Psychother Psychosom Med Psychol 2004; 54(8): 307
DOI: 10.1055/s-2004-828329
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die medizinische Ausbildung braucht eine Stärkung der Psychosozialen Fächer (nicht nur in den USA)

Improving Medical Education by Enhancing Behavioural and Social Science Content of Medical School Curricular (Not Only in the USA)Uwe  Koch1 , Holger  Schulz1
  • 1Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
30. Juli 2004 (online)

In Gesprächen mit Vertretern der psychosozialen Medizin gewinnt man gegenwärtig oft den Eindruck, als werde hier in Deutschland - ähnlich wie in Politik, Wirtschaft, Kultur oder Sport alles schlechter, würden die finanziellen Mittel immer knapper, Leitfiguren immer rarer. Für diese Einschätzung mag es gute Gründe geben, wenn man den gravierenden Wandel in der gesundheitlichen Versorgung und vor allem in der Hochschulmedizin betrachtet. Allerdings werden aktuelle Entwicklungen wie Disease Management Programme, Fallpauschalen, Qualitätssicherung und Evidence-Based Medicine nach Meinung der Autoren zu einseitig nur unter dem Aspekt einer Benachteiligung der psychosozialen Medizin diskutiert.

Das renommierte und einflussreiche Institute of Medicine der National Academy of Sciences in den USA hat gerade unter dem Titel „Improving Medical Education” (www.nap.edu/catalog/10956.html) eine Schrift veröffentlicht, in der nachhaltig eine stärkere Berücksichtigung psychosozialer Aspekte („behavioral and social factors”) im Rahmen der medizinischen Curricula gefordert wird. Das vom Institut eingesetzte „Committee on Behavioral and Social Science in Medical School Curricula” analysierte kritisch, wie viele und welche Inhalte psychosozialer Fächer in der Medizinischen Ausbildung unterrichtet werden und kommt zusammenfassend zu folgenden Empfehlungen:

Etablierung einer nationalen Datenbank mit Angaben zu psychosozialen Lehrinhalten, Unterrichtsformen und Evaluationsstrategien an den Medizinischen Hochschulen der USA. Unter Hinweis auf ein umfassendes bio-psycho-soziales Verständnis von Gesundheit und Krankheit, und den inzwischen erreichten Kenntnisstand und dessen praktischer Relevanz für ärztliches Handeln wird ein integriertes 4-jähriges Curriculum der psychosozialen Fächer gefordert. Zentrale Themen sollten dabei Wechselwirkungen zwischen Psyche und Soma bei Gesundheit und Krankheit, Patientenverhalten, Rolle und Verhalten des Arztes, Arzt-Patient-Interaktion, soziale und kulturelle Themen in der Gesundheitsversorgung sowie Gesundheitspolitik und Gesundheitsökonomie sein. Sie fordern darüber hinaus spezifische auf die Lehre bezogene Qualifizierungsprogramme für Vertreter der psychosozialen Fächer, die Förderung curricularer Modellprogramme sowie eine stärkere Berücksichtigung psychosozialer Inhalte in den medizinischen Prüfungen.

Die vorgelegte Schrift beinhaltet Ideen, die auch richtungweisend für entsprechende Entwicklungen in Deutschland sein könnten. Sie betrachtet die verschiedenen psychosozialen Fächer als Einheit und geht von einem integrierten psychosozialen Unterrichtskonzept aus. Diese Perspektive hat Bedeutung für die Umsetzung der neuen Ärztliche Approbationsordnung: Die an zahlreichen medizinischen Hochschulen in Deutschland nach wie vor zu beobachtende fachbezogenen Partialisierung der psychosozialen Ausbildung ist im Wesentlichen nicht system-, sondern personenbedingt, und sie ist entwicklungshemmend. Aus dem Papier kann durchaus auch die Forderung abgeleitet werden, über die Entwicklung und Durchführung vergleichbarer Bestandsaufnahmen in Deutschland nachzudenken.

Uwe Koch, Holger Schulz

Prof. Dr. med. Dr. phil. Uwe Koch

Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie · Zentrum für Psychosoziale Medizin · Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Martinistraße 52 - Haus S35

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