Notfall & Hausarztmedizin 2006; 32(2): 65
DOI: 10.1055/s-2006-934064
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Allergie -...zwischen Ignoranz und Lebensgefahr ...zwischen Bagatellisierung und Modekrankheit ...zwischen Fortschritt und Scharlatanerie

Jörg Kleine-Tebbe
Further Information

Publication History

Publication Date:
01 March 2006 (online)

Der Allergologe kennt diese Polarisierungen zur Genüge - sie gehören zu seinem täglichen Brot. Nicht jeder allergische Patient findet den Weg zum Allergologen, zumal die Symptome vielfältig und untypisch sein können. Hier bekommt der Hausarzt eine wichtige Wächter- und Weichenstellerfunktion. Die notwendigen Instrumente, Anamnese, klinische Untersuchung und das Basiswissen um allergische Zusammenhänge, gehören keineswegs zu den Geheimwissenschaften. Dennoch werden häufig allergische Beschwerden fehlgedeutet und die dazugehörigen Erkrankungen nicht diagnostiziert [1]. Ein Wildwuchs untauglicher Diagnostikmethoden (Bioresonanz, Elektroakupunktur, IgG-Diagnostik mit Nahrungsmitteln, Kinesiologie u.a.) und umstrittene Therapien tun das Übrige: Adäquate Allergieberatung und -behandlung werden verschleppt und verzögert.

An dieser Stelle wäre eine bessere Verzahnung zwischen hausärztlicher und allergologischer Versorgung unserer Patienten wünschenswert. Während andere europäische Staaten kaum über allergologische Spezialisten verfügen, hat Deutschland viele fachärztlich ausgebildete Allergologen, die in Fachverbänden organisiert sind [2], sich auf gemeinsamen Kongressen fortbilden und ihr allergologisches Wissen in praktischen Leitlinien bündeln [3]. Dabei bleibt die Allergologie ein Querschnittsfach: Nach der Gebietsweiterbildung (Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Haut- und Geschlechtskrankheiten, Innere Medizin mit Schwerpunkt Pneumologie oder Kinder- und Jugendmedizin) kann die Zusatzweiterbildung Allergologie aufgesattelt werden. Hier werden spezielle Kenntnisse [4] und Fähigkeiten erworben, die es dem Allergologen gestatten, auch knifflige Fälle zu lösen, individuell zu beraten und spezielle Therapien (z.B. eine spezifische Immuntherapie mit Allergenen) einzuleiten (5).

Die in dieser Ausgabe enthaltenen Artikel vermitteln einen Einblick in die allergologische Diagnostik, die differentialdiagnostischen Überlegungen und die Tricks bei der Behandlung. Der Beitrag von Tobias Plaza schildert den seltenen Fall einer Fleischallergie mit lebensbedrohlicher Anaphylaxie. Die modernen Möglichkeiten der Allergielabordiagnostik werden ebenfalls erörtert und ihre klinische Bedeutung diskutiert. Führende deutsche Pneumologen haben das Asthma bronchiale und die COPD anschaulich gegenübergestellt. Auf Grund der unterschiedlichen Entzündungsmechanismen entwickeln sie das heutige Konzept aus diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen. Schließlich zeigt der Beitrag von Wolfgang Petro die Alltagsprobleme bei der Wahl und Anwendung von Tascheninhalatoren auf. Bekanntlich steckt der Teufel im Detail, besonders wenn es um die richtige Anwendung topischer Medikamente geht.

Die Auswahl der Fachaufsätze spiegelt den Querschnittscharakter der Allergologie und den Fortschritt im Verständnis bronchopulmonaler Erkrankungen wider. Das dargestellte Wissen soll Interesse wecken für den Umgang mit Allergie und Asthma. Außerdem soll es vor Irrtümern schützen, die in einer Zeit zunehmender Polarisierung den klaren Blick auf häufige und komplexe Gesundheitsstörungen verstellen.

Weiterführende Informationen

  • 1 Weißbuch Allergie in Deutschland. 2. Auflage. Urban & Vogel Verlag, München 2004
  • 2 Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie . www.dgaki.de; Ärzteverband Deutscher Allergologen (ÄDA), www.aeda.de; Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA), www.gpaev.de
  • 3 AWMF-Leitlinien unter www.awmf-online.de (siehe Fachgebiet Allergologie)
  • 4 Saloga J, Klimek L, Buhl R, Mann W, Knop J. Allerogologie-Handbuch, Grundlagen und klinische Praxis. Schattauer Verlag, Stuttgart 2006
  • 5 Kleine-Tebbe J, Bergmann K-C, Friedrichs F. et al. . Die spezifische Immuntherapie (Hyposensibilisierung) bei IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen (S2-Leitlinie).  Allergo J. 2006;  15 56-74

Priv.-Doz. Dr. med. Jörg Kleine-Tebbe

Berlin

    >