Eine Kombination von Pharmako- und Psychotherapie gilt heutzutage allgemein als Strategie
der Wahl in der Behandlung von Angststörungen. Es liegen mehrere hundert kontrollierte
Untersuchungen zur Wirksamkeit unterschiedlicher Substanzen zur Behandlung von Angststörungen
vor [1]. Hierbei handelt es sich vorrangig um Antidepressiva und Benzodiazepine. Es gibt
jedoch einige gute Gründe für die Entwicklung neuer Psychopharmaka für die Angsttherapie.
Die heute zur Verfügung stehenden Medikamente aus der Gruppe der serotonerg wirksamen
Antidepressiva zeigen zum Beispiel immer noch eine deutliche Verzögerung im Einsetzen
der Wirksamkeit. Dies liegt wahrscheinlich an der Zeitspanne, die benötigt wird, um
den präsynaptischen, somatodendritischen serotonergen Autorezeptor (5HT1A) zu desensitivieren [10]. Benzodiazepine sind wegen ihres möglichen Abhängigkeits- und Toleranzpotentials
ebenfalls problematisch. Andere Substanzen haben dosisabhängig ein nicht akzeptables
Nebenwirkungsprofil.
Ein ideales Medikament zur Behandlung von Angststörungen sollte sich neben einer guten
Wirksamkeit demnach auch durch einen unmittelbaren Wirkungsbeginn, eine sehr gute
Verträglichkeit und durch fehlende Toleranz- und Absetzeffekte auszeichnen.
Serotonerg wirksame Substanzen
Serotonerg wirksame Substanzen
Gerade im Bereich der serotonerg wirksamen Substanzen wurden große Anstrengungen unternommen,
Effektivität und Verträglichkeit zu verbessern. Eine der neueren Entwicklungen ist
Escitalopram, ein Enantiomer von Citalopram, das bei besserer Verträglichkeit einen
rascheren Wirkungsbeginn erwarten lässt. Ein weiterer Entwicklungsweg ist die Herstellung
von Pharmaka mit einem spezifischeren Effekt auf bestimmte Serotonin-(5HT)-Rezeptor-Subtypen,
die mit der Pathogenese von Angst in Verbindung gebracht werden. Substanzen mit zusätzlicher
oder spezifischer Wirkung auf den 5HT2- (bzw. 5HT2C-) oder den 5HT1A-Rezeptor sind in letzter Zeit intensiv untersucht worden. Buspiron ist ein selektiver,
partieller Agonist am 5HT1A-Rezeptor, der sich als effektiv zur Behandlung der generalisierten Angststörung erwiesen
hat. Die 5HT1A-Bindungsstellen werden hierbei heruntergeregelt [16] und ihre Stimulation verstärkt indirekt die serotonerge Aktivität und hat anxiolytische
Eigenschaften. Ein weiterer partieller 5HT1A-Agonist, Gepiron, zeigte zumindest Teileffekte bei Panikstörung [13], und eine Studie mit dem Buspiron-Analogon MM199 belegte eine gute anxiolytische
Potenz [2]. Der vollständige 5HT1A-Agonist Flesinoxan zeigte allerdings in einer Untersuchung bei Panikstörung sogar
eine Verschlechterung der Symptomatik [20].
Zwei Substanzen in fortgeschrittener klinischer Prüfung weisen ein spezifisches 5HT2C-antagonistisches Profil auf. Deramciclan und Agomelatin haben einen guten anxiolytischen
Effekt, werden aber primär zur Behandlung der Depression untersucht. Eine zusätzliche
5HT2C-antagonistische Komponente bei Serotonin-Wiederaufnahmehemmern könnte das Problem
anxiogener Effekte in der frühen Behandlungsphase reduzieren. Mirtazapin zeigte positive
Resultate bei der Panikstörung. Der 5HT3-Antagonist Odansetron konnte in bisherigen Studien keine konkreten Effekte zeigen,
und schlüssige Ergebnisse für eine ähnliche Substanz, Zatosetron, stehen noch aus.
Inositol ist ein Glukose-Isomer und ein Bestandteil vieler Nahrungsmittel. Inositolphosphat
dient als Second-messenger für einige Serotonin-Rezeptortypen aber auch für noradrenerge
Rezeptoren. Eine kontrollierte klinische Studie konnte eine gute Wirksamkeit von Inositol
bei der Panikstörung zeigen.
