Nachdem in früheren Zeiten die „Dementia praecox” noch die Dauerhospitalisierung tausender
von Patienten in psychiatrischen Kliniken in der Größe ganzer Stadtteile notwendig
gemacht hatte, hat sich die Langzeitprognose der Schizophrenie insbesondere nach der
Einführung einer spezifischen und wirksamen Pharmakotherapie deutlich verbessert.
Für die Betroffenen mündet die Diagnose einer schizophrenen Psychose jedoch auch heute
noch in eine häufig lebenslange Problematik mit hohem Rückfallrisiko, die vollständige
Wiederherstellung des prämorbiden Funktionsniveaus ist die Ausnahme. Eine hohe Zahl
von Rückfällen führt nicht nur zu enormen gesellschaftlichen Kosten, sondern erhöht
für den betroffenen Patienten auch das Risiko einer Chronifizierung und der Therapieresistenz.
Eine hohe Zahl von Krankheitsepisoden beeinträchtigt die kognitiven Fähigkeiten und
fördert möglicherweise die Entwicklung struktureller Hirnläsionen [6]. Ohne suffizienten medikamentösen Schutz beträgt das Rückfallrisiko innerhalb eines
Jahres etwa 50 %, nach zwei Jahren 80-90 % [4]
[6]. Eine langfristige Medikamenteneinnahme kann das Rückfallrisiko um mehr als 70 %
senken und das psychosoziale Funktionsniveau deutlich heben [8]. Außerdem sind Rückfälle, die unter medikamentöser Prophylaxe auftreten, kürzer
und weniger schwer [5]. Einer der entscheidenden Faktoren zur Rückfallprophylaxe ist jedoch die langfristige
Einnahme eines Antipsychotikums. In der Praxis ist dazu jedoch nur die Minderzahl
der Patienten zu motivieren; Compliance ist eine der größten Limitationen der Schizophrenietherapie.
Grundlegende Voraussetzung für die langfristige Einnahme eines Medikamentes ist ein
günstiges Wirkungs-/Nebenwirkungsverhältnis.
Aripiprazol: Wirkmechanismus
Aripiprazol: Wirkmechanismus
Aripiprazol ist ein neues atypisches Antipsychotikum, dessen vermuteter Wirkmechanismus
sich von denjenigen der bisher eingeführten Medikamente unterscheidet. Die Substanz
ist ein partieller Antagonist am Dopamin2-Rezeptor, d.h. sie bindet an den Rezeptor und verhindert dessen Aktivierung durch
endogenes Dopamin; im Gegensatz zu reinen D2-Antagonisten wie Haloperidol aktiviert Aripiprazol den Rezeptor jedoch zum Teil und
hält eine partielle Aktivität aufrecht. In Experimenten an neuronalen Zellkulturen
wird durch hohe Konzentrationen von Aripiprazol eine zirka 30 %ige Aktivierung des
Dopamin2-Rezeptors erreicht [1]
[12]. Aufgrund dieser experimentellen Befunde ist zu erwarten, dass Aripiprazol eine
dopaminerge Überstimulation verhindert, gleichzeitig jedoch eine basale Aktivität
des Rezeptors aufrechterhält und dadurch die dopaminerge Neurotransmission stabilisiert.
Die Wirksamkeit von Aripiprazol zur Behandlung akuter schizophrener Episoden wurde
bereits in mehreren Kurzzeitstudien bestätigt [2]
[7]
[10]
[14]. Im Folgenden werden die Ergebnisse bisher vorliegender Langzeitstudien mit Aripiprazol
zusammengefasst und bewertet.
Ein-Jahres-Anwendung nach akuten Episoden: Vergleich mit Haloperidol
Ein-Jahres-Anwendung nach akuten Episoden: Vergleich mit Haloperidol
Kasper et al. [11] berichten über die Ergebnisse zweier großer Studien, die gepoolt ausgewertet wurden.
In diese Untersuchung wurden 1294 Patienten mit einer akuten Exazerbation einer vorbestehenden
Schizophrenie eingeschlossen und für ein Jahr behandelt. Nachdem die Vormedikation
mindestens fünf Tage ausgewaschen worden war, wurden die Studienteilnehmer doppelblind
auf 30 mg Aripiprazol oder 10 mg Haloperidol randomisiert. Nach der ersten Woche konnten
diese Dosen auf 20 mg Aripiprazol oder 7 mg Haloperidol reduziert werden. Primäres
Zielkriterium war die Zeit bis zum Verlust des Ansprechens auf die jeweilige Studienmedikation.
Als Begleitmedikation waren Lorazepam und Anticholinergika zur Behandlung von extrapyramidal-motorischen
Symptomen erlaubt.
