Jeder Arzt ist verpflichtet, dem Patienten die Behandlung zu gewähren, die zum Zeitpunkt
der Therapie dem Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht. Dies ergibt sich
zum einen aus dem beruflichen Grundverständnis, zum anderen aber auch aus der ärztlichen
Berufsordnung. Kein Arzt ist aber davor gefeit, auch einmal einen Fehler zu machen.
Resultiert aus einer ärztlichen Behandlung einmal nicht das gewünschte Ergebnis, bedeutet
dies aber nicht zwangsläufig, dass dem behandelnden Arzt ein Fehler unterlaufen ist.
Auch aus der Sphäre des Patienten können eine Reihe von Ursachen für den Misserfolg
einer Behandlung in Gang gesetzt werden. Unzufriedene Patienten versuchen allerdings
immer häufiger, den behandelnden Arzt für den (vermeintlich) nicht geglückten Eingriff
vor Gericht verantwortlich zu machen. Gegenstand solcher zivilrechtlicher Arzthaftungsprozesse
sind Schadens- und Schmerzensgeldansprüche.
Die Beweislast im Arzthaftungsprozess
Die Beweislast im Arzthaftungsprozess
Über den Erfolg oder Misserfolg einer solchen Schadensersatz- oder Schmerzensgeldklage
entscheidet in der Praxis nicht nur, ob das Verhalten des Arztes überhaupt einen Behandlungsfehler
darstellt oder ob der Arzt dadurch fahrlässig einen Gesundheitsschaden verursacht
hat. Wichtiger ist, dass der Patient das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen
vor Gericht auch belegen kann. Bewiesen werden müssen nur solche Tatsachen, die der
Arzt bestreitet. Ein Beispiel: Behauptet der Patient im Arzthaftungsprozess, dass
sein Gesundheitsschaden durch den Behandlungsfehler des beklagten Arztes eingetreten
sei und bestreitet der Arzt dies, muss der klagende Patient den so genannten Ursachenzusammenhang
zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden beweisen.
Hierbei gilt die Grundregel, dass grundsätzlich derjenige vor Gericht die Anspruchsvoraussetzungen
beweisen muss, der klagt. Man sagt, "den Kläger trifft die Beweislast". Gelingt dies
dem Kläger - also dem Patienten - nicht, muss das Gericht die Klage abweisen. Damit
geht das Risiko, den geltend gemachten Anspruch nicht beweisen zu können, zu Lasten
des Klägers (Patient). Anders ausgedrückt: Werden sämtliche Anspruchsvoraussetzungen
vom Arzt bestritten, greift die Haftung des Arztes nur, wenn der Patient die Anspruchsvoraussetzungen
zur vollen Überzeugung des Gerichts belegen kann.
"Beweislastumkehr" bei grobem Behandlungsfehler
"Beweislastumkehr" bei grobem Behandlungsfehler
Die kontinuierlich zunehmenden medizinischen Möglichkeiten und die damit ansteigende
Wahrscheinlichkeit medizinischer Fehlschläge haben dazu geführt, dass die Gerichte
in der Vergangenheit mit zahlreichen Arzthaftungsprozessen beschäftigt waren. Sie
mussten jedoch eine Vielzahl von Klagen abweisen, weil die Patienten den von ihnen
zu beweisenden Zusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschädigung nicht
nachweisen konnten.
Der Patient sei aber häufig gar nicht in der Lage, diesen Zusammenhang zu beweisen,
meinten die Gerichte. Daher dürfe es nicht sein, dass geschädigte Patienten nur aus
diesem Grund ihre Rechte nicht durchsetzen könnten. Wegen dieser Beweisnot gilt in
Deutschland seit Jahren eine durch Richterrecht geschaffene Beweislastumkehr bezüglich
des Ursachenzusammenhangs zwischen grobem Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden.
Dies hat der Bundesgerichtshof in einer aktuellen Entscheidung (BGH VI ZR 34/03, Urteil
vom 27.04.2004) nun unmissverständlich klargestellt, nachdem ungeschickte Formulierungen
in früheren Entscheidungen von den unteren Gerichten offensichtlich falsch interpretiert
worden waren. Das Urteil ist daher keine weitere Verschärfung des Haftungsrisikos
für Ärzte, wie es in einigen Medien zu lesen oder zu hören war.
Was bedeutet "Beweislastumkehr"?
Was bedeutet "Beweislastumkehr"?
Die Beweislastumkehr führt im Falle des groben Behandlungsfehlers dazu, dass ausnahmsweise
nicht der Patient den Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden
zu beweisen hat. Vielmehr muss der Arzt belegen, dass ein solcher Zusammenhang gerade
nicht besteht. Man könnte auch sagen, der Arzt muss sich von dem Vorwurf entlasten.
Dies kann in ungünstigen Konstellationen dazu führen, dass der Arzt Schadensersatz
oder Schmerzensgeld nur deshalb zahlen muss, weil ihm der Nachweis fehlender Kausalität
nicht gelingt.
In dem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs diagnostizierten die behandelnden Ärzte
bei einer Patientin, die nach einem Motorradunfall ins Krankenhaus eingeliefert worden
war, mehrere Brüche. Eine Beckenringfraktur, die nicht ordentlich ausheilte und der
Patientin in der Folge eine Pseudarthrose und dauerhafte Schmerzen bescherte, übersahen
sie jedoch. Nach Meinung eines Sachverständigen hätte sich bei korrekter Diagnose
mit 90%iger Wahrscheinlichkeit am Heilungsverlauf nichts geändert. Gänzlich ausgeschlossen
werden konnte dies aber nicht.
