Emotionen wie Freude, Angst, Ekel etc. weisen in der Regel verschiedene Dimensionen
auf. Sie haben eine gefühls- oder erlebnishafte Seite, besitzen eine kognitive (Bewertungsvorgänge)
und eine motivationale (zu Handlungen führende) Komponente, haben einen biologischen-neuronalen
Hintergrund und sind, wie das lateinische Wort „e-movere” schon sagt, sich-heraus-bewegend,
d.h. expressiv. Diese expressive Seite von Emotionen zeigt sich vor allem im Gesicht
und hier insbesondere in der Mimik. Fast jede Emotion des Menschen ist von einer mimischen
Regung im Gesicht begleitet [10]. Freut sich ein Mensch oder ärgert er sich, wir würden ihm das nur glauben, wenn
wir entsprechende und adäquate mimische Bewegungen bei ihm sehen würden. Passt beides
nicht zusammen oder ist entkoppelt, so würde uns dies merkwürdig oder gar im psychiatrischen
Sinn auffällig erscheinen.
Die zentrale Stellung des Gesichts und seiner Mimik beruht auf dessen phylo- und ontogenetischen
Entwicklungsgeschichte als wichtigstes „Organ” in der zwischenmenschlichen Kommunikation
für Sendung und Empfang sozialer Signale. Darwin [7] vertrat die Ansicht, dass sich die mimischen Ausdrucksformen primär aus „nützlichen
miteinander verbundenen Gewohnheiten” zu einem System sozialer Kommunikation, das
Informationen über interne Zustände anderen Menschen vermittelt, entwickelt haben.
Die Entwicklung der neuromuskulären Ausstattung und Mechanismen im Gesicht weisen
eine starke Kontinuität vom Primaten zum Menschen auf. Mimische Äußerungen und Gesichtsbewegungen
des Menschen haben große Ähnlichkeit mit entsprechenden Reaktionen bei Tieren. So
signalisiert beispielsweise ein furchtsames Gesicht in beiden Fällen die Wahrnehmung
von Gefahr und die Absicht des Organismus, zu fliehen oder sich zu unterwerfen. Jedoch
ist das Repertoire des Menschen differenzierter. So ist die Zahl mimischer Ausdrucksbewegungen
im Rahmen der Entwicklung von spezifischen Fähigkeiten, von Gesellschaftsformen und
auch im Rahmen der Gehirnentwicklung immer stärker angewachsen [31]
[37].
Ontogenetisch bestimmend sind das Gesicht und die mimischen Ausdrucksformen für die
Mutter-Kind-Beziehung [4]. Lange Zeit sind die mimischen Äußerungen des Säuglings sein Hauptkommunikationsmittel.
Sie zeigen seine emotionalen Zustände an, ob er sich wohl oder unwohl fühlt. Diese
zu verstehen, ist äußerst wichtig für die Bezugsperson, meist die Mutter. Aber auch
schon früh beginnt der Säugling das Gesicht der Mutter zu fixieren und auf ihre mimischen
„Botschaften” zu reagieren. Aus dieser wechselseitigen Interaktion entstehen dann
Bindung und Sozialverhalten.
