Der Klinikarzt 2005; 34(10): X
DOI: 10.1055/s-2005-919757
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Ein klinisches Problem - Neuromuskuläre Restblockaden vermeiden

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Publication Date:
04 November 2005 (online)

 
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Muskelrelaxanzien sind ein wichtiger und regelmäßiger Bestandteil von Allgemeinanästhesien [4]. Sie ermöglichen eine rasche und atraumatische endotracheale Intubation [13] und verbessern die Operationsbedingungen, weil sie unwillkürliche Bewegungen anästhesierter Patienten sicher vermeiden. Andererseits sind neuromuskuläre Restblockaden nach Allgemeinanästhesien eine wesentliche Komplikation, von der nach einigen Studien rund 30% aller relaxierten Patienten bei Eintreffen im Aufwachraum noch betroffen sind [7],[12],[15]

Zumindest dann, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt und behandelt werden, erhöhen Restblockaden das Risiko für Muskelschwäche und Hypoventilation [8] sowie für Schluckstörungen und Aspiration [9]. So können sie postoperative Atemwegserkrankungen und im schlimmsten Fall Pneumonien verursachen - insbesondere bei alten Patienten nach Oberbaucheingriffen [3]. Daher verwundert es nicht, dass neuromuskuläre Restblockaden als vitale Bedrohung unserer Patienten gelten [11] und Strategien entwickelt wurden, die dazu beitragen, entweder auf Muskelrelaxanzien verzichten [6] oder ihre Wirkung am Operationsende antagonisieren zu können [1].

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Bedarfsgerechte Steuerung der Muskelrelaxierung

Grundsätzlich gibt es für die bedarfsgerechte Steuerung einer neuromuskulären Blockade sowohl sichere und einfache Verfahren des Monitorings als auch gut steuerbare Muskelrelaxanzien. Sowohl eine Akzeleromyografie als auch eine Elektromyografie zeigt zuverlässig an, ob Patienten am Anästhesieende noch in einem Ausmaß "anrelaxiert" sind, das sie gefährden könnte.

Allerdings wird das neuromuskuläre Monitoring besonders in deutschen Anästhesieeinrichtungen zu selten genutzt. Laut einer landesweiten Umfrage im Jahr 2000 sind in den deutschen Anästhesieeinrichtungen weniger als ein Fünftel ihrer Arbeitsplätze mit einem neuromuskulären Monitoring ausgestattet. Darüber hinaus wird es dort, wo es verfügbar ist, nicht regelmäßig genutzt [10].

Verwendet man mittellang bis kurz wirksame Muskelrelaxanzien, wie Atracurium, Cisatracurium, Mivacurium, Rocuronium oder Vecuronium, hilft das neuromuskuläre Monitoring dem Anästhesisten entscheidend, eine bedarfsgerechte Relaxierung zu steuern, die am Ende der meisten Operationen weitestgehend spontan abgeklungen ist. Etwas schwieriger kann die Steuerung der neuromuskulären Blockade bei Eingriffen am Auge und bei Laparoskopien sein. In diesen Fällen muss noch bis kurz vor dem Operationsende tief relaxiert werden, sodass die verbleibende Zeit bis zur geplanten Extubation sehr kurz ist. Aber auch bei diesen Indikationen lässt sich mit Mivacurium wegen dessen rascher neuromuskulärer Erholung [14] die Muskelkraft rechtzeitig wiederherstellen - immer unter der Voraussetzung, dass die Wirkung auf die neuromuskuläre Übertragung gemessen und die Dosis danach sorgfältig titriert wird.

Sollte dennoch am Ende der Operation die neuromuskuläre Überleitung eingeschränkt sein, kann man diese noch immer mit einer Hemmung der Acetylcholinesterase antagonisieren. Am häufigsten verwendet werden in Deutschland dafür die reversiblen Cholinesterasehemmer Neostigmin und Pyridostigmin. Ihre erforderliche Dosis hängt vom Ausmaß der neuromuskulären Restblockade, der erwünschten Geschwindigkeit der neuromuskulären Erholung und dem Erholungsintervall des zu antagonisierenden Muskelrelaxans ab.