43 % der Patienten in der Aripiprazol-Gruppe und 30 % der Studienteilnehmer unter
Haloperidol beendeten die 52-wöchige Studienbehandlung [Abb. 1]. Dieser signifikante Unterschied war im Wesentlichen auf eine höhere Abbruchrate
aufgrund von Nebenwirkungen in der Haloperidol-Gruppe zurückzuführen. Zur insgesamt
hohen Abbruchrate trug bei, dass etwa ein Viertel der Patienten aufgrund anderer Gründe
aus der Studie ausschieden, z.B. Wegzug oder Nichterscheinen bei Visitenterminen.
Eine ähnliche Abbruchrate wird bei schizophrenen Patienten beobachtet, die außerhalb
klinischer Studien ambulant behandelt werden. Als Responder (mindestens 30 % Verbesserung
im PANSS Total Score) wurden 52 % der Aripiprazol- und 44 % der Haloperidol-Patienten
eingestuft; die Zeit bis zur erneuten Verschlechterung konnte unter Aripiprazol im
Vergleich zu Haloperidol um 30 % verlängert werden. Die beiden Substanzen unterschieden
sich nicht hinsichtlich ihrer Wirksamkeit auf die Positivsymptomatik; bezüglich der
Negativsymptomatik und depressiver Symptome war Aripiprazol jedoch signifikant überlegen.
So zeigte sich im PANSS negativ score eine signifikante Überlegenheit von Aripiprazol
vs. Haloperidol (LOCF Analyse: p < 0,05). Die Verbesserung der depressiven Symptomatik
gemessen anhand der Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale (MADRS) war unter Aripiprazol
ebenfalls signifikant größer als unter Haloperidol (LOCF: p < 0,05).
Aripiprazol war insgesamt gut verträglich; es gab keinen Hinweis auf unerwünschte
Wirkungen, die erst verzögert nach längerer Anwendung des Medikamentes auftraten.
Mehr als die Hälfte aller Patienten unter Haloperidol entwickelten EPS und wurden
mit Anticholinergika behandelt; in der Aripiprazol-Gruppe war dies bei weniger als
einem Viertel der Fall. Es kam unter keinem der Medikamente zu einer Gewichtszunahme;
unter Aripiprazol sanken die durchschnittlichen Prolaktinwerte um 8,1 ng/ml, während
sie unter Haloperidol um 34,2 ng/ml anstiegen. Unter der Haloperidoltherapie hatten
61 % der Patienten Prolaktinwerte über der Normgrenze, im Gegensatz zu lediglich 3,4
% der Patienten die mit Aripiprazol behandelt wurden. Zusammenfassend wies Aripiprazol
in dieser Einjahresstudie in einem großen Patientenkollektiv eine dem Haloperidol
vergleichbare Wirksamkeit in der Positivsymptomatik und eine überlegene Effektivität
hinsichtlich der Negativsymptomatik und Depressivität auf; Aripiprazol war insgesamt
deutlich besser verträglich als Haloperidol.
Plazebo-kontrollierte Langzeitstudie bei chronischen Patienten
Plazebo-kontrollierte Langzeitstudie bei chronischen Patienten
In einer weiteren Langzeitstudie wurden teilremittierte, chronische Schizophreniepatienten
für ein halbes Jahr plazebokontrolliert mit Aripiprazol behandelt [13]. In die multizentrische Studie, durchgeführt in den USA und Osteuropa, wurden 310
Patienten mit einem Durchschnittsalter von 42 Jahren eingeschlossen. Dabei handelte
es sich um Patienten, die zum Zeitpunkt der Randomisierung mindestens drei Monate
stabil gewesen, jedoch noch erheblich symptomatisch waren. Der durchschnittliche PANSS-Score
lag bei 82, dies entspricht einer moderaten Krankheitsschwere. Etwa die Hälfte der
Patienten war auf Dauer in vollstationären Einrichtungen untergebracht, alle übrigen
nahmen täglich teilstationäre oder ambulante psychiatrische Versorgungseinrichtungen
in Anspruch. Weiterhin mussten alle Patienten vor Einschluss in die Studie eine Teilremission
auf antipsychotische Medikation gezeigt haben. Primäres Zielkriterium der Studie war
die Rückfallrate. Bereits eine Einstufung als „minimal schlechter” im CGI-I oder eine
Verschlechterung des PANSS um mehr als 20 % wurde als Rückfall gewertet, was im Vergleich
zu anderen Studien eine sehr strikte Definition darstellt.
Nach der Randomisierung wurden die Patienten für 26 Wochen je zur Hälfte mit 15 mg/Tag
Aripiprazol und mit Plazebo behandelt. Dies entspricht der empfohlenen Anfangs- und
Erhaltungsdosis. Lorazepam und Anticholinergika waren als Begleitmedikation erlaubt.
