Dtsch Med Wochenschr 2006; 131(27): 1554
DOI: 10.1055/s-2006-947798
Korrespondenz | Correspondence
Erwiderung
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Akupunktur quo vadis? - Erwiderung zu Zuschrift Nr. 2

Zum Beitrag aus DMW 10/2006M. Bäcker
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Publication Date:
30 June 2006 (online)

In den letzten 30 Jahren wurde in zahlreichen Studien der Versuch unternommen, ein einheitliches morphologisches Korrelat von Akupunkturpunkten zu sichern. Neben der im Leserbrief zu unserem Beitrag [10] von Heine propagierten Hypothese kommen verschiedene Autoren zu divergenten Ergebnissen. Melzack und Mitarbeiter [9] postulierten, dass Akupunkturpunkte eingerechnet eines Toleranzintervalles von 3 cm zu 100 % mit Triggerpunkten korrelieren sollten. Diese These konnte von späteren Untersuchungen jedoch nicht bestätigt werden [1]. Die Bedeutung der peripheren Innervation im Bereich von Akupunkturpunkten wird von Dung [3] diskutiert („Je größer der Nerv, desto besser”). Andere Autoren finden an Akupunkturpunkten verschiedene Typen sensorischer Nervenendigungen [2] und neuromuskuläre Strukturen [8] [5].

Eine kürzlich veröffentlichte Studie von Langevin und Mitarbeiter [7] weist auf eine Häufung von interstitiellem Bindegewebe an Akupunkturpunkten hin. Hierdurch sollen im Rahmen einer mechano-sensorischen Signaltransduktion lokale und systemische Effekte begünstigt werden. Möglicherweise ergibt sich hier eine Schnittmenge mit Heines Vorstellung der bindegewebig umhüllten Gefäßnervenbündel. Langevine [6] kommt allerdings zu dem Schluss, dass in keiner der bisher vorliegenden Untersuchungen ein adäquates methodologisches Design realisiert worden ist. Ein geeignetes methodisches Vorgehen müsste die morphologische Untersuchung von Nicht-Akupunkturpunkten sowie eine statistische Testung der Unterschiede zwischen einer repräsentativen Anzahl von Akupunkturpunkten und Nicht-Akupunkturpunkten einschließen. Natürlich stellt dies bei insgesamt 670 Akupunkturpunkten (beide Körperseiten eingerechnet) kein einfaches Unterfangen dar.

Obgleich die ART- und GERAC-Studien zeigen, dass die Nadelung von klassischen Punkten nicht für alle Erkrankungen gleichermaßen relevant ist, stimmen wir Heine zu, dass Akupunkturpunkte vermutlich besonders ansprechbar für Nadelreize sind. Dies dürfte zum einen daran liegen, dass die Areale sich im Rahmen von drei Jahrtausenden gesammelter klinischer Erfahrung als besonders geeignet erwiesen haben. In Analogie zur bisherigen Studienlage sind die anatomischen Korrelate von Akupunkturpunkten jedoch möglicherweise vielgestaltig und abhängig von der jeweiligen Lokalisation am Körper. Beispielsweise findet sich am Punkt Gb 30 die Nähe eines größeren Nerven (N. ischiadicus), am Punkt Gb 32 (zwischen dem M. vastus lateralis und M. biceps fermoris) gehäuft interstitielles Bindgewebe, an Gb 21 eine Prädilektionsstelle für muskuläre Triggerpunkte und empfindliche arthroligamentäre Strukturen an den Punkten Ma 35 am Kniegelenk oder Di 15 am Schultergelenk. Im Bereich des lateralen Astes der Blasen-Leitbahn penetrieren die Hautäste des lateralen Astes des Ramus dorsalis des Spinalnerven durch die Fascia thoracolumbalis [4]. Hier bietet Heines Hypothese einen guten Erklärungsansatz. In wieweit die Präsenz von Gefäß-Nervenbündeln als einheitliches Korrelat aller Akupunkturpunkte gelten kann, wird in weiteren Studien zu prüfen sein. Auf der Basis der aktuellen Datenlage sollte allerdings bis zur Reproduktion von Heines Beobachtungen im Rahmen eines adäquaten methodischen Designs mit Zurückhaltung argumentiert werden.

Was eine mögliche latente Gewebeazidose als Störfaktor bei den ART- und GERAC-Studien angeht, so müsste dieser im Rahmen eines randomisiert-kontrollierten Studiendesigns mit einem Kollektiv von 300 bzw. 1000 Patienten gleichmäßig über die Studiengruppen verteilt sein. Eine systematische Beeinflussung der insgesamt hervorragenden Therapieresponse in den Sham- und Verum-Akupunkturgruppen erscheint uns von daher äußerst unwahrscheinlich.

Literatur

  • 1 Birch S. Trigger point - acupuncture point correlations revisited.  J Altern Complement Med. 2003;  9 91-103
  • 2 Ciczek L SW, Szopinski J, Skryzypulec V. Investigations of morphological structures of acupuncture points and meridians.  J Trad Chin Med. 1985;  5 289-292
  • 3 Dung-HC. Anatomical features contributing to the formation of acupuncture points.  Am J Acupunct. 1984;  12 139-143
  • 4 Egerbacher M. Veterinärakupunktur. Anatomische und histologische Struktur ausgewählter Akupunkturpunkte bei Rind und Hund.  Deutsche Zeitschrift für Akupunktur. 1993;  36 75-80
  • 5 Gunn C C, Ditchburn F G, King M H, Renwick G J. Acupuncture loci: a proposal for their classification according to their relationship to known neural structures.  Am J Chin Med. 1976;  4 183-195
  • 6 Langevin H M, Yandow J A. Relationship of acupuncture points and meridians to connective tissue planes.  Anat Rec. 2002;  269 257-265
  • 7 Langevin H M, Bouffard N A, Badger G J, Churchill D L, Howe A K. Subcutaneous tissue fibroblast cytoskeletal remodeling induced by acupuncture: Evidence for a mechanotransduction-based mechanism.  J Cell Physiol. 2006;  207 767-774
  • 8 Liu Y, Varela M, Oswald R. The correspondence between some motor points and acupuncture loci.  Am J Chin Med. 1975;  3 347-358
  • 9 Melzack R, Stillwell D M, Fox E J. Trigger points and acupuncture points for pain: correlations and implications.  Pain. 1977;  3 3-23
  • 10 Baecker M, Tao I, Dobos G J. Akupunktur - quo vadis? Zur aktuellen Diskussion um Wirksamkeit und „Punktspezifität” der Nadeltherapie.  Dtsch Med Wochenschr. 2006;  131 506-511

Dr. med. Marcus Bäcker

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