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Perspektiven

Zurzeit sind neue Medikamente in klinischer Erprobung, mit denen in nicht allzu ferner Zukunft neuromuskuläre Restblockaden noch besser verhindert bzw. behandelt werden könnten. Das g-Cyclodextrin-Derivat Sugammadex (ORG 25969) bindet die Steroid-Muskelrelaxanzien Pancuronium, Rocuronium und Vecuronium in einem unwirksamen Komplex und terminiert damit deren Wirkung [5]. Dagegen setzt das Muskelrelaxans Gantacurium (AV430A) aus der Gruppe der Benylisochinoline auf eine weitere Verkürzung der Wirkungszeit für eine bessere Steuerung der neuromuskulären Blockade [2]. Unabhängig von diesen zukünftigen pharmakologischen Optionen sind jedoch der rationale Umgang mit Muskelrelaxanzien und das neuromuskuläre Monitoring weiter zu schulen und zu intensivieren.

Prof. M. Blobner, München

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Literatur

  • 2 Arbous MS. et al. Anesthesiology. 2005;  102 257-268
  • 3 Belmont M. et al. Anesthesiology. 2004;  100 768-773
  • 4 Berg H. et al. Acta Anaesthesiol Scand. 1997;  41 1095-1103
  • 5 Blobner M. et al. Anaesthesist. 2003;  52 427-434
  • 6 Bom A. et al. Angew Chem Int Ed Engl. 2002;  41 265-270
  • 7 Brain Al. Br J. Anaesth. 1983;  55 801-805
  • 8 Debaene B. et al. Anesthesiology. 2003;  98 1042-1048
  • 9 Eikermann M. et al. Anesthesiology. 2003;  98 1333-1337
  • 10 Eriksson LI. et al. Anesthesiology. 1997;  87 1035-1043
  • 11 Fuchs-Buder T. et al. Anaesthesist. 2003;  52 522-526
  • 12 Harrison GG. Br J. Anaesth. 1978;  50 1041-1046
  • 13 Hayes AH. et al. Anaesthesia. 2001;  56 312-318
  • 14 Mencke T. et al. Anesthesiology. 2003;  98 1049-1056
  • 15 Savarese JJ. et al. Anesthesiology. 1988;  68 723-732
  • 16 Viby-Mogensen J. et al. Anesthesiology. 1979;  50 539-541
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Literatur

  • 2 Arbous MS. et al. Anesthesiology. 2005;  102 257-268
  • 3 Belmont M. et al. Anesthesiology. 2004;  100 768-773
  • 4 Berg H. et al. Acta Anaesthesiol Scand. 1997;  41 1095-1103
  • 5 Blobner M. et al. Anaesthesist. 2003;  52 427-434
  • 6 Bom A. et al. Angew Chem Int Ed Engl. 2002;  41 265-270
  • 7 Brain Al. Br J. Anaesth. 1983;  55 801-805
  • 8 Debaene B. et al. Anesthesiology. 2003;  98 1042-1048
  • 9 Eikermann M. et al. Anesthesiology. 2003;  98 1333-1337
  • 10 Eriksson LI. et al. Anesthesiology. 1997;  87 1035-1043
  • 11 Fuchs-Buder T. et al. Anaesthesist. 2003;  52 522-526
  • 12 Harrison GG. Br J. Anaesth. 1978;  50 1041-1046
  • 13 Hayes AH. et al. Anaesthesia. 2001;  56 312-318
  • 14 Mencke T. et al. Anesthesiology. 2003;  98 1049-1056
  • 15 Savarese JJ. et al. Anesthesiology. 1988;  68 723-732
  • 16 Viby-Mogensen J. et al. Anesthesiology. 1979;  50 539-541