Der Klinikarzt 2005; 34(1/02): XV-XVI
DOI: 10.1055/s-2005-863755
Recht

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Häufig besteht große Unsicherheit - Wie muss man mit Patientenverfügungen umgehen?

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Publication Date:
09 February 2005 (online)

 
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Für jede ärztliche Maßnahme gilt der Grundsatz, dass ausschließlich der Patient mit seiner Einwilligung entscheidet, ob er eine konkrete medizinische Behandlung in Anspruch nehmen will. Dies ergibt sich aus dem verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbestimmungsrecht des Menschen. Weder die Krankheit an sich noch der ärztliche Heilauftrag begründen für den Arzt ein eigenständiges Behandlungsrecht. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Entscheidung des Patienten aus medizinischer Sicht vernünftig ist oder nicht.

Insbesondere gilt, dass die Einwilligung während der gesamten Behandlungsdauer fortbestehen und auch für jede Weiterbehandlung vorliegen muss. Nicht alle Menschen wünschen ein Aufrechterhalten ihres Organismus unter Ausschöpfen alles medizinisch Machbaren. Erfolgt eine Behandlung eines Patienten ohne dessen Einwilligung, ist dies eine strafbare rechtswidrige Körperverletzung (§§ 223 ff. StGB) und kann darüber hinaus zivilrechtliche Schadensersatzansprüche (§§ 823 ff. BGB) begründen.

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Patientenverfügung - was ist das?

Die Notwendigkeit der Einwilligung des Patienten in eine medizinische Behandlung gilt auch dann, wenn der Patient nicht mehr in der Lage ist, persönlich einzuwilligen. In solchen Situationen kann - sofern vorhanden - eine Patientenverfügung zum Tragen kommen. Darunter versteht man Willensbekundungen eines entscheidungsfähigen Menschen zur zukünftigen medizinischen und/oder begleitmedizinischen Behandlung für den Fall der Äußerungs- und Einwilligungsunfähigkeit.

In einer Patientenverfügung kann selbstverständlich auch der Wunsch nach Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten geäußert werden. Allerdings begrenzen das Vertragsarztrecht oder versicherungsrechtliche Bestimmungen wie auch das ärztliche Standesrecht diesen Wunsch. Der einwilligungsunfähige Patient hat folglich keinen Anspruch auf eine aus ärztlicher Sicht nicht indizierte Behandlung. Indes werden Patientenverfügungen meist ein Behandlungsverbot dokumentieren.

Grundsätzlich darf der Patient jedoch nicht auf ein verbotenes Tun durch den Arzt bestehen. Die aktive Sterbehilfe, die auf die Einleitung einer lebensbeendenden Maßnahme gerichtet ist, ist in Deutschland nach wie vor verboten (§ 216 StGB). Abgesehen von diesem Ausnahmefall stellt sich für den behandelnden Arzt die Frage, ob und in welchem Umfang er an eine solche Patientenverfügung gebunden ist.

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Grundsätzlich verbindlich

Nachdem der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 17. März 2003 (AZ XII ZB 2/03) die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen bestätigt hat, wird die Frage des Selbstbestimmungsrechts des einwilligungsunfähigen Patienten und dessen Regelungsbedürftigkeit wieder verstärkt diskutiert. Am 05.11.2004 präsentierte das Bundesjustizministerium schließlich Eckpunkte eines Gesetzesentwurfs, der zukünftig für mehr Klarheit im Umgang mit Patientenverfügungen sorgen soll. Demnach soll in erster Linie das im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankerte Betreuungsrecht geändert - und unter anderem durch eine ausdrückliche Aufnahme des Rechtsinstituts der "Patientenverfügung" in § 1901 a BGB erweitert werden. Im Wesentlichen normiert der Gesetzesentwurf, was bislang die Fachgruppen zum richtigen Umgang mit Patientenverfügungen empfehlen.

Der Entwurf schließt sich der derzeitigen Auffassung in Literatur und Rechtsprechung an, dass eine Patientenverfügung gilt, solange keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Patient diese widerrufen hat. Damit ist sie als Ausdruck des fortwirkenden Selbstbestimmungsrechts, aber auch der Selbstverantwortung des Betroffenen grundsätzlich für den Arzt verbindlich.

Eine vom Patienten getroffene Entscheidung liegt jedoch nur vor, wenn die Patientenverfügung eine Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe enthält, die auf die konkrete Situation zutreffen. In der Praxis kommt es daher häufig darauf an, wie die Patientenverfügung zu interpretieren ist. Nur in den seltensten Fällen wird es so sein, dass die eingetretene Situation und der Wunsch nach Behandlungsabbruch konkret vorformuliert wurden.

Bei der Klärung, ob die Festlegungen der Patientenverfügung bindend sind, muss ihre Übertragbarkeit auf die im Einzelfall konkrete Entscheidungssituation eindeutig und situationsbezogen feststehen. Zweifel können unter Heranziehung von Umständen außerhalb der Patientenverfügung geklärt werden. Doch hat der Arzt vor allem bei Beratungen und Gesprächen mit Dritten auch den Willen des Patienten zur Weitergabe persönlicher krankheitsrelevanter Daten zu respektieren. Die Einwilligungsunfähigkeit des Patienten entbindet den Arzt nicht grundsätzlich von seiner ärztlichen Schweigepflicht, es sei denn etwas anderes ergibt sich aus der Patientenverfügung selbst!

