Notfall & Hausarztmedizin 2006; 32(6): 297
DOI: 10.1055/s-2006-948534
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Osteoporose: Eine Krankheit ist erwachsen geworden

Johannes Pfeilschifter
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Publication Date:
14 July 2006 (online)

Eine 80-jährige Frau stürzt. Sie erleidet einen Oberarmbruch. Sie kann sich nicht mehr selbständig versorgen. Ein 75-jähriger Mann hebt einen Tisch. Dabei bricht der 4. Lendenwirbel. Er leidet monatelang unter heftigsten Rückenschmerzen. Eine 88-jährige Frau stürzt. Sie erleidet eine Schenkelhalsfraktur. Sie stirbt drei Monate später an den Folgekomplikationen. Was haben diese Patienten gemeinsam? Bei allen drei Patienten ist die Mitbeteiligung einer Osteoporose als Ursache der Brüche und Bruchfolgen möglich oder wahrscheinlich.

Die Osteoporose ist definiert als eine verminderte Knochenfestigkeit. Sie ist damit einer der wichtigsten Risikofaktoren für Brüche. Osteoporose und Stürze gehen im Alter Hand in Hand. Gemeinsam sind sie die Hauptursachen der exponentiellen Zunahme von Fragilitätsbrüchen im höheren Lebensalter. Ob bei chronischen Schmerzen, Einbußen an Mobilität und Selbständigkeit im Alter, oder einer erhöhten Mortalität nach Brüchen: Die Osteoporose ist als Risikofaktor häufig beteiligt.

In den letzten zehn Jahren haben wir viel über die Osteoporose gelernt. Wir wissen heute über die Osteoporose mehr als über viele andere Erkrankungen: Wir haben eine Vorstellung davon, wie sie entsteht. Wir können abschätzen, wer besonders gefährdet ist, aufgrund einer Osteoporose in den nächsten Jahren einen Bruch zu erleiden und wer ein niedriges Risiko hat. Wir haben die Möglichkeit, durch Ernährung, Muskel- und Koordinationstraining sowie Medikamente das mit einer Osteoporose verbundene Risiko für Brüche zu halbieren. Wir haben die Möglichkeit, die Bruchfolgen zu lindern. Wir wissen auch, dass vieles von dem, was wir früher über die Osteoporose angenommen haben, nicht oder nur teilweise stimmt.

Vier Beiträge in diesem Heft zeigen, was derzeit in der Praxis möglich und sinnvoll ist. Sie beschreiben, wie man Schmerzen bei einer Osteoporose behandeln kann. Sie zeigen, wie man bei funktionellen Einschränkungen und Stürzen helfen kann. Sie geben konkrete Empfehlungen, wer von einer Frakturprophylaxe am meisten profitiert und wie diese Prophylaxe aussehen kann.

Es ist noch nicht lange her, da wurde die Osteoporose noch als natürliche Alterserscheinung den „ernsthaften” kardiovaskulären Erkrankungen und Tumorerkrankungen gegenüber gestellt. Das hat sich geändert. Die Daten lassen es nicht mehr zu. Es gibt sehr „ernsthafte” Daten zur Inzidenz, Morbidität und Mortalität der Osteoporose. Es gibt S3-Leitlinien zur Diagnostik und Therapie. Die Osteoporose als Krankheitsbild ist erwachsen geworden.

Prof. Dr. med. Johannes Pfeilschifter

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