesia. PhD thesis. University of Copenhagen. 2000
  • 7 OLG Zweibrücken .MedR 1989, 98; BGH NJW 1983, 1374 - 1378. 
  • 8 BGH . Urt. v. 30. 11. 1982 - VI ZR 77/81 (Hamburg).  NJW. 1983;  24 1375

Dipl.-Sozialw. Holger Sorgatz, Geschäftsführer Berufsverband Deutscher Anästhesisten

Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin

Roritzerstraße 27 · 90419 Nürnberg

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