Dtsch Med Wochenschr 2006; 131(27): 1552-1553
DOI: 10.1055/s-2006-947796
Korrespondenz | Correspondence
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Akupunktur quo vadis? - Zuschrift Nr. 2

Zum Beitrag aus DMW 10/2006H. Heine
Further Information

Publication History

Publication Date:
30 June 2006 (online)

Bäcker et al. [1] ist zuzustimmen, dass die Akupunkturforschung in weiten Bereichen noch immer am Anfang steht. Bei der jeweils semistandardisierten ART- und GERAC Akupunkturstudie wurden neben „obligaten” Punkten als „Verum-Akupunktur” (gemeint sind klassische Akupunkturpunkte) auch frei gewählte Punkte als „Minimalpunktur” („Sham-Akupunktur”) genadelt.

Durch die ganze Arbeit zieht sich die Unsicherheit über die Realität von Akupunkturpunkten: „Es wäre denkbar, dass im Zuge weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen das klassische Konzept der „Spezifität von Akupunkturpunkten” durch ein Konzept der „reaktiven Areale” abgelöst wird” [1]. Anatomische Untersuchungen der klassischen 361 Akupunkturpunkte haben jedoch eine klar definierte Struktur erkennen lassen [4] [5] [6] [7] [10]. Es handelt sich jeweils um ein in lockeres Mesenchym gehülltes Nerven-Gefäßbündel, das aus der Tiefe kommend jeweils über eine runde kanalartige Enge oder Perforation das subkutane Bindegewebe erreicht und sich in alle Hautschichten aufzweigt (Abb. [1]). Bei 82 % der klassischen Punkte zieht das Nerven-Gefäßbündel durch eine Perforation der oberflächlichen Körperfaszie, bei den restlichen 18 % erreicht es die Haut durch Knochenkanäle, Suturen, Ligamente und Aponeurosen. Es gibt also keine Akupunkturpunkte aber „Löcher” (ihr Durchmesser bewegt sich zwischen 3 und 6 Millimeter. Sie sind daher makroskopisch präparierbar [4] [5] [6] [7] [10]). Die Löcher sind aufgrund ihres, im Vergleich zur Umgebung geringen elektrischen Widerstandes mit im Handel befindlichen Punktsuchgeräten leicht zu orten. Verallgemeinert lässt sich sagen, je näher die Nadel an das „Punktloch” gesetzt wird, umso besser die Wirkung. Da die sich in der Haut aufteilenden Nerven eines Bündels ein gewisses Areal einnehmen, haben damit auch die von den Autoren genannten „reaktiven Areale” eine morphologische Grundlage. Diese aus meinem ehemaligen Institut stammenden Untersuchungen wurden vielfach überprüft und bestätigt (u. a. durch das histologisch-embryologische Institut der Universität Innsbruck [10]). Die Befunde haben auch Eingang in internationale Lehrwerke gefunden z. B. das von Cassidy [2].

Abb. 1 Schema der anatomischen Struktur eines Akupunkturpunktes. 1 Nerv und Aufzweigung, 2 Venen, 3 Arterie, 4 Lymphgefäß, 5 Faszie, 6 Subcutis, 7 Corium, 8 Epidermis (nach [2] und [5])

Wie bei allen regulationsmedizinischen Verfahren hängt auch bei der Akupunktur die therapeutische Wirkung u. a. wesentlich vom Grad einer möglichen latenten Gewebsazidose ab [8] [9]. Bei Belastungsstörungen ist diese in individuellem Ausmaß stets entwickelt und muss zunächst therapiert werden [8] [9]. Auf eine latente Gewebsazidose ist jedoch in beiden Akupunkturstudien nicht geprüft worden. Die Unsicherheit in der Beurteilung der Studienergebnisse dürfte z. T. in diesem Umstand liegen und weniger in Plazebo- und psychologischen Effekten. Auch diese beiden großangelegten Studien zeigen, dass ohne gründliche Vorkenntnisse in Anatomie und Pathologie der Versuch zur Lösung eines klinischen Problems leicht in Zirkelschlüssigkeit enden kann.

Literatur

  • 1 Bäcker M, Tao I, Dobos G. Akupunktur-quo vadis? Zur aktuellen Diskussion um Wirksamkeit und „Punktspezifität” der Nadeltherapie.  Dtsch Med Wochenschr. 2006;  131 506-511
  • 2 Cassidy C M. Contemporary Chinese Medicine and Acupuncture. Philadelphia, WB Saunders 2002
  • 3 Heine H. Zur Morphologie der Akupunkturpunkte.  Dtsch Ztschr f Akup. 1987;  30 75-79
  • 4 Heine H. Anatomical structure of acupoints.  J Trad Chin Med. 1988;  8 207-212
  • 5 Heine H. The morphological basis of the acupuncture points.  Acupunct Sci Int J. 1990;  1 1-6
  • 6 Heine H. Warum die Akupunktur wirkt. Neue morphologische Forschungen in der Medizin.  Universitas. 1994;  6 589-594
  • 7 Heine H. Periphere Schmerzverarbeitung an Gelenken durch Akupunktur - Bedeutung des Parasympathikus.  Dtsch Ztschr f Akup. 2004;  47 15-23
  • 8 Sander F F. Der Säure-Basenhaushalt des menschlichen Organismus. 2. Auflage Stuttgart, Hippokrates Verlag 1985
  • 9 Worlitschek M. Die Praxis des Säure-Basen-Haushaltes. 5. Auflage Stuttgart, Haug Verlag 2003
  • 10 Zerlauth B, Böheim C, Moriggl B. Histologie der Akupunkturpunkte.  Dtsch Ztschr f Akup. 1992;  35 34-38

Prof. Dr. rer. nat. med. habil. Hartmut Heine

ehem. Leiter des Anatomischen und Klinisch-morphologischen Institutes der Universität Witten/Herdecke

Billerbeckweg 1-3

75242 Neuhausen

Phone: 07234/6246

Fax: 07234/6246

Email: hartmutheine@aol.com

    >