Der Klinikarzt 2005; 34(12): XIV-XV
DOI: 10.1055/s-2005-926210
Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der diabetische Fuß - Worauf kommt es bei der Auswahl des Antibiotikums an?

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Publikationsdatum:
19. Januar 2006 (online)

 
Inhaltsübersicht

Trotz der Vorgaben der St.-Vincent-Deklaration von 1989, die eine Reduktion der Amputationsrate um 50% innerhalb von fünf Jahren forderte, ist die in Deutschland nach wie vor große Zahl von 28000 Amputationen pro Jahr aufgrund eines diabetischen Fußsyndroms (DFS) ein hochrelevantes Problem ([16]). Neben der frühzeitigen, adäquaten antibiotischen Therapie zählen die optimale Einstellung des Diabetes mellitus und die chirurgische Versorgung, angefangen von der Entlastung über das chirurgische Debridément und die Abszessdrainage bis hin zur Revaskularisierung, zu den wichtigsten therapeutischen Strategien zur Behandlung des diabetischen Fußsyndroms ([14]). Dabei ist nicht nur die akute Heilung das Ziel, sondern auch die Verhinderung der Chronifizierung der diabetischen Fußwunde.

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Polymikrobielle Infektionen mit Betonung auf grampositiven Erregern

Obwohl die meisten Infektionen, besonders die tiefen, chronischen und im Krankenhaus erworbenen, meistens aerob-anaerobe polymikrobielle Infektionen sind, spielen vor allem grampositive Erreger mit einem Verhältnis von 3:1 zu gramnegativen Infektionen eine entscheidende Rolle. Bei etwa 70% aller positiven Kulturen werden grampositive Bakterien gefunden, die wichtigsten Keime dabei sind Staphylococcus aureus (42%), gefolgt von Enterococcus faecalis (29%) und betahämolysierenden Streptokokken ([4]).

Unabhängig davon, ob akute, leichte bis mittelschwere oder auch chronische, polymikrobiell verursachte Infektionen vorliegen, kommt der Auswahl der geeigneten Antibiotika zur empirischen Therapie der Infektionen im Rahmen des diabetischen Fußsyndroms eine entscheidende Bedeutung zu. Da grampositive Erreger in der Regel dominieren, sollten auch die eingesetzten antimikrobiellen Wirkstoffe den grampositiven Bereich gut abdecken. Besonders wichtig ist dabei die Wirksamkeit gegen Staphylokokken ([9], [10]).

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Was empfiehlt die Paul-Ehrlich-Gesellschaft?

Nach aktuellen Empfehlungen der Paul-Ehrlich-Gesellschaft (PEG) kommt für diese Indikation an erster Stelle die Kombination von Aminopenicillin mit einem Betalaktamaseinhibitor (z.B. Ampicillin/ Sulbactam) infrage ([17]). Ampicillin in Kombination mit Sulbactam ist antimikrobiell wirksam gegen grampositive und gramnegative aerobe und anaerobe Erreger. Somit deckt diese Kombination fast das gesamte Spektrum der möglichen Pathogene ab. Außerdem existieren mit dieser gut verträglichen Substanz auch die meisten klinischen Erfahrungen und die größte Evidenz. Auch bei schwersten DFS-Infektionen ist diese Antibiotikakombination vergleichbar effektiv wie das Carbapenem-Antibiotikum Imipenem - allerdings bei einer um 30% größeren Kosteneffektivität ([6], [12]).

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Vorsicht vor Resistenzen

Aufgrund des chronischen Verlaufs dieser Infektionen beim diabetischen Fuß und der häufigen antibiotischen Vorbehandlungen spielt die Resistenz der Keime eine immer größere Rolle. Inzwischen findet sich bei 30-40% aller Staphylococcus-aureus-Stämme eine Methicillinresistenz (MRSA). Infektionen mit diesen resistenten Erregern benötigen deutlich längere Heilungszeiten, sind mit höheren Komplikationsraten verbunden und verbrauchen daher auch größere finanzielle Ressourcen als Infektionen mit methicillinsensiblen Keimen ([1], [15]).

