Die Folgen einer Spastizität für den Betroffenen sind dramatisch: Relativ schnell
beginnen sich Sehnen und Muskeln zu verkürzen, dem Patienten drohen Kontrakturen,
knöcherne Umbauvorgänge sowie Infektionen. Alle diese Vorgänge gehen auch mit heftigen
Schmerzen einher. Insgesamt verändert eine Spastik die gesamte Persönlichkeit eines
Menschen, seine Umweltwahrnehmung und Umfeldinteraktion, berichtete Prof. H. Hefter,
Düsseldorf, auf der 23. Arbeitstagung für Neurologische Intensiv- und Notfallmedizin
(ANIM) in Regensburg. Die Person wird demontiert, das normale Leben gerät voll in
den Hintergrund. Nur eine konsequente, effektive und nachhaltige Behandlung kann verhindern,
dass die Spastizität sich zu diesem fatalen Prozess entwickelt.
Der Spastik frühzeitig und lang anhaltend entgegenwirken
Der Spastik frühzeitig und lang anhaltend entgegenwirken
Physio- und Ergotherapie spielen eine wichtige Rolle, um die Funktionalität zu verbessern,
die Wirkung aber hält meist nicht längerfristig an. Orale Antispastika eignen sich
vor allem bei generalisierten Spastiken, erweisen sich jedoch oft als nur eingeschränkt
effektiv. Was man benötigt, wenn andere Mittel nicht zum Ziel führen, ist Botulinumtoxin,
erläuterte Hefter, das man in der Muskulatur des gesamten Körpers einsetzen kann.
Botulinumtoxin reduziert den pathologischen Muskelzug, es lindert die Schmerzen und
verringert die Gefahr von Infektionen.
Mit einer Injektion Botulinumtoxin bessert sich die Funktionalität bis zu drei Monate
lang. "Wenn es gelingt, eine stark gebeugte Hand so zu strecken, dass der Betreffende
sich wieder abstützen kann, ist schon viel gewonnen," sagte Hefter. Botulinumtoxin
wird intramuskulär appliziert und verursacht nahezu keine systemischen Nebenwirkungen.
Dadurch eignet es sich zur Kombination mit allen anderen Therapien, die zum Teil erst
so voll wirksam werden.
Therapeutisch wirksamer Bestandteil von Botulinpräparationen (BT) ist das Botulinum-Neurotoxin.
Es unterbindet die Freisetzung von Acetylcholin an der neuromuskulären Synapse, erläuterte
PD D. Dressler, Rostock. Dressler bezeichnet die Substanz auch als reversiblen Neuromodulator,
da keine Neurone zerstört werden. Die paralytische Wirkung setzt nach drei bis fünf
Tagen ein. Alle Botulinumtoxinpräparate, ganz gleich ob vom Typ A oder Typ B, zeichnen
sich durch gute Gewebsverträglichkeit und das Fehlen einer systemischen Toxizität
aus.
Ein immunologisch besonders reines Botulinumtoxin
Ein immunologisch besonders reines Botulinumtoxin
Dennoch bestehen deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Präparaten. Substanzen
vom Typ B neigen verstärkt zu systemischen anticholinergen Nebenwirkungen. Darüber
hinaus weist der Typ B möglicherweise eine höhere Antigenität auf als Typ A. Diese
Bildung neutralisierender Antikörper gegen das Botulinum-Neurotoxin ist eines der
größten Probleme der Therapie mit Botulinumtoxin. Denn sie führt zum partiellen oder
kompletten Verlust der Wirkung dieser ansonsten hocheffizienten Behandlung. "Auch
wenn dieses Problem insgesamt nicht so häufig auftritt, kann es im Einzelfall eine
Katastrophe bedeuten, wenn die einzig wirksame Therapie der spastischen Syndrome dauerhaft
verloren geht," erklärte Dressler.
Günstige Voraussetzungen für eine besonders niedrige Antigenität bestehen bei Xeomin®,
einem Präparat vom Typ A, das im Sommer vergangenen Jahres zugelassen wurde. Diese
Botulinumtoxinpräparation besitzt eine im Vergleich zu anderen erheblich gesteigerte
spezifische biologische Aktivität und damit eine hohe immunologische Qualität. Deshalb
dürfte die Gefahr der Antigenität bei dieser Substanz gering sein. Erstmals gelang
es hiermit, nichttoxische Proteine abzutrennen und ein reines Botulinum-Neurotoxin
Typ A herzustellen, was sich ebenfalls positiv auf die längerfristige Antigenität
auswirken dürfte, war Dressler überzeugt.
Auch bei kraniopharyngealen Spastiken unverzichtbar
Auch bei kraniopharyngealen Spastiken unverzichtbar
Prof. P.W. Schönle, Magdeburg, behandelt seit einigen Jahren in der neurologischen
Intensiv-Rehabilitation schwersthirngeschädigte Patienten mit kraniopharyngealen spastischen
Syndromen. Zähneknirschen (Bruxismus), Kieferklemme (Trismus) und die spastische Zungenprotrusion
mit Deformierung der Zähne stellen das Personal vor große Probleme bei der Ernährung
der Patienten und bei der Mundhygiene. "Da es an Alternativen in der Behandlung fehlt,
spielt Botulinumtoxin auch bei uns eine bedeutende Rolle," erklärte Schönle. In Verbindung
mit funktionellen Verfahren fällt es sehr viel leichter, die Probleme in den Griff
zu bekommen und Hypersalivation, Kau- und Schluckstörungen sowie Lippen- und Zungenmutilation
zu verringern.
Botulinumtoxin lässt sich nicht nur effektiv und sicher in der lokal-fokalen Behandlung
von Dystonien und Spastiken einsetzen. Dr. Chr. Kabus, Berlin, sieht auch die Anwendung
als Rescuetherapie in akut bedrohlichen Situationen. Als Beispiele nannte er den Lagophthalmus,
einen dystonen Stridor oder eine Dysphagie bei extremem Retrocollis. "Beides lässt
sich mit Botulinumtoxin besser bewältigen", meinte Kabus.
Außerdem kann Botulinumtoxin seiner Meinung nach perioperativ eine wichtige Rolle
spielen, wenn es erforderlich wird, einen akuten Circulus vitiosus aus Spastik, Fehlstellung
und Schmerz zu durchbrechen.
Quelle: Satellitensymposium "Botulinumtoxin A bei intensivneurologischen Problemen
in der Rehabilitation", veranstaltet von Merz Pharmaceuticals GmbH, Frankfurt/ Main