psychoneuro 2004; 30(11): 598
DOI: 10.1055/s-2004-837085
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Reine Nervensache - Periphere neuropathische Schmerzen zentral behandeln

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Publication Date:
02 December 2004 (online)

 
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    Neuropathische Schmerzen sind nach der Definition der Internationalen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (IASP) Schmerzen, die durch eine Läsion oder Dysfunktion des zentralen oder peripheren Nervensystems verursacht werden, erklärte Prof. Ralf Baron, Kiel, auf einer Fortbildungsveranstaltung in München[1]. Auslöser von neuropathischen Schmerzen sind z.B. Diabetes, Herpes zoster, aber auch Schlaganfall, Rückenmarksverletzungen, AIDS und Multiple Sklerose.

    Durch die Schädigung der Neurone, beginnen diese unkontrolliert zu "feuern", sodass der dazugehörende Nozizeptor sensibilisiert wird und vermehrt vasoaktive Substanzen freisetzt. Auch die Schmerzfasern (C-Fasern) werden pathologisch übererregt, wie mit bildgebenden Verfahren beobachtet wurde. Durch die Läsion werden Wachstumsfaktoren ausgeschüttet, die die C-Fasern direkt erreichen können und diese schädigen. Die andauernde Nozizeptoraktivität führt zu zentraler Sensibilisierung. Es kommt zur Neubildung von Kanälen und Rezeptoren, z.B. Menthol-, Vanilloid- und Histaminrezeptoren, sowie zur "Fehlverschaltung" von Berührungsafferenzen mit zentralen nozizeptiven Neuronen, sodass eine Aktivität in diesen Berührungsafferenzen zu Schmerz wird. Nozizeptive Systeme unterliegen normalerweise einer inhibierenden Kontrolle, die jedoch durch die ständige Aktivierung aufgehoben wird. Schon eine leichte Berührung kann so eine Schmerzempfindung auslösen. Bei einigen Patienten können die ausgelösten Schmerzen dazu führen, dass sie nicht mehr die geringste Berührung ertragen können, und z.B. auch keine Kleidung mehr tragen können.

    Eine neue Behandlungsoption bietet jetzt Pregabalin. Pregabalin dockt an die spannungsabhängigen Kalziumkanäle im ZNS an, sodass der Kalziumeinstrom verringert wird und so die pathologische Übererregung zentraler Neurone vermindert wird. Die Freisetzung der exzitatorischen Neurotransmitter Glutamat, Noradrenalin und Substanz P wird reduziert. Die Schmerzentstehung und auch die Chronifizierung werden so vermindert.

    Pregabalin (Lyrica®) ist seit dem ersten September in Deutschland zur Behandlung von peripheren neuropathischen Schmerzen erhältlich. Eine weitere Indikation ist die Therapie fokaler Epilepsien. Seine Wirksamkeit konnte Pregabalin, das mit Gabapentin strukturverwandt ist, bereits in mehreren Studien evident belegen. Wie Dr. Rainer Freynhagen, Düsseldorf, vorstellte, erzielten 52% der Patienten in einer Studie (329 Patienten mit diabetischer Neuropathie oder Postzosterneuralgie) eine Reduktion ihrer Schmerzen um mindestens 50% bei Therapie mit 600 mg Pregabalin/Tag. Bereits in der ersten Woche kann eine klinisch relevante analgetische Wirkung erreicht werden und gleichzeitig werden die bei diesen Patienten häufig bestehenden schmerzbedingten Schlafstörungen deutlich verbessert. Die Wirksamkeit von Pregabalin bleibt auch langfristig erhalten, wie eine offene Studie, in der 217 Patienten über ein Jahr therapiert worden waren, belegte. Die Therapie mit Pregabalin bei peripheren neuropathischen Schmerzen ist daher nach den Worten von Freynhagen "eine enorme Bereicherung ... eine Substanz, die uns in Zukunft etwas davon weg bringt, mit dem Rücken an der Wand zu stehen".

    Pregabalin zeichnet sich durch ein sehr günstiges Wirkungs- bzw. Nebenwirkungsprofil aus. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Benommenheit und Schläfrigkeit, die jedoch nur bei 3,1% bzw. 2,6% der Patienten zu einem vorzeitigen Studienabbruch führten. Laborveränderungen oder relevante Veränderungen von Blutdruck, Herzfrequenz oder des QT-Intervalls wurden nicht beobachtet.

    KW

    02 Brennpunkt neuropathischer Schmerz: Mit dem Rücken an der Wand? Perspektiven für die Praxis" Fortbildungsveranstaltung am 17.-18. September 2004 in München unterstützt von Pfizer

    02 Brennpunkt neuropathischer Schmerz: Mit dem Rücken an der Wand? Perspektiven für die Praxis" Fortbildungsveranstaltung am 17.-18. September 2004 in München unterstützt von Pfizer