Der Klinikarzt 2005; 34(3): 73-78
DOI: 10.1055/s-2005-865192
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Interdisziplinär und multiprofessionell im besten Sinn - Erste interdisziplinäre Kinderschmerzambulanz in Deutschland

Interdisciplinary and Multiprofessional in Every Meaning - First Interdisciplinary Pediatric Pain Outpatients' Departement in GermanyS. Schürmann1 , U. Damschen1 , M. Dobe1 , J. Berrang1 , Chr. Wamsler1 , A. Ströhlein1 , W. Henkel1 , A. Menke1 , G. Baumhöfner1 , U. Elsner1 , B. Zernikow1
  • 1Institut für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin (IKP), Vestische Kinder und Jugendklinik Datteln, Univ. Witten/Herdecke(Leitender Arzt: Priv.-Doz. Dr. B. Zernikow)
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Anschrift für die Verfasser

Priv.-Doz. Dr. B. Zernikow

Institut für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin (IKP)

Interdisziplinäre Kinderschmerzambulanz

Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln Universität Witten/Herdecke

Dr.-Friedrich-Steiner-Str. 5

45711 Datteln

Publication History

Publication Date:
11 March 2005 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Chronische Schmerzen bei Kindern nehmen an Häufigkeit zu. Über 200000 Kinder in Deutschland leiden allein an therapierefraktären Migräneanfällen. Aber auch funktionelle Bauchschmerzen, chronische Tumorschmerzen, Muskel- und Gelenkschmerzen sowie psychosomatische Schmerzerkrankungen wie das Fibromyalgiesyndrom und somatoforme Schmerzstörungen stellen die behandelnden Kinderärzte oft vor unlösbare Aufgaben, da sie nur in einem multiprofessionellen Team erfolgreich behandelt werden können. Im Oktober 2002 wurde mithilfe gemeinnütziger Stiftungen die erste deutsche interdisziplinäre Kinderschmerzambulanz an der Vestischen Kinder- und Jugendklinik - Universität Witten/Herdecke eröffnet. Hier arbeiten Kinderärzte, Kinderpsychologen, Kinderkrankenschwestern und andere Berufsgruppen zusammen, um Kindern mit Schmerzen oder lebensverkürzenden Erkrankungen zu helfen. Zusätzlich zur Sprechstunde gibt es ambulante Schmerztherapiegruppen, in besonders schwer wiegenden Fällen mit stark chronifizierten Schmerzen steht eine umfassende interdisziplinäre Betreuung auf der psychosomatischen Schmerzstation zur Verfügung. Erste Auswertungen der Initiative zeigen viel versprechende Ergebnisse. Auch auf dem Gebiet der Laienschulung, Fortbildung, der palliativen Schmerztherapie und wissenschaftlichen Arbeit sind erste Erfolge zu verbuchen.

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Summary

The frequency of pediatric chronic pain is increasing. In Gemany, more than 200000 children suffer from recurrent migraine resistant to treatment. Recurrent abdominal pain, chronic tumor pain, pain in muscles and joints as well as psychosomatic pain disorders such as fibromyalgia are an almost unsolvable problem for the GP (general practitioner). In these cases, successful treatment can only be sufficiently realized by a multi-professional health team. The first German interdisciplinary pediatric pain out-patients' department was founded in October 2002 with the financial help of a non-profit organisation. It is located at the Children's Hospital Datteln, University of Witten/Herdecke. Pediatricians, child psychologists, pediatric nurses and other health-care professionals are working together to help children with chronic pain and life-limiting diseases. In addition, cognitive-behavioral group therapies are offered. A comprehensive inpatient treatment is possible for children and adolescents with a highly disabling pain disorder on our specialized psychosomatic pain ward. First evaluations show promising results. Considerable success could be accomplished in the field of trainings for laypersons and professionals, palliative pain therapy and scientific work.