Wurden in der Patientenverfügung keine Festlegungen für eine konkrete Behandlungssituation getroffen, soll nach dem Gesetzesentwurf der Betreuer oder ein von dem Patienten bestellter Bevollmächtigter an dessen Stelle entscheiden, ob er in die ärztliche Maßnahme einwilligt. Dabei ist die Patientenverfügung als Indiz für die Entscheidung heranzuziehen. Besteht die Gefahr, dass das Unterbleiben oder der Abbruch einer medizinischen Maßnahme dazu führen kann, dass der Betreute stirbt oder einen schweren gesundheitlichen Schaden erleidet, so muss das Vormundschaftsgericht die Verweigerung der Einwilligung genehmigen, es sei denn Arzt und Betreuer stimmen hinsichtlich des behandlungsbezogenen mutmaßlichen Patientenwillens überein.

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Weder Formvorschriften noch Befristung

Nach dem Gesetzesentwurf soll es für die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung bewusst nicht auf die Einhaltung bestimmter Formvorschriften ankommen. Insbesondere müssen Änderungen und Widerruf einer Patientenverfügung jederzeit möglich sein und dürfen nicht durch Formerfordernisse erschwert werden. Allerdings erleichtert die Schriftlichkeit den Nachweis des Inhaltes einer Patientenverfügung.

Darüber hinaus geht auch der Gesetzesentwurf davon aus, dass allein aus dem Umstand, dass die Erklärung der Patientenverfügung zeitlich schon länger zurückliegt, nicht mit Sicherheit auf einen nicht mehr geltenden Willen geschlossen werden kann. Doch selbstverständlich müssen länger zurückliegend verfasste Patientenverfügungen im konkreten Fall auch schon jetzt besonders sorgfältig auf ihre aktuelle Relevanz geprüft werden.

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Beschränkung auf ein bestimmtes Krankheitsstadium?

Nach den Vorstellungen des Bundesjustizministeriums soll die Reichweite von Patientenverfügungen nicht auf ein bestimmtes Krankheitsstadium beschränkt sein. Damit folgt das Ministerium nicht der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der in seinem Beschluss vom 17.03.2003 (AZ: XII ZB 2/03) die Reichweite von Patientenverfügungen auf die Fälle einschränkte, in denen das Grundleiden einen irreversiblen und tödlichen Verlauf angenommen hat.

Es bleibt abzuwarten, wie sich dieser strittige Punkt im Gesetzgebungsverfahren entscheiden wird. Das Bundesjustizministerium vertritt jedenfalls die Auffassung, das Selbstbestimmungsrecht des Menschen sei auch dann zu achten, wenn dieser eine Heilbehandlung ablehne, die eine zum Tode führende Krankheit besiegen oder den Eintritt des Todes hinausschieben kann. Bei einem einwilligungsfähigen Patienten würden keine Zweifel daran bestehen, dass dieser einen solchen medizinischen Eingriff verweigern könnte. Das gleiche Recht der Verweigerung müsse von einem Menschen im Voraus für den Fall der Entscheidungsunfähigkeit getroffen werden können.

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Wann ist eine Patientenverfügung obsolet?

Vor der Heranziehung einer Patientenverfügung ist zu verifizieren, ob sich der Patient zwischenzeitlich von seiner früheren Verfügung mit erkennbarem Widerrufswillen distanziert hat oder sich die Bedürfnislage des Betreffenden geändert hat. In Zweifelsfällen darf nicht ohne weiteres der in einer Patientenverfügung festgehaltene Wille umgesetzt werden.

Um Sicherheit über den tatsächlichen Willen des Patienten zu erlangen, sollte zusätzlich nach Äußerungen der Person zu dem von ihr gewünschten Umgang am Lebensende recherchiert werden. Relevant sind beispielsweise Meinungsäußerungen zum Thema Tod, Sterben und medizinische Aufrechterhaltung, die religiöse Einstellung des Patienten, seine Einstellung zum Leben und seine seelische Verfassung. Doch auch hier ist erneut die ärztliche Schweigepflicht zu beachten!

Existiert eine Patientenverfügung, in der die Einwilligung in eine Behandlung abgelehnt wird, ist der Patient aber noch in der Lage, sich sprachlich mitzuteilen, dann hat natürlich dieser aktuell geäußerte Wille und Wunsch auf Weiterbehandlung immer Vorrang vor der früher geäußerten Bekundung. Die Einwilligung oder Verweigerung in eine ärztliche Behandlung kann natürlich auch gestisch oder körpersprachlich erfolgen. Erst wenn der Patient keinen aktuellen Willen mehr äußern kann, darf auf einen früher geäußerten Willen des Patienten in Form einer Patientenverfügung zurückgegriffen werden.

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Sondersituation Notfallbehandlung

Die Grundsätze zum Umgang mit Patientenverfügungen, vor allem die Erforschung des konkreten Willens des entscheidungsunfähigen Patienten, können selbstverständlich nicht in gleichem Umfang in Notfallsituationen gelten. Duldet eine Behandlung keinen Aufschub, darf und muss der Arzt bis zur Abwendung des Notfalls medizinisch indizierte Behandlungen durchführen. Es ist davon auszugehen, dass die medizinisch indizierte Maßnahme dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.

Dieses Vorgehen kommt jedoch nur bei solchen Indikationen in Betracht, bei denen ein Aufschub eine Gefährdung des Lebens bedingen würde. Mit weitergehenden Behandlungen ist deshalb abzuwarten. Bleibt der Patient einwilligungsunfähig und existiert eine Patientenverfügung, so ist für die weitere Behandlung grundsätzlich das darin manifestierte Selbstbestimmungsrecht zu beachten.

Lässt es der Notfall zu, sollten jedoch die zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft werden, um den wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten herauszufinden. Dies kann sich beispielsweise durch die Befragung anwesender Angehöriger ergeben, die allerdings auch nur einen Hinweis auf den subjektiven Willen geben können, nicht aber den mutmaßlichen Willen ersetzen können.

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Dr. iur. Isabel Häser,

Rechtsanwaltssozietät Ehlers,

Ehlers und Partner, München

 
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