Eine Frage, die in Bezug auf das Innen und Außen von Emotionen immer wieder diskutiert
wird, ist, ob wir tatsächlich anhand des äußeren Ausdrucks, d.h. der Mimik, auf das
Gefühl im Innern eines anderen Menschen schließen können. Der Andere könnte beispielsweise
über seine wahren inneren Gefühle hinwegtäuschen wollen, indem er versucht, mimisch
einen anderen Affekt „aufzusetzen”. Nun hat sich aber am Beispiel von Lächeln und
Lachen gezeigt, dass eine bewusste, absichtsvolle Verstellung kaum möglich ist. Die
Mimik verrät den wirklichen Affekt dennoch. Bei einem echten (sog. Duchenneschen)
Lächeln und Lachen wird unwillkürlich die Augenringmuskulatur mitinnerviert [12]. Ihre häufige Kontraktion kommt in den bekannten „Krähenfüßen” zum Ausdruck. Bei
einem unechten Lächeln oder Lachen wird zwar willkürlich die Mundmuskulatur innerviert
und der Mund zieht sich folglich auseinander, aber die Augen bleiben „stumm”. Dies
entspricht auch unterschiedlichen EEG-Mustern bei echtem und unechtem Lächeln und
Lachen [13]. Es ist außerdem bekannt, dass sich bei nicht wirklich gefühlten Emotionen die Gesichtsmuskulatur
wesentlich stärker asymmetrisch verzieht als bei echten Emotionen [11].
Affektivität und Mimik bei depressiven Patienten
Affektivität und Mimik bei depressiven Patienten
Störungen der Affektivität und der Emotionalität sind bei depressiven und manischen
Patienten das diagnoseweisende Merkmal. Depressive Patienten berichten über Symptome
wie z.B. Niedergestimmtsein, Traurigkeit, Freudlosigkeit, aber auch über das Gefühl
der Gefühllosigkeit, das Gefühl innerlich steinern und tot zu sein. Manische Patienten
sind dagegen euphorisch, fühlen sich hochgestimmt, könnten „Bäume ausreißen” und begeistern
sich für alles. Diese unterschiedlichen emotionalen Zustände werden dem Betrachter
nicht nur durch die Anamnese und das gezeigte Verhalten, sondern auch durch die Psychomotorik
deutlich [25]. Schon Bleuler [3] und Kraepelin [30] stellten fest, dass sich Affekte und Emotionen psychiatrischer Patienten in Gesichtsausdruck,
Mimik, Gestik, Gang, Haltung, u.a. motorischen Verhaltensweisen ausdrücken. In der
Mimik äußern sich emotionale Zustände vor allem als unwillkürliche Bewegungen der
Gesichtsmuskulatur während affektiv getönter Situationen [24]. Eine alte Abbildung aus Bleuler [3] [Abb. 1] demonstriert das Typische des depressiven und manischen Gesichtsausdruckes. Das
depressive Gesicht wirkt leer, traurig und starr, fast als ob keine Emotionen mehr
da wären, während das manische Gesicht lebhaft und außenorientiert ist. Dementsprechend
unterscheiden sich auch die mimischen Bewegungen dieser beiden affektiven Störungsformen.
Die Mimik des depressiven Patienten ist stark verlangsamt und schwerfällig, mimische
Bewegungen wie Lachen, aber auch Weinen gelingen fast nicht mehr. Manische Patienten
sind dagegen durch einen schnellen Wechsel von mimischen Bewegungen gekennzeichnet,
wobei das Hochgestimmte, Scherzhafte, Verliebte, aber auch das Gereizte und Aggressive
sich rasch abwechseln können.
