Der Gesetzentwurf sieht eine Reihe von Neuerungen vor. Für den Psychiater und seine
Patienten sind dabei vor allem folgende Punkte von Bedeutung, und treffen dabei auch
auf eine Reihe von Bedenken.
Ehegattenvertretung (§§1358 und 1358a BGB)
Ehegattenvertretung (§§1358 und 1358a BGB)
Dort heißt es: „Ist ein Ehegatte infolge einer Krankheit oder Behinderung nicht in
der Lage, seine Rechte und Pflichten selbst wahrzunehmen und hat er weder eine andere
Person für ihn zu handeln bevollmächtigt, noch ist ein Betreuer bestellt, kann ihn
der andere Ehegatte nach Maßgabe des Absatz 2 gerichtlich und außergerichtlich vertreten.
Dies gilt nicht, wenn die Ehegatten getrennt leben oder der Ehegatte einen entgegenstehenden
Willen geäußert hat.”
In Absatz 2 sind die Bereiche genannt, für welche die Ehegattenvertretung gelten soll.
In Absatz 3 wird bestimmt, dass es hierzu einer schriftlichen Erklärung des handelnden
Ehegatten und eines ärztlichen Zeugnisses über die Handlungsunfähigkeit des verhinderten
Ehegatten bedarf.
Der Ehegatte kann nach §1358a BGB unter den gleichen Bedingungen auch in ärztliche
Untersuchungen, Heilbehandlungen oder Eingriffe für den verhinderten Gatten einwilligen.
Vertretung durch Angehörige für die Gesundheitssorge (§1618b BGB)
Vertretung durch Angehörige für die Gesundheitssorge (§1618b BGB)
Die Bestimmung über die Einwilligung in ärztliche Untersuchungen, Heilbehandlungen
oder Eingriffe wird auf Angehörige ausgeweitet, wenn es keinen Ehepartner gibt, der
mit dem Verhinderten zusammenlebt, wobei Kinder den Vorrang vor Eltern haben, die
Erklärung eines Kindes genügt, der Widerspruch eines anderen jedoch „beachtlich” bleibt.
Zwangsweise Zuführung zur ärztlichen Heilbehandlung (§ 1906a BGB)
Eine zwangsweise Zuführung eines Betreuten zur ambulanten ärztlichen Heilbehandlung
durch den Betreuer ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten notwendig
ist, weil
-
er aufgrund seiner Krankheit krankheitsuneinsichtig ist
-
die Gefahr besteht, dass er sich der notwendigen ambulanten ärztlichen Heilbehandlung
entzieht.
Bei der Betrachtung des Textes des Entwurfs und seiner Begründung stellt man sich
als Psychiater, der immer wieder mit den Problemen des geltenden Betreuungsrechts
konfrontiert wird und zusammen mit den Gerichten versucht, Lösungen zu erarbeiten,
die Frage, welchen fachlichen Rat sich die für den Gesetzentwurf Verantwortlichen
geholt haben, oder ob es ihnen darauf ankam, möglichst ungehindert durch fachlichen
Rat eigene Vorstellungen zu verwirklichen, um beispielsweise die unerwartet hohen
Aufwendungen, die jetzt mit dem Betreuungsrecht verbunden sind, eindämmen zu können.
Die Gesetzesvorlage erstaunt den Fachmann nämlich insofern, als der Regelungsbedarf
anhand von Fallkonstellationen begründet wird, bei denen es bei genauer Betrachtung
eigentlich keiner Neuregelung bedürfte, und als Neuregelungen eingeführt werden, die
zumindest in der vorliegenden Form zu erheblichen Rechtsunsicherheiten, zu nachhaltigen
persönlichen Konflikten und letztendlich zu einer bedeutsamen Schlechterstellung psychisch
Kranker aber auch alter Menschen beitragen dürften.