Immer häufiger werden aufgrund der inzwischen hohen Resistenzraten auch im Rahmen der Behandlung eines diabetischen Fußsyndroms empirisch Antibiotika eingesetzt, die gegen resistente grampositive Erreger (v.a. MRSA) wirken. Ausgehend von immer noch geringer Prävalenz methicillinresistenter Staphylococcus-aureus-Stämme mit verminderter Empfindlichkeit gegenüber Vancomycin ist rein aus mikrobiologischer Sicht die Therapie mit Vancomycin im Falle einer MRSA-Infektion zu erwägen.

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Klinische und pharmakologische Aspekte ebenfalls bedenken

Nicht nur mikrobiologische Gesichtspunkte, auch andere klinische und pharmakologische Aspekte sollten jedoch bei der Auswahl der geeigneten Chemotherapeutika mit einfließen. Außer der Verträglichkeit des Antibiotikums spielen hier auch eine eventuell notwendige Dosisanpassung bei Organinsuffizienz - besonders relevant ist dies bei diabetisch bedingter Niereninsuffizienz - oder ein unumgängliches therapeutisches Drug-Monitoring als limitierende Faktoren eine Rolle.

Etwa 40% der Patienten erreichen laut Studiendaten unter der Standarddosis von Vancomycin (2 x 1 g) keine wirksamen Plasmaspiegel ([5]). Da Vancomycin relativ schlecht in das Gewebe penetriert (v.a. wegen seiner Molekülgröße), ist davon auszugehen, dass im entzündeten DFS-Gewebe deutlich geringere Vancomycin-Konzentrationen erreicht werden als für die mikrobiologische Eradikation notwendig sind. Dies wiederum kann ein Grund für die häufige klinische Erfahrung sein, dass trotz scheinbar adäquater Dosierung und ausreichender Empfindlichkeit des Erregers in vitro die klinische Besserung ausbleibt ([7]). Denn ein antimikrobieller Effekt kann nur dann eintreten, wenn die Konzentration des Wirkstoffs im jeweiligen Kompartiment mindestens die minimale Hemmkonzentration (MHK) des Erregers erreicht.

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Hohe Gewebepenetration ist eine wertvolle Eigenschaft

Das entzündete Gewebe des diabetischen Fußes wiederum gehört zu den schwer erreichbaren Kompartimenten, da in der Regel Penetrationsschranken (Nekrosen, Ödeme, Abszesse, fibrotische Prozesse) vorliegen. Aber auch die häufig vorkommende periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) mit eingeschränkter Hämoperfusion erschwert die Gewebepenetration. Daher erfordert die Wahl des Antibiotikums ganz besonders die Kenntnis seiner Verteilungs- und Penetrationsfähigkeit.

Von den gegen Staphylokokken wirksamen Substanzen weisen die Fluorchinolone der Gruppe 3 und 4, Fosfomycin sowie Clindamycin, eine gute Penetration in die Haut und Weichteile auf ([3], [8]). Da jedoch wie erwähnt die klinische Bedeutung der MRSA-Infektionen beim diabetischen Fuß zunimmt, rücken neue Wirkstoffe mit einem geeigneten Wirkungsspektrum für diese Indikation, wie zum Beispiel Linezolid als erster Vertreter der Oxazolidinone, in den Fokus.

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Gute Heilungsraten unter Linezolid

Linezolid hat sich im Rahmen mehrerer klinischer Studien sowohl bei ambulant erworbenen als auch bei nosokomialen Weichteilinfektionen im Vergleich zu den bisher üblichen Antibiotika als effektives Therapeutikum erwiesen ([11], [13], [18]). In der bisher größten publizierten prospektiven, randomisierten, multizentrischen Studie zur Antibiotikatherapie beim diabetischen Fußsyndrom - beteiligt waren 30 Zentren in den USA, 15 in Europa - erhielten 371 Patienten mit Infektionen im Rahmen des diabetischen Fußsyndroms nach mittlerer Behandlungsdauer von 17 ± 8 Tagen entweder Linezolid (600 mg/12 h p.o. oder i.v.) oder eine Kombinationstherapie aus Aminopenicillin und Betalaktamaseinhibitor (A/BI), Ampicillin/ Sulbactam (1,5-3 g/6 h i.v.) und Amoxicillin/Clavulansäure (500-875 mg/ 8-12 h p.o.) ([11]). Bei der Mehrheit der Patienten wurden Staphylococcus aureus und andere grampositive Kokken nachgewiesen.