Mimische Bewegungen haben als psychomotorische Phänomene zwei Seiten, eine motorische
und eine emotionale. Schwierig ist es bei psychiatrischen Erkrankungen einzuschätzen,
welche der beiden Seiten, oder ob eventuell beide zugleich gestört sind. Dies hätte
nicht nur hinsichtlich pathophysiologischer Modelle, sondern auch bezüglich der Behandlung
Konsequenzen. Ist ähnlich wie bei Patienten mit einem Morbus Parkinson auch bei depressiven
Patienten nur die motorische Seite betroffen, würde man eher mit z.B. Dopaminagonisten
behandeln. Nimmt man dagegen an, dass bei Depressiven das motorische Defizit Folge
der durch die Krankheit veränderte Stimmungs- und Antriebslage ist, würde man eher
versuchen, die vermutlich dafür verantwortlichen Dysfunktionen im Serotonin- und Noradrenalinstoffwechsel
zu beheben. Gerade die angenommene Folgebeziehung zwischen Stimmung und Motorik bei
der Depression wird jedoch zunehmend angezweifelt. Rogers [36] argumentiert, dass die psychomotorische Verlangsamung von kognitiven und motorischen
Funktionen eine eigenständige primäre, wenn nicht die zentrale Störung in der Depression
darstellt, weil sie z.B. zeitlich wesentlich früher als die affektiven Symptome auftritt
und auch länger bestehen kann. Im Sinne einer „Neurologisierung” psychiatrischer Symptome
wird daher von einem Überlappen der psychomotorischen Hemmung bei Depressiven mit
einem definierten neurologischen Krankheitsbild wie der Bradyphrenie des Morbus Parkinson
ausgegangen. Phänomenologisch weist die Psychomotorik und Körpersprache depressiver
Patienten mit Hypo-, bzw. Amimie, kleinschrittigem Gang ohne Begleitbewegungen, herabhängenden
Schultern, gebeugter Haltung und monotoner Stimme [35] eine große Ähnlichkeit mit Parkinson-Patienten auf.
Messung der Mimik depressiver Patienten
Messung der Mimik depressiver Patienten
Es ist aus mehreren Gründen von Interesse, die Mimik depressiver Patienten mithilfe
objektivierender und standardisierter Verfahren zu messen. Nicht immer ist die Diagnose
einer Depression einfach zu stellen. Bei jungen Patienten ohne eindeutige Produktivsymptomatik
ist u.U. schwer zu entscheiden, ob es sich um eine depressive Störung oder um eine
beginnende Schizophrenie handelt. Patienten, die lediglich ein apathisches Syndrom
bieten, könnten eine Schizophrenie mit Negativsymptomatik, ein Neuroleptika-induziertes
Parkinsonoid oder aber eben auch eine Depression haben. Jede Entscheidung in derartigen
Fällen würde gewichtige therapeutische Konsequenzen haben. Neben der Differentialdiagnose
in schwierigen Fällen ist als ein weiteres Feld der Mimikanalyse bei depressiven Patienten
die Charakterisierung und Abgrenzung von Psychopharmakaeffekten zu nennen. So ist
es oft wünschenswert, motorische Nebenwirkungen von Antidepressiva, z.B. Tremor, von
morbogener Agitiertheit und innerer Unruhe abgrenzen zu können. Aus therapeutischen
Gründen ist auch die Kenntnis von Untergruppen relevant, ob bei den einen mimisch
beispielsweise stärker eine Angstkomponente, bei den anderen eher eine Ärger- oder
Jammerkomponente zu finden ist. Bei all diesen Fragestellungen ist der „klinische
Blick” oft zu ungenau. Hier können Verfahren der objektivierenden Verhaltensanalyse
wie der Mimikanalyse helfen, die auch als Verfahren zum therapeutischen Monitoring
einsetzbar sind. Charakteristischerweise fallen subjektive Wahrnehmung und objektive
Zustandverbesserung unter Behandlung bei depressiven Patienten oft auseinander. Die
Patienten bemerken den Aufwärtstrend zunächst meist gar nicht. Hier kann ein objektivierendes
Verfahren wie die Mimikanalyse frühzeitig Rückmeldung und Aufschluss über die einsetzende
Verbesserung geben. Gleiches gilt für die Schulung der Wahrnehmung der eigenen Ausstrahlung
in Interaktionen z.B. während einer Verhaltenstherapie depressiver Patienten.
