Der Klinikarzt 2005; 34(1/02): VIII-IX
DOI: 10.1055/s-2005-862235
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Hilfe im klinischen Alltag - Therapiealgorithmen zur Standardisierung der Ernährungs- und Infusionstherapie

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Publication Date:
09 February 2005 (online)

 
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Betrachtet man heute die Produktpalette der Apotheke eines Großklinikums im Bereich der Ernährungs- und Infusionstherapie, findet man eine Vielzahl an Flaschen und Beuteln in den unterschiedlichsten Größen und von den verschiedensten Herstellern - das Ergebnis einer langen Tradition der empirischen Therapien verschiedener Abteilungen und der Handschrift der (Chef-)Ärzte. Viele (oder sogar die meisten) Produkte unterscheiden sich nur unwesentlich, sind aber trotzdem in den speziellen Therapieplänen der Abteilungen fest verankert. Die Folge: Vor allem weniger erfahrene, nicht auf die Infusions- bzw. Ernährungstherapie spezialisierte Ärzte sind mit individuellen und komplexen Behandlungsstrategien leicht überfordert, auch deshalb, weil weder die Infusions- noch die Ernährungstherapie fest in die medizinischen Curricula eingebunden sind.

Doch was viele nicht wissen: In der Regel benötigt man nur für Spezialfälle, vor allem Intensivpatienten, individuell abgestimmte Therapien, um einer Mangelernährung oder Störungen im Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt entgegenzuwirken. 80-90% der Patienten könnten demnach nach einfachen Standards therapiert werden. Bis vor kurzem fehlten jedoch einfache, sinnvoll strukturierte Regeln.

Jetzt stehen - auf Initiative von Baxter und einem Advisory-Bord aus Experten der Anästhesie, Chirurgie, Inneren Medizin, Krankenhauspharmazie und Pflege - interdisziplinäre Therapiealgorithmen zur Verfügung, die es Nicht-Spezialisten erleichtern, sichere Diagnosen zu stellen und eine effiziente Therapie einzuleiten. Neben ihren eigenen Erfahrungen haben die Experten Leitlinien und Empfehlungen der unterschiedlichen Fachgesellschaften berücksichtigt. Ersetzen können die Algorithmen die existierenden Leitlinien sicherlich nicht. Sie sind als Ergänzung zu verstehen, betonen die Experten. Sonderfälle, die der Erfahrung und des Wissens besonders ausgebildeter Mediziner bedürfen, wird es natürlich weiterhin geben.

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Sichere und effiziente Ernährung

Mangelernährung bei hospitalisierten Patienten ist ein wichtiger Risikofaktor für einen komplikationsreicheren und längeren Krankenhausaufenthalt, betonte Prof. M. Plauth, Dessau. Doch schon bei der stationären Aufnahme der Patienten wird häufig der Ernährungszustand der Patienten nicht erfasst. Im Vordergrund der Bemühungen um den Patienten stehen meist Diagnostik und Therapie der Grundkrankheit, sodass oft erst bei Komplikationen oder bei Kachexie eine Ernährungstherapie eingeleitet wird.

Warum ist das so? Nicht nur herrschen unterschiedliche Ansichten über den Nährstoff- und Energiebedarf von Patienten, es bestehen zudem Unsicherheiten über die Zusammensetzung der Ernährungslösungen bzw. deren Applikation. Zusätzlich mangelt es an allgemein bekannten Parametern, die den Einsatz einer adäquaten Ernährungstherapie in der akuten Krankheitsphase anzeigen. Künstliche Ernährung gilt als äußerst kompliziert und wird daher nicht oder nur insuffizient eingesetzt.

Doch es muss gar nicht so schwer sein, wie der Entscheidungsbaum des aktuellen Therapiealgorithmus zur Ernährungstherapie mit seinen einfachen Entscheidungswegen belegt: Ein unkompliziertes Screening bei der stationären Aufnahme ("Nutrition Risk Screening") hilft, gefährdete Patienten schnell zu identifizieren. Besteht ein Risiko für die Patienten, hält der Therapiealgorithmus mit dem "Subjective Global Assessment" (SGA) wiederum ein Tool bereit, um den Ernährungszustand des Patienten schnell und sicher zu bestimmen und daraufhin - wenn keine ausreichende orale Zufuhr möglich ist - die Indikation zur künstlichen Ernährung zu stellen.

