ZFA (Stuttgart) 2006; 82(9): 373
DOI: 10.1055/s-2006-942195
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Gender Mainstreaming!?

S. Dunkelberg1
  • 1Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
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Publication Date:
06 October 2006 (online)

Als Frau darf ich es bekennen: Die Forderung nach dem Einbezug genderspezifischer Fragen in Forschungsprojekte war für mich lange eine lästige Pflicht, geschuldet dem Zwang, sich „politically correct” zu verhalten. Ich fand dies ähnlich überflüssig wie die Verunstaltung von Texten durch die Verwendung weiblicher und männlicher Bezeichnungen nebeneinander, Liebe Leser und Leserinnen, oder gar in einem, Liebe LeserInnen. Aber da inzwischen kein Projektförderer mehr auf Gender Mainstreaming verzichtet, muss frau sich intensiver damit befassen. Und da geht der Ärger weiter. Das Thema ist vage bzw. komplex. Was heißt überhaupt Gender? Und was, bitte sehr, bedeutet Gender Mainstreaming eigentlich? Das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend erklärt es auf seiner Webseite:[1]

„Gender kommt aus dem Englischen und bezeichnet die gesellschaftlich, sozial und kulturell geprägten Geschlechtsrollen von Frauen und Männern. Diese sind - anders als das biologische Geschlecht - erlernt und damit auch veränderbar.”

„Gender Mainstreaming bedeutet, bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt.”

Es leuchtet ein, dass eine Differenzierung nach biologischem Geschlecht ein wenig zu simpel ist, um dem Anspruch des Gender Mainstreamings gerecht zu werden. Allerdings werfen die obigen Definitionen viele neue Fragen für Forscher auf, für mich zu allererst die nach der Messbarkeit von Gender …

Der Beitrag von Petra Thürmann in diesem Heft zeigt eindrücklich, dass sich bereits die biologische Differenzierung nach dem Geschlecht lohnt. Die Dosis-Wirkungsbeziehung, der Therapieerfolg und die zu erwartenden Nebenwirkungen wichtiger Medikamente sind bei Männern und Frauen unterschiedlich und erfordern deren Ungleichbehandlung, so die Botschaft. Dosieren Sie Betablocker bei Frauen vorsichtiger als bei Männern? Stellen Sie die Indikation für Digitalis bei Frauen zurückhaltender als bei Männern? Hier wird für mich unmittelbar erlebbar, warum geschlechtsspezifisch getrennte Betrachtungen in Studien sinnvoll sind und wo diese in großem Ausmaß fehlen.

Und die Berücksichtigung von Gender im umfassenden Sinne? Nun, ich glaube der Hausarzt stellt sich ohnehin auf den individuellen Menschen ein, einschließlich seiner Geschlechtsrollen, die nur einen Teil seiner komplexen Persönlichkeit ausmachen. Aber ich bin mittlerweile gespannt, was sich aus dem gesellschaftlichen Druck zum Gender Mainstreaming in Forschungsprojekten ergibt und optimistisch, dass Hausärzte auch dort was Interessantes mitnehmen können.

Viel Freude beim Lesen, die anderen Beiträge seien Ihnen genauso ans Herz gelegt, auch wenn ich an dieser Stelle nicht näher auf Sie eingegangen bin.

Ihre Sandra Dunkelberg

P.S.: Auf dem DEGAM-Kongress sind übrigens Rednerinnen und Redner in den wissenschaftlichen Seminaren nahezu gleich verteilt, die Keylectures bestreiten hingegen nur Männer. Und die gender-/geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Ergebnissen der vorgestellten Projekte? Nutzen Sie die Gelegenheit der Diskussionen nach den Vorträgen und fragen Sie danach!

1 http://www.gender-mainstreaming.net/gm/definition.html am 9.8.2006

Dr. med. S. Dunkelberg

Fachärztin für Allgemeinmedizin

Institut für Allgemeinmedizin

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Martinistraße 52

20246 Hamburg

Email: dunkelbe@uke.uni-hamburg.de

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