Im Juni 2005 fand das 16. Internationale Bethel-Cleveland Clinic Epilepsy Symposium
statt, bei dem aus aktuellem Anlass auch das neu zugelassene Antiepileptikum Zonisamid
vorgestellt wurde. Am Rande des Symposiums stand Prof. Pohlmann-Eden, Leiter des Epilepsie-Zentrums
Bethel, gemeinsam mit Dr. Christian Brandt, dem Leiter der Abteilung für Allgemeine
Epileptologie in Bethel, für ein Interview zur Verfügung.
20 bis 40% der Epilepsie-Patienten haben trotz antiepileptischer Kombinationstherapien
weiterhin Anfälle, wie ist das zu erklären?
Pohlmann-Eden: Mit dieser Frage beschäftigte sich ein wichtiger Teil unseres "Bethel-Cleveland-Symposiums".
Für den Menschen bleibt die Antwort auf diese Frage noch "mysteriös", wie Peter Carlen
aus Toronto sagte. Aus Tiermodellen können wir jedoch ableiten, dass es u.a. eine
genetisch bedingte Therapieresistenz gibt, Beeinträchtigung von Ionenkanälen und Ionenpumpen
sowie Rezeptoren und Gewebeveränderungen. Wir vermuten, dass es weitere, bislang nicht
identifizierte Mechanismen gibt.
Lässt sich der Erfolg einer medikamentösen Therapie anhand von genetischen oder laborchemischen
Markern vorhersagen?
Pohlmann-Eden: Wir wissen, dass die Erfolgsaussichten einer medikamentösen Therapie sinken, wenn
bereits mehrere Versuche zuvor ohne Erfolg geblieben sind. Wir haben leider noch keine
Labormarker zur Verfügung, die uns zu Beginn einer Epilepsie die Vorhersage ermöglichen
würden, ob eine medikamentöse Therapie - und wenn ja, welche - zum Erfolg führen wird.
Dies bleibt bislang eine Hoffnung für die Zukunft.
Durch spezifisch wirkende Medikamente können epileptische Anfälle zwar symptomatisch
behandelt werden, der langfristige Krankheitsverlauf lässt sich damit aber nicht beeinflussen.
Wird es in Zukunft auch antiepileptogen wirkende Medikamente geben?
Pohlmann-Eden: Dies ist eine weitere Zukunftshoffnung. Medikamente, die nicht nur Anfälle unterdrücken,
sondern auch das Voranschreiten einer Epilepsie verhindern, wären ein großer Durchbruch.
Bislang konnte dies jedoch noch für kein Medikament überzeugend nachgewiesen werden.
Die Epilepsie-Chirurgie hat in Bethel einen hohen Stellenwert und wird heute in Verbindung
mit modernen bildgebenden Verfahren eingesetzt. Haben sich dadurch die OP-Techniken
geändert bzw. wurden die OP-Indikationen erweitert?
Pohlmann-Eden: Als eines der ganz großen epilepsiechirurgischen Zentren haben wir unsere diagnostischen
Möglichkeiten verfeinern und in Zusammenhang mit modernen OP-Techniken die Erfolgsaussichten
erhöhen können. Mittlerweile können auch Personengruppen von der Epilepsiechirurgie
profitieren, bei denen man dies vor einigen Jahren noch nicht für möglich gehalten
hätte, z.B. ältere Patienten, minderbegabte Patienten oder Patienten mit einer psychiatrischen
Begleiterkrankung. Auch ist mittlerweile eine bessere Prognose des postoperativen
Ergebnisses möglich.
Wie beurteilen Sie unter diesen Gesichtspunkten den Stellenwert von Antiepileptika
und gibt es Bedarf an neuen Substanzen?
Pohlmann-Eden: Wir sind ja bereits auf die Grenzen der medikamentösen Therapie eingegangen, ohne
aber deren Vorzüge zu benennen. 60 bis 80% der Betroffenen können ja mit den bisher
verfügbaren Medikamenten anfallsfrei werden oder eine gute Besserung ihrer Epilepsie
erfahren. Dies ist jedoch teilweise mit Nebenwirkungen verbunden. Diese Nebenwirkungen
können offensichtlich sein oder auch subtile Langzeit-Nebenwirkungen, z.B. kognitiv
oder mit Einfluss auf Hormone oder den Stoffwechsel. Neue Medikamente brauchen wir
also nicht nur für die Menschen, die mit den bisher verfügbaren Medikamenten nicht
anfallsfrei werden, sondern auch für die, die an Nebenwirkungen der Medikamente leiden.
Kürzlich ist mit Zonisamid (Zonegran®) ein neues Antiepileptikum auf den Markt gekommen,
das bereits in Japan und den USA erfolgreich angewendet wird. Wo ordnen Sie die Substanz
ein und welche Erfahrungen haben Sie damit bisher gesammelt?
Pohlmann-Eden: Wir haben bereits seit einigen Jahren Patienten auf individueller Basis mit Zonisamid
behandelt. Von 15 Patienten, die wir in den Jahren 2003 bis 2005 mit diesem Medikament
behandelt haben, nehmen fünf dieses Medikament nun mit einer mittleren Behandlungsdauer
von fast zwei Jahren ein. Dies ist Erfolg versprechend, da wir einen zurückhaltenden
Ansatz verfolgen und die Behandlung mit einem neuen Medikament Patienten mit wirklich
schweren und schwer behandelbaren Epilepsien vorbehalten, bei denen zuvor bereits
zahlreiche andere Therapiestrategien gescheitert sind.
Zonisamid ist ein Benzisoxazol-Derivat und chemisch nicht mit anderen Antiepileptika
verwandt. Sehen Sie darin Vorteile für die Kombinationstherapie?
Pohlmann-Eden: Natürlich beinhaltet eine strukturelle Besonderheit eines Medikaments Hoffnungen
für die Therapie. Wir haben jedoch in der Vergangenheit auch schon erleben müssen,
dass Medikamente die in sie aus theoretischen Erwägungen gesetzten Hoffnungen nicht
erfüllen konnten. Unsere ersten Erfahrungen mit Zonisamid sind ermutigend, wir brauchen
jedoch Langzeiterfahrungen im Routine-Einsatz.