Obwohl mittlerweile die Bedeutung des akuten Schmerzes als Stressfaktor und die daraus resultierenden negativen Effekte auf das Immunsystem sowie die Selbstheilungskräfte hinlänglich bekannt und wissenschaftlich belegt sind, wird die Therapie dieses elementaren Symptoms in der modernen Pädiatrie noch immer stiefmütterlich behandelt [5] [12]. Und obwohl unzureichend behandelte chronische Schmerzen im Kindesalter durch das psychologische Phänomen der „erlernten Hilflosigkeit” sichere Prädiktoren für chronische Schmerzen im Erwachsenenalter sind, existierte bis Oktober 2002 in Deutschland keine einzige Einrichtung zur interdisziplinären pädiatrischen Schmerztherapie.

Epidemiologische Daten zu chronischem Schmerz im Kindesalter sind spärlich. Jüngere regionale Befragungen lassen jedoch eine höhere Prävalenz von Bauch- und Kopfschmerzen vermuten als bisher angenommen [3]. Insbesondere die Kopfschmerzprävalenz nimmt in den letzten Jahren zu [7] - hauptsächlich handelt es sich dabei um Spannungskopfschmerz, Migräne oder eine Kombination aus beiden. Unter schulpflichtigen Kindern beträgt die Prävalenz von rezidivierenden abdominellen Schmerzen (RAP) 10-25 %. Nicht nur wegen dieser hohen Prävalenz, sondern auch wegen ihres ungünstigen Spontanverlaufs sind solche rezidivierenden Abdomenschmerzen ein ernst zu nehmendes Thema [4]. Kinderärzte sehen darin vorrangig ein differenzialdiagnostisches Problem, weshalb bislang nur wenige therapeutische Ansätze existieren.

Aus der Erfahrung führender Schmerztherapeuten - sowohl für Erwachsene als auch für Kinder - ist deutlich geworden, dass ein interdisziplinärer Ansatz mit entsprechenden personellen, räumlichen und organisatorischen Grundvoraussetzungen notwendig ist, um eine nachhaltige Verbesserung der Schmerztherapie (bei Kindern) zu erreichen [1] [6] [8] [9].

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Konzeption der Kinderschmerzambulanz

An unserer Kinder- und Jugendklinik mit insgesamt 280 Betten und allen pädiatrischen Fachabteilungen sind die Möglichkeiten zur multidisziplinären Schmerztherapie ausgesprochen günstig: In der Kinderschmerzambulanz arbeiten drei Kinderpsychologen, vier Kinderärzte, zwei Kinderkrankenschwestern und eine Organisationskraft mit Teilzeitstellen. Neben der Möglichkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen der Kinderklinik können konsiliarisch Sozialarbeiter, Kinderorthopäden und Kinderanästhesisten hinzugezogen werden. Die chronisch schmerzkranken Kinder werden von Kinderärzten, Spezialambulanzen und den Krankenstationen an die Kinderschmerzambulanz überwiesen.

Neben der Schmerztherapie sind Schulungsmaßnahmen zum Themenbereich „Schmerz und Schmerztherapie” ein weiterer großer Aufgabenbereich - zum einen die Schulung der Mitarbeiter der Vestischen Kinderklinik aber auch externer Interessierter. Diese Mitarbeiter wiederum können dann als Multiplikatoren die Behandlung und Betreuung der Patienten optimieren. Im Bereich der Fortbildung wird regelmäßig ein internationaler Kongress zur Kinderschmerztherapie durchgeführt.

Das multidisziplinäre Behandlungsteam der Kinderschmerzambulanz besteht aus Kinderarzt, Diplompsychologe und Kinderkrankenschwester. Für den Ersttermin planen wir mindestens 60 Minuten ein, für Folgetermine nehmen wir uns mindestens 30 Minuten Zeit. Immer werden die Gespräche mit den betroffenen Kindern sowie deren Eltern zusammen von Kinderpsychologen und Kinderärzten geführt, wobei andere Ärzte konsiliarisch hinzu gebeten werden können.