In der Plazebo-Gruppe kam es bei 57 % der Patienten zu einem Rückfall, in der Aripiprazol-Gruppe
nur bei 34 % [Abb. 2]. Nach 26 Wochen verblieben noch 59 % der Aripiprazol-Patienten und 38 % der Plazebo-Patienten
in der Studie. Da diese Studie bei „stabilen” Patienten mit Schizophrenie durchgeführt
wurde, lagen die PANSS Werte deutlich niedriger als in der 1-Jahres Studie versus
Haloperidol (ca. 95 vs. 82 PANSS Ausgangswerte). So zeigte sich im PANSS-Gesamtscore
bei Patienten unter Aripiprazol eine Verbesserung um lediglich zwei Punkte, während
es unter Plazebo zu einer Verschlechterung um 4,5 Punkte kam. In der PANSS-Positiv-Skala
zeigte sich am Studienende auch in der Aripiprazol-Gruppe eine minimale Verschlechterung
(Plazebo: +2,37; Aripiprazol: +0,12), die jedoch signifikant geringer als in der Plazebo-Gruppe
war. In der PANSS-Negativ-Skala gab es keine signifikanten Unterschiede (Plazebo:
-0,54; Aripiprazol:-1,40).
Unter Aripiprazol wurden etwas häufiger als unter Plazebo Tremor (Aripiprazol: 8,5
%; Plazebo: 1,3 %), Übelkeit (Aripiprazol: 5,2 %; Plazebo: 3,3 %), Erbrechen (Aripiprazol
5,9 %; Plazebo: 3,3 %) beobachtet. Vorbestehende EPS und Prolaktinerhöhungen besserten
sich unter Aripiprazol stärker als unter Plazebo, es kam zu keinen Unterschieden hinsichtlich
Blutfetten, Glukose, QT-Verlängerung oder Gewicht. Zusammenfassend kann aus dieser
Studie geschlossen werden, dass es bei teilremittierten, noch erheblich symptomatischen
Patienten nach Absetzen der Vormedikation unter Aripiprazol bei weniger Patienten
zu einer klinischen Verschlechterung kommt als unter Plazebo. Bei dieser Studie handelt
es sich mehr um eine Umstellungs- als um eine Rückfallprophylaxe-Studie, da die Patienten
keine akute Exazerbation der Erkrankung aufwiesen und Absetzeffekte der vorangegangenen
Medikation mit erheblicher Latenz auftreten können. In dieser schwerstkranken, zu
einem hohen Prozentsatz dauerhospitalisierten und teilweise therapierefraktären Patientengruppe
war Aripiprazol gegenüber Plazebo hinsichtlich seiner Wirksamkeit überlegen und gut
verträglich.
Therapierefraktäre Patienten
Therapierefraktäre Patienten
Mit der Problematik therapierefraktärer Patienten beschäftigte sich eine weitere klinische
Studie aus den USA [9]. In diese wurden 300 Patienten eingeschlossen, die auf zwei oder mehr ausreichend
dosierte und mehr als sechs Wochen angewandte Behandlungsversuche mit unterschiedlichen
Neuroleptika nicht respondiert hatten. War zuvor Olanzapin erfolglos gewesen, wurden
die Studienteilnehmer nochmals sechs Wochen offen mit Risperidon behandelt; war zuvor
Risperidon ohne Effekt, wurde Olanzapin angesetzt. Darunter respondierten überraschenderweise
nur 2 % der Studienteilnehmer. Alle übrigen wurden danach auf Aripiprazol oder Perphenazin
randomisiert. Perphenazin wurde hauptsächlich deshalb als Kontrollmedikation ausgewählt,
da es als gut verträglich gilt und in den USA selten eingesetzt wird; dementsprechend
gibt es nur wenige Patienten, die auf diese Substanz bereits refraktär sind. Etwa
75 % der Patienten in beiden Gruppen beendeten die sechswöchige Behandlungsphase.
In beiden Gruppen respondierten etwa ein Viertel der Patienten; in der Aripiprazol-Gruppe
traten wiederum weniger EPS-Symptome und keine Hyperprolaktinämie auf. In beiden Behandlungsgruppen
kam es zu einer geringen Gewichtsabnahme (Aripiprazol: -2,2 kg; Perphenazin: -1,5
kg). In dieser Patientengruppe, deren Therapieresistenz sowohl gegenüber Risperidon
als auch Olanzapin im Rahmen der Studie gezeigt wurde, konnten sowohl Aripiprazol
als auch das hochpotente konventionelle Neuroleptikum Perphenazin noch bei einem signifikanten
Prozentsatz der Patienten eine klinische Besserung herbeiführen; Aripiprazol wurde
jedoch besser vertragen. Aus den Ergebnissen dieser Studie kann nicht zwangsläufig
abgeleitet werden, dass Aripiprazol oder Perphenazin bei therapierefraktären Patienten
gegenüber Olanzapin oder Risperidon überlegen sind, da bei längerer Dauer der medikamentösen
Behandlung eine kumulative Zunahme der Responder zu erwarten ist und Aripiprazol/Perphenazin
zeitlich nach Olanzapin/Risperidon eingesetzt wurden. Die Studie könnte jedoch auch
so interpretiert werden, dass bei therapierefraktären Patienten von Substanzen mit
alternativen Wirkmechanismen ein zusätzlicher Effekt erwartet werden könnte.
