Kernberg, Otto F.; Dulz, Birger; Eckert, Jochen (Hrsg.): WIR: Psychotherapeuten über
sich und ihren "unmöglichen" Beruf: Schattauer-Verlag, 2005. 632 Seiten, 68 Abb.,
9 Tab., geb., 59,- €. ISBN: 3-7945-2293-1
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob es hier um ein "Who is who" in Psychotherapie
ginge. Einerseits fehlen aber einige Psychotherapeuten von Rang und Namen, andererseits
sind einige Autoren wohl auch entbehrlich. Auf jeden Fall sind es 64 prominente Psychotherapeuten
aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und USA, die dieses Buch in die Welt gesetzt
haben.
Alle Psychotherapeuten scheinen der Meinung zu sein, dass es sich bei ihrer Tätigkeit
um einen ganz besonders schweren, anstrengenden und hochintellektuellen Beruf handelt,
der Spuren hinterlassen muss.
Als kritischer Leser fragt man sich natürlich, ob das stimmt. Psychotherapeuten haben
offenbar viel Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, wozu beispielsweise klinische
Chirurgen, Anästhesisten, Onkologen und alle Ärzte, die im Nachtdienst eingesetzt
werden, ständig Überstunden ableisten müssen, ohne dafür bezahlt zu werden, gar nicht
die nötige Zeit aufbringen. Dieses Burn out, das viele Psychoberufe für sich in Anspruch
nehmen, hängt offensichtlich damit zusammen, dass eben Psychiater oder Psychoberufe
von vornherein mit einem schwächlichen Nervenkostüm ausgestattet sind. In dem ausgezeichneten
Artikel von A. von Sydow wird das im übrigen auch festgestellt: "Alles in allem ist
es wahrscheinlich, dass Psychotherapeuten zwar nicht alle "verrückt", aber doch leicht
überdurchschnittlich häufig psychisch labil sind (S. 140)". Sie hat sicher recht,
man sollte sich bei der Beschreibung der eigenen Probleme und Schwierigkeiten im Beruf
zurückhaltender äußern und u.U. an die Kollegen denken, die als Onkologe oder Unfallchirurg
täglich mit schwersten ärztlichen und menschlichen Problemen zu tun haben.
Es setzt aber das Buch insgesamt keineswegs herab.
Gelegentlich wird man aber als Psychiater doch etwas irritiert. Kernberg beschreibt
relativ ausführlich die Behandlung einer schizophrenen Patientin zwischen 1959 und
1960, bei der es sich um eine 19-jährige hoch akute Schizophrene handelt, der es offensichtlich
langsam nur in vielen Stunden möglich war, psychotherapeutisch zu helfen. Da fragt
man sich, wie es möglich ist, einer so schwer kranken Patientin mit so vielen Stunden
erst nur langsam zu helfen, wo doch jeder, der mit psychotischen Kranken ständig zu
tun hat, weiß, wie schnell eine psychopharmakologische Intervention helfen kann und
nötig ist.
Ein kurzes Stück weiter schreibt ein Mitherausgeber, dass der Verlust eines Patienten
durch Suizid bei Psychotherapeuten einen ganz anderen Stellenwert einnehmen soll,
als der Tod eines Patienten an einem Pankreaskarzinom für einen Internisten. Der Autor
meint, dass es ein besonderes Problem ist, dass Psychotherapeuten "Aufgaben angenommen
haben, die die Gesellschaft wegen ihrer Unerträglichkeit an uns delegiert hat ...".
Hier kann der Psychiater als Leser nicht so recht folgen, weil Suizide nicht nur das
Hauptproblem bei Psychotherapeuten sind, sondern in allen medizinischen Disziplinen
als belastend empfunden werden, besonders aber bei Psychiatern, die häufiger damit
konfrontiert werden als Psychotherapeuten.
Im übrigen ist das Buch interessant, aufschlussreich, aber unterschiedlicher Qualität.
Für Kenner der Szene hoch interessant, für heranwachsende Psychotherapeuten ebenfalls.
Prof. F. Reimer, Weinsberg