Zunächst wird anhand standardisierter Schmerzfragebögen inklusive der psychologischen Basisdiagnostik und der Exploration von Kind und Eltern eine Zuordnung zu einem Schmerzsyndrom getroffen. Auf der Grundlage bereits durchgeführter diagnostischer Maßnahmen wird nach organischen Erkrankungen gesucht, gegebenenfalls wird eine weitere Diagnostik veranlasst. Ergänzend stehen in unserem Haus die verschiedenen Fachabteilungen als Kooperationspartner zur Verfügung. Gleichzeitig wird versucht, den Grad der Beeinträchtigung abzuschätzen, wobei verstärkt auch die psychosozialen Bedingungen des Kindes berücksichtigt werden. In den meisten Fällen stellen wir bereits beim Ersttermin unsere Schmerzdiagnosen und versuchen, der Familie diese zu erläutern, wobei wir uns eines biopsychosozialen Modells bedienen. Ein psychologisches Gespräch rundet diese erste Phase ab. Dabei sind uns drei Punkte besonders wichtig :

  • ein individuell ausgerichtetes Vorgehen

  • die multimodale Betrachtungsweise unter Einbeziehung somatischer, psychischer und sozialer Aspekte

  • die frühzeitige, aktive Mitwirkung des Kindes und seiner Familie. Die wichtigsten Instrumente hierfür sind in der Praxis Protokolle und Schmerztagebücher, mit denen vor allem die Umstände der Schmerzepisoden, Begleitumstände und Bewältigungsstrategien erfasst und dann zusammen mit der Familie ausgewertet werden.

Um dem Kind eine wirksame Behandlung anbieten zu können, werden - entsprechend dem biopsychosozialen Modell - mehrere Behandlungsangebote miteinander verknüpft. Ob die betroffene Familie diese Angebote nutzt, hängt zu einem großen Teil von dem Ausmaß der kindlichen, familiären und schulischen Beeinträchtigung ab (z.B. sozialer Rückzug des Kindes, starke emotionale sowie zeitliche Belastung der Eltern aufgrund der Beschwerden, häufige Schulfehltage). Aber auch das Verhältnis von erwartetem Nutzen, zusätzlichem Aufwand und den eigenen Möglichkeiten, schmerzrelevante Bedingungen zu verändern, beeinflusst die Entscheidung. Zwischen den Behandelnden und dem Patienten mit seiner Familie werden vorab Behandlungsziele, -mittel und ungefährer Zeitrahmen zur Zielerreichung vereinbart.

Unser interdisziplinäres Vorgehen soll am Beispiel der Migräne in der [Abbildung 2] veranschaulicht werden. An schmerzreduzierenden Verfahren werden eingesetzt:

  • Analgetika (allopathische Analgetika, Phytotherapie, Homöopathie)

  • psychologische Schmerztherapie (einzeln oder in Gruppen wie „Bauchtänzer”, „Dickköpfe” oder „Schmerzfighter”)

  • transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS), Akupunktur, manuelle Therapie

  • interventionelle Schmerztherapie (in Kooperation).

Die Kinder und ihre Familien werden entweder weiter individuell ambulant betreut, nehmen an verhaltenstherapeutisch-kognitiven Gruppentrainings teil oder müssen - bei extremer Chronizität der Schmerzen - stationär aufgenommen werden. Die Behandlungskosten werden überwiegend von Spendern und Sponsoren (Vodafone-Stiftung Deutschland gGmbH, Peter und Ruth Wirts-Stiftung) getragen. Zusätzlich nimmt der Leiter der Kinderschmerzambulanz als einziger Pädiater seit sechs Monaten an der „Schmerztherapievereinbarung” teil. Die Höhe der Einnahmen aus der „Schmerztherapievereinbarung” sind noch nicht absehbar.

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Interdisziplinarität macht sich bezahlt

Die ersten 50 Patienten der Kinderschmerzambulanz wurden statistisch ausgewertet. Die schmerzkranken Kinder waren im Mittel 11,3 Jahre (6-16 Jahre) alt. Mädchen waren 2,5mal häufiger betroffen als Jungen. Im Schnitt litten die Kinder seit 34 Monaten (6-120 Monate) an Schmerzen - ein Großteil davon waren Migräne- und Kopfschmerzpatienten [Abb. 3].