GABA-Liganden
GABA-Liganden
Eine GABA-Dysfunktion ist eine der fundierten Theorien zur Pathogenese von Angststörungen.
Bei Benzodiazepinen geht man von einer Verschiebung des Benzodiazepin-Rezeptorkomplexes
in eine invers agonistische Richtung aus bzw. einer Defizienz agonistischer, anxiolytischer
Liganden. Die angstlösenden Effekte werden über die α2- und/oder α3-Untereinheit des
GABA-A-Rezeptors vermittelt. Partielle GABA-A-Agonisten, die an der α2- und/oder α3-Untereinheit
binden, wie Pagoclon, haben Teileffekte bei der Panikstörung ohne viele der bekannten
unerwünschten Begleiteffekte und Absetzschwierigkeiten [15]. Nitroflavanoide sind Substanzen mit einer hohen Affinität für den Benzodiazepinrezeptor.
Man schreibt ihnen selektive anxiolytische ohne zentralnervös sedierende Effekte zu.
Mehrere Substanzen befinden sich aktuell in der frühen Phase klinischer Erprobung.
Die bisherigen Ergebnisse lassen aber noch keine konkreten Schlüsse zu.
Kalziumkanal-Liganden
Kalziumkanal-Liganden
Gabapentin oder Pregabalin sind Liganden an der Alpha-2-Delta-Untereinheit spannungsabhängiger
Kalziumkanäle [21]. Gabapentin zeigte in einer kontrollierten Studie positive Ergebnisse bei der Panikstörung
[12], während Pregabalin erfolgreich bei der sozialen Angststörung untersucht wurde.
Ergebnisse einer Studie bei Panikstörung stehen jedoch noch aus.
Glutamat-Modulatoren
Glutamat-Modulatoren
Glutamat ist der verbreitetste exzitatorische Transmitter im Gehirn, der in zahlreiche
Prozesse involviert ist. Glutamat-Modulatoren sollten entweder postsynaptisch antagonistische
(wie LY-326325) oder präsynaptisch agonistische Eigenschaften haben. Daten aus dem
Tiermodell geben tatsächlich Hinweise auf hierdurch produzierbare anxiolytische Effekte,
Humanstudien fehlen aber bisher.
Neuropeptide
Neuropeptide
Unter den Neuropeptiden, die mit Angst und im Besonderen mit Panik in Verbindung gebracht
werden, ist Cholecystokinin das am besten untersuchte. Das Tetrapeptid (CCK-4) und
das synthetische Pentapeptid Pentagastrin können bei Gesunden und in bedeutend geringeren
Dosierungen bei Menschen mit einer Panikstörung Panikattacken hervorrufen. CCK-4-Bindungsstellen
finden sich in verschiedenen Hirnregionen, besonders aber in limbischen Strukturen
wie Amygdala, Hippocampus und dem noradrenergen Kernzentrum, dem Locus coeruleus im
Hirnstamm. Die Tatsache, dass CCK-4-Provokationstests nicht nur Angstgefühle, sondern
auch körperliche Angstsymptome ohne herausragende psychische Angst bedingen können,
weist auf einen Einfluss auf unterschiedliche Anteile des zentralnervösen „Angstnetzwerks”
hin. CCK-4-Antagonisten konnten in den bisherigen Untersuchungen jedoch noch keine
wesentlichen Effekte in der Behandlung, z.B. der Panikstörung zeigen, wenngleich diese
aber durch CCK-4 induzierte Panikattacken unterdrücken konnten [19].
Ein weiteres interessantes Neuropeptid ist Substanz-P, ein Neurokinin-1-Rezeptoragonist.
Substanz-P spielt eine wichtige Rolle bei Angst und Panik ähnlichem Verhalten und
ist häufig in noradrenergen und serotonergen Zellen kolokalisiert [14]. Erste Untersuchungen mit Antagonisten wie MK869 bei Angst im Rahmen einer Depression
zeigten vielversprechende Ergebnisse [7] und Studien bei Panikstörung werden unternommen.