Der Bundesgerichtshof entschied, dass im vorliegenden Fall nicht die Patientin als
Klägerin den Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und gesundheitlichen
Folgeschäden zu beweisen hätte, sondern sich bei einem derart groben Behandlungsfehler
die Ärzte entlasten müssten. Sie müssten nachweisen, dass im konkreten Fall zwischen
der nicht erkannten Fraktur und den weitergehenden negativen Folgen kein Zusammenhang
bestehe. Gelingt ihnen dies nicht, müssen sie Schmerzensgeld zahlen.
Besonders beachtlich ist hierbei vor allem, dass - obwohl laut Sachverständigengutachten
mit 90%iger Wahrscheinlichkeit ein rechtzeitiges Erkennen der Fraktur am Heilungsverlauf
nichts verändert hätte - dennoch eine Beweislastumkehr zu Lasten der Ärzte eintreten
soll. Der Bundesgerichtshof stellte in dem vorgenannten Urteil hierzu noch einmal
klar, dass eine Umkehr der Beweislast bereits stattfinde, wenn der grobe Behandlungsfehler
nur geeignet ist, den Schaden zu verursachen. Nahe legen oder wahrscheinlich machen
muss der Fehler den Schaden hingegen nicht.
Diese Grundsätze der Beweislastumkehr sollen nach Auffassung des Gerichts also in
gleicher Weise für den Nachweis des Kausalzusammenhangs bei einem einfachen Befunderhebungsfehler
gelten, wenn (wie im oben geschilderten Fall) zugleich auf einen groben Behandlungsfehler
zu schließen ist, weil sich bei der unterlassenen Abklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung
als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn als grob fehlerhaft darstellen würde.
Grober Behandlungsfehler
Grober Behandlungsfehler
Da diese Rechtsprechung den Ärzten, die von den Patienten in einen Arzthaftungsprozess
gedrängt werden, mit der Beweislastumkehr eine besondere Pflicht aufbürdet, darf dies
nur im Falle eines groben Behandlungsfehlers gelten. Ein grober Behandlungsfehler
liegt nur vor, "wenn das Fehlverhalten des Arztes aus objektiver ärztlicher Sicht
nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler einem Arzt schlechterdings
nicht unterlaufen darf und gegen eine elementare medizinische Behandlungsregel verstößt."
Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn dem Patienten das gesunde Bein statt des kranken
amputiert wird. Handelt es sich um keinen groben Behandlungsfehler, bleibt es bei
dem Grundsatz, dass der Patient alleAnspruchsvoraussetzungen selbst zu beweisen hat.
Die Einordnung, ob ein grober Behandlungsfehler vorliegt, muss das Gericht (und nicht
der Sachverständige!) vornehmen. Grundlage für diese Entscheidung des Gerichts bildet
in der Regel das Sachverständigengutachten. Seit 2002 findet sich im Bürgerlichen
Gesetzbuch (§ 839 a BGB) eine Regelung, die den Sachverständigen dazu anhalten soll,
das Gutachten mit der erforderlichen Sorgfalt zu erstellen. Erstattet er nämlich vorsätzlich
oder fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, kann er sich schadensersatzpflichtig machen.
Ausnahmen
Ausnahmen
Die patientenfreundliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Beweislastumkehr
gilt nicht ohne Ausnahme in jedem Fall, in dem Patienten wegen eines groben Behandlungsfehlers
vor Gericht ziehen.
Keine Beweislastumkehr tritt ein, wenn
-
jeglicher haftungsbegründende Zusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist oder
-
sich das Risiko nicht verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob
erscheinen lässt oder
-
der Patient durch sein Verhalten eine selbstständige Komponente für den Heilungserfolg
vereitelt und dadurch in gleicher Weise wie der grobe Behandlungsfehler des Arztes
dazu beigetragen hat, dass der Verlauf des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufgeklärt
werden kann und
-
der Arzt das Vorliegen einer solchen Ausnahmekonstellation beweisen kann.
In diesen Fällen muss der Patient den Beweis führen.
Fazit
Fazit
Macht ein Patient einen Behandlungsfehler gerichtlich gegen einen Arzt geltend, muss
er grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen vortragen und beweisen. Geht es jedoch
um die Durchsetzung von Schadens- oder Schmerzensgeldansprüchen wegen eines groben
Behandlungsfehlers, kommt es zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität
von grobem Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden. Ein so in Anspruch genommener
Arzt kann sich dem Risiko einer möglicherweise nicht erfolgreichen Beweisführung nicht
entziehen. Er muss sich gegen den gegen ihn erhobenen Anspruch verteidigen, indem
er zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweist, dass der Zusammenhang nicht besteht.
Gelingt ihm die Entlastung nicht, wird er zur Zahlung verurteilt, wenn der Patient
die übrigen Anspruchsvoraussetzungen beweisen kann.
Schwerpunkt eines jeden Prozesses wird nach dieser Entscheidung weiterhin die Frage
bleiben, ob überhaupt ein grober Behandlungsfehler vorliegt. Diese Entscheidung wird
vom Gericht in der Regel auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens getroffen.
Ärzten kann nach dieser Rechtsprechung geraten werden, ihre Krankenbehandlung gut
zu dokumentieren. Nur so kann vor Gericht ein Entlastungsbeweis erfolgreich geführt
werden, da der Sachverständige anhand der Aktenlage entscheidet.
Dr. iur. Isabel Weizel, Rechtsanwältin,
Ehlers, Ehlers und Partner, München