Die Messung der Mimik bei depressiven Patienten erbrachte bislang eine Reihe interessanter,
aber wenig spezifischer Ergebnisse. Video-unterstützte Verhaltenbeobachtungen bestätigen
die klinische Erfahrung einer insgesamt verringerten mimischen Aktivität depressiver
Patienten insbesondere im Bereich des Mundes sowie der Augen und der Augenbrauen [40]
[42]. Studien mit elaborierteren methodischen Ansätzen wie z.B. dem Facial Action Coding
System (FACS) fanden jedoch eine insgesamt reduzierte mimische Aktivität sowohl bei
depressiven als auch bei schizophrenen Patienten unabhängig von der Medikation [2]
[16]. Schizophrene und depressive Patienten scheinen sich jedoch in der Häufigkeit der
gezeigten Emotionen zu unterscheiden: Depressive Patienten zeigten mehr Ärger und
Verachtung sowie weniger Freude [1]
[14]. Die verringerte mimische Aktivität bei depressiven Patienten war mit dem Ausmaß
an Ängstlichkeit und Depressivität korreliert [20]. Suizidale depressive Patienten zeigten eine reduzierte Aktivität in der oberen
Gesichtshälfte verglichen mit nicht-suizidalen depressiven Patienten [22]. Die Häufigkeit des Lächelns nahm während der Depression ab und bei Besserung wieder
zu [15]. Eine verringerte Anzahl mimischer Bewegungen sowohl bei depressiven als auch bei
schizophrenen Patienten wurde auch durch computergestützte Verfahren der Mimikanalyse
bestätigt. So fanden Katsikitis und Pilowsky [28], dass behandelte depressive Patienten insgesamt weniger lächelten als gesunde Probanden.
Behandelte schizophrene und depressive Patienten zeigten eine reduzierte mimische
Aktivität insbesondere in der oberen Gesichtshälfte (innere Augenbraue) [38].
Mittels Elektromyografie der Gesichtsmuskulatur wurde das mimische Verhalten von depressiven
Patienten wiederholt untersucht. So konnte gezeigt werden, dass bei depressiven Patienten
während des willkürlichen Darstellens emotionaler, insbesondere fröhlicher Gesichtsausdrücke
die EMG-Aktivität abnimmt (M. zygomaticus, der die Mundwinkel bei einem Lächeln/Lachen
hebt) [39]. Jedoch wurden auch gegensätzliche und negative Ergebnisse insbesondere in Bezug
auf die EMG-Aktivität des M. corrugator supercilii, der die Augenbrauen zusammenzieht,
berichtet [34]
[41]. Greden et al. [19] fanden, dass die EMG-Aktivität des M. corrugator bei endogen Depressiven höher war
als die bei nicht-endogen, eher neurotisch depressiven Patienten. Dies könnte der
neurophysiologische Hintergrund für den „typischen” melancholischen Gesichtsausdruck
sein: zusammengezogene Augenbrauen und Stirn („Sorgenfalten”) bei eher hängenden Mundwinkeln
(niedrige Zygomaticus-Aktivität) [18]. Mit FACS wurde bei endogen Depressiven das stärkere Auftreten von „Traurigkeit”
und „Verachtung” und weniger das von „ungefühlter Freude” als bei neurotisch Depressiven
beobachtet (FACS; 14). Höhere initiale EMG-Aktivität im Bereich des Zygomaticus und
des Corrugators prädiziert eher eine gute Respons auf eine anschließende Antidepressiva-Behandlung
als eine niedrige Aktivität [5]
[17]. [Tabelle 1] fasst die bisherigen Untersuchungsergebnisse der Mimikanalyse depressiver Patienten
noch einmal zusammen.