Neuropeptid-Y ist ein aus 36 Aminosäuren bestehendes neuroaktives Peptid, das an der
Regulation zentralnervöser noradrenerger Aktivität beteiligt ist und eine hohe Dichte
von Bindungsstellen im Hypothalamus aufweist. Noradrenalin ist sicherlich in der Angstentstehung
beteiligt. Obwohl die meisten noradrenerg wirksamen Antidepressiva keine relevante
Wirksamkeit bei Angststörungen zeigten, gibt es Hinweise für die Effektivität des
selektiven Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmers Reboxetin. Ein Neuropeptid-Y-Ligand
könnte daher eine interessante Substanz sein, obwohl klinische Studien bisher fehlen
und auch keine oral verabreichbare synthetische Substanz zur Verfügung steht.
Sigmarezeptoren finden sich in besonders hoher Konzentration in verschiedenen Bereichen
des Zwischenhirns. Man schreibt ihnen eine neuromodulatorische Funktion auf noradrenerge
und auch serotonerge Zellkernareale zu. Verschiedene Substanzen befinden sich in der
klinischen Erprobung. Möglicherweise zeichnen sich Sigma-Rezeptorliganden durch ein
sehr günstiges Nebenwirkungsprofil aus. Aussagekräftige Ergebnisse liegen aber noch
nicht vor.
Inhibitoren der Steroid-Synthese
Inhibitoren der Steroid-Synthese
Viele psychiatrische Störungen gehen mit einer lang andauernden Hyperaktivität der
Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse und einer Hypersekretion von Kortisol
einher. Substanzen, die die Aktivität dieses neuroendokrinen Prozesses modulieren,
sind in den letzten Jahren intensiv beforscht worden. Das Mykostatikum Ketokonazol,
ein Steroid-Synthese-Blocker, zeigte zum Beispiel eine Plazebo überlegene Wirkung
in der Behandlung depressiver Patienten mit einem Hyperkortisolismus [22]. Aber ebenso wie beim Progesteron-Antagonist Mifepriston („Abtreibungspille”) liegen
noch keine Studien bei Angststörungen vor [9]. Auch Metyrapon, ein anderer Glukokortikoid-Synthese-Hemmer, erwies sich in Tiermodellen
zur Depression als effektiv [3] und auch in einer kleineren kontrollierten Depressionsstudie [11].
Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH) bedingt unterschiedliche Korrelate von Stress,
Angst und Panik im zentralen Nervensystem. Eine Regulierung der CRH-Aktivität ist
möglicherweise ein lohnenswertes Ziel der pharmakologischen Forschung bei Angststörungen.
CRH-Antagonisten können nach intraventrikulärer Applikation im Tierversuch Angst-
und Stresssymptome vermindern [8]. Für klinische Untersuchungen stellen möglicherweise Substanzen, die antagonistisch
am CRH- oder Glukokortikoid-Rezeptor wirken, einen wesentlichen Fortschritt da. Das
gleiche gilt für Agonisten am Rezeptor für atriales natriuretisches Peptid (ANP),
das die Funktion der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse an verschiedenen Stellen
moduliert. ANP hat anxiolytische Effekte im Tierversuch [17] und ANP-Agonisten können bei Panikpatienten wie auch bei Gesunden Panikattacken
durch CCK-4 Provokation vermeiden [18].
Am weitesten fortgeschritten sind Untersuchungen mit verschiedenen CRH-1-Rezeptorantagonisten.
Im Tierversuch konnten sowohl Hyperkortisolismus und ängstliches Verhalten bei speziellen
Rattenstämmen reduziert werden [5]
[6]. Eine offene Humanstudie mit einem CRH-1-Antagonisten konnte bei Major Depression
Angst und Depressivität reduzieren [4]. Ein weiteres interessantes Konzept wäre die Kombination einer solchen Substanz
mit einem serotonerg wirksamen Antidepressivum, um die Wirklatenz zu verkürzen.
Fazit
Fazit
Von der ersten Phase der klinischen Erprobung bis zur Zulassung vergehen üblicherweise
viele Jahre. Von den vielen der genannten vielversprechenden Substanzen wird sicherlich
nur ein Teil in den Handel kommen. Die wichtigsten Entwicklungen für die Zukunft anxiolytischer
Pharmakotherapie sind Neuropeptid-Rezeptor-Liganden und spezifische Modulatoren am
GABA-A-Benzodiazepin-Rezeptorkomplex und des serotonergen Systems.