Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2006; 41(3): 135-136
DOI: 10.1055/s-2006-925225
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prozessoptimierung, DRGs, SOPs, Clinical Pathways, KTQ® - Wann kann ich noch Arzt sein?

Process Remodeling DRG's, SOP's, Clinical Pathways and the Role of the PhysicianC.  Krier1 , J.  Martin2
  • 1 Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Katharinenhospital Stuttgart
  • 2 Klinik für Anästhesie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie, Klinik am Eichert, Göppingen
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Publication Date:
23 March 2006 (online)

Der klinisch tätige Arzt fragt sich zunehmend, warum er Medizin studiert hat. War es bei der Aufnahme des Medizinstudiums sein Wunsch in engem Kontakt mit dem Patienten Krankheiten zu diagnostizieren und erfolgreich zu behandeln, so sieht er sich heute mit neuen Aufgaben konfrontiert. Die Bürokratie nimmt allenthalben zu. Ein ständig zunehmender Teil der Arbeitszeit wird für Dokumentation verwendet. Oft muss man sich fragen, was dies alles für den Patienten bringt? Neben seiner klinischen Praxis soll der Arzt nun auch noch Prozesse optimieren, sich auf Zertifizierungen vorbereiten, die Kodierung verbessern, sich im Benchmarking mit anderen messen und nach Standards arbeiten. Dies alles wird sehr häufig im Topdown-Ansatz vorgegeben.

Der Anästhesist und Intensivmediziner hat dazu noch ein weiteres Problem. Während der Chirurg weiß, dass der Patient wegen seiner Fähigkeiten kommt, um sich von ihm operieren zu lassen, muss der Anästhesist und Intensivmediziner damit leben, dass die Patienten in aller Regel nicht wegen der „guten Narkose” bzw. der „exzellenten Intensivmedizin” in die Klinik kommen. Der Anästhesist und Intensivmediziner ist also hauptsächlich interner Dienstleister. Zum einen muss er mit dem gewählten Anästhesieverfahren eine optimale Patientenversorgung gewährleisten, zum anderen für den Chirurgen optimale Arbeitsbedingungen herstellen. Auch der Intensivmediziner bildet nur einen Teilprozess der Gesamtbehandlung ab. Er ist in den seltensten Fällen „aufnehmende und entlassene Klinik”.

Dennoch ist die Anästhesie und Intensivmedizin das wichtigste Schnittstellenfach im operativen Bereich und sollte die Position als interner Dienstleister aktiv annehmen und gestalten. Dienstleistung - ein Begriff der in Deutschland meist negativ belegt ist - sollte von unserem Fachgebiet als Chance gesehen werden. Diese ärztliche Dienstleistung ist nicht substituierbar!

Mit der Einführung des Fallpauschalierten Abrechnungssystems kommt es zu einem tiefgreifenden Paradigmenwechsel im Krankenhaus.

Gesellschaftspolitisch gewollt zieht erstmals Wettbewerb in das Gesundheitswesen ein. Das politische Ziel ist eine deutliche Reduktion der Krankenhäuser sowie der Bettenzahl. Ziel für jedes Krankenhaus muss es sein, einen Patient unter möglichst geringem Ressourceneinsatz in möglichst kurzer Zeit durch den Gesamtprozess zu leiten - ohne Qualitätsverlust, versteht sich! Diese neuen Herausforderungen führen nicht nur zum internen Umbau der Kliniken, sondern zur Neupositionierung der Krankenhäuser. So werden wir in Zukunft drei Arten von Kliniken haben: Kleine hoch spezialisierte Krankenhäuser, Häuser mittlerer Größe, die eine allgemeine und breite Patientenversorgung anbieten, und große, überregionale Krankenhäuser, die neben der breiten Patientenversorgung Spezialabteilungen bereithalten.