Die maximalen Schmerzwerte (bzw. die Schmerzwerte in einer Schmerzattacke) auf einer Skala von 0-10 nahmen zwischen der Erstvorstellung und der Zweitvorstellung signifikant von im Mittel 7,6 (Spanne 3-10) auf 4,6 ab (Spanne 0-10) (Wilcoxon Test, p = 0,001; [Abb. 4]). Die durchschnittlichen Schmerzwerte, also die im Schnitt von den Kindern angegebene Schmerzstärken, reduzierten sich in diesem Zeitraum ebenfalls signifikant von 4,3 (Spanne 0-10) auf 2,5 (Spanne 0-8) (Wilcoxon Test, p = 0,001).

Die Beeinträchtigung der Kinder durch die Schmerzen wird durch den Children's Pain Disability Index (C-PDI) erfasst. Dieser Index fragt insgesamt zwölf normale kindliche Tätigkeiten aus dem Alltagsleben ab - dazu zählt beispielsweise, wie die Kinder das Familienleben genießen, wie häufig sie Freunde treffen, ihre Hausaufgaben erledigen und wie oft diese aufgrund der Schmerzen nicht ausgeführt oder genossen werden konnten (niemals = 1 Punkt; selten = 2 Punkte, manchmal = 3 Punkte, häufig = 4 Punkte, immer = 5 Punkte). Daraus ergibt sich eine Minimalpunktzahl im C-PDI von zwölf Punkten, maximal können die Kinder 60 Punkte erreichen - je höher der Wert, desto größer ist die Beeinträchtigung der Kinder.

Ähnlich wie die absoluten Schmerzwerte reduzierte sich die schmerzbedingte Beeinträchtigung der Kinder signifikant (Wilcoxon Test, p = 0,001). Lag der C-PDI-Score bei der Erstvorstellung im Mittel noch bei 37 Punkten (Spanne 15-60), sank der Durchschnittswert bei der Wiedervorstellung um 13 auf 24 Punkte (Spanne 12-43). Dies wiederum spiegelt sich auch in den Schulfehlzeiten wider: Diese gingen schon durch eine einmalige Vorstellung in der Kinderschmerzambulanz und die daraufhin eingeleiteten Therapiemaßnahmen deutlich zurück (Chi-Quadrat Test, p > 0,05).

Bei ihrer zweiten Vorstellung in der Kinderschmerzambulanz wurden die Kinder zusätzlich befragt, ob sich Schmerzstärke und Schmerzhäufigkeit seit dem Erstbesuch in der Kinderschmerzambulanz verändert haben (fünfstufige Skala): Bei über 50 % der Kinder verringerten sich Schmerzstärke und -häufigkeit.

Zusammengefasst finden sich sehr ermutigende Ergebnisse: Eine signifikante Reduktion fand sich bei Maximal- und Durchschnittsschmerzen, der Beeinträchtigung durch die Schmerzen und für die Schulfehlzeiten; bei über 50 % der Patienten zeigte sich eine Abnahme der Schmerzstärke und -häufigkeit. Auch wenn die Anzahl der Patienten bislang noch sehr klein ist, zeichnen sich doch erhebliche Therapieerfolge bei einem Großteil der schmerzkranken Kinder ab.

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Erfolgreiche Trainings- und Schulungsprogramme

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„Bauchtänzer”

Das ambulante Trainingsprogramm „Bauchtänzer” wendet sich an Kinder im Alter von neun bis zwölf Jahren und besteht aus acht Sitzungen à 120 Minuten, an denen jeweils sechs bis acht Kinder pro Gruppe teilnehmen. Dabei wird den Kindern nicht nur Wissen um die Auslöser ihrer Bauchschmerzen oder um Ernährung und Verdauung vermittelt. Außerdem erlernen sie Strategien zur Aufmerksamkeitslenkung, kognitive Umstrukturierung, Imagination, Selbstbehauptung, Problemlösen und Selbstmanagement.