Die klinische Heilung war bei Patienten mit infizierten DFS-Ulzera unter Linezolid signifikant höher als bei Patienten, die mit A/BI-Kombination behandelt wurden (81 versus 68%). Bei tiefen Infektionen mit Osteomyelitis war das Oxazolidinon der Therapie mit Ampicillin/Sulbactam geringfügig unterlegen (61 versus 69%).

Auch Patienten mit komplizierten MRSA-Weichteilinfektionen profitieren von der Therapie mit Linezolid: So beobachteten Weigelt et al. im Vergleich zu den mit Vancomycin behandelten Patienten (66,9%) die klinische Heilung in der Linezolid-Gruppe bei 88,6% ([18]).

Diese gute klinische Wirksamkeit des Oxazolidinons bei dieser Indikation ist zum Teil auf die gute Gewebepenetration von Linezolid zurückzuführen. Das kleine Molekül weist nur eine geringe Plasmaproteinbindung (31%), aber ein hohes Verteilungsvolumen sowie günstige, amphiphile physikochemische Eigenschaften (teils hydrophob, teils hydrophil) auf - all dies sind gute Voraussetzungen für die Aufnahme auch in die sonst schwer erreichbaren Kompartimente des diabetischen Fußes. Die bei Gesunden gemessenen Linezolid-Konzentrationen im Weichteilgewebe lagen oberhalb der minimalen Hemmkonzentrationen der empfindlichen Erreger ([2]).

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Fazit

Bei Patienten mit hohem Risiko einer Infektion mit resistenten grampositiven Erregern wie MRSA oder vancomycinresistenten Enterokokken (chronische DFS-Infektionen, häufige antibiotische Vorbehandlungen, MRSA oder MRSE in der Anamnese) ist Linezolid mit seiner hohen Penetration in entzündetes perinekrotisches DFS-Gewebe aus pharmakologischer, mikrobiologisch-pharmakokinetischer Sicht eine wertvolle therapeutische Option. Besteht eine polymikrobielle Besiedlung ist eine Kombination mit einem gramnegativ wirksamen Antibiotikum, optimal mit Pseudomonas-Wirksamkeit (z.B. Ceftazidim, Aztreonam), sinnvoll.

Dr. Jolanta Majcher-Peszynska, Prof. B. Drewelow, Rostock

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Literatur

  • 1 Dang CN . Prasad YD . Boulton AJ . Jude EB . Diabet Med. 2003;  20 (2) 159-161
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  • 3 Duckworth C . Fisher JF . Carter SA . et al . J Antimicrob Chemother. 1993;  31 (4) 581-584
  • 4 Ge Y . MacDonald D . Hait H . et al . Diabet Med. 2002;  19 (12) 1032-1034
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  • 7 Kollef MH . Rello J . Cammarata SK . et al . Intensive Care Med. 2004;  30 (3) 388-394
  • 8 Legat FJ . Maier A . Dittrich P . et al . Antimicrob Agents Chemother. 2003;  47 (1) 371-374
  • 9 Lipsky BA . Berendt AR . Deery HG . et al . Clin Infect Dis. 2004;  39 (7) 885-910
  • 10 Lipsky BA . Berendt AR . Diabetes Metab Res Rev. 2000;  16 (suppl 1) S42-S46
  • 11 Lipsky BA . Itani K . Norden C . Linezolid Diabetic Foot Infections Study Group.  Clin Infect Dis . 2004;  38 (1) 17-24
  • 12 McKinnon PS . Paladino JA . Grayson ML . et al . Clin Infect Dis. 1997;  24 (1) 57-63
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  • 14 Tan JS . Friedman NM . Hazelton-Miller C . et al . Clin Infect Dis . 1996;  23 (2) 286-291
  • 15 Tentolouris N . Jude EB . Smirnof I . et al . Diabet Med. 1999;  16 (9) 767-771
  • 16 Trautner C . Haastert B . Spraul M . et al . Diabetes Care. 2001;  24 (5) 855-859
  • 17 Vogel F . Bodmann K-F . Chemother J. 2004;  13 46-105
  • 18 Weigelt J . Itani K . Stevens D . Antimicrob Agents Chemother. 2005;  49 (6) 2260-2266
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Literatur

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