Unter diesen Gesichtspunkten gilt, dass für jedes Krankenhaus ein Umstrukturierungsprozess eingeleitet werden muss, der eine entsprechende Positionierung ermöglicht. Alle Abteilungen sind hier gefordert, sich innerhalb der Gesamtorganisation neu zu definieren. Insbesondere der Anästhesie als Schnittstellenfach im operativen Bereich und der Intensivmedizin als zentrale Station in der Hochleistungsmedizin kommt eine besondere Verantwortung zu. Ein radikaler Umbau wird in vielen Kliniken stattfinden. Es müssen Prozessabläufe auf ihre Effizienz und Effektivität, aber auch auf ihre Qualität überprüft und korrigiert werden. Eines der Werkzeuge zur Optimierung der Prozesse ist die Entwicklung von Clinical Pathways (CP) [1], die interdisziplinär und interprofessionell erarbeitet werden müssen. Die CPs .müssen ein Höchstmaß an neuester medizinischer Erkenntnis beinhalten. Als Beispiel sei hier die Etablierung der Fast-Track-Kolon-Chirurgie genannt. Nur durch eine enge Kooperation der Chirurgie und der Anästhesie, durch Implementierung von Wärmekonzept, ausgewogenem Flüssigkeitsmanagement, Anlage von thorakalen Periduralkathetern sowie optimal postoperativer Schmerztherapie führt für dieses Konzept zum Erfolg. So konnte Basse et al [2] in einer dänischen Studie zeigen, dass die mittlere Verweildauer in der Kolonchirurgie von 8 Tagen auf 2 Tage reduziert werden konnte. Dies ist sicherlich nicht direkt auf deutsche Verhältnisse zu übertragen, jedoch ist eine Optimierung der Liegedauer in angepasster Form zu erreichen.

Das häufige Argument, dass nur noch die Ökonomie im Vordergrund steht und die Qualität der Behandlung eine untergeordnete Rolle spielt, kann gerade durch die Arbeiten von Basse et al [2] widerlegt werden. So ist bei der Fast-Track-Chirurgie die Komplikationsrate signifikant niedriger als bei der konventionellen Chirurgie. Gerade hier ist die Anästhesie gefordert, das gesamte Portfolio des Fachgebietes (Regionalverfahren, Arbeiten mit kurz wirkenden Substanzen, Wärmekonservierung, postoperative Schmerztherapie) einzusetzen, um eine erfolgreiche Implementierung zu gewährleisten. Jedoch erfordert die Implementierung zunächst eine Prozessanalyse, dann die Entwicklung von CPs und Standard Operating Procedures (SOPs). Ohne diese Vorarbeiten ist eine erfolgreiche Etablierung nicht möglich.

Aber auch die Intensivmedizin sieht sich in einem Wandel. Als Beispiel sei hier die Sepsis genannt. Durch die Erkenntnisse [3] der letzten Jahre (optimierte Blutzuckereinstellung, Flüssigkeitstherapie usw.) können klinikinterne SOPs entwickelt werden, deren Anwendung nachweislich die Mortalität senken und den Patienten schneller durch den Gesamtprozess bringen. Auch hier sind wir als Intensivmediziner aufgefordert, uns aktiv einzubringen und entsprechende Behandlungsverfahren konsequent zu etablieren. Diese Verfahren dürfen jedoch nicht individuell von Arzt zu Arzt variieren, sondern müssen in Standards bzw. SOPs festgelegt werden und verbindlich umgesetzt werden [4] [5].

Die zunehmende Entwicklung von hochwertigen Behandlungsleitlinien, die bei der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) veröffentlicht werden, erspart den Kliniken häufig den Entwurf eigener Behandlungsleitlinien. Sie können adaptiert an die eigenen lokalen Gegebenheiten übernommen werden.

Warum brauchen wir denn überhaupt noch einen Arzt, wenn sowieso schon alles schriftlich festgelegt ist und dies letztendlich jeder, der einige Zeit dafür trainiert wurde, durchführen kann? Die Aufgabe des Arztes ist herauszufinden, bei welchem Patienten von einer Behandlungsleitlinie aufgrund der vorliegenden Befunde abgewichen werden muss [4]. Behandlungspfade sind immer Korridore, Leitplanken der Vorgehensweise, von denen in begründeteten Fällen abgewichen werden kann und muss.