Das Fehlen fachlichen Rates zeigt sich an einigen, aber bedeutsamen Fehlern in der
Begründung des Gesetzentwurfes und an einer einseitigen Interpretation der bisherigen
Gesetzeslage, die für denjenigen, der seinerzeit (1990 bis 1992) an den Beratungen
und an den Diskussionen mit Politikern und Betroffenen teilgenommen hat (N.N.), erstaunt.
Die Fehler sind sowohl formaler als auch inhaltlicher Natur: so wird beispielsweise
auf Seite 17 der Drucksache 15/2494 festgestellt, dass nach § 1896 BGB ein Betreuer
nur bestellt werden dürfe, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen Krankheit
seinen Willen nicht frei bestimmen könne. Tatsächlich kann nach § 1896 BGB aber ein
psychisch Kranker und sogar ein psychisch Gesunder aber körperlich Kranker seine Betreuung
selbst beantragen, was wiederum nur Gültigkeit haben kann, wenn er in der Lage ist,
seinen Willen frei zu bestimmen.
Als Beispiel eines inhaltlichen Fehlers soll auf die Behauptung von der „typischen”
Kombination von Selbst- und Fremdgefährdung hingewiesen werden, der im Rahmen des
Betreuungsrechts am besten mit der in § 1906a BGB neu geschaffenen Möglichkeit der
ambulanten Zwangsbehandlung begegnet werden könne (Seite 23 der Drucksache). Diese
„typische” Kombination ist dem Fachmann nur in wenigen Einzelfällen bekannt. Die weitaus
meisten Patienten werden ausschließlich wegen Selbstgefährdung nach dem Betreuungsgesetz
untergebracht und auch bei den meisten Unterbringungen nach Landesrecht steht die
Selbstgefährdung im Vordergrund.
Zurecht weist die Begründung darauf hin, dass eine Betreuung nach § 1896 BGB keine
Fürsorge in den sozialen und persönlichen Bereichen, also keine Pflege des Betreuten
sei, sondern ausschließlich die rechtlichen Belange des Betroffenen zu regeln hat,
wo dies erforderlich ist. Gleichwohl war bei den Beratungen im Vorfeld der Gesetzgebung
1992 auf die persönliche Betreuung der Betroffenen Wert gelegt worden und es war den
Verantwortlichen klar, dass eine persönliche Betreuung in strenger Trennung von den
sozialen Belangen nicht möglich ist. Insofern erscheint die Darstellung in der Begründung
zur jetzigen Gesetzesnovellierung als eine etwas einseitige Interpretation.
Die mangelnde fachliche Beratung zeigt sich auch an dem Fallbeispiel, mit welchem
die Notwendigkeit der gesetzliche Neuregelung der Ehegattenvertretung begründet wird
(Seite 16 der Drucksache). In diesem Fall wird ein 65jähriger Patient zitiert, der
postoperativ nicht handlungsfähig ist und dessen Gattin in ärztlichen Angelegenheiten
für ihn entscheiden, sein Girokonto benutzen und ihm auch im Bedarfsfall häusliche
Pflege oder einen Heimplatz - auch im rechtlichen Sinn - besorgen und die entsprechenden
Verträge für ihn abschließen können muss. Ein wirklicher Regelungsbedarf besteht in
diesem Fall allerdings nicht: Der Arzt hatte sich bislang schon bei der Behandlung
an dem mutmaßlichen Willen eines einwilligungsunfähigen Patienten zu orientieren und
ihn gegebenenfalls bei den Angehörigen erkunden müssen; die Banken fragen bei der
Einrichtung eines Girokontos schon immer, ob eine Vertretungsvollmacht bestehen soll
- und es wird gute Gründe geben, wenn ein Mensch seinen Gatten nicht bevollmächtigt.
Die Organisation einer ambulanten Pflege bedarf der Einwilligung des Gepflegten zunächst
nicht und die Verlegung in ein Heim ist eine Entscheidung von so großer Tragweite,
dass es den Autoren fraglich erscheint, ob es mit den Grundrechten vereinbar ist,
dass Gatten sie gegen oder ohne den Willen eines Betroffenen und ohne spezielles rechtliches
Mandat fällen dürfen.