Geleitet werden die Gruppen von einer Diplompsychologin und einer Kinderkrankenschwester. Zusätzlich wird ein pädiatrischer Gastroenterologe mit in das Konzept eingebunden und betreut die Kinder in Kooperation. So ist auch eine umfassende organische Diagnostik gewährleistet. Der Einbezug einer Diätassistentin rundet das Bild ab. Wichtig ist der gemeinsame Entwurf eines Krankheitsmodells (zumeist auf Basis der Arbeitsdiagnose „funktionelle Bauchschmerzen”), die Planung der Differenzialdiagnostik, eine gemeinsame Festlegung des Behandlungsziels, die Vereinbarung eines Therapiekonzeptes und die Übernahme der Verantwortung durch den Patienten und seine Familie.

Von den ersten 35 Kinder, die an dem Programm „Bauchtänzer” teilnahmen waren 35 % Mädchen und 65 % Jungen. 54 % besuchten die Grundschule, 15 % die Realschule, 12 % die Gesamtschule und 19 % das Gymnasium. Das Durchschnittalter lag bei zehn Jahren (sieben bis 13 Jahre).

Die Schmerzwerte (Numerische Rating Skala, NRS 0-10) haben sich durch das Training signifikant verringert - von 6,3 vor Beginn des Trainings auf 1,0 (zum Zeitpunkt nach drei Monaten) bzw. 2,1 (zum Zeitpunkt nach 13 Monaten) (p = 0,01; Wilcoxon Test). Auch die maximale Schmerzfrequenz pro Woche ließ sich um 25 % reduzieren (p = 0,05, Wilcoxon Test). Die durchschnittliche Schmerzdauer sank von 193 Minuten vor dem Training auf 140 Minuten drei Monate nach dem Training. Nach 13 Monaten litten die Kinder im Schnitt nur noch 35 Minuten lang an ihren Schmerzen (p = 0,01; Wilcoxon Test). Weitere Ergebnisse finden sich in [Abbildung 5]. Zudem waren auch die bauchschmerzbedingten Schulfehltage deutlich weniger geworden (p = 0,05, Chi-Quadrat-Test).

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„Dickköpfe”

Das kognitiv-verhaltenstherapeutische Schulungsprogramm für kopfschmerzkranke Kinder („Dickköpfe”) basiert auf einem von H. Denecke und B. Kröner-Herwig entwickelten und wissenschaftlich gut evaluierten Gruppentraining für Kinder zwischen neun und 14 Jahren [2]. Eine Übersicht über die Elemente des Trainings gibt [Tabelle 1].

In Kooperation mit dem Zentrum für Neuropädiatrie, Entwicklungsneurologie und Sozialpädiatrie der Vestischen Kinder- und Jugendklinik (Leitung Prof. Dr. F. Aksu) haben wir bisher vier Gruppen mit insgesamt 23 Kindern (16 Mädchen) statistisch ausgewertet (Drop-Out = 1):

  • Das Durchschnittsalter lag bei 11,4 Jahren.

  • 29 % der Kinder besuchten das Gymnasium.

  • 42 % der Kinder litten an Spannungskopfschmerzen, 17 % an Migräne und 41 % unter einem gemischten Kopfschmerz.

  • Durchschnittlich klagten die Kinder seit 30 Monaten über Kopfschmerzen.

  • 38 % der Kinder klagten über tägliche Kopfschmerzen, 62 % über ein- bis mehrmalige wöchentliche Kopfschmerzen.

Auch in diesem Schulungsprogramm wurden die Kinder einmal drei und einmal 13 Monate nach Trainingsende mithilfe der standardisierten Fragebögen befragt (vgl. Abb. 8).

  • Nach drei Monaten berichten 80 % der Kinder, nach 13 Monaten immerhin noch 77 % der „Dickköpfe” über mindestens sehr verbesserte Kopfschmerzen; in der Katamnese waren vier Kinder kopfschmerzfrei.

  • Kognitive Techniken zur Schmerzreduktion werden auch über ein Jahr später gleichbleibend auf relativ hohem Niveau eingesetzt.

  • Entspannungstechniken werden mit der Zeit weniger eingesetzt.

  • Problemlösefähigkeit und erfolgreiche Stressbewältigung nehmen mit der Zeit zu.

  • Insgesamt berichten die Kinder von einer beträchtlich erhöhten Selbstzufriedenheit und einem deutlich verbesserten Selbstvertrauen.

