Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2006; 3(1): 1-2
DOI: 10.1055/s-2006-949553
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interdisziplinarität als Idealstrategie der Behandlung des Mammakarzinoms

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Publication Date:
29 August 2006 (online)

 

Prof. C. Menzel, Salzburg

Die senologischen Gesellschaften der deutschsprachigen Länder haben sich in wenigen Jahren zu Plattformen entwickelt, in denen praktisch alle beteiligten Disziplinen in exemplarischer Weise den weiten Bogen von der präklinischen Forschung, der Epidemiologie und Pathologie, aller Facetten der Diagnostik bis hin zur kompletten multimodalen Therapie und der Psycho-Onkologie abbilden. Bei keiner anderen Tumorentität existieren heute Foren dieser Güte, in denen das Fachwissen der einzelnen Disziplinen alle senoonkologisch Tätigen in derart hoher Geschwindigkeit erreicht und damit zur ebenso raschen wie breiten klinischen Etablierung beiträgt. Die Kooperation in der Brustkrebstherapie darf ohne Übertreibung als paradigmatisch für die interdisziplinäre Tumortherapie schlecht- hin betrachtet werden!

Diese Stärke zur raschen und unprätentiösen Vernetzung mit anderen Therapien, die als komplementär und nicht als konkurrierend begriffen werden, hat die Senochirurgen in den letzten Jahren in eine zunehmende Nähe zu der modernen Radioonkologie gebracht. Aus zahlreichen prospektiven wie retrospektiven Untersuchungen ist bekannt, dass In-Brust-Rezidive zum überwiegenden Teil im Bereich des ehemaligen Tumorbettes auftreten. Was lag also näher als der Gedanke, noch während der Operation eine Hochpräzisionsbetrahlung durchzuführen?

In Salzburg haben wir als eine der ersten Institutionen weltweit noch vor den Mailändern diese neue Kooperation gewagt und konservativ operierte Mammakarzinome routinemäßig einer intraoperativen Bestrahlung mit Elektronen (IOERT) zugeführt. Der ideologische Ansatzpunkt unserer Partner an der Universitätsklinik für Radioonkologie liegt dabei in der Anwendung der IOERT als vorweggenommenem Boost vor einer nachfolgenden Ganzbrustbestrahlung und nicht als alleiniges Verfahren, wie in der Veronesi-Studie geprüft. Die Strahlentherapie nach konservativer Operation "mit einem Schlag" zu erledigen, mag für manche Chirurgen und Patientinnen etwas Verlockendes darstellen - in Wahrheit gilt: Primum nil nocere! Die heute in der alleinigen IOERT des Mammakarzinoms applizierten Einzeldosen sind hinsichtlich ihrer kosmetischen Spätkonsequenzen keinesfalls abschätzbar. Ebenso wenig ist bekannt, ob nicht Partialbrustbestrahlungen dieser Art vermehrt Rezidive in Lokalisationen bescheren werden, in denen wir nach routinemäßiger Ganzbrustbestrahlung keine erwarten müssen.

Außerdem gilt: Nicht überall ist IOERT drin, wo IOERT draufsteht. Die Unterschiede der einzelnen Verfahren, von der IOERT mit Elektronen, den brachytherapeutischen Verfahren mittels perioperativer Implantate oder dem Mammosite bis hin zu Orthovoltgeräten ist enorm und die Anwendung praktisch nicht miteinander vergleichbar. Chirurgen sind gut beraten, die diesbezüglichen Kontroversen in der radioonkologischen Gemeinschaft zu verfolgen und die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO), der Deutschen Gesellschaft für Senologie (DGS) sowie der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) der Deutschen Krebsgesellschaft zu beherzigen.

Alleinige Benchmark für all diese Methoden und Strategien ist und bleibt der klinische Outcome. Mittlerweile liegen im Universitätsklinikum Salzburg Erfahrungen an über 700 Patientinnen vor - nach einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 3 Jahren verzeichnen wir bislang lediglich ein einziges In-Brust-Rezidiv. Unter der Ägide unserer strahlentherapeutischen Partner wurde innerhalb von 6 europäischen Institutionen vor kurzem eine gepoolte Analyse durchgeführt. In allen beteiligten Zentren (Salzburg, Klagenfurt, Münster, 2 Kliniken in Rom sowie Mailand) war dabei die IOERT mittels Elektronen bei insgesamt über 1100 Patientinnen im Boost-Setting eingesetzt worden. Auch in den kleineren Kollektiven der anderen Institutionen zeigten sich praktisch identische Resultate: die kollektive lokale Tumorkontrollrate lag bei 99%!

Für das zertifizierte Brustzentrum Salzburg ist die Integration der IOERT in das konservative Management des Mammakarzinoms in Anbetracht solcher Ergebnisse eine solide Realität geworden. Als Konsequenz dieser, wie wir glauben, einzigartigen Resultate werden in einem nächsten Schritt bei gut selektierten Patientinnen Ganzbrustdosisreduktionen prospektiv geprüft werden. Es galt und gilt dabei viel voneinander zu lernen: Strahlentherapeuten müssen chirurgische Präparationstechniken verstehen, und Chirurgen müssen sich umgekehrt sowohl mit der biologischen als auch der physikalischen Denkweise der Radioonkologen vertraut machen. Dieser Zugang charakterisiert Interdisziplinariät par excellence: das Tun und die Denkweise des anderen begreifen und in die eigenen Strategien integrieren.

Prim. Prof. Dr. Christian Menzel

Universitätsklinik für Spezielle Gynäkologie der Paracelsus Medizinische Privatuniversität Brustzentrum Salzburg

Email: c.menzel@salk.at