Nach Auffassung der Autoren wird die Gesetzesnovellierung in der vorliegenden Form
zu erheblichen Rechtsunsicherheiten, zu vielen persönlichen Konflikten und zu einer
bedeutsamen Schlechterstellung psychisch kranker, aber auch alter Menschen führen.
Ehegatten- und Angehörigenvertretung
Ehegatten- und Angehörigenvertretung
Betreuung ist bei ihnen bislang in vielen Fällen dann erforderlich, wenn rechtliche
Angelegenheiten oder Gesundheitssorge sich nicht einvernehmlich regeln lassen, in
der Regel deswegen, weil es den Betroffenen an einer entsprechenden Einsicht mangelt
oder weil sie nicht bereit sind, die Nachteile einer Regelung in Kauf zu nehmen. Rechtlicher
Eingriff ist dann notwendig, wenn ihr Wille gegen die Überzeugung der Personen steht,
welche die Fürsorge für sie übernehmen (müssen) oder wenn sie nicht mehr in der Lage
sind, ihren Willen zu äußern. Dies führt, wie der psychiatrische Alltag zeigt, häufig
zu erheblichen Konflikten. Nicht ohne Grund werden Angehörige von psychisch Kranken
in speziellen Gruppen durch psychiatrische Kliniken aufgeklärt und unterstützt oder
sie stützen sich gegenseitig in Selbsthilfegruppen. Zudem haben Angehörige häufig
auch ein eigenes Interesse im Umgang mit ihren Verwandten, welches sich nicht immer
mit dem Willen und dem Interesse eines Kranken deckt (z.B. Verlegung in ein Heim,
weil einem der alte Vater zu Haus lästig ist, z.B. Finanzierung eigener Bedürfnisse
aus dem Girokonto der dementen Gattin).
Besonders problematisch erscheint die Angehörigenvertretung in Gesundheitsangelegenheiten,
wenn widersprüchliche Ansichten von mehreren Kindern zu beachten sind - und dies ist
bei langwierigen Krankheiten, bei denen wenig Aussichten auf Heilung besteht, verständlicherweise
gar nicht so selten der Fall. Welche Lösung sieht der Gesetzentwurf für solche Fälle
vor? Nach Auffassung der Autoren sind gesetzliche Regelungen dann besonders wichtig,
wenn es Konfliktfälle zu lösen gibt, weil einvernehmliche Lösungen im zwischenmenschlichen
und ärztlichen Bereich ohnehin selten juristisch entschieden werden müssen. Die vorgeschlagene
Neuregelung ist somit mit größeren Unsicherheiten verbunden, die zu Konflikten führen,
aber keine Lösungen für die Konflikte anbieten kann.
