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DOI: 10.1055/s-2006-951419
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Wissen praxisnah vermittelt - Aktiv-Workshops zur Therapie und Diagnostik neuropathischer Schmerzen
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
18. September 2006 (online)

Wie würden Sie eine Patientin behandeln, die im Verlauf einer Chemotherapie über eine Kälteallodynie klagt? Sie würden wohl zunächst eine neurologische Untersuchung durchführen, doch im Fall einer 73-jährigen Patientin, bei der nach einer Kolonteilresektion eine Chemotherapie unter Verwendung von Oxaliplatin begonnen wurde, blieb diese Untersuchung unauffällig. Hätten Sie trotzdem an ein neuropathisches Schmerzsyndrom gedacht? Wohl eher nicht.
Es sind Fallbeispiele wie diese, die Prof. R. Baron, Kiel, zusammen mit seinen Kollegen in den Workshops zur Therapie neuropathischer Schmerzen im Gespräch mit den teilnehmenden Ärzten bespricht und anhand derer er praxisrelevantes Wissen vermittelt.
Wann Sie hellhörig werden sollten
So stellte er bei einer der letzten Veranstaltungen der Pfizer pain academy beispielsweise vor, bei welchen Symptomen die Ärzte trotz unauffälligem neurologischem Befund hellhörig werden sollten. Wie die Workshopteilnehmer erfuhren, klagte die Patientin an den Extremitäten in Ruhe aber auch beim Anfassen von kalten Gegenständen über grausame, stechende und brennende Schmerzen. Mehrmals täglich traten Schmerzattacken auf. Bereits die kalte Umgebungstemperatur reichte aus, um die Schmerzen hervorzurufen. Die Kälteüberempfindlichkeit hatte sich zwar innerhalb von vier bis fünf Tagen nach der Gabe von Oxaliplatin zurückgebildet, im Laufe der Therapiezyklen nahm jedoch die Schmerzdauer zu.
Das zuvor erlernte Wissen über die Leitsymptome des neuropathischen Schmerzsyndroms, die brennenden Spontanschmerzen, die einschießenden Schmerzattacken sowie die thermische und die mechanische Allodynie, die die Teilnehmer bereits in einem theoretischen Grundlagenteil kennen gelernt hatten, fanden Sie hier in einem konkreten Fallbeispiel wieder.
Im Alltag ist es zunächst wichtig, neuropathische Schmerzen von anderen Schmerzsyndromen abzugrenzen. Und so ging Baron mit seinem Team im Workshop auch auf die Abläufe im nozizeptiven System und die Bedeutung der beiden schmerzleitenden Nervenfasern, der schnell leitenden A-delta-Fasern und der langsameren C-Fasern, ein. Im Gegensatz zu nozizeptiven Schmerzen liegt neuropathischen Schmerzen eine Läsion im afferenten System zugrunde. Die Nervenfasern sind sensibilisiert und die Reizschwelle für die Nozizeption ist reduziert. Hier erfuhren die Teilnehmer, dass die Diagnose in der Praxis oftmals deshalb so schwer fällt, weil die dünnen Fasern mit der Routinediagnostik nicht erfasst werden können.
Diagnoseverdacht absichern
Die Brennschmerzen und die Schmerzattacken der Patientin geben zwar einen Hinweis auf die Diagnose "neuropathisches Schmerzsyndrom", doch um diese abzusichern, sind einige Tests notwendig. Eine Möglichkeit ist der Pin-Prick-Test, hier wird mit einer Nadel auf der Haut ein leicht schmerzhafter Reiz ausgelöst. Betroffene Patienten empfinden bereits diese niedrige Reizstärke als extrem schmerzhaft. So war es auch bei der Patientin, bei der mithilfe des Tests eine mechanische Allodynie diagnostiziert wurde.
Ein weiterer Schritt, um eine mögliche isolierte Läsion der dünnen Fasern zu diagnostizieren, ist die quantitativ-sensorische Testung (QST), bei der die Temperaturschmerzschwellen gemessen werden. Neben der Information über die theoretischen Hintergründe konnten die Teilnehmer dieses Verfahren praktisch testen. "Sie werden spüren, was Schmerzen sind", warnte Baron scherzhaft und meinte damit die Demonstration der sensorischen Testung einer thermischen Allodynie an einem Probanden aus den Reihen der Teilnehmer.
Die Schwellen zur Empfindung unangenehmer Temperaturreize wurden sowohl vor als auch nach Sensibilisierung der Nozizeptoren getestet. Ein Sensor auf der Haut übte dabei einen Kälte- bzw. Wärmereiz aus und per Mausklick gab der Proband an, ab wann die Temperatur als unangenehm empfunden wurde. Er erfuhr also "am eigenen Leib", wie durch das Auftragen von Menthol bzw. Capsaicin die Rezeptoren der nozizeptiven C-Fasern sensibilisiert werden. Auch im Fallbeispiel war dieser Test aufschlussreich: Wie die Testung der Hände und Füße ergab, empfand die ältere Dame bereits Temperaturen ab 29° C - und nicht wie üblich erst ab 20° C - als unangenehm.

Medikamentöse Therapie
Nachdem bei der Patientin die Diagnose eines neuropathischen Schmerzsyndroms im Rahmen einer akuten chemotherapieinduzierten Polyneuropathie gestellt wurde, begann die medikamentöse Therapie mit Pregabalin. Da die medikamentöse Therapie neuropathischer Schmerzen nicht die einzige, aber die am besten untersuchte Therapieform ist, wurden zum Abschluss des Workshops im Gespräch die Vor- und Nachteile der einzelnen Substanzen, angefangen von den Antidepressiva, über die Antikonvulsiva, die verschiedenen Opioide bis hin zu den Cannabinoiden, lebhaft diskutiert.
KL