Aber nicht nur die Anwendung von Protokollen zur Therapie der Sepsis, sondern auch andere adjuvante Verfahren wie z. B. der Analgesie und Sedierung tragen zur Prozessoptimierung bei. So konnten Arbeiten von Mascia et al [6] zeigen, dass allein durch die Anwendung eines strukturierten Protokolls zur Analgosedierung sowohl die Beatmungszeit als auch der Intensiv- und Krankenhausaufenthalt bei gleich bleibender Qualität verkürzt werden konnte. Wenig verbreitet in Deutschland ist bisher die Anwendung von Weaning-Protokollen [7], die ebenfalls eine Empfehlungsstufe A haben und zu einer deutlichen Verkürzung der Beatmungszeit führen.

Die Einführung des pauschalierten Entgeltsystems stellt die Ärzte vor neue Herausforderungen. Alle Prozesse müssen auf den Prüfstand, um evtl. Optimierungspotenzial aufzeigen zu können. Nachweislich kann eine Optimierung der Prozesse durch die Etablierung, CPs bzw. Standard Operating Procedures erreicht werden. Dass diese nicht zum Nachteil, sondern sogar zur Steigerung der Qualität der Patientenversorgung führt, konnte inzwischen in vielen Untersuchungen belegt werden [2] [5]. Unterstützung zur Umsetzung der Konzepte benötigt der Arzt durch medizinische Controller, Kodierfachkräfte und Casemanager.

Am Ende der Bemühung sollte dann auch die Optimierung der Prozesse und Strukturen durch ein externes Audit bestätigt werden. Dies kann durch eine Zertifizierung nach den unterschiedlichen Systemen (KTQ©, ISO 9000) durchgeführt werden. Die Kliniken, die sich nicht diesem Wettbewerb stellen und keine Prozessänderungen durchführen, werden langfristig im Wettbewerb nicht bestehen können. Die Prozessoptimierung mit den unterschiedlichen Methoden und Etablierung verschiedener Verfahren sollte das Ziel aller Mitarbeiter, die in der Krankenversorgung tätig sind, sein. Somit gehört es zum „Arzt sein” dazu, sich in diese Veränderungsprozesse aktiv einzubringen, um die qualitative Versorgung der Patienten zu optimieren bei gleichzeitiger Gewinnung ökonomischer Vorteile. Dass dadurch das Besondere am Arzt-Patienten-Verhältnis gestört werden könnte, ist zwar eine oft behauptete (und keineswegs ganz unbegründete) Befürchtung, bei näherer Betrachtung aber lässt sich schnell erkennen, dass die Qualität des „outcome” im Sinne der Patienten durch viele der aufgeführten Maßnahmen gesteigert werden kann. Nur vor überbordender Bürokratie gilt es sich zu hüten und das für den Patienten Nützliche vom sinnlosen Aktionismus zu trennen.

Literatur

  • 1 Roeder N, Hensen P, Hindle D, Loskamp N, Lakomek H J. Instrumente zur Behandlungsoptimierung.  Chirurg. 2003;  74 1149-1155
  • 2 Basse L, Hjort Jakobsen D, Billesbolle P, Werner M, Kehlet H. A Clinical Pathway to Accerlerate Recovery After Colonic Resection.  Annals of Surgery. 2000;  232 51-57
  • 3 S2 K .Leitlinie Diagnose und Therapie der Sepsis. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 079/001. http://http://www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/079 - 001.pdf
  • 4 Martin J, Schleppers A, Kastrup M, Kobylinski C, König U, Kox W J, Milewski P, Spies C. Entwicklung von Standard Operating Procedures (SOPs) in der Anästhesie und in der Intensivmedizin.  Anästhesiologie & Intensivmedizin. 2003;  44 871-876
  • 5 Bauer M, Hanß R, Steinfath M, Tonner P H, Martin J. Prozessoptimierung im „kranken Haus”.  Anaesthesist. 2004;  53 414-425
  • 6 Mascia M F, Koch M, Medicis J J. Pharmacoeconomic impact of rational use guidelines on the provision of analgesia, sedation, and neuromuscular blockade in critical care.  Crit Care Med. 2000;  28 2300-2306
  • 7 Kollef M H, Shapiro S D, Silver P, St John R E, Prentice D, Sauer S, Ahrens T S, Shannon W, Baker-Clinkscale D. A randomized, controlled trial of protocol-directed versus physician-directed weaning from mechanical ventilation.  Crit Care Med. 1997;  25 567-574

C. Krier

Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin · Katharinenhospital

Kriegsbergstraße 60 · 70174 Stuttgart

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