Zwangsweise Zuführung zur ärztlichen Heilbehandlung (§ 1906a BGB)
Zwangsweise Zuführung zur ärztlichen Heilbehandlung (§ 1906a BGB)
Es ist sicher richtig, dass durch kontinuierliche ambulante Behandlung von psychisch
Kranken stationäre Behandlungen und auch Zwangseinweisungen vermieden werden können
und dass die Zuführung zu einer ambulanten Behandlung sowohl rechtlich wie auch im
Empfinden von Patient und seinem Umfeld ein weniger gravierender Eingriff ist als
die Zwangsunterbringung. Insofern sind sich Psychiater durchaus bewusst, dass es sinnvoll
sein kann, den Druck auf einen Patienten zu erhöhen, um ihn zu einer kontinuierlichen
Wahrnehmung ambulanter Behandlungstermine zu bewegen. Zwischen der Erhöhung eines
Druckes und einem Zwang bestehen jedoch wesentliche Unterschiede. Diesem Zwang stehen
sowohl rechtlich-ethische als auch praktische Bedenken entgegen. Obwohl eine ambulante
Zwangsbehandlung in mehreren europäischen Ländern überlegt wurde, ist sie bislang
wegen dieser Bedenken nicht eingeführt worden. In Schottland wurde vor einigen Jahren
versucht, die Zwangsbehandlung gesetzlich zu regeln; diese Regelung wurde wegen der
praktischen Undurchführbarkeit jedoch kaum angewandt und wieder abgeschafft. In einzelnen
Staaten der USA wurde ein sog. „outpatient commitment” eingeführt. Die Ergebnisse
dieser neuen Behandlungsmodalitäten sind keineswegs ganz eindeutig. Zudem sind in
den USA die ethischen Bedenken, wie sie etwa von den verschiedenen europäischen Kommissionen,
die sich mit Menschenrechtsfragen befassen, insbesondere der Europäischen Kommission
zur Wahrung der Menschenrechte, geäußert werden, oft zweitrangig; bei uns sind sie
jedoch bedeutsam und werden auch vom Europäischen Gerichtshof beachtet. Auf die Gefahr
der Verletzung von Grundrechten wurde auch in der Stellungnahme der Bundesregierung
zum Gesetzentwurf hingewiesen.
Aus psychiatrischer Sicht sind die praktischen Fragen ebenso von Bedeutung. Wer soll
den Zwang ausüben? Wenn es, wie es aus der Stellungnahme der Bundesregierung abzuleiten
ist, die Polizei ist, wer ist ihr gegenüber weisungsberechtigt, zumal es bei der Zuführung
zur ambulanten Behandlung nach dem Willen der Initiatoren des Gesetzentwurfs nicht
um unmittelbare Abwehr von Gefahren, die auch für den Laien erkennbar wären, geht?
Wie wird der Betreuer oder ggf. die Polizei des Patienten habhaft? Wer kann den Arzt
verpflichten, unter Zwangsbedingungen Injektionen zu verabreichen, ohne dass eine
akute Gefährdung besteht? Wie werden Ärzte reagieren, wenn ihnen die Patienten in
Handschellen oder in Polizeibegleitung zur Verabreichung der Depotmedikation ins Wartezimmer
gesetzt werden? Welche Langzeitkonsequenzen hat die ambulante Zwangsbehandlung für
die Arzt-Patienten-Beziehung?
Während stationäre Zwangsmaßnahmen, d.h. sowohl die zwangsweise Unterbringung selbst,
wie stationäre Behandlungen unter Zwang während des stationären Aufenthaltes mit dem
Patienten bearbeitet und damit entschärft und für den Patienten erträglich gemacht
werden können, entfällt diese Möglichkeit bei ambulanten Zwangsmaßnahmen, weil hierfür
weder Zeit noch Ressourcen zur Verfügung stehen. Aus rechtlicher Sicht sind die stationären
Zwangsmaßnahmen explizit und detailliert geregelt, die Rechtsorgane und die Psychiater
der Kliniken, in denen untergebracht wird, sind mit dem Maßnahmenkatalog vertraut.
Die ambulante Zwangsbehandlung soll ohne jeden rechtlichen oder praktischen Erfahrungsschatz
eingeführt werden und ohne dass die oben genannten Fragen und möglicherweise eine
Vielzahl unbekannter Fallkonstellationen bedacht und Lösungen für sie erwogen worden
sind.
Hier bedürfte es zunächst einer ausführlichen Beratung durch Fachleute und einer Diskussion
unter den Fachleuten, die zumeist von dem Inhalt der Gesetzesinitiative überrascht
sein dürften.
Die Mitglieder des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags sollten diese fachlichen
Bedenken zur Kenntnis nehmen und sie bei der Beratung und Umsetzung des Vorschlags
einer Gesetzesnovelle berücksichtigen. Die Experten der Vorstände der Arbeitsgemeinschaft
für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP) und der Deutschen Gesellschaft
für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) stehen dem Rechtsausschuss
ggf. gerne für fachliche Informationen zur Verfügung.