Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2006; 3(1): 30-32
DOI: 10.1055/s-2006-949552
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Sentinel-Lymphknotenbiopsie beim Mammakarzinom

Konsensus und KontroversenTh. Kühn
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Publication Date:
29 August 2006 (online)

 

Die Sentinel-Lymphknotenbiopsie (SLNB) hat sich innerhalb von wenigen Jahren als ein Standardverfahren für das axilläre Staging beim frühen Mammakarzinom etabliert.

Die Sentinel-Lymphknotenbiopsie ist heute in allen nationalen (z.B. AGO) und internationalen Leitlinien (z.B. St. Gallen) fest verankert. Die Deutsche Gesellschaft für Senologie (DGS) hat als erste nationale Fachgesellschaft ein Konzept für die qualitätsgesicherte Implementierung dieser Methode erarbeitet und definierte Standards für die Anwendung der Methode festgelegt ([1], [2], [3], [4]). Mehrere zwischenzeitlich publizierte Konsensusstatements anderer internationaler Gremien unterscheiden sich unwesentlich von den Empfehlungen der DGS. Trotz der einheitlichen Bewertung der SLNB hinsichtlich der onkologischen Sicherheit und seiner technischen Durchführung werden aber auch neue Entwicklungen und Fragestellungen erkennbar, die zukünftig zu einer Modifizierung der bestehenden Empfehlungen führen können.

Zunehmend wird die SLNB nicht nur auf kleine Mammakarzinome bis zu einer Größe von 2 cm beschränkt. Während der deutsche Konsensus von 2005 die T1-Tumore als "gesicherte Indikation“ und T2-Tumore als "mögliche Indikation“ einstuft, beinhaltet der amerikanische Konsensus keine Einschränkungen hinsichtlich der Tumorgröße. Sowohl T1- als auch T2- Tumoren werden als "akzeptierte Indikation" mit gutem Evidenzlevel eingestuft. Basierend auf Daten zur funktionellen Anatomie der Brust stufen die Amerikaner das multizentrische Mammakarzinom erstmals als "akzeptable Indikation" mit eingeschränktem Evidenzgrad ein.

Der Stellenwert der SLNB im Zusammenhang mit neoadjuvanten Therapiekonzepten stellt eine aktuelle und wichtige Fragestellung dar. Dabei ist sowohl das Setting (SLNB vor oder nach primär systemischer Therapie [PST]) als auch die Frage relevant, inwieweit der SLN auch nach PST eine zuverlässige Einschätzung des Nodalstatus erlaubt. Sowohl der deutsche als auch der amerikanische Konsensus raten von einer SLNB nach PST wegen der heute noch unsicheren Datenlage ab. Dabei mehren sich allerdings Veröffentlichungen, nach denen die Falsch-negativ-Rate nach neoadjuvanter Chemotherapie nur geringfügig ungünstiger ist als bei Patientinnen, die primär operiert wurden. Alle bis heute verfügbaren Literaturquellen sind allerdings durch geringe Fallzahlen, ein retrospektives Studiendesign, fehlende Standards für die technische Durchführung und die histopathologische Aufarbeitung sowie uneinheitliche Patientinnenkollektive gekennzeichnet. Insbesondere sind keine Studien verfügbar, die die Fragestellung untersucht haben, inwieweit der Sentinel-Lymphknoten auch den Nodalstatus der "down-gestagten" Axilla repräsentativ erfasst. Für die Beantwortung dieser Fragestellung wäre die gezielte Untersuchung eines Kollektivs von prächemotherapeutisch nodalpositiven Patientinnen erforderlich, die vor der Operation einen klinisch unauffälligen Nodalstatus aufweisen.

Ein weiteres kontrovers diskutiertes Thema stellt die notwendige Genauigkeit der histopathologischen Aufarbeitung der SLN dar. Die Beantwortung dieser Frage hängt von der klinischen Bedeutung einer minimalen Lymphknotenbeteiligung für die weiteren lokalen und systemischen Therapieentscheidungen ab. Da die prognostische Bedeutung von Mikrometastasen als gering eingeschätzt wird und die systemischen Behandlungskonzepte eher an tumorbiologischen und prädiktiven Parametern als am Nodalstatus ausgerichtet werden, ist eine systematische Suche nach Mikrometastasen durch enge Stufenschnitte für die adjuvante Therapieentscheidung nicht erforderlich. Andererseits sind die Daten bezüglich der Rate an positiven Non-Sentinel-Lymphknoten bei minimalem SLN-Befall sehr heterogen und reichen bis zu 15% für das Stadium pN0 (sn)(i+) und 34% im Stadium pN1 (sn)(mi). Nach diesen Daten wäre zur Sicherung der lokalen Tumorkontrolle in Abweichung aller veröffentlichten Konsensusempfehlungen eine Axilladissketion auch im Stadium pN0(sn)(i+) zu überlegen. Darüber hinaus wäre die gezielte Suche nach Mikrometastasen durch engere Stufenschnitte erforderlich.

Trotz der einheitlichen Bewertung der SLNB als Standardverfahren für das axilläre Staging beim Mammakarzinom sind zahlreiche Fragen in Zusammenhang mit der Methode noch ungeklärt und sollten in prospektiven Studienprotokollen untersucht werden. Der aktuelle Konsensus der DGS steht jedoch in vollem Einklang mit allen vergleichbaren internationalen Empfehlungen und kann daher für die heutige klinische Routine weiterhin empfohlen werden.

Literatur

  • 06 Kühn T . (für das Konsensuspanel der Deutschen Gesellschaft für Senologie). Sentinel-Node-Biopsie beim Mammakarzinom: Interdisziplinär abgestimmter Konsensus der Deutschen Gesellschaft für Senologie für eine qualitätsgesicherte Anwendung in der klinischen Routine.  Geburtsh Frauenheilkunde. 2003;  63 835-840
  • 07 Kuehn T . Bembenek A . Decker T . et al . Consensus Committee of the german Society of Senology. A concept for the clinical implementation of sentinel lymph node biopsy (SLNB) in breast cancer patients with special regard to quality assurance.  Cancer. 2005;  103 451-461
  • 08 Lyman GH . Giuliano AE . Somerfield MR . et al . American Society of Clinical Oncology Guideline Recommendations of Sentinel Lymph Node Biopsy in Early Stage Breast Cancer.  J Clin Oncol. 2005;  23 7703-7720
  • 09 Köchli OR . Langer I . Berclaz G . et al . Sentinel Lymphknotenbiopsie beim Mammakarzinom. Konsensusstatements der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft Sentinel beim Mammakarzinom und der AGO der SGGG.  Senologie. 2005;  2 14-17

PD Dr. Th. Kühn

Interdisziplinäres Brustzentrum Gifhorn

Email: kuehn.thorsten@t-online.de