Dtsch Med Wochenschr 2006; 131(14): 775
DOI: 10.1055/s-2006-933736
Pro & Contra | Commentary
Kardiologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Stammzelltherapie nach Myokardinfarkt - Contra

S. Lehrke1 , H. A. Katus1 , N. Frey1
  • 1Medizinische Universitätsklinik Heidelberg, Abteilung Innere Medizin III, Kardiologie, Angiologie und Pulmologie
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eingereicht: 9.1.2006

akzeptiert: 12.1.2006

Publication Date:
05 April 2006 (online)

Auch in der heutigen Ära moderner interventioneller Verfahren und Pharmakotherapien führt der beim Myokardinfarkt erlittene irreversible Verlust von Herzmuskelgewebe zu Vernarbungen und Umbauprozessen des gesamten Myokards („remodeling”). Nach ausgedehnten Infarkten kann es zu einer chronischen Herzinsuffizienz kommen, die mit einer erheblichen Morbidität und Mortalität einhergeht. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Aussicht auf eine Stammzelltherapie, die eine Regeneration des untergegangen Myokards verspricht, in den letzten Jahren eine große Euphorie ausgelöst hat. Als Ausgangspunkt für die seitdem rasch expandierende Forschung auf diesem Gebiet kann die im Jahre 2001 erschienene Arbeit von Orlic et al. [3] gelten, in der die Autoren berichten, dass die intramyokardiale Injektion hämatopoetischer Stammzellen bei Mäusen zur Entwicklung von Inseln neu gebildeten Herzmuskelgewebes im Infarktareal führt. Fast zeitgleich zu den tierexperimentellen Untersuchungen wurden die ersten klinischen Studien initiiert. Schon 2001 und 2002 berichteten Strauer et al. [4] [5] über die ersten Patienten, die im frühen Postinfarktstadium eine intrakoronare Infusion von autologen Knochenmarkszellen erhielten. Die nach 3 Monaten beobachtete Erholung der linksventrikulären Funktion muss allerdings vor dem Hintergrund beurteilt werden, dass in dieser nicht-randomisierten Studie ein adäquates Kontrollkollektiv fehlte. Als Vergleichsgruppe wurden vielmehr Patienten gewählt, welche die Studienteilnahme abgelehnt hatten. Das Fehlen einer randomisierten Kontrollgruppe muss auch zu einer kritischen Betrachtung der Ergebnisse der schon bald folgenden TOPCARE-AMI Studie führen, die neben der Infusion von Knochenmarkszellen auch die Gabe von aus dem peripheren Blut gewonnenen Progenitorzellen untersuchte [1]. Die Verbesserung der linksventrikulären Ejektionsfraktion um ca. 9 % nach 6 Monaten in den Zelltherapie-Gruppen war zwar höher als in einem zum Vergleich herangezogenen Patientenkollektiv (+ 3 %), die enddiastolischen Volumina jedoch identisch als Hinweis darauf, dass der Remodeling-Prozess nicht beeinflusst wurde. Im ersten randomisiert-kontrollierten Vergleich zwischen einer Standardtherapie und der zusätzlichen intrakoronaren Gabe von Knochenmarkszellen, der BOOST-Studie [6], erholte sich die Ejektionsfraktion innerhalb von 6 Monaten in der Zelltherapie-Gruppe um 6,7 % und in der Kontrollgruppe nur um 0,7 %. Die ausbleibende Erholung der LV-Funktion in der Kontrollgruppe ist überraschend, da bei optimaler medikamentöser Therapie in den ersten Monaten nach Infarkt eine Erholung der LV-Funktion um etwa 3 - 5 % erwartet werden kann. Darüber hinaus ist in vorläufigen Berichten nach 18 Monaten kein Unterschied in der linksventrikulären Funktion mehr zu beobachten. Auf eine Knochenmarksentnahme und eine intrakoronare „Plazebo”-Injektion in der Kontrollgruppe wurde aus ethischen Gründen verzichtet, so dass diese Studie nicht verblindet war. Erste, noch vorläufige Daten der multizentrischen REPAIR-AMI-Studie zeigen eine ähnliche Verbesserung der LV-Funktion um 5,5 % in der Zelltherapie gegenüber 3 % in der Kontrollgruppe. Dagegen fand sich in der ebenfalls auf dem Kongress der American Heart Association 2005 vorgestellten ASTAMI-Studie kein Effekt einer intrakoronaren Gabe autologer Knochenmarkszellen auf die kardiale Funktion.

Somit existieren zwar erste Hinweise auf eine Funktionsverbesserung durch die Injektion von Knochenmarksstammzellen, die experimentellen und klinischen Studienergebnisse bleiben aber uneinheitlich. Insbesondere die Hoffnung auf eine myokardiale Regeneration konnte bisher weder in experimentellen [2] noch in klinischen Studien überzeugend belegt werden. Neuere Hypothesen ziehen deshalb mehrheitlich Effekte wie Chemokin- vermittelte Angiogenese oder Anti-Apoptose in Betracht.

In diesem komplexen zelltherapeutischen Ansatz sind nach wie vor viele Fragen offen, wie die optimale Zellpopulation- und dosis, der optimaler Injektionsweg- und zeitpunkt, die molekularen Wirkmechanismen und letztlich auch die langfristige Wirksamkeit. Deshalb sind fundierte experimentelle Untersuchungen und sorgfältig nach den Richtlinien der guten wissenschaftlichen Praxis angelegte Studien zwingend erforderlich. Die bislang beschriebenen klinischen Effekte sind - wenn überhaupt langfristig nutzbar - nur gering, so dass ein routinemäßiger klinischer Einsatz aus unserer Sicht vor der Lösung dieser wichtigen Fragen noch nicht sinnvoll ist.

Literatur

  • 1 Assmus B, Schächinger V, Teupe C. et al . Transplantation of progenitor cells and regeneration enhancement in acute myocardial infarction (TOPCARE-AMI).  Circulation. 2002;  106 3009-3017
  • 2 Chien K. Lost in translation.  Nature. 2004;  428 607-608
  • 3 Orlic D, Kajstura J, Chimenti S. et al . Bone marrow cells regenerate infarcted myocardium.  Nature. 2001;  410 701-705
  • 4 Strauer B. et al . Intrakoronare autologe Stammzelltransplantation zur Myokardregeneration nach Herzinfarkt.  Dtsch Med Wochenschr. 2001;  126 932-938
  • 5 Strauer B, Brehm M, Zeus T. et al . Repair of infarcted myocardium by autologous intracoronary mononuclear bone marrow cell transplantation in humans.  Circulation. 2002;  106 1913-1918
  • 6 Wollert K, Meyer P, Lotz J. et al . Intracoronary autologous bone marrow cell transfer after myocardial infarction: the BOOST randomised controlled clinical trial.  Lancet. 2004;  364 141-148

Prof. Dr. med. Hugo A. Katus

Medizinische Universitätsklinik Heidelberg, Abteilung Innere Medizin III, Kardiologie, Angiologie und Pulmologie

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