Liegen keine Kontraindikationen vor, ist im nächsten Schritt über die Quantität, die Zusammensetzung und die Zufuhrwege der Nährstoffe zu entscheiden. Dabei ist die primär auf die Bedarfsdeckung ausgerichtete Energiezufuhr der tatsächlichen Substratverwertung anzupassen, die durch ein Stoffwechselmonitoring kontrolliert wird. Auch hier hält der Algorithmus (neben Sonderfällen) entsprechende Faustregeln bereit: Der Energiebedarf in Ruhe beträgt normalerweise 24 kcal/kgKG/Tag. Für mobile Patienten (geringe körperliche Aktivität) sollten in der Regel 30 kcal/kgKG/Tag bereitgestellt werden.

Nach Möglichkeit sollten Patienten mit funktionierendem Gastrointestinaltrakt oral oder enteral ernährt werden. Die Notwendigkeit zur parenteralen bzw. dualen Ernährung besteht in diesen Fällen nur, wenn aufgrund einer schweren Mangelernährung umgehend eine sofort bedarfsdeckende Substratzufuhr nötig ist, der ein enteraler Kostaufbau stets allmählich zu folgen hat (cave: Refeeding-Syndrom). Sowohl bei dualer als auch bei totaler parenteraler Ernährung sollte nach Möglichkeit auf eine All-in-One-Lösung wie den Dreikammerbeutel zurückgegriffen werden, dem nur noch Vitamine und Spurenelemente zugefügt werden müssen.

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Infusionstherapie: Nur drei Lösungen reichen aus

Für die Mehrzahl der Fälle reiche es aus, drei unterschiedliche Infusionslösungen bereitzuhalten, konstatierte PD H.-J. Dieterich, Tübingen - nämlich:

  • Vollelektrolytlösungen für Erwachsene

  • Lösungen mit geringerem Elektrolytgehalt für Kinder (über drei Jahre: Halbelektrolytlösungen mit 70 mmol Na+/l; unter drei Jahren: Drittelelektrolytlösungen mit 35 mmol Na+/l)

  • Hydroxyethylstärke-Lösungen.

Doch in der Roten Liste fanden sich im Jahr 2003 insgesamt 304 Infusions- und Standardinjektionslösungen mit oftmals nahezu identischer Zusammensetzung. "Dieses Wirrwarr aufzulösen und ein sicheres Konzept zur Flüssigkeitssubstitution bereitzustellen ist Ziel des neuen Therapiealgorithmus zur Flüssigkeits- und Volumenersatztherapie", meinte Dieterich.

Auch dieser Algorithmus bietet einfache Entscheidungswege, die direkt ab der stationären Aufnahme der Patienten greifen. Von großer Bedeutung ist es natürlich, bereits bestehende Flüssigkeitsdefizite - ob isoton, hypoton oder hyperton - frühestmöglich mit Voll- oder Halbelektrolytlösungen zu kompensieren bzw. den normalen Flüssigkeitsspiegel zu erhalten (Erhaltungs- und evtl. Korrekturbedarf).

Denn obwohl der menschliche Körper zu etwa 60% aus Wasser besteht, droht bereits bei einem verhältnismäßig geringen Flüssigkeitsverlust von nur 20% des Gesamtkörperwassers Gefahr für das Leben der Patienten. Um das diffizile Gleichgewicht der Flüssigkeitsverteilung im Körper aufrechtzuerhalten, ist demnach eine regelmäßige Flüssigkeitszufuhr nötig. Bei Erwachsenen beträgt dieser so genannte Erhaltungsbedarf etwa 30 ml/kgKG/Tag. Säuglinge und Kinder (bis 30 kg) benötigen sogar eine auf das Gewicht bezogene größere Menge, da der kindliche Organismus relativ gesehen mehr Wasser benötigt (4-2-1-Regel). Haben Kinder zusätzlich Fieber (> 37°C), ist ein zusätzlicher Flüssigkeitsbedarf von 10% pro einer Temperaturerhöhung von 1°C angezeigt.

