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DOI: 10.1055/s-2006-951910
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Heiße Entwicklungen
Publication History
Publication Date:
12 June 2007 (online)

Fall 1
Unter dem Stichwort „Schwere Atemnot” wird die Notärztin in eine elegant eingerichtete Wohnung alarmiert. Der Lebensgefährte einer dort lebenden jungen Frau hatte den Rettungsdienst gerufen, weil seine Freundin seit Stunden zunehmend erschöpft und zuletzt kaum noch ansprechbar gewesen sei.
Die bereits vorher eingetroffene RTW-Mannschaft hatte einen Blutdruck von 70/40 mm Hg, eine Herzfrequenz von 144/min, eine pulsoxymetrische Sättigung von 98 % sowie einen Blutzucker von 70 mg/dl gemessen.
Die 22-jährige Patientin reagiert auch auf lautes Ansprechen und leichte Schmerzreize nur mit unverständlichen Lauten. Auffällig ist die heiße Haut. Die anschließend gemessene Körpertemperatur im Ohr beträgt 40,6 °C. Bei der weiteren klinischen Untersuchung finden sich ein schlaffer Muskeltonus, keine Zeichen eines Meningismus, Pupillen mittelweit mit träger Lichtreaktion, Konjunktiven etwas gerötet, Blutdruck deutlich erniedrigt, Tachykardie sowie Spuren von Erbrochenem an den Lippen.
Zur Anamnese weiß der Lebensgefährte lediglich zu berichten, dass seine Freundin am Vorabend, knapp 24 Stunden zuvor, völlig unauffällig von ihrem regelmäßigen Fitnesstraining zurückgekehrt sei. Nachts hätte sie dann zweimal erbrochen, dies jedoch auf eine Unverträglichkeit von Essen zurückgeführt. Am Morgen sei er zur Arbeit gefahren und sie hätte ihm einen guten Tag gewünscht. Jetzt bei Rückkehr am Nachmittag sei sie bereits schwer erweckbar gewesen und gegen Abend habe sie überhaupt nicht mehr reagiert. Eine Erklärung für den Zustand hätte er nicht.
Nach Legen einer Venenverweilkanüle und rascher Gabe von 1500 ml eines salinischen Volumenersatzmittels transportiert die Notärztin die Patientin in die nahe gelegene Klinik. Dort wird unter dem Verdacht einer Meningitis bzw. Sepsis unbekannter Ursache zunächst ein CCT angefertigt, welches ohne pathologischen Befund bleibt. Anschließend wird die Patientin bei weiter ansteigender Temperatur von jetzt 41,2 °C endotracheal intubiert und auf die Intensivstation verlegt. Dort ist neben der bereits vom Notarzt begonnenen Volumenersatztherapie zusätzlich Noradrenalingabe erforderlich, um annähernd normale Blutdruckverhältnisse herzustellen.
Da eine Infektion auch durch die inzwischen eingetroffenen Laborwerte eher unwahrscheinlich erscheint (CRP 2,5 mg/dl, 13 000 Leukozyten/mm3) und die sehr hohe Körpertemperatur für „Fieber” eher unüblich ist, wird unter der Verdachtsdiagnose „Maligne Hyperthermie” mit einer Kühltherapie begonnen. Unter Analgosedierung mit Midazolam und Fentanyl wird die Patientin mit Crush-Eis bedeckt und dieses in kurzen Abständen gewechselt. Darunter kommt es jedoch zu keinem anhaltenden Temperaturabfall. Schließlich entschließt man sich acht Stunden nach Einlieferung der Patientin, sie in die 40 km entfernte Universitätsklinik zu verlegen, um dort mithilfe von Hämodialyse eine Kühlung zu erzwingen.
In der dortigen Intensivstation wird eine Patientin mit weiten, lichtstarren Pupillen und einer Körpertemperatur von 41,4 °C übernommen. Klinisch und laborchemisch finden sich alle Zeichen des Multiorganversagens. Trotz ausreichender Volumenzufuhr und knapp normalem Venendruck besteht ein anurisches Nierenversagen. Unter dem Bild eines zunehmenden Leberversagens mit Hypoglykämie trotz gleichzeitiger Glukoseinfusion sowie den klinischen und laborchemischen Zeichen der Verbrauchskoagulopathie geht die ausgeprägte Tachykardie in Bradykardie und anschließend Asystolie über. Alle Reanimationsversuche bleiben erfolglos.
Bei der später erfolgten toxikologischen Analytik konnte in den Körperflüssigkeiten der Patientin die Substanz 2,4-Dinitrophenol nachgewiesen werden. Diese Substanz bewirkt eine Entkopplung der oxidativen Phosphorylierung. Dadurch kommt es zur Verringerung der ATP-Synthese, hingegen zu einer deutlichen Steigerung der Wärmeproduktion. Bereits Anfang des vorigen Jahrhundert beobachtete man die temperatursteigernde und zum Gewichtsverlust führende Wirkung des 2,4-Dinitrophenols, als die Substanz noch zur Sprengstoffherstellung Verwendung fand. Seither wurden vereinzelt Todesfälle nach Einnahme von DNP beschrieben, welches als „fatburner” gerade auch im Internet stark beworben wird [1].
Literatur
- 1 BfR, persönliche Mitteilung an die Giftinformationszentralen,. 19. Sept. 2006
- 2 Halloran L L, Bernard D W. Management of drug-induced hyperthermia. Current Opinion in Pediatrics. 2004; 16 211-215
- 3 Khan H M, Syed N A, Sheerani M. et al . Neuroleptic malignant syndrome: Need for early diagnosis and therapy. J Ayub Med Coll Abbottabad. 2006; 18 (1) 17-21
- 4 Queen J R, Glauser J. A young man with hyperthermia and new-onset seizures. Cleveland Clinic J Med. 2002; 69 (6) 453-464
- 5 Boyer E W, Shannon M. The Serotonin Syndrome. N Engl J Med. 2005; 352 1112-1120
Priv.-Doz. Dr. Frank Martens
Charité, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Email: frank.martens@charite.de