Langfristige Wirkung auf Kognition und Gewicht
Langfristige Wirkung auf Kognition und Gewicht
Zwei weitere Langzeitstudien verwendeten Olanzapin als Vergleichssubstanz. In einer
offenen Halbjahresstudie wurden 255 klinisch stabile Patienten auf 30 mg Aripiprazol
oder 10-15 mg Olanzapin umgestellt [3]. Hauptzielkriterien dieser Studie waren eine Reihe von Tests zur neurokognitiven
Funktion. Die PANSS-Gesamtwerte blieben in beiden Studienarmen im Verlauf der gesamten
Untersuchung stabil und unterschieden sich nicht signifikant. Deutliche Unterschiede
fanden sich beim sekundären Wortgedächtnis, also der Fähigkeit, verbale Informationen
aufnehmen und länger als einige Minuten speichern zu können. Patienten unter Aripiprazol
schnitten hier sowohl nach acht als auch nach 26 Wochen signifikant besser ab als
die Olanzapin-Kontrollgruppe.
In eine weitere Halbjahresstudie wurden 314 Patienten mit akut exazerbierter Schizophrenie
eingeschlossen und doppelblind mit durchschnittlich 25 mg Aripiprazol oder 16 mg Olanzapin
behandelt [15]. Primäres Zielkriterium war hier die Veränderung des Körpergewichts. In dieser Studie
zeigte sich, dass die Patienten im Verlauf des Studienzeitraumes unter Aripiprazol
durchschnittlich leicht an Gewicht abnahmen (-1,4 kg), während mit Olanzapin behandelte
Patienten im Durchschnitt um zirka vier kg zunahmen ([Abb. 3], links). Diese Gewichtszunahme erreichte nach zirka zwölf Wochen ein Plateau. Auch
in dieser Untersuchung unterschieden sich Aripiprazol und Olanzapin nicht hinsichtlich
ihrer Wirksamkeit ([Abb. 3], rechts).
Fazit
Fazit
In einer Reihe von Studien konnte für Aripiprazol eine gegenüber Plazebo überlegene
und gegenüber typischen und atypischen Antipsychotika gleichwertige Wirksamkeit bei
guter Verträglichkeit gezeigt werden. Insbesondere bei Umstellung von sedierenden
Neuroleptika auf Aripiprazol scheint es bei manchen Patienten zu passageren Schlafstörungen
zu kommen, so dass eine kurzfristige Komedikation mit einem Hypnotikum nötig werden
kann. Von größerer Bedeutung für die Langzeittherapie ist jedoch die gute Verträglichkeit:
Bewegungsstörungen, Prolaktinanstieg, EKG-Veränderungen und Gewichtszunahme treten
nur selten unter Aripirazoltherapie auf. Die klinische Relevanz dieser Befunde aus
klinischen Studien wird erst beurteilbar sein, wenn Aripiprazol in der klinischen
Praxis breit angewendet wird.
Abb. 1 Verbleib in der 1-Jahres Studie nach Abbruch wegen Wirkungslosigkeit oder Nebenwirkungen.
Das Risiko eines Behandlungsabbruchs war unter Aripiprazol um 31 % geringer.
Abb. 2 Anteil der chronischen Patienten, die unter Behandlung mit Aripiprazol oder Plazebo
ohne Rückfall blieben. Die geschätzten Wahrscheinlichkeiten, am Ende der 26-wöchigen
Behandlungsphase ohne Rückfall zu bleiben, betrug 63 % für Aripiprazol und 40 % für
Plazebo. Dieser Unterschied war signifikant. Das relative Risiko, einen Rückfall zu
bekommen, war halbiert.
Abb. 3 Veränderung des Körpergewichts und Abnahme des PANSS-Scores nach 26-wöchiger Therapie
mit Aripiprazol und Olanzapin. Unter Olanzapin stieg das Körpergewicht um durchschnittlich
4 kg an, während es unter Aripiprazol zu einer nicht-signifikanten Gewichtsabnahme
kam. Hinsichtlich ihrer Wirksamkeit unterschieden sich die Substanzen nicht.