Sobald Patienten nicht mehr in der Lage sind, ausreichend zu trinken, muss ihr Flüssigkeitsverlust mithilfe von Elektrolytlösungen ausgeglichen werden, um eine drohende Dehydratation zu verhindern. Bei einer Operation ist dem Körper zusätzlich zu diesem Erhaltungsbedarf - je nach Größe des Eingriffs - 4-8 ml/kgKG/ Stunde Flüssigkeit zuzuführen. Bei großen Eingriffen reicht die alleinige Gabe von Salzlösungen nicht mehr aus, zusätzlich werden künstliche Kolloide zum Volumenersatz benötigt. Die weltweit modernsten Lösungen der dritten Generation sind dabei die bislang nur in Europa erhältlichen Lösungen, die auf Maisstärke basieren.

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Auch pflegerische Aspekte sind berücksichtigt

Eine effiziente und sichere Ernährungs- und Infusionstherapie ist nicht nur ärztlicher, sondern ebenso pflegerischer Auftrag. "Die Aufgaben der Pflege sind ein mitentscheidender Faktor bei der Standardisierung therapeutischer Maßnahmen", erklärte L. Ullrich, Münster. Diese Situation haben die beiden Therapiealgorithmen aufgegriffen, sie wenden sich damit explizit auch an die Pflegekräfte: Überall dort, wo die "Pflegehand" im Algorithmus erscheint, sind spezielle Pflegehinweise hinterlegt und die Aufgaben der Pflegenden explizit erläutert.

Denn die Pflegekräfte übernehmen nicht nur die Vorbereitung und Durchführung der enteralen und parenteralen Ernährung, sie bereiten gegebenenfalls die Infusionslösungen vor und verabreichen diese den Patienten. Auch für die Überwachung - sowohl des Patienten als auch der jeweiligen Applikation brauchen die Pflegekräfte spezielles Hintergrundwissen. Sie müssen zum Beispiel die Vor- und Nachteile jejunaler bzw. gastraler Sonden gegeneinander abwägen können oder bei der Applikation der Sondenkost die hygienischen Anforderungen kennen und zwischen Bolus oder kontinuierlicher Gabe differenzieren. Gleichzeitig obliegt den Pflegenden die Beobachtung der Patienten hinsichtlich metabolischer, mechanischer, gastrointestinaler oder sondenbedingter Komplikationen. Hierzu ist eine genaue Kenntnis der jeweiligen Symptomatiken sowie der notwendigen Maßnahmen erforderlich.

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Rationalisierung schafft Freiräume

Nach Ansicht von Prof. R. Radziwill, Fulda, schränken vorgegebene Therapiestandards die Therapiefreiheit nicht ein, vielmehr ermöglichen sie eine gesteigerte Qualität der Behandlung: "Komplexe und individuelle Therapien bergen im Alltag eine Vielzahl an Fehlerquellen. Zudem erschweren fehlende Standards die Dokumentation." Der Krankenhausapotheker wies zudem auf das Sparpotenzial hin, wenn nur noch wenige "Standardlösungen" in der Krankenhausapotheke vorgehalten werden müssen - dies spare beim Einkauf und reduziere die Kosten der Lagerhaltung deutlich.

Radziwills Fazit ist daher: "Standardisierte, leitliniengestützte Therapiealgorithmen für den 'Normalpatienten' vereinfachen die Therapie, steigern die Ergebnisqualität, nutzen die vorhandenen Ressourcen im Krankenhaus optimal und schaffen so Freiräume für die individuelle Therapie schwerstkranker Patienten!" Die kostenlosen Therapiealgorithmen können telefonisch unter 06172/2851015 bestellt werden.

sts

Quelle: Symposium "Die Effizienz-Offensive - Therapiealgorithmen zur Standardisierung der Ernährungs- und Infusionstherapie" im Rahmen des 7. Deutschen Interdisziplinären Kongresses für Intensivmedizin und Notfallmedizin (DIVI), veranstaltet von der Baxter Deutschland GmbH, Erlangen

 
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