Momentan führen wir jährlich vier bis sechs Dickköpfe-Gruppen durch. Die Re-Evaluierung erfolgt zentral für alle Kopfschmerzgruppen in Deutschland über Frau Prof. Kröner-Herwig, Universität Göttingen, sodass eine hochwertige externe Qualitätssicherung gewährleistet ist. Die Finanzierung des Trainings erfolgt überwiegend aus Drittmitteln.

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Stationäre Therapie bei chronischen Schmerzen

Einige Kinder sind aufgrund ihrer Schmerzen so beeinträchtigt, dass sie einer stationären Behandlung bedürfen. Die kinderpsychosomatische Station „Leuchtturm” bietet hierfür die besten Voraussetzungen - die Therapie chronischer Schmerzen gehört hier zu den Schwerpunkten der Arbeit. Die Kinder werden von einem multiprofessionellen Team in Kooperation mit der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie (Leitung Dr. R. Dieffenbach) betreut. In den ersten acht Monaten der Kinderschmerzambulanz mussten 29 Kinder im Alter von acht bis 17 Jahren stationär aufgenommen werden (13 Jungen und 16 Mädchen). Die Diagnoseverteilungen finden sich in der [Abbildung 7].

Im Mittel litten die Kinder zusätzlich zu ihren Schmerzen an 4,6 anderen Erkrankungen (eine bis zehn Erkrankungen). Eine Auswahl dieser Erkrankungen soll verdeutlichen, wie stark die Kinder in ihrer Lebensqualität eingeschränkt sind und welch große Ansprüche sie an die Kompetenz eines multiprofessionellen Teams stellen. Typische Begleiterkrankungen waren:

  • Trauma (z.B. sexueller Missbrauch, Todeserfahrung in der Familie)

  • emotionale Störung

  • Depression

  • Angststörung

  • selbstverletzendes Verhalten

  • Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung

  • Hochbegabung

  • Tetraparese

  • Epilepsie

  • Oligoarthritis

  • Asthma bronchiale

  • Adipositas

  • Narbenbildung nach Verbrennung

  • Spondylolisthesis

  • rezidivierende Diarrhö

  • Gastritis

  • bronchopulmonale Dysplasie

  • hypertrophe Kardiomyopathie.

Leider sind die Erfolge der stationären Behandlung noch nicht evaluiert - einerseits aus Ressourcenmangel, andererseits weil validierte Messinstrumente noch fehlen.

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Fazit

Insgesamt können wir eine äußerst positive Bilanz der Arbeit der Kinderschmerzambulanz ziehen. Der einzige Wermutstropfen: die Arbeit wird zu über 90 % aus Spenden und nur zu einem geringen Teil durch die Regelversorgung finanziert.

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Abb. 1

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Abb. 2

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Abb. 3

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Abb. 4

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Abb. 5

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Abb. 6

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Abb. 7

Tab. 1 Elemente des Kinderkopfschmerztrainings „Dickköpfe”

Edukation

Aufklärung über organischen Hintergrund der Kopfschmerzen; Vermittlung eines einfachen Modells, welches die Subjektivität von Schmerzen plastisch darstellt (z.B. das Schmerztor)

Entspannung

progressive Muskelentspannung, spezielle Version für Kinder mit Kopfschmerzen

Ablenkungstechniken

Phantasiereis

Stop-Technik und Aufmerksamkeitsscheinwerfe

positive Selbstinstruktionen

kognitive Umstrukturierung

Entkatastrophisierung / Umbewertung schwarzer Gedanken in bunte Gedanken

Stressbewältigung

Problemlösetreppe

Selbstbeobachtung

Schmerztagebuc

Erkennen von Stressoren und Kopfschmerzauslösern, Verbesserung der Körperwahrnehmung

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Literatur

  • 1 Berde CH, Sethna NF, Masek B, Rocklin S. Pediatric pain clinics: recommendations for their development.  Pediatrician. 1989;  16 94-102
  • 2 Denecke H, Kröner-Herwig B. Kopfschmerztherapie mit Kindern und Jugendlichen. Ein Trainingsprogramm. Göttingen: Hogrefe 2000
  • 3 McGrath PJ, Finley GA. Chronic and recurrent pain in children and adolescents. Seattle: IASP Press 1999
  • 4 Rappaport LA, Leichtner AM. Recurrent abdominal pain. In: Schechter NL, Berde CB, Yaster M (eds). Pain in infants, children and adolescents. Baltimore: Williams and Wilkins 1993: 561-570
  • 5 Schechter NL. The undertreatment of pain in children: An overview.  Pediat Clin North Am. 1989;  36 781-795
  • 6 Shapiro BS, Cohen DE, Covelman KW. et al. . Experience of an interdisciplinary pediatric pain service.  Pediatrics. 1991;  88 1226-1232
  • 7 Sillanpää M, Anttila P. Increasing prevalence of headache in 7-year-old schoolchildren.  Headache. 1996;  36 466-470
  • 8 Strumph M, Zenz M, Willweber-Strumph A. Chronische Schmerzen - organisatorische Aspekte bei der Behandlung.  Schmerz. 1999;  13 409-422
  • 9 Wolfe J, Grier HE, Klar N. et al. . Symptoms and suffering at the end of life in children with cancer.  N Engl J Med. 2000;  342 326-333
  • 10 Zernikow B, Grießinger N, Fengler R. Schmerz-Therapie in der onkologischen Pädiatrie.  Monatsschrift Kinderheilkunde. 1995;  147 438-456
  • 11 Zernikow B. Schmerztherapie bei Kindern (2. Auflage). Heidelberg: Springer Verlag 2003
  • 12 Zernikow B, Bauer AB, Andler W. Schmerztherapie in der pädiatrischen Onkologie - eine Bestandsaufnahme.  Der Schmerz. 2001;  16 140-149
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Anschrift für die Verfasser

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Institut für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin (IKP)

Interdisziplinäre Kinderschmerzambulanz

Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln Universität Witten/Herdecke

Dr.-Friedrich-Steiner-Str. 5

45711 Datteln

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Literatur

  • 1 Berde CH, Sethna NF, Masek B, Rocklin S. Pediatric pain clinics: recommendations for their development.  Pediatrician. 1989;  16 94-102
  • 2 Denecke H, Kröner-Herwig B. Kopfschmerztherapie mit Kindern und Jugendlichen. Ein Trainingsprogramm. Göttingen: Hogrefe 2000
  • 3 McGrath PJ, Finley GA. Chronic and recurrent pain in children and adolescents. Seattle: IASP Press 1999
  • 4 Rappaport LA, Leichtner AM. Recurrent abdominal pain. In: Schechter NL, Berde CB, Yaster M (eds). Pain in infants, children and adolescents. Baltimore: Williams and Wilkins 1993: 561-570
  • 5 Schechter NL. The undertreatment of pain in children: An overview.  Pediat Clin North Am. 1989;  36 781-795
  • 6 Shapiro BS, Cohen DE, Covelman KW. et al. . Experience of an interdisciplinary pediatric pain service.  Pediatrics. 1991;  88 1226-1232
  • 7 Sillanpää M, Anttila P. Increasing prevalence of headache in 7-year-old schoolchildren.  Headache. 1996;  36 466-470
  • 8 Strumph M, Zenz M, Willweber-Strumph A. Chronische Schmerzen - organisatorische Aspekte bei der Behandlung.  Schmerz. 1999;  13 409-422
  • 9 Wolfe J, Grier HE, Klar N. et al. . Symptoms and suffering at the end of life in children with cancer.  N Engl J Med. 2000;  342 326-333
  • 10 Zernikow B, Grießinger N, Fengler R. Schmerz-Therapie in der onkologischen Pädiatrie.  Monatsschrift Kinderheilkunde. 1995;  147 438-456
  • 11 Zernikow B. Schmerztherapie bei Kindern (2. Auflage). Heidelberg: Springer Verlag 2003
  • 12 Zernikow B, Bauer AB, Andler W. Schmerztherapie in der pädiatrischen Onkologie - eine Bestandsaufnahme.  Der Schmerz. 2001;  16 140-149
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Anschrift für die Verfasser

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