Detailanalyse mimischer Ausdrucksbewegungen
Detailanalyse mimischer Ausdrucksbewegungen
Eine Alternative zu den bisherigen Verfahren stellt die Detailanalyse mimischer Bewegungen
dar. Solche Untersuchungen sind durch Hinweise motiviert, dass sich für einzelne psychiatrische
Krankheitsgruppen spezifische Auffälligkeiten nur in den Detailabschnitten mimischer
Bewegungen, z.B. in ihren Anfangsphasen, finden lassen [6]. So fand Heimann die schnell einschießenden mimischen Bewegungen bei einem sonst
ruhigen Gesicht charakteristisch für schizophren erkrankte Patienten (21). Für die
Durchführung der Detailanalyse mimischer Ausdrucksbewegungen sind Verfahren zu wählen,
die Detailabschnitte von Gesichtsbewegungen, hervorgerufen durch emotional eindeutige
Stimuli, mit hoher Messgenauigkeit hinsichtlich räumlicher und zeitlicher Schärfe
objektiv erfassen und einer quantitativen Auswertung zuführen können. Hierzu eignen
sich vor allem aktive Messverfahren mit an bestimmten Stellen im Gesicht angebrachten
Markern, die mit hoher Frequenz Licht oder Ultraschall aussenden und deren Position
mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung registriert werden können. Die Detailanalyse
mimischer Bewegungen sollte im Rahmen eines Experiments durchgeführt werden, bei dem
Emotionen nicht einfach vor- oder nachgestellt werden sollen, sondern durch Filmmaterial
wirklich hervorgerufen und gefühlt werden sollen (experimentell induzierte Emotionen).
Der äußere Gefühlsausdruck in der Mimik kann dann mithilfe des hochauflösenden Messgeräts
exakt erfasst werden.
In dem von uns entwickelten Ansatz ([Abb. 2]; [27]) erfolgt die Mimikanalyse mit einem aktiven Bewegungsmessgerät. Teil des Messgeräts
sind Ultraschall-Marker, deren Signale mit einer Messrate von max. 200 Hz/Anzahl der
Marker in Echtzeit aufgezeichnet und der volldigitalisierten Auswertung zugeführt
werden. Dies erlaubt die exakte, dreidimensionale Bestimmung der räumlichen Koordinaten
der Ultraschallmarker in zeitlicher Abfolge weniger Millisekunden mit einer räumlichen
Auflösung von 0,1 mm. Die Ultraschallmarker werden am linken und rechten Mundwinkel
befestigt. Die Bewegung der Ultraschallmarker im Raum wird durch Aktivität des M.
zygomaticus major et minor, M. risorius sowie M. depressor anguli oris verursacht.
Außerdem werden zwei Ultraschallmarker am linken und rechten medialen unteren Augenrand
angebracht. Hier wird vor allem Aktivität des M. orbiculrais oculi aufgezeichnet.
Alle genannten Muskeln werden über den N. facialis innerviert. Der Proband sitzt dem
Ultraschallmessaufnehmer, einer Videokamera und einem Fernsehgerät gegenüber, über
das Stimulusmaterial angeboten wird. Es wird Stimulusmaterial („Mr. Bean”-Film) präsentiert,
das eine positive Emotionsinduktion („lustig”) hervorrufen soll. Während der maximal
fünf Minuten dauernden Untersuchung wird über das Messsystem die mimische Aktivität
registriert und gleichzeitig vom Gesicht des Untersuchten eine Videoaufnahme aufgezeichnet,
um emotionale Reaktionen den Messdaten exakt zuordnen zu können. Zusätzlich wird zur
Unterscheidung der mimischen Aktivität während des Films die motorische Aktivität
im Gesicht der Probanden nach Aufforderung von willkürlichen Mund- und Augenbewegungen
(„Mund auseinanderziehen”, „Augen zusammenkneifen”) registriert. Diese Anordnung erlaubt
es, die Dynamik der mimischen Bewegung „Lachen” in enger Beziehung zum Stimulationsmaterial
zu untersuchen und mithilfe einer integrierten Software (3DA) zu analysieren.
Erste Ergebnisse der Detailanalyse mimischer Bewegungen liegen für 30 depressive Patienten
(ICD-10 F 31-33.x, 54,5 ± 14,3 Jahre alt, 15 Frauen und 15 Männer, Hamilton-Depressionsskala:
17,7 ± 9,8 Punkte, alle behandelt mit trizyklischen Antidepressiva, SSRI, Lithium
oder Valproat) und 30 hinsichtlich Alter und Geschlecht gematchter, gesunder Kontrollen
vor [32]. Beide Gruppen fanden den gezeigten „Mr. Bean”-Film ungefähr gleich lustig (9,6
± 4,5 versus 10,6 ± 3,5 cm auf der Skala-Film; n.s.), jedoch lachten die depressiven
Patienten deutlich weniger als die gesunden Probanden (11,4 ± 7,6 versus 21,0 ± 9,8
mal; p < 0,001). Beim Lachen über den „Mr. Bean”-Film unterschieden sich die depressiven
Patienten von den Kontrollen insbesondere in der Anfangsgeschwindigkeit. Diese war
sowohl für die Mundwinkel- als auch die Augenmarker deutlich langsamer als die der
gesunden Kontrollen (Abb. 3a). Ein Seitenunterschied fand sich nicht. Die Anfangsgeschwindigkeiten
der Mundwinkel war in beiden Gruppen schneller als die der Augen. Die Anfangsgeschwindigkeit
war bei den depressiven Patienten um so geringer, je ausgeprägter die Schwere der
depressiven Symptomatik war. Sowohl der Summenwert der Fremdbeurteilung auf der Hamilton-Depressionsskala
(Ham-D) als auch die Gesamtselbstbeurteilung durch den Patienten mit der VAS nach
Aitken war negativ korreliert mit der Anfangsgeschwindigkeit. Bei den willkürmotorischen
Aufgaben („Mund auseinanderziehen”, „Augen zusammenkneifen”) wiesen die depressiven
Patienten ebenfalls eine signifikant langsamere Anfangsgeschwindigkeit der Bewegungen
auf als die gesunden Probanden ([Abb. 3b]). Die Anfangsgeschwindigkeiten bei den willkürmotorischen Aufgaben waren deutlich
höher als die der unwillkürlich-emotionalen Motorik. Es fand sich bei diesen Aufgaben
kein Unterschied zwischen den Anfangsgeschwindigkeiten von Auge und Mund im Gegensatz
zu den Lachbewegungen.
Schlussfolgerungen
Schlussfolgerungen
Die Detailanalyse mimischer Bewegungen in einem emotionalen Induktionsexperiment ergab
charakteristische Veränderungen depressiver Patienten gegenüber gesunden Kontrollpersonen
insbesondere zu Beginn der Bewegung. Die Anfangsgeschwindigkeit war signifikant geringer
bei den depressiven Patienten als bei den Gesunden, was der klinisch bekannten psychomotorischen
Hemmung entsprechen dürfte. Dies ist ein für depressive Patienten spezifisches Ergebnis,
da schizophren erkrankte Patienten (insbesondere mit starker Negativsymptomatik) schnellere
Anfangsgeschwindigkeiten als gesunde Kontrollen aufweisen [26]
[27]. Insofern stellt die vorgestellte Methode der Detailanalyse mimischer Bewegungen
einen Fortschritt gegenüber den bisherigen oben dargestellten Verfahren dar, die keine
für depressive oder schizophren erkrankte Patienten spezifischen Ergebnisse erbringen
konnten. Möglicherweise könnte also die Anfangsgeschwindigkeit mimischer Lachbewegungen
für differentialdiagnostische Fragestellungen dienlich sein. Diese subklinische Differenzierung
mithilfe der Anfangsgeschwindigkeit könnte auch Rückschlüsse auf die Pathophysiologie
psychiatrischer Störungen geben.
Geht man davon aus, dass der Nucleus accumbens als sog. limbisch-motorisches Interface
[33] eine zentrale Stellung in der Initiierung motorischer Programme einnimmt, so könnte
man neurobiologisch spekulieren, dass ein Zuwenig oder ein Zuviel von Dopamin aus
den hier ankommenden Fasern aus dem ventralen Tegmentum zu den genannten Veränderungen
der Anfangsgeschwindigkeit bei den beiden Patientengruppen führt. Da die Detailanalyse
mimischer Bewegungen ein quantitatives Messverfahren darstellt, könnte sie zukünftig
mit anderen quantitativen Methoden wie z.B. der MRI-Volumetrie verknüpft werden, um
der Neurobiologie mimischer Auffälligkeiten ein Stück näher zu kommen. So legt die
hier gefundene Verlangsamung der Anfangsgeschwindigkeit der unwillkürlichen und der
willkürlichen Bewegungen die Vermutung nahe, dass offenbar weniger die affektive,
als die motorische Seite von Gesichtsbewegungen bei depressiven Patienten gestört
sein könnte. Die generelle Verlangsamung sowohl der unwillkürlichen als auch der willkürlichen
Bewegungen rückt die Depression in die Nähe des Morbus Parkinson, bei dem ebenfalls
beide motorische Bereiche gestört sind. Auch für die Depression wird ein verminderter
Dopaminstoffwechsel diskutiert [9]. Neben der Einschränkung in der Willkürmotorik ist eine verminderte mimische Ausdrucksfähigkeit
für Patienten mit Morbus Parkinson charakteristisch [8]
[23]. Diese bessert sich mit erfolgreicher Behandlung [29]. Eine verringerte Lach- und Lächelfrequenz zu amüsanten Dias wurde sowohl für depressive
als auch für Parkinson-Patienten gefunden [28]. Bei Parkinson-Patienten ist die emotionale Wahrnehmung und die affektive Empfindung
ungestört, aber sie können aufgrund der motorischen Einschränkung Emotionen nicht
in gewohnter Weise ausdrücken. Es wäre angesichts der hier dargestellten Ergebnisse
bei depressiven Patienten zu vermuten, dass dies möglicherweise auch auf depressive
Patienten zutrifft. Hinzu kommt, dass typische Neuroleptika, also klassische Dopamin-Antagonisten,
die ein Parkinsonoid, aber auch depressive Zustände induzieren können, zu einer Abnahme
der Anfangsgeschwindigkeit mimischer Bewegungen führen [27].
Abb. 1 Manisch-depressiv erkrankte Patienten in der manischen Phase (links) und in der depressiven
Phase (rechts) (aus: Bleuler E (1983) Lehrbuch der Psychiatrie, 15. Aufl., Springer,
Berlin, S. 468)
Abb. 2 Probandin mit Ultraschallmarkern im Gesicht, Fernsehschirm zur Darbietung des emotionsinduzierenden
Filmmaterials („Mr. Bean”), Videokamera und Ultraschallmessaufnehmer
Abb. 3a) Anfangsgeschwindigkeit der Lachbewegung auf „Mr. Bean” bei depressiven Patienten
und gesunden Kontrollen; b) Willkürlich-motorische Anfangsgeschwindigkeiten bei depressiven
Patienten und gesunden Kontrollen
Tab. 1 Verfahren und Untersuchungsergebnisse von Mimikanalysen depressiver Patienten
Verfahren
|
Ergebnis
|
Videorating |
Reduzierte mimische Aktivität (insbesondere Mund, Auge, Augenbraue) |
Filmbild-Analysen |
Reduzierte mimische Aktivität (korreliert zu Ängstlichkeit und Depressivität) |
Facial Action |
Reduzierte mimische Aktivität (weniger „Freude”, |
Coding Syste
(FACS) |
mehr „Ärger”, „Traurigkeit” und „Verachtung”; weniger „Lächeln”) |
EMG |
Abnahme der EMG-Aktivität (M. zygomaticus), Zunahme der EMG-Aktivität (M. corrugator
supercilii) |
Computer-gestützte |
Reduzierte mimische Aktivität (insbesondere in der |
Verfahren |
oberen Gesichtshälfte (Augenbraue